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Reiten „pur”: Wie gesund ist das Reiten ohne Sattel fürs Pferd?

Ein Artikel von Eva Schweiger | 15.03.2024 - 16:03
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Reiten ohne Sattel ist für viele der Inbegriff von Freiheit. © Talitha | stock.adobe.com

Die Abenteurer:innen unter den Reiter:innen haben vielleicht schon ihre allerersten Reiterfahrungen auf dem blanken Pferderücken gemacht. Die weniger Verwegenen beginnen sich oft erst, wenn der Sattel drückt, näher mit dem Thema Reiten „pur” zu beschäftigen. Und dann gibt es die, die sich ganz einfach diese besondere, hautnahe Verbindung zum Pferd wünschen. Irgendwann stellt sich jedenfalls vielen von ihnen die Frage: Warum eigentlich mit Sattel reiten?
 

Sattel – ja oder nein?

Dass die meisten mit Sattel reiten, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen soll er den Pferderücken vor punktuellem Druck durch das Reitergesäß schützen, zum anderen bietet er dem Menschen, der auf dem Pferd Platz genommen hat, Stabilität. Auf diese wichtigen Funktionen zu verzichten, will wohlüberlegt sein. Manchmal entscheidet man sich allerdings aus der Not heraus gegen einen klassischen Sattel. Sattelberaterin Sabine Walters (www.motivierte-pferde.com) weiß, dass der Umstieg auf eine Sattelalternative wie Reitpad oder Filzsattel oder das Reiten „ganz ohne” oft mit der erfolglosen Suche nach einem passenden klassischen Sattel einhergeht. Pferde mit schwierigen Sattellagen, mit Sattel- oder Gurtzwang oder ein schlichtweg geringes Budget des/der Besitzer:in können verhindern, dass Pferd und Reiter:in mit einem klassischen Sattel glücklich werden.

Vielen Pferden bringt das Reiten ohne Sattel dann – besonders nach einer langen Phase mit unpassendem Sattel und/oder Sattelgurt – sichtbar Erleichterung. Allerdings sollte man genau im Auge behalten, ob sich nach einer Weile andere Anzeichen für Unwohlsein bei den Pferden einstellen, gibt die Sattelberaterin zu bedenken. Denn ohne Sattel ist die Belastung des Pferderückens zwar nicht an sich größer oder kleiner, aber vor allem anders.


Der Rücken entscheidet

„Grundsätzlich”, erklärt Pferdetierärztin und Pferde-Physiotherapeutin Dr. Andrea Wüstenhagen, „ist das Reiten ohne Sattel dann verträglich, wenn der Pferderücken gesund und gut bemuskelt ist und nicht zu oft und zu lange ohne Sattel geritten wird.” Sowohl der Zustand der Muskulatur als auch die Form der Wirbelsäule ist dabei ausschlaggebend.

Der Schwerpunkt eines gut sitzenden Sattels liegt zwischen dem 13. und 16. Brustwirbel des Pferdes. Damit platziert er den Reiter genau dort, wo es seinen Rücken am leichtesten anheben und Gewicht tragen kann, ohne biomechanisch in seiner Bewegung eingeschränkt zu werden. „Beim Reiten ohne Sattel sitzt man aufgrund der Rückenform des Pferdes oder der eigenen Körperform oft außerhalb des Idealbereichs”, so Dr. Wüstenhagen. Besonders im sensiblen Abschnitt hinter der Sattellage bilden sich dadurch leicht Verspannungen, die bei längerem Bestehen über osteopathische Verbindungen sogar innere Organe wie Magen, Leber und die vorderen Darmbereiche belasten können. Vor allem bei langem Widerrist, kurzer Sattellage oder gesenktem Rücken ist Vorsicht geboten, weil man in diesen Fällen schnell außerhalb des stabilsten Rückenbereichs zu sitzen kommt.

Abwechslung muss sein

Bei solchen schwierigen Sattellagen greifen Liebhaber:innen des sattelfreien Reitens gerne auf Sattelalternativen zurück, um Pferderücken und eigenes Gesäß zu schonen. Aber Achtung: „Je komfortabler man sitzt, desto länger reitet man tendenziell, und desto weniger instabil ist der Sitz. Eine lange, gleichartige Belastung ist für die Muskulatur des Pferdes aber das Hauptproblem”, erklärt die Pferdeorthopädin Univ. Prof. Dr. Theresia Licka (Veterinärmedizinische Universität Wien, Privatpraxis www.equimed-move.com). Die Vermeidung von Druckspitzen ist nämlich nur ein Faktor für die Gesundheit der Muskulatur. Genauso wichtig zeigt sich die regelmäßige Entlastung mit vollständiger Kontraktion und Dehnung des Muskels. „Da unser Gewicht ohne Sattel weniger gleichmäßig am Pferderücken lastet, können sich die Rückenmuskeln leichter immer wieder kurz erholen”, so Dr. Licka. Dabei ist während des Reitens besonders auf einen schwungvollen Schritt mit aktivem Rücken zu achten. Auch nach dem Reiten ist es hilfreich, das Pferd noch einmal bewusst zum Aufwölben seines Rückens zu bringen, z.B. indem man es grasen lässt oder über den Bauch streicht.

Eine lange, gleichartige Belastung ist für die Muskulatur des Pferdes das Hauptproblem.


Univ. Prof. Dr. Theresia Licka, Pferdeorthopädin und Sportmedizinerin

Ein Abwechseln zwischen (passendem!) klassischem Sattel, einer Sattelalternative und/oder Reiten „ganz ohne” in Kombination mit gymnastizierender Bodenarbeit, Longieren und anderen Formen des Trainings wirkt einseitiger Belastung in jedem Fall entgegen. Kleine Blockaden, die beim Reiten trotz sinnvollen Trainings immer entstehen können, sind dann nicht unbedingt problematisch, sagt Tierenergetikerin Sandra Wagner (www.tierbalance.at). Lymphfluss und Energiebahnen werden beispielsweise durch eine Belastung des Pferderückens an sich schnell gestört, aber „ist das Gesamtsystem Pferd im Gleichgewicht, kann der Pferdekörper diese kleine Blockaden problemlos selbst wieder auflösen.”

Der Reitersitz ohne Sattel

Das Reiten ohne Sattel stellt besondere Anforderungen an den Reitersitz. Statt wie im Sattel den Großteil unseres Gewichts auf die Gesäßknochen zu bringen, sollten wir den Pferderücken eher entlasten und die Oberschenkel aktiv zur Abstützung einsetzen. Dabei ist darauf zu achten, dass unser Becken senkrecht bleibt, sodass der untere Rücken weder rund noch hohl wird und die Körperachse weder nach vorne noch nach hinten kippt. Ohne Sattel ergibt sich automatisch auch eine erhöhte stabilisierende Körperspannung. Bewusste Phasen der Entspannung und eine tiefe Atmung sind besonders wichtig, um dadurch nicht zu verkrampfen oder zum Klammern zu kommen.

In jedem Fall ist der Sitz auf dem ungesattelten Pferd ständig veränderlich – sowohl in Bezug auf die Position auf dem Pferderücken als auch auf die Körperhaltung des Reiters. Das Pferd beeinflusst beides laufend durch seine wechselnde Rückenbewegung und -aufwölbung. Das kann für sichere, sehr gut ausbalancierte Reiter*innen und gut vorbereitete Pferde viele Vorteile bieten, stellt aber in jedem Fall hohe Anforderungen an beide.

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Beim Reiten ohne Sattel wächst das Verständnis für die Bewegung des Pferdes.
© www.slawik.com

Ein neuer Zugang zum Reiten

Betrachtet man das System Pferd als Ganzes, kommt neben der körperlichen Gesundheit auch die Psyche ins Spiel. Und auch hier liegt ein großer Vorteil des Reitens ohne Sattel: Schlechte Erfahrungen und negative Verknüpfungen, die Pferde (und Reiter:innen!) mit dem Reiten haben, können sich mitunter während einer sattelfreien Phase lösen.

Reit- und Pferdetrainer Alexander Kronsteiner (Alexanderhof Blindenmarkt) nennt die Verbundenheit zwischen Pferd und Reiter:in als eine der essentiellen Grundlagen seines Fulfilled Horsemanship. „Das Reiten ohne Sattel kann eine ganz besondere Erfahrung für uns Menschen sein. Man erlebt einen Moment größter Verbundenheit und Freiheit mit dem Pferd.” Und auch für das Pferd ist es ein intensives Erlebnis, mit der Reiterin so direkt in Kontakt zu kommen. „Die gegenseitige Wahrnehmung ist sehr deutlich und das Verständnis für das Pferd und seine Bewegungen wächst. Man beginnt, aufmerksamer und feiner zu reiten”, beobachtet Sattelberaterin Walters. Abseits von Leistungsanspruch und eingespielten Mustern finden sowohl Pferd als auch Mensch damit einen neuen, positiven Zugang zum Thema Reiten.


Sicherheit geht vor

Gerade weil das Reiten ohne Sattel eine besondere Erfahrung ist,darf man jedoch nicht vergessen, dass auch das Pferd sich erst damit anfreunden muss. Pferdetrainer Kronsteiner betont, dass sich nur gelassene Pferde zum sattelfreien Reiten eignen, die sich verlässlich und im Idealfall per Stimmkommando sicher anhalten lassen. Ohne die Möglichkeit, aus einem stabilen Sattel in den Entlastungssitz zu gehen, werden herausfordernde Situationen schnell gefährlich für den Reiter. Auch die Steigbügel an Reitpads oder Filzsätteln erhöhen die Sicherheit nicht unbedingt, weil diese Sattelalternativen nicht stabil auf dem Pferderücken liegen, wenn sie stark seitlich belastet werden.

Schlussendlich liegt es in jedem Fall an uns Reiter:innen, uns selbst und unsere Pferde angesichts der Herausforderung Reiten „pur” ehrlich einzuschätzen. Jede Unsicherheit oder Angst des Reiters überträgt sich ohne den körperliche und mentale Stabilität bietenden Sattel besonders schnell auf das Pferd. Ein freudvolles, gesundheitsförderndes Reiten ohne Sattel ist also erst dann möglich, wenn beide Partner gute körperliche und mentale Voraussetzungen mitbringen.

Fazit

In vielen Fällen kann zeitweises sattelfreies Reiten einen schönen Beitrag zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Pferde leisten. Besonders bei Pferden mit körperlichen oder psychischen Sattel-Problemen bietet es unter Umständen eine sinnvolle (Übergangs-)Lösung. Ohne klassischen Sattel zu reiten schafft außerdem einen ungezwungeneren Zugang zum Reiten an sich und bringt Abwechslung ins Training, was Pferd und Mensch gleichermaßen guttut. Vorausgesetzt bleibt immer, dass der gesundheitliche Zustand des Pferdes, insbesondere seines Rückens, einwandfrei ist und Pferd und Reiter:in geübt und sicher sind. Dann lässt sich die (Sattel-)Freiheit guten Gewissens gemeinsam genießen.