Dressur

Spitzenreiter gegen FEI-Mordernisierungsversuche in der Dressur

Ein Artikel von fn-press | PGW | PS | 21.01.2019 - 11:09
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Die anlässlich der FEI-Generalversammlung im November vorgestellten Maßnahmen sollen die internationale Dressur weiterentwickeln und fit für die Zukunft machen.   © Tomas Holcbecher/holcbecher.com

Beim ihrem traditionellen Treffen zum Jahresauftakt in Warendorf haben sich die Mitglieder der deutschen Bundeskaders Dressur unter anderem mit den aktuellen Entwicklungen rund um die Modernisierungsbemühen der FEI in der Sparte Dressur auseinandergesetzt. Eine der zentralen Maßnahmen darin ist der sogenannte Hi/Lo-Drop. Damit ist gemeint, dass die jeweils höchste und die niedrigste Wertnote (high/low) der einzelnen Richter gestrichen und aus den verbleibenden Noten das Gesamtergebnis errechnet wird. Bereits 2017 sollte über die Einführung dieses Wertungsverfahrens abgestimmt werden, aufgrund zahlreicher Proteste im Vorfeld kam es dann aber doch nicht dazu. Ganz davon verabschieden wollte man sich bei der FEI aber offenbar nicht von dem Gedanken, denn inzwischen liegt der Vorschlag erneut auf dem Tisch.

Auch wenn Hi/Lo bei anderen Disziplinen – etwa dem Eiskunstlaufen oder Skispringen – seit langem etabliert ist und sich auch bewährt hat, ist ein Vergleich mit dem Dressurreiten problematisch. Denn während die Richter in der Eishalle oder an der Skisprungschanze nebeneinandersitzen und damit die gleiche Perspektive haben, ist es Teil der Philosophie des Dressurreitens, dass Pferd und Reiter aus einer 360°- Perspektive bewertet werden. Aus diesem Grund sitzen die Richter auch an allen Seiten des Vierecks verteilt. ein Grund dafür, warum es immer wieder zu doch recht unterschiedlichen Wertnoten kommt. „Hi/Lo würde diese Perspektive begrenzen. Nur die Rundum-Sicht gewährleistet, dass der Trainingsstand eines jeweiligen Pferdes vollumfänglich anhand von Kriterien wie Stellung und Biegung, Rahmenerweiterung, Geraderichtung etc. bewertet werden kann“, heißt es dazu in einer Aussendung der deutschen FN. Jeder Richter habe die Möglichkeit, Trainingsmissstände wie einen durchhängenden Rücken, ein zusammengezogenes Genick, ein offenes Maul oder eine heraushängende Zunge etc. zu bestrafen. Dies gewährleiste auch das Wohlergehen der Pferde. „Durch Hi/Lo besteht jedoch die Gefahr, dass ausgerechnet derjenige Richter, der solche Fehler korrekt bewertet, das Streichergebnis liefert. Das Endergebnis spiegelt dann nicht die Gesamtleistung wider, sondern gibt dem betroffenen Reiter einen unverdienten Vorteil.“

Besonders hohe oder niedrige Noten bedeuteten nicht automatisch eine Fehlbewertung des Richters. „Hi/Lo ermutigt die Richter nicht gerade, die gesamte Bandbreite der verfügbaren Noten auszuschöpfen, auch aus Sorge davor ständig derjenige zu sein, der das Streichergebnis liefert und damit in die Kritik von Reitern, Trainern und Öffentlichkeit zu geraten. Dies erschwert auch die Rekrutierung von Richter-Nachwuchs und die gesamte Richter-Ausbildung“, ist man bei der FN überzeugt.

Als weiteres Argument gegen Hi/Lo: Einzelne besonders gute Leistungen könnten nicht mehr anhand des Ergebnisses herausgestellt werden – die Noten würden näher zusammenrücken und Mittelmäßigkeit dadurch vorherrschen. „Für alle – Zuschauer, Richter, Trainer und Reiter, wird es schwieriger, die wirklich guten von den weniger guten Paaren zu unterscheiden. Letztlich werden also Richter, die Ausreißernoten vergeben, überflüssig. Sie stehen dann nämlich für ein Ergebnis, das nicht ihre Bewertung widerspiegelt und für das sie sich nicht verantwortlich fühlen.“ Angesichts dieser Nachteile sei Hi/Lo der völlig falsche Weg, sind sich die Aktiven einig, so wie es auch schon der Dressurausschuss des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR) in seiner Dezember-Sitzung war.

Forderung nach Wiedereinführung der Fußnoten
Die Dressurreiter sprachen sich auch dafür aus, die sogenannten Fußnoten für Reiter und Pferd wieder in die Bewertung mit aufzunehmen. Bereits 2017 hatte die FEI die „Collective Marks“ für das Pferd abgeschafft. Die Noten für Sitz und Einwirkung des Reiters blieben erhalten. Es entfielen also die Bewertung von Gehorsam und Durchlässigkeit, Reinheit der Gänge, Schwung und Elastizität. Diese Entscheidung stieß damals schon bei den Aktiven als auch bei Bundestrainerin Monica Theodorescu und beim Dressurausschuss, auf großes Unverständnis. „Die Fußnoten sind essentiell wichtig, um die Wertigkeit der Grundsätze des Dressurreitens zu unterstreichen“, sagte Monica Theodorescu.

Das Pseudo-Argument, dass verkürzte Prüfungen mehr Medienpräsenz bringen, zieht für mich nicht, und zwar solange nicht, bis mir die Verfechter dieses Glaubens einen neuen Fernsehvertrag vorlegen.


Isabell Werth

Verkürzung des Grand Prix nicht im Sinne der Pferde
Bei der Weltcup-Station in London Ende 2018 war zum ersten Mal eine neue Version des Grand Prix getestet worden. Die Aufgabe wurde von 5.45 Minuten auf genau fünf Minuten verkürzt. Lektionen, die dem gerafften Zeitplan zum Opfer gefallen sind, sind das Anhalten und Rückwärtsrichten bei C und die Zick-Zack-Traversale. Zudem blieben die Paare bis zur Verkündung ihrer Bewertung in der Bahn und gaben anschließend ein kurzes Interview zu ihrer Prüfung. „Es spricht überhaupt nichts dagegen, die Prüfungen mit Interviews nach jedem Ritt und individueller Musik unterhaltsamer für die Zuschauer zu machen, so wie es zum Beispiel in Stuttgart erfolgreich gemacht wird. Wir sehen auch, dass solche Turniere mit der klassischen Tour aus Grand Prix und Special funktionieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, und die Hallen dort voll besetzt sind. Aber das Pseudo-Argument, dass verkürzte Prüfungen mehr Medienpräsenz bringen, zieht für mich nicht, und zwar solange nicht, bis mir die Verfechter dieses Glaubens einen neuen Fernsehvertrag vorlegen“, nimmt sich Weltmeisterin Isabell Werth keinen Blatt vor den Mund. „Wir stehen vor grundlegenden Herausforderungen wie dem Umgang mit Social Media und Bildern vom Abreiteplatz oder vor der Frage, ob man Pferde überhaupt noch reiten darf. In dieser Diskussion darf es nicht um eine Minute mehr oder weniger gehen. Wir brauchen vielmehr ein Gesamtpaket, um unseren Sport besser zu vermarkten und voranzubringen“, so die Weltranglistenerste.

Für die Aktiven steht fest: Aufbau und Länge der Grand-Prix-Prüfungen haben Sinn und Berechtigung. Die einzelnen Aufgaben bauen aufeinander auf, etwa die Galoppwechsel zu zwei Sprüngen und später von Sprung zu Sprung. Sie fragen alles ab, was das Dressurreiten ausmacht und können somit ein vollumfängliches Bild des Trainingszustands von Pferd und Reiter geben. Eine Kürzung einzelner Lektionen ist deshalb nicht zielführend.

Das sehen auch Österreichs Größen im Dressursport so. Bei Victoria Max-Theurer hält sich die Begeisterung für die neue Aufgabe sehr in Grenzen: „Ich bin die Aufgabe selbst noch nicht geritten, aber auf den ersten Blick wirkt sie gestaucht und unrund. Ich empfinde den Grand Prix, den wir bis jetzt geritten sind, als sehr gelungene Prüfung, die sich schön harmonisch reiten lässt. Das ist auch für die Pferde sehr wichtig. Natürlich ist es positiv, die Dressur spannend und interessant zu gestalten, aber es ist schade, wenn man die 45 Sekunden pro Paar nicht hat, um eine harmonische Prüfung zu zeigen.“ 

Die Kürzungen sollten nicht zu Lasten des Sports und der Pferde gehen.


Victoria Max-Theurer

Dressur-Olympiasiegerin und OEPS-Präsidentin Elisabeth Max-Theurer schließt sich dem an: „Ich bin eine Verfechterin der Klassischen Reitkunst und der Meinung, dass man den klassischen Grand Prix nicht kürzen sollte, denn nur so bietet er klare Vergleichsmöglichkeiten. Die Themen Zeitersparnis und Zuschauerfreundlichkeit kommen in Abständen immer wieder und haben immer auch mit Fernsehübertragungen und Live- Einstiegen zu tun. Ich würde es als wichtiger erachten, die Reiter nach Los starten zu lassen, damit sich die Zuschauerränge nicht erst zum Ende des Bewerbes, wenn die bekanntesten Paare einreiten, füllen.“

Staatsmeisterin Belinda Weinbauer will sich ihr abschließendes Urteil zum Kurz-Grand-Prix noch nicht bilden, meint aber, das neue Format sei durch den Wegfall von Lektionen wie der Zick-Zack-Traversale oder dem Rückwärtsrichten technisch eine deutliche Erleichterung. „Aus Perspektive der Reiter ist es natürlich nicht schlecht, wenn etwas leichter wird. Für die Richter wird es aber schwieriger, die Leistungen der Reiter differenziert zu beurteilen.“ Und gerade Letzteres ist im Hinblick auf Transparenz, Fairness und Nachvollziehbarkeit des Sports ein entscheidender Faktor, der letztlich auch über dessen Attraktivität für das Publikum mitentscheidet.

Wie es mit Kurz-Grand-Prix und Hi/Lo-Wertungsverfahren in Zukunft weitergehen wird, steht derzeit nicht fest. Darüber sollen das FEI-Sports Forum im April und die Generalversammlung im November Aufschluss geben.