Olympische Spiele

Vierzehntes Team-Gold für Deutschland: Doch keine klare Sache?

Ein Artikel von Pamela Sladky | 21.07.2021 - 15:19
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10 Medaillen hat Isabell Werth (GER) schon bei Olympischen Spielen gewonnen, sechs davon in Gold. Kommen in Tokio zwei weitere dazu?
© FEI | Tony Parkes

Deutschland kann auf eine lange und beeindruckende Bilanz in der olympischen Dressur verweisen. Seit der Mannschaftswettbewerb 1928 in Amsterdam (NED) erstmals zur Austragung kam, haben die deutschen Dressurreiter:innen fast so etwas wie ein Abonnement auf Team-Gold. In 13 der insgesamt 20 Entscheidungen ging der Mannschaftstitel an Schwarz-Rot-Gold. Dass Nummer 14 in Tokio folgt, scheint bloß eine Formsache zu sein.

Fehler machen verboten

Die Niederlage gegen Großbritannien in London 2012 war der einzige Ausrutscher in einem ansonsten makellosen Lauf, der 1984 in Los Angeles, als das legendäre Duo Reiner Klimke und Ahlerich die Ehrenrunde anführte, seinen Anfang nahm. Ungeachtet aller Störungen der letzten 18 Monate – von der Covid-19-Pandemie bis zum Ausbruch des Equinen Herpes-Virus (EHV-1) in Europa - tritt Team Deutschland in Tokio einmal mehr als Titelverteidiger und unumstrittener Favorit auf eine die Goldmedaille an.

Beim Blick auf die Aufstellung der deutschen Equipe drängt sich die Favoritenrolle allerdings auch auf.  Neben der Langzeitführenden der Dressurweltrangliste, Isabell Werth und Bella Rose, werden im Reitsportzentrum Baji Koen mit Jessica von Bredow-Werndl auf TSF Dalera BB und Dorothee Schneider auf Showtime FRH die Nummer zwei und vier des FEI Rankings die deutschen Farben vertreten. Und mit Helen Langehanenberg und ihrer Stute Annabelle als Ersatzduo scheinen die Deutschen tatsächlich unschlagbar.

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Bei den Deutschen Meisterschaften hat Jessica von Bredow-Werndl ihre Teamkollegin Isabell Werth bereits hinter sich lassen können. Die Form für Olympia-Gold stimmt.
© FEI/Lukasz Kowalski

Doch das für die diesjährigen Spiele eingeführte Dreier-Team-Format könnte sich als Spielverderber erweisen. Ein schlechter Tag für nur ein Equipemitglied und der Titel ist futsch. Ohne Streichergebnis ist jeder Ritt entscheidend.


Dynamisches Duo

Bei den Olympischen Spielen 2012 in London feierte Großbritannien historisches Team-Gold, 2016 in Rio gab es Mannschaftssilber, Bronze ging an die Niederlande. Auch in diesem Jahr setzen die Briten auf ihr dynamisches Duo Charlotte Dujardin und Carl Hester. Allerdings – und das ist der große Unterschied zu den Jahren davor – werden beide zwei noch sehr unerfahrene Pferde unter dem Sattel haben.

Dujardins Entscheidung, in Tokio auf den erst zehnjährigen Gio anstelle ihrer WM-Dritten Mount St John Freestyle zu setzen, kam für viele überraschend. Doch die zweifache britische Olympiasiegerin ist überzeugt, dass der junge Fuchswallach auch auf großer Bühne – für ihn bislang völlig unbekanntes Terrain – abliefern wird. Evergreen Carl Hester auf dem zwölfjährigen En Vogue (der bislang gerade mal drei internationale Turniere bestritten hat) und Olympia-Debütantin Charlotte Fry mit Everdale unterstützten Dujardin bei ihren Ambitionen zum dritten Mal in Folge eine Team-Medaille einzusacken.

Chancen auf einen Podiumsplatz rechnen sich auch die Niederlande mit Edward Gal auf Total US und Hans Peter Minderhoud auf Dream Boy sowie die Dänen mit Front-Frau Cathrine Dufour auf Bohemian aus, Patrik Kittel (Well Done de la Roche) führt die schwedische Auswahl an, fünffach-Olympiastarter Steffen Peters (Suppenkasper) steigt einmal mehr für ein neu formiertes US-Team in den Ring.

Für Team Austria mit Victoria Max-Theurer (Abegglen), Florian Bacher (Fidertraum) und Christian Schumach (Te Quiero) gilt der Einzug ins Mannschaftsfinale als erklärtes Ziel. Den Weg dorthin ebnet ein Platz unter den besten acht Nationen im Grand Prix, der in Tokio als Qualifikation ausgetragen wird. Die Entscheidung im Kampf um die Team-Medaillen bringt erst der Grand Prix Spécial.

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Training im Equestrian Center Baji Koen: Florian Bacher will zusammen mit Fidertraum und seinen beiden Reiterkollegen Christian Schumach und Victoria Max-Theurer den Sprung unter die besten acht Nationen schaffen.
© holcbecher.com

Hochspannung in der Kür

Bei den Einzeltiteln werden alle Augen auf die Dänin Cathrine Dufour und ihren Jungstar Bohemian gerichtet sein. Bei der Weltcupetappe auf heimischem Boden in Aarhus (DEN) feierte das Duo einen Doppelsieg und verwies die Deutschen Werth und von Bredow-Werndl auf die Plätzen zwei und drei – die beiden letztgenannten waren dort allerdings nicht mit ihren Spitzenpferden angetreten.

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Dänemarks heißes Eisen im Feuer für die Einzel-Medaillen: Cathrine Dufour und Bohemain © FEI/Ridehesten.com/Kristine Ulsø Olsen

Dass auch im Rennen um den Einzeltitel zweifellos mit ihnen zu rechnen sein wird, haben sowohl Isabell Werth als auch Jessica von Bredow Werndl und ihre Landsfrau Dorothee Schneider in den vergangenen Wochen überdeutlich klargemacht. Bei den deutschen Meisterschaften lieferte sich das Tokio-Trio einen hochkarätigen Schlagabtausch mit Wertungen knapp unter und jenseits der 90 Prozent.  Für den Kampf um Einzel-Olympia-Gold ist damit Hochspannung angesagt.

Omi im Dressursattel

Abseits der Favoriten lohnt sich bei Olympischen Spielen allerdings immer auch ein Blick auf die Teilnehmer in der zweiten oder dritten Reihe. Bestes Beispiel dafür ist die Australierin Mary Hanna, deren Stute Calanta als erstes Pferd Anfang vergangener Woche in den Ställen des Baji Koen Equestrian Parks in Tokio einzog. Pferdesport-Fans auf der ganzen Welt drücken die Daumen für die zweifache Mutter und vierfache Großmutter, die mit 66 Jahren ihre sechsten Spiele in Angriff nimmt.

Mit Ausnahme von Peking 2008 war Hanna seit 1996 Mitglied in allen australischen olympischen Dressurmannschaften - ein beachtlicher Rekord. In diesem Jahr wird sie die Farben ihres Landes zusammen mit Kelly Layne auf Samhitas und Simone Pearce mit Destano vertreten.


Dressur anno 1964

Schon einmal war Reitsportzentrum Baji Koen Austragungsort olympischer Dressurbewerbe, 1964, als der Sport noch ein ganz anderer war. Bis zur endgültigen Entscheidungsverkündung, die nach einem eingehenden Videostudium der Richter getroffen wurde, mussten Publikum, Teams und Medien ganze zwei Stunden warten. Das sollte diesmal doch einen ganzen Zacken schneller gehen!

Letztlich wurde der Schweizer Spitzenreiter Henri Chammartin mit Woerman zum Einzelsieger gekürt, der Teamtitel ging – wie könnte es anders sein – an die deutsche Equipe mit Harry Boldt auf Remus, Josef Neckermann auf Antoinette und Reiner Klimke auf Dux.