Interview

Zwischen Corona-Labor und Pferdestall: Virologin über Herausforderungen im Reitbetrieb und wie es weitergehen könnte

Ein Artikel von Pamela Sladky | 06.04.2020 - 11:08
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Dr. Dorothee von Laer ist Inhaberin des Reitkunstzentrums Equiliber in Wulkaprodersdorf. © Siegbert Altenhofer

Seit 2010 ist Dr. Dorothee von Laer Professorin für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Im Alltagsleben pendelt sie zwischen Tirol und Burgenland, wo sie das Reitkunstzentrum Equiliber in Wulkaprodersdorf aufbaut, renoviert und führt. In den vergangenen Wochen war ihr Arbeitsalltag allerdings auf das unter Quarantäne stehende Tirol und hier hauptsächlich auf die Durchführung von Coronavirus-Tests beschränkt. Nächste Woche sollen von dem von ihr geführten Labor mehr als 300 Antikörpertests in Ischgl durchgeführt werden, um damit mehr über die Dunkelziffer der Corona-Erkrankten mit mildem Verlauf zu erfahren. Außerdem sollen diese Tests Aufschluss darüber geben, ob die vormals Erkrankten nun immun gegen das Virus sind und damit nicht mehr als Überträger in Frage kommen.


Pferderevue:
Frau Doktor von Laer, als Leiterin eines der größten SARS-CoV-2-Diagnostiklabors in Österreich haben Sie im Moment sicher einen immens fordernden Arbeitsalltag. Wie darf man sich den als Laie vorstellen?

Dr. Dorothee von Laer: Seit Anfang März habe ich durchgearbeitet, sieben Tage pro Woche, 80 Wochenstunden. Das ganze Diagnostik-Team leistet enorme Überstunden. Ich persönlich mache von 7 bis 10 Uhr den ärztlichen Telefondienst, anschließend bis 14 Uhr das Management des Institutes und der Corona-Diagnostik, wo derzeit 50 Mitarbeiter*innen beschäftigt sind. Von 14 bis 15 Uhr tagt der Krisenstab, und danach arbeite ich bis 17 Uhr im Hochsicherheitslabor und isoliere die Viren aus den Materialien der Patienten. Und dazwischen und danach trouble-shooting: Reagenzien kommen nicht, ein gelieferter Kit funktioniert nicht, muss wiederholt werden, alternative Testverfahren müssen validiert werden, Mitarbeiter erkranken usw.


Sie und Ihre Mitarbeiter*innen arbeiten jeden Tag mit hochinfektiösem Material. Überkommt einen da nicht selbst als versierter Profi manchmal die Angst sich anzustecken?

Ich kann nicht in die Seele jedes Mitarbeiters schauen, aber ich denke wir alle sind sehr routiniert im Umgang mit potentiell infektiösen Proben. Jedes Patientenmaterial, das wir bekommen, ist ja potentiell infektiös, auch vor Covid-19. Im Labor kann man mit den Patientenmaterialen sehr kontrolliert z. B. unter Sicherheitswerkbänken arbeiten. Die Ärzte und Pflegenden in der Klinik sind deutlich mehr gefährdet.


Wie schätzen Sie die Situation in Tirol derzeit ein? Wie gut kann man Rückschlüsse, die hier gezogen werden, auf die Gesamtsituation in Österreich umlegen?

In Tirol war die Anzahl der Infizierten höher als in anderen Regionen, als die Quarantäne-Maßnahmen der Regierung eingeführt wurden. Es könnte daher sein, dass der Anteil an Personen, die immun sind, in Tirol höher ist als im Rest Österreichs. Aber das werden wir in einer Studie genauer untersuchen.


Sie sitzen jetzt seit zwei Wochen durch die Quarantäne in Innsbruck fest – wie geht es Ihnen so ganz ohne Ihre Pferde?

Nicht nur ohne Pferde, erstmals seit meiner Kindheit ohne Haustiere überhaupt. Meine Pferde, Hunde und Katzen sind alle im Burgenland. Ich vermisse alle wahnsinnig. Insbesondere meine Hispanoaraberstute, die vor eineinhalb Jahren als gerettetes Pferd halb verhungert zu mir kam. Sie ist ein so liebes Geschöpf.


Wie organisieren Sie zur Zeit Ihren Einstellbetrieb, wie setzen Sie die Maßnahmen des COVID-19-Gesetzes für Ihren Betrieb, aber auch Ihre Einsteller*innen um?

Derzeit regeln wir das über einen Online-Kalender, in den sich jeder eintragen kann, so dass immer nur ein Einsteller auf der Anlage ist. Die Einsteller sind angewiesen, mindestens zwei Meter Abstand zum Team zu halten. Türgriffe, Lichtschalter usw. werden zweimal täglich desinfiziert. Händedesinfektionsmittel steht an mehreren Stellen im Stall bereit. Unterricht darf derzeit nicht stattfinden.

Ein paar kreative Ideen haben wir jetzt noch eingeführt. Man kann seine Zeiten im Stall kumulieren, das heißt, wenn man einen Tag nicht kommt, kann man am Folgetag für zwei Stunden pro eigenem Pferd kommen. In der Zeit, in dem das Team Mittagspause hat, von 13 bis 16 Uhr, dürfen zwei Einsteller auf die Anlage, wenn beide in der Box putzen und einer ausreitet oder am Außenplatz reitet und der andere in der Halle. Zu den Randzeiten bieten wir Zwei-Stunden-Slots an. So können wir die Infektionsgefahr für die Stallmitarbeiter gering halten und trotzdem für jeden Pferdebesitzer bis zu neun Stunden Aufenthalt pro Woche sicherstellen. Das Stallpersonal wohnt übrigens komplett auf der Anlage. Nur einer geht hinaus, um für alle einzukaufen. Es muss sichergestellt werden, dass die Pferde täglich optimal versorgt sind.


Können Sie uns Tipps geben, wie man die Ansteckungsgefahr für sich und andere im Stall möglichst gering hält? Ist das Tragen einer Schutzmaske im Stall sinnvoll?

Neben den bereits genannten allgemeinen Vorkehrungen kann jeder Einsteller auch selbst etwas beitragen. Viele unserer Pferdebesitzer tragen im Stall Einweghandschuhe. Das ist eine gute Maßnahme. Auch das Tragen einer Schutzmaske ist im Stall sehr hilfreich. Da bei uns einzeln auf dem Platz oder in der Halle geritten wird, braucht man dabei aus meiner Sicht keine Schutzmaske. Alle Helden, die normalerweise ohne Helm reiten, sollten jetzt doch einen tragen, damit sie im Zweifelsfall keine wichtigen Intensivbetten belegen. Auch eine Schutzweste wäre aus diesem Grund gut. „In-der-Box-putzen“ vermeidet auch ungewollten Kontakt mit dem Stallteam. Ansonsten bin ich sehr dankbar, dass sich bei uns alle Einsteller an die Vorgaben, die wir machen mussten, halten.


Können Sie eine Einschätzung abgeben, wie lange die Pferdecommunity mit den derzeitigen Beschränkungen wird leben müssen bzw. wann man wieder mit uneingeschränkten Besuchen beim eigenen Pferd rechnen darf?

Wie die Politik in Zukunft entscheidet, ist unklar. Ich denke, völlig unbegrenzten Zutritt mit vollen Reiterstuben wird es vor Ende Mai nicht geben. Aber ich glaube, die Reitställe werden immer besser das richtige Maß der Einschränkungen finden. Sollte die Politik relativ früh entscheiden, Dienstleistung von einer Person an maximal zwei Personen, wenn ein Abstand von zwei Metern garantiert ist, wieder zuzulassen – etwa Beratungen, Unterricht, Training usw., wogegen aus infektiologischer Sicht nichts spricht –, könnte zumindest Einzelunterricht bald wieder möglich sein. Aber das ist eine politische Entscheidung.
 

Machen Sie sich bezüglich der Pferdeszene in dieser Situation Sorgen?

Das Reiten ist auch ein Kulturgut, zumindest die Reitkunst. Wie andere Bereiche der Kultur, habe ich die Befürchtung, könnte auch die Reitkultur enorm geschwächt aus der Krise hervorgehen.


Gibt es jemanden, dem Sie in dieser schwierigen Situation besonders danken möchten?

Unbedingt möchte ich Joachim Horner und dem ganzen Equiliber Team danken, dass sie unter den erschwerten Bedingungen so selbstlos für das Wohl der Pferde auf unserer Anlage sorgen. Wichtig ist mir auch der Dank an die Einsteller, die sich so akribisch an alle Vorgaben halten und geduldig die Einschränkungen hinnehmen.

Unabhängig davon möchte ich den Mitarbeitern des Instituts für Virologie an der Medizinischen Universität in Innsbruck danken. Hier muss wirklich keiner extra motiviert werden, in dieser Zeit alles zu geben und den Menschen zu dienen.


Wir danken Ihnen für das Gespräch und für Ihre verantwortungsvolle Arbeit im Dienst an den Menschen in Österreich! Bleiben Sie gesund!

Das Interview führte Petra Gmainer-Wiedemann