Vielseitigkeits-WM Pratoni

Michael Jung und Deutschland auf Titelkurs, Lea Siegl sensationell

Ein Artikel von Redaktion | 17.09.2022 - 20:17
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Lea Siegl und Fighting Line gelang im WM-Gelände eine fantastische Runde.
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Es war das erwartet schwere Gelände. Die Strecke präsentierte sich in hervorragendem Zustand, allerdings bereiteten die Herausforderungen, die Guiseppe della Chiesa in die hügelige Landschaft gebaut hatte, zahlreichen Paaren Schwierigkeiten. Viel bergauf und bergab, anspruchsvolle Kombinationen, viele Tempowechsel, viele Wendungen – technisch, konditionell und auch von der Konzentration her wurde den Paaren auf dem unrhythmischen WM-Kurs viel abverlangt. Dass die Aufgabe trotzdem nicht zu schwer war, bewiesen 11 Paare, die nicht nur fehlerfrei an den insgesamt 30 Hindernissen blieben, sondern die rund fünfeinhalb Kilometer lange Strecke auch innerhalb der erlaubten Zeit von 9:50 Minuten absolvierten. Weitere 38 der insgesamt 88 Paare mussten lediglich Zeitfehlerpunkte in Kauf nehmen.
 

Siegl und Fighting Line nah dran am Ideal

Zu ihnen gehörten Österreichs Olympiastarter Lea Siegl und DSP Fighting Line. Das oberösterreichische Paar meisterte alle Aufgaben problemlos und galoppierte mit lediglich 11 Sekunden Verspätung über die Ziellinie. Einmal mehr eine sensationelle Leistung dieses großartigen Duos. "Selten habe mich so auf einen Geländeritt gefreut wie heute. Als vorletzte Starterin habe ich den ganzen Tag warten müssen und den anderen Paaren zugesehen, wie sie die Aufgaben lösen, was klappt und was nicht. Am Ende konnte ich es schon gar nicht mehr erwarten, dass es endlich losgeht“, verriet Lea Siegl, die überglücklich mit der Leistung ihres Fighting Line war. „Fighti war super drauf und motiviert und ist schon vom Start weg super losgezogen. Es ist alles nach Plan gelaufen und es hat richtig Spaß gemacht.“

Morgen heißt das große Ziel „fehlerfrei bleiben“, so Siegl. „Jeder Abwurf wird hier sehr teuer. Aber mit Wiesbaden und Aachen hatten wir zwei super Turniere zur Vorbereitung, weil dort, wie hier bei der WM, ebenfalls auf Gras gesprungen wird. Das kennt Fighti also schon.“

„Lea hat ihre Erfahrungen, die sie unter anderem in Tokio gemacht hat, auf dem WM-Kurs voll ausspielen können. Am Ende wäre sie gerne noch ein kleines bisschen schneller gewesen, aber mit 4,4 Minuspunkten in diesem wirklich schwierigen Gelände kann man, denke ich, mehr als zufrieden sein. Vor allem, wenn man bedenkt, welche Probleme absolute Weltklassepaare hier teilweise hatten“, ist auch Bundesreferent Thomas Tesch begeistert von seiner jüngsten Reiterin.

Vor dem abschließenden Springen liegt die 24-Jährige mit 33,8 Minuspunkten auf dem 21. Platz. Mit einer fehlerfeien Runde im Parcours kann es noch deutlich nach vorne gehen, denn die Plätze 12 bis 24 liegen gerade mal durch einen Abwurf getrennt. „Morgen zählt wirklich jeder Abwurf. Da kann sich bei den Platzierungen noch eine ganze Menge tun“, so Tesch.

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Lea Siegl und "Fighti"
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Verflixter letzter Sprung

Nicht nach Wunsch verlief der heutige Tag für Harald Ambros. Mit Mountbatton meisterte der Oberösterreicher eine Aufgabe nach der anderen souverän. Auch der fehlerträchtige Hinderniskomplex 7abc, ein Steilhang mit zwei schmalen Bürsten am Ende, gelang ohne Probleme. Hier gab es insgesamt 13 Verweigerungen. Zum Stolperstein wurde hingegen ausgerechnet der letzte Sprung. Mit dem Ziel vor Augen baute der zwölfjährige Hannoveraner quasi im letzten Moment noch eine Verweigerung ein. „Harald wollte ihn vor dem letzten Hindernis noch einmal aufnehmen und zu sich holen, leider hat das Pferd so stark auf die Hilfe reagiert, dass es zu dieser Verweigerung gekommen ist. Ich glaube, so etwas hat Harald in seiner langen Karriere noch nicht erlebt“, so Tesch.

Ein doppelt bitterer Fehler, denn die Zeit hätte gut gepasst, so wurden es am Ende plus 36,8 Minuspunkte für das Duo, das nun mit gesamt 71,3 Zählern auf Rang 57 liegt. Mit der Leistung ist der Equipechef trotzdem zufrieden. „Das Paar hat alle Schwierigkeiten hervorragend gemeistert. Wenn man bedenkt, dass Harald Mountbatton vor drei Jahren als quasi unreitbar übernommen hat, dann ist das eine mehr als beachtliche Entwicklung, die die beiden hingelegt haben.“

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Harald Ambros und Mountbatton waren spitzenmäßig unterwegs. Ausgerechnet am letzten Sprung gab's leider ein Missverständnis. © holcbecher.com

Auch für Katrin Khoddam-Hazrati kam das dicke Ende zum Schluss. In der letzten Kombination des Kurses, einer schnörkeligen Linie über drei Holzpferdchen mit Bürste, lief Oklahoma an den letzten beiden hölzernen Kollegen vorbei. Weil das Paar schon zuvor an Hinderniskomplex 16abc einen Vorbeiläufer an der offenen Ecke hatte, bedeutete der Fehler am vorletzten Sprung des Kurses das endgültige Aus für die beiden – und für das österreichische Team, das mit nur drei Paaren und ohne die Chance auf ein Streichergebnis in diese Weltmeisterschaft gegangen war.

„Katrin hatte den Nachteil als erste Starterin für unser Team auf die Strecke zu müssen. Nach dem Vorbeiläufer am Hinderniskomplex 16 wollte sie für die Mannschaft noch einmal alles geben und hat riskiert und das Tempo angezogen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Am Ende des Kurses hat das hohe Tempo leider seinen Tribut gefordert und so kam es zu den beiden unglücklichen Vorbeiläufern - da war die Konzentration bei beiden nicht mehr optimal. Aber die schwierigen Passagen hat die Stute wirklich hervorragend gemeistert. Das stimmt zuversichtlich für das kommende Jahr, wo es für uns um die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris 2024 geht“, ist Tesch überzeugt.  

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Kathrin Khoddam-Hazrati und Oklahoma mussten als erste für die österreichische Mannschaft an den Start.
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Michael Jung: Alle Trümpfe in der Hand

Eine beeindruckende Mannschaftsleistung zeigte am heutigen Tag das deutsche Team, das drei seiner Paare mit einer makellosen Null ins Ziel brachte. Die amtierenden Weltmeister liegen vor dem morgigen Springen mit 76,1 Minuspunkten in Führung. Mit 77,4 Minuspunkten auf dem Konto sind ihnen die US-Amerikaner allerdings dicht auf den Fersen. Und auch die Briten, die die Zwischenwertung nach der Dressur noch überlegen angeführt hatten, sind mit 80,9 nur knapp mehr als einen Abwurf vom Titel entfernt. Es bleibt also spannend.

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Michael Jung und fischerChipmunk © martafusetti

Als klarer Favorit auf den Einzeltitel geht Michael Jung ins Springen. Der Führende nach der Dressur lieferte auch heute eine fantastische Runde im Gelände ab und hält nun bei 18,8 Minuspunkten. „fischerChipmunk ist ein fantastisches Pferd, was der für eine Maschine ist, was der für eine Luft hat, was der für einen Galopp hat, wie der kämpft, das ist unglaublich", schwärmte Jung im Ziel.

Nach seinem heutigen Ritt liegt er nicht nur weiterhin in Führung, sondern kann sich im abschließenden Springen am Sonntag sogar einen Fehler erlauben. Denn seine schärfste Konkurrentin nach der Dressur, die Britin Laura Collett, kassierte mit ihrem London am zweiten Sprung nach dem Steilhang einen Vorbeiläufer. Die Mannschafts-Olympiasiegerin von Tokio ist damit raus aus dem Titelrennen. Ihre Landsfrau Yasmin Ingham ist mit 23,2 Minuspunkten Jungs erste Verfolgerin.

Alle Ergebnisse im Detail gibt's hier.