Leichtfuttrige Pferde kommen auchohne Kraftfutter aus, solange sie nichtschwer arbeiten müssen. © www.slawik.com
Der Irrglaube, dass sich ein Pferd ohne Kraftfutter – also Getreide, häufig in Form von Müsli – nicht adäquat ernähren lässt, ist leider immer noch weit verbreitet. Viele Pferde sind deshalb mit Energie eher über- als unterversorgt. Gerade Freizeitpferde, die in der Regel keine hohe Arbeitsleistung erbringen müssen und bei denen Leckerli und Spezialfutter vielfach als Liebesbeweis oder als Kompensation für mangelnde Beschäftigung verabreicht werden, können durch ein Zuviel an Energie regelrecht krankgefüttert werden. Und manchmal kann zu viel Getreide sogar tödlich sein, wie Dr. Sonja Berger von der Klinischen Abteilung für Interne Medizin Pferde der VetmedUni Vienna weiß.
"Probleme bei der Getreidefütterung treten durch die enthaltene Stärke und andere Zuckerarten auf. Bei zu großer Stärkeaufnahme und schlechter Stärkeverdaulichkeit bestimmter Getreidesorten kann diese nicht mehr vollständig im Dünndarm aufgeschlossen und verdaut werden. Unverdaute Stärke gelangt in den Blinddarm und löst dort massive Störungen der Darmflora mit einem Abfall des pH-Wertes aus. In der Folge kann es zu Gaskoliken, Colitis oder Hufrehe kommen", erklärt Berger.
Zu den relevanten Einflussfaktoren zählen:
- die Getreideart:
Schwerverdauliche Stärke ist in Weizen, Mais, Gerste und Sorghum enthalten. In einer 2004 durchgeführten Studie demonstrierten der US-amerikanischen Forschers H. S. Hussein und seine Kollegen besonders hohe Laktatkonzentrationen bei Gerstenfütterung im Vergleich zu Mais und verschiedenen Hafersorten.
- der Stärkegehalt:
Gerste enthält etwa 60 % Stärke, Hafer ca. 40 %
- die Art der Verarbeitung:
Gerstenkörner und -schrot weisen eine schlechte Dünndarmverdaulichkeit auf. Deutlich verbessern lässt sich diese, wenn die Gerstenkörner durch Mikronisieren oder Dampfflockung aufbereitet werden (Richards und Kollegen, 2006).
- die Stärkeanflutung im Dickdarm:
Pferde können Stärke generell schlecht verdauen, da sie vergleichsweise wenig Amylase (= stärkeverdauendes Enzym) produzieren.
- die Fermentationsrate im Blinddarm:
Neben einer langsamen Futterumstellung ist speziell darauf zu achten, die Stärkemenge pro Mahlzeit möglichst gering zu halten, um die Verdauungskapazität des Dünndarmes nicht zu überfordern. Als kritische Menge gelten 3,5 g Stärke/kg Körpergewicht/Mahlzeit. Dieser Wert kann in Einzelfällen aber auch deutlich niedriger ausfallen (Kienzle 1994).
Weitreichende Folgen
Zu den gefürchtetsten Folgen einer Überfütterung mit Kohlenhydraten zählt die Typhlocolitis, auch Colitis X genannt. Eine Erkrankung, die die häufig tödlich endet.
"Bei stärkereichen Rationen vermehren sich vor allem laktatproduzierende Bakterien wie Streptococcus lutetiensis, die zu einem Absinken des pH-Wertes führen. Erreicht der Laktatgehalt einen bestimmten Grenzwert, sterben säureempfindliche Darmbakterien wie faserspaltende Bakterien und gramnegative Bakterien ab, während sich Laktobazillen vermehren. Die Giftstoffe (Endotoxine, die aus der Wand sterbender gramnegativer Bakterien stammen, sowie D-Laktat, biogene Amine und andere Triggerfaktoren, die von den Streptokokken freigesetzt werden) treten über die säuregeschädigte durchlässige Darmwand in den Blutstrom und führen zu einer systemischen Entzündungsreaktion im Körper mit Schockgeschehen" erklärt Dr. Berger.
Die Colitis ist eine sehr ernste und potenziell lebensbedrohliche Erkrankung, wie Berger weiter ausführt: "Über den entzündeten Dickdarm, der gesamt etwa 50 Liter fasst, können große Mengen an Flüssigkeit, Elektrolyten und Eiweißstoffen verlorengehen. Zudem können zahlreiche Komplikationen auftreten, etwa Nierenschäden durch den hochgradigen Flüssigkeitsverlust, Bauchfellentzündung durch Übergreifen der Darmentzündung auf das Bauchfell, Ödeme (Wasseransammlungim Gewebe) infolge eines starken Eiweißverlustes oder toxische Hufrehe durch die Ausschüttung von Giftstoffen aus dem Darm."
Damit es gar nicht erst so weit kommt, gilt es bei der Futterwahl die rassespezifischen Eigenheiten und die Leichtfuttrigkeit zu berücksichtigen. "Spanische Rassen, beispielsweise, neigen zu Insulindysfunktion und Übergewicht. Kraftfuttergaben sind hier oft überhaupt nicht nötig. Mehr noch, mitunter können sie sogar potenziell schädlich sein", so Berger.
Bei der Bemessung der täglichen Ration muss daher immer das Einzelindividuum mit seiner Arbeitsleistung gesehen werden.
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