Freitag, 6 Uhr morgens, es läutet, ich wache ruckartig auf und greife reflexhaft zum Telefon, um zu sehen, wer anruft. Da ich die Nummer nicht kenne, hebe ich nicht ab, zu oft wurde ich um diese Zeit langatmig mit banalen Fragen behelligt – und damit das Notdiensthandy für wirkliche Notfälle blockiert. Meine Mobilbox sagt dem Anrufer daher außerhalb der „Dienstzeiten“: „Lieber Pferdebesitzer, wenn Sie einen Notfall haben, sprechen Sie mir bitte auf die Mobilbox oder schreiben Sie mir eine SMS…“ Ich warte ab, ob die Mobilbox sich meldet – Stille. Entweder kein Notfall – oder wieder jemand, der die Mobilboxansage nicht angehört hat, was leider auch sehr häufig passiert.
Beim Frühstück bereits der nächste Anruf, eine Stammkundin. Ihr Pferd habe eine Kolik – ob ich kommen könne? Mein angebissenes Brötchen auf dem Beifahrersitz fahre ich 50 Kilometer in einen ländlichen Privatstall. Es ist eiskalt, und es hat leicht zu schneien begonnen. Es ist noch dämmrig, im Stall gibt es kein Licht. Ich muss also die Kopflampe aufsetzen, um etwas sehen zu können. Die Stute ist dadurch alarmiert und unruhig. Die rektale Untersuchung und das Setzen der Nasenschlundsonde gestalten sich als äußerst schwierig, aber mit vereinten Kräften und viel Geduld schaffen wir’s! Ein Gefühl der Zufriedenheit wärmt mich. Situationen wie diese erinnern mich daran, wieso ich Tierarzt werden wollte. Die Besitzerin ist sehr dankbar, entschuldigt sich sogar wegen der frühen Störung, wir plaudern und scherzen noch ein bisschen, währenddessen wirkt das Schmerzmittel, und die Stute ist wieder fröhlich und entspannt. Ich bitte um kurze Rückmeldung am Abend, wie es der Patientin geht.
Wieder im Auto bearbeite ich drei Anrufe in Abwesenheit. Eine Dame kenne ich noch nicht, sie hat ein lahmes Pferd, ich bin ihr empfohlen worden. Sie versucht, mir penibel genau zu schildern, wie sich das Pferd bewegt und fragt mich, was der Grund dafür sein kann. Ich sage ihr, dass ich ihr das am Telefon nicht beantworten könne, zumal es Abertausende Möglichkeiten für Lahmheiten gibt. Daraufhin erklärt sie mir, dass sie im Internet nachgeschaut hat – und ob es nicht sein könnte, und ich nicht auch denke, dass das Pferd eine Hufrollenentzündung hat. Ich halte das für unwahrscheinlich und frage, wann ich vorbeikommen solle. Sie ist enttäuscht darüber, dass ich ihr keine Telefondiagnose anbiete. Sie meint, dass sie das Pferd noch weiter beobachten möchte und sich dann noch einmal melden würde. Ich weiß schon jetzt, dass ich von der Dame nie wieder etwas hören werde…
Der zweite Anruf ist von einem lieben Stammkunden, er ist Züchter und äußerst professionell im Umgang mit seinen Pferden. Er möchte einen Impftermin ausmachen. Die dritte Nummer ist jene von heute 6 Uhr morgens – jemand mit einer Frage über freies Kotwasser… Ich rufe die Besitzer der für heute geplanten Visiten an, weil sich durch den Notfall alles nach hinten verschoben hat. Dann folgt eine Lahmheitsuntersuchung, zwei Impftermine und zwei Pferde, deren Zähne korrigiert werden sollen. Zwischen den Visiten mache ich 20 Minuten Mittagspause. Nach überstandener Gastritis und anderen stressbedingten Problemen habe ich mir angewöhnt, mittags im Sitzen und warm zu essen, anstatt schnell ein Weckerl beim Autofahren zu verschlingen. Insgesamt bin ich heute schon 300 Kilometer gefahren.
Am Ende eines langen Tages wartet schließlich noch ein Verbandswechsel. Im Stall angekommen, werde ich gefragt, ob ich so nett wäre, wenn ich schon da bin, auch das Pferd einer Bekannten mit anzuschauen. Weil ich unter Arbeitsdruck häufig nicht nachdenke, begehe ich einen Kardinalfehler und sage zu. Das Pferd hat ein Augenproblem, ich spreche kurz mit der Besitzerin am Telefon, sage ihr auch, dass es eine Ausnahme ist, dass ich heute das Pferd einer Fremden anschaue, und dass ich normalerweise Erstkonsultationen nur bei Bezahlung mit Karte oder gegen Bargeld durchführe. Sie meint, sie sei vertrauenswürdig. Das Pferd hat ein Hornhautgeschwür, ich sediere, blocke das Oberlid, anästhesiere die Hornhautoberfläche, nehme eine zytologische Probe, um festzustellen, ob ein zusätzlicher Pilzbefall vorliegt, lasse Schmerzmittel und vier verschiedene Augentropfen da. Danach rufe ich die Besitzerin an, beschreibe ihr detailliert, was ich gefunden habe, und erkläre ihr den Behandlungsplan, den ich im Stall hinterlegt habe. Nach dem Gespräch schicke ich ihr vom iPad die Rechnung per Mail und hoffe inständig, dass sie auch bezahlt wird. Ansonsten habe ich dieses Pferd auf meine Kosten behandelt. Ich ärgere mich über mich selbst, viele unbezahlte Rechnungen in der Vergangenheit haben mich gelehrt, so etwas eigentlich nicht mehr zu machen. Bezahlt sie die Rechnung nicht, weiß ich genau, was auf mich zukommt: Mahnung, Rechtsanwalt oder Inkassobüro – und sehr oft zu guter Letzt trotzdem kein Geld, nur weitere Spesen.
Als ich mich nach der ungeplanten Augenvisite auf den Heimweg mache, ist es kurz vor 19 Uhr. Der Anruf der Besitzerin von der Stute mit Kolik reißt mich aus meinen Gedanken. Sie sagt, dass die Stute Kot mit Öl abgesetzt hat und dass sie schon furchtbar hungrig ist. Das freut mich so sehr, dass ich meine Sehnsucht nach mehr Freizeit für den Augenblick vergesse. Um 19 Uhr ist mein Normdienst zu Ende, der Notdienst beginnt. Ich bin hundemüde, drehe die Heizung im Auto hoch, weil mir eiskalt ist, und ich habe einen Bärenhunger. Früher hätte ich mir im Fastfoodladen schnell ein Abendessen geholt, mittlerweile zwinge ich mich auch abends „normal“ zu essen. Ich hoffe, dass heute kein Notfall mehr kommt. Meine Freunde und meine Familie habe ich schon lange nicht mehr gesehen, ich rufe sie meist während meinen Fahrten zu Patienten vom Auto aus an. Zu Hause angekommen, gehe ich ins Büro und trage meine Visiten ein, schaue die Post durch, bestelle noch schnell übers Internet Dinge, die ich für die Praxis brauche, bezahle Rechnungen und beantworte E-Mail- und Facebookanfragen von Kunden. Die Buchhaltung sollte ich auch mal wieder machen… Vor dem Abendessen störe ich mich kurz daran, dass die Wohnung nicht geputzt und die Wäsche nicht gebügelt ist und frage mich, wann ich wohl wieder einmal Zeit für mein privates Leben haben werde…
Beim Frühstück bereits der nächste Anruf, eine Stammkundin. Ihr Pferd habe eine Kolik – ob ich kommen könne? Mein angebissenes Brötchen auf dem Beifahrersitz fahre ich 50 Kilometer in einen ländlichen Privatstall. Es ist eiskalt, und es hat leicht zu schneien begonnen. Es ist noch dämmrig, im Stall gibt es kein Licht. Ich muss also die Kopflampe aufsetzen, um etwas sehen zu können. Die Stute ist dadurch alarmiert und unruhig. Die rektale Untersuchung und das Setzen der Nasenschlundsonde gestalten sich als äußerst schwierig, aber mit vereinten Kräften und viel Geduld schaffen wir’s! Ein Gefühl der Zufriedenheit wärmt mich. Situationen wie diese erinnern mich daran, wieso ich Tierarzt werden wollte. Die Besitzerin ist sehr dankbar, entschuldigt sich sogar wegen der frühen Störung, wir plaudern und scherzen noch ein bisschen, währenddessen wirkt das Schmerzmittel, und die Stute ist wieder fröhlich und entspannt. Ich bitte um kurze Rückmeldung am Abend, wie es der Patientin geht.
Wieder im Auto bearbeite ich drei Anrufe in Abwesenheit. Eine Dame kenne ich noch nicht, sie hat ein lahmes Pferd, ich bin ihr empfohlen worden. Sie versucht, mir penibel genau zu schildern, wie sich das Pferd bewegt und fragt mich, was der Grund dafür sein kann. Ich sage ihr, dass ich ihr das am Telefon nicht beantworten könne, zumal es Abertausende Möglichkeiten für Lahmheiten gibt. Daraufhin erklärt sie mir, dass sie im Internet nachgeschaut hat – und ob es nicht sein könnte, und ich nicht auch denke, dass das Pferd eine Hufrollenentzündung hat. Ich halte das für unwahrscheinlich und frage, wann ich vorbeikommen solle. Sie ist enttäuscht darüber, dass ich ihr keine Telefondiagnose anbiete. Sie meint, dass sie das Pferd noch weiter beobachten möchte und sich dann noch einmal melden würde. Ich weiß schon jetzt, dass ich von der Dame nie wieder etwas hören werde…
Der zweite Anruf ist von einem lieben Stammkunden, er ist Züchter und äußerst professionell im Umgang mit seinen Pferden. Er möchte einen Impftermin ausmachen. Die dritte Nummer ist jene von heute 6 Uhr morgens – jemand mit einer Frage über freies Kotwasser… Ich rufe die Besitzer der für heute geplanten Visiten an, weil sich durch den Notfall alles nach hinten verschoben hat. Dann folgt eine Lahmheitsuntersuchung, zwei Impftermine und zwei Pferde, deren Zähne korrigiert werden sollen. Zwischen den Visiten mache ich 20 Minuten Mittagspause. Nach überstandener Gastritis und anderen stressbedingten Problemen habe ich mir angewöhnt, mittags im Sitzen und warm zu essen, anstatt schnell ein Weckerl beim Autofahren zu verschlingen. Insgesamt bin ich heute schon 300 Kilometer gefahren.
Am Ende eines langen Tages wartet schließlich noch ein Verbandswechsel. Im Stall angekommen, werde ich gefragt, ob ich so nett wäre, wenn ich schon da bin, auch das Pferd einer Bekannten mit anzuschauen. Weil ich unter Arbeitsdruck häufig nicht nachdenke, begehe ich einen Kardinalfehler und sage zu. Das Pferd hat ein Augenproblem, ich spreche kurz mit der Besitzerin am Telefon, sage ihr auch, dass es eine Ausnahme ist, dass ich heute das Pferd einer Fremden anschaue, und dass ich normalerweise Erstkonsultationen nur bei Bezahlung mit Karte oder gegen Bargeld durchführe. Sie meint, sie sei vertrauenswürdig. Das Pferd hat ein Hornhautgeschwür, ich sediere, blocke das Oberlid, anästhesiere die Hornhautoberfläche, nehme eine zytologische Probe, um festzustellen, ob ein zusätzlicher Pilzbefall vorliegt, lasse Schmerzmittel und vier verschiedene Augentropfen da. Danach rufe ich die Besitzerin an, beschreibe ihr detailliert, was ich gefunden habe, und erkläre ihr den Behandlungsplan, den ich im Stall hinterlegt habe. Nach dem Gespräch schicke ich ihr vom iPad die Rechnung per Mail und hoffe inständig, dass sie auch bezahlt wird. Ansonsten habe ich dieses Pferd auf meine Kosten behandelt. Ich ärgere mich über mich selbst, viele unbezahlte Rechnungen in der Vergangenheit haben mich gelehrt, so etwas eigentlich nicht mehr zu machen. Bezahlt sie die Rechnung nicht, weiß ich genau, was auf mich zukommt: Mahnung, Rechtsanwalt oder Inkassobüro – und sehr oft zu guter Letzt trotzdem kein Geld, nur weitere Spesen.
Als ich mich nach der ungeplanten Augenvisite auf den Heimweg mache, ist es kurz vor 19 Uhr. Der Anruf der Besitzerin von der Stute mit Kolik reißt mich aus meinen Gedanken. Sie sagt, dass die Stute Kot mit Öl abgesetzt hat und dass sie schon furchtbar hungrig ist. Das freut mich so sehr, dass ich meine Sehnsucht nach mehr Freizeit für den Augenblick vergesse. Um 19 Uhr ist mein Normdienst zu Ende, der Notdienst beginnt. Ich bin hundemüde, drehe die Heizung im Auto hoch, weil mir eiskalt ist, und ich habe einen Bärenhunger. Früher hätte ich mir im Fastfoodladen schnell ein Abendessen geholt, mittlerweile zwinge ich mich auch abends „normal“ zu essen. Ich hoffe, dass heute kein Notfall mehr kommt. Meine Freunde und meine Familie habe ich schon lange nicht mehr gesehen, ich rufe sie meist während meinen Fahrten zu Patienten vom Auto aus an. Zu Hause angekommen, gehe ich ins Büro und trage meine Visiten ein, schaue die Post durch, bestelle noch schnell übers Internet Dinge, die ich für die Praxis brauche, bezahle Rechnungen und beantworte E-Mail- und Facebookanfragen von Kunden. Die Buchhaltung sollte ich auch mal wieder machen… Vor dem Abendessen störe ich mich kurz daran, dass die Wohnung nicht geputzt und die Wäsche nicht gebügelt ist und frage mich, wann ich wohl wieder einmal Zeit für mein privates Leben haben werde…