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Raus aus dem Stall - und hinein in den Schnee: Pferde kommen mit kalten Temperaturen gut zurecht, sofern die Rahmenbedingungen passen. © Viktoria Makarova - fotolia.com

Pferde überwintern

Ein Artikel von Andrea Kerssenbrock | 29.10.2014 - 08:53
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Raus aus dem Stall - und hinein in den Schnee: Pferde kommen mit kalten Temperaturen gut zurecht, sofern die Rahmenbedingungen passen. © Viktoria Makarova - fotolia.com

Was fühlen unsere Pferde, wenn das Thermometer unbarmherzig nach unten klettert, draußen eisiger Wind pfeift und feuchtkalter Nebel über die Felder kriecht? Ist der Winter nicht auch für sie eine grausliche, unwirtliche Zeit, die sie am liebsten verschlafen würden? Nun, die Antwort lautet: Nein - im Gegenteil. Hier werden unsere menschlichen Empfindungen aufs Pferd projiziert - und das ist in den meisten Fällen schlecht. Der Winter ist für unsere Pferde bei weitem nicht so trostlos, wie wir annehmen. Vor allem aber stört sie weder Kälte noch Frost - richtige Behandlung vorausgesetzt.

Der Pferdebesitzer neigt, wie die meisten Menschen, zu Übertreibungen. Geht man davon aus, dass ein korrekt gerittenes Pferd in gutem Trainings- und Futterzustand auch ein gesundes Abwehrsystem hat, reduziert sich die Wintervorsorge auf ein Minimum. Noch vor dem Fellwechsel muss der Reiter wissen, ob er sein Pferd eindeckt und schert oder ob er ihm das lange, mitunter zottelige Winterfell lässt.

Decke oder nicht?

Die Entscheidung ob Decke oder nicht, wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Turnierreiter, die den Winter nutzen, um für die nächste Saison zu trainieren, helfen ihren Pferden durch eine fachgerechte Schur; sie schwitzen nicht so leicht, dadurch bleibt ihnen mehr Energie für die Arbeit unter dem Sattel. Das Abgehen dauert kürzer als beim nicht geschorenen Pferd, und im Solarium sind sie schnell trocken. Natürlich ist beim geschorenen Pferd darauf zu achten, dass es eine warme Decke über den Nieren trägt, wenn es länger im Schritt geritten wird, und dass es nur eingedeckt auf die Koppel geht. Selbstverständlich müssen Koppeldecken wasserfest sein und dürfen nicht verrutschen.

Für Ausreit- und Freizeitpferde, die bei jedem Wetter auf der Koppel stehen, empfiehlt es sich, sie „ungeschoren davonkommen" zu lassen - auch wenn das die Pflege erschwert. Das dichte Winterfell schützt die Pferde nicht nur vor Wind und Kälte, es wirkt auch wasser- und schneeabweisend.

Vorsicht ist geboten, wenn ein Pferd mit Winterfell schwitzt. Das nasse Fell kühlt schnell aus, ohne dabei zu trocknen. In diesem Fall ist es besser, das Abreiten zu verkürzen und sein Pferd für einige Stunden einzudecken.

Warmes zum Anziehen

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Ob im Winter eingedeckt werden sollte oder nicht, muss immer vom jeweiligen Pferd und dessen besonderen Bedürfnissen, aber auch von dessen Nutzung abhängig gemacht werden. © Bernd Kröger - fotolia.com

„Welche Decke soll ich meinem Pferd anziehen?" Diese Frage taucht immer wieder auf und kann nur individuell abgeklärt werden. Wichtige Faktoren sind jedoch die Passform, die Reißfestigkeit, Atmungsaktivität, Waschbarkeit und natürlich die Dicke, die variiert. Je nach Außen- und Innentemperatur, Fell, Gewöhnung und Alter des Pferdes muss die richtige Decke gewählt werden.

Achtung, Rutschgefahr!

Bei Schnee und matschigem Boden besteht die Gefahr der „Stöckelbildung". Vor diesen ungeliebten Eisklumpen in den Hufen schützen die bewährten Hufgrips, an die der umsichtige Hufschmied den Pferdebesitzer ohnedies erinnert, wenn Schnee zu erwarten ist. Stollen oder Stifte helfen bei rutschigem Boden und gehören mit dem Schmied oder Tierarzt abgeklärt, da nicht jedes Pferd eine saisonbedingte Stellungsänderung verträgt. Ganz fein ist es, wenn die Beschaffenheit des Hufes ein Barfußgehen im Winter erlaubt - auch hier den Fachmann fragen!

Schutz vor Zug!

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Spaß muß sei: Dieser Haflinger genießt die weiße Pracht in vollen Zügen! © NP Fotografie - fotolia.com

Prinzipiell leiden Pferde unter der Kälte wesentlich weniger als unter hochsommerlicher Hitze - sie haben jedoch keinen Schutzmechanismus gegen schädliche Zugluft. In großen Boxen können die Tiere dem Luftzug zumindest ein wenig ausweichen, manche Pferde legen sich auch hin. Allerdings hilft ihr Selbstschutz ihnen nichts bei schlechter Luft, einem weitaus größeren Problem. Das Stallklima ist im Winter eine besonders heikle Angelegenheit. Viele Einsteller können sich nicht einigen, wieviel kalte Luft ihr Liebling verträgt oder nicht. Fenster und Türen bleiben oft gnadenlos geschlossen. Gibt es eine funktionierende Entlüftung und herrscht penible Sauberkeit in den Boxen, mag die Luft ja noch erträglich sein. Sausen jedoch Pilzsporen und Staubpartikel durch die amoniakgeschwängerte Luft, sind die Atem- wege einer ziemlichen Belastung ausgesetzt und das meist 23 Stunden am Tag. Luft, Luft und nochmals Luft ist gerade im Winter eine der wichtigsten Maximen in der Pferdehaltung. In einem kühlen Stall frieren höchstens die Reiter, ganz sicher nicht die Pferde. Im Idealfall ist die helle und luftige Box mit einer Tränke ausgestattet, deren Frostschutzsensor bei Bedarf verhindert, dass das Wasser friert. Die Sattelkammer soll beheizbar sein, um das Leder zu schonen. Warmwasser sollte sowohl dort wie auch auf dem Waschplatz selbstverständlich sein. Tipp: Kalte Gebisse kurz unters warme Wasser halten, damit sie auf der sensiblen Haut nicht in den Maulwinkeln „ankleben".

Winterarbeit

Bei winterlichen Temperaturen brauchen Sehnen, Bänder und Muskulatur des Pferdes eine längere Aufwärmphase. Besonders beim Longieren und Freilaufen können böse Verletzun- gen (z. B. Muskeleinrisse) entstehen, wenn das unaufgewärmte Pferd losbuckelt oder von Laien im Kreis gejagt wird.

In vielen Reithallen friert bei Extremtemperaturen der Boden und verliert dadurch seine Elastizität. Dann muss das Pferd besonders behutsam bewegt werden, um Rücken- oder Beinschäden zu verhindern. Auch bei Ausritten ist es wichtig, sein Tempo den Bodenverhältnissen anzupassen. Eine perfekte Galoppstrecke im Sommer kann im Winter zur eisigen Falle werden.

Pulverschneeritte gehören zu den wunderbarsten Erlebnissen, die der Reitsport zu bieten hat. Doch Vorsicht! Wenn der Schnee sehr tief ist und das Pferd sich bereits im Schritt über die Maßen anstrengt, kann es leicht zum gefürchteten Kreuzschlag kommen. Auch bei der Fütterung gibt es einige wichtige Punkte zu beachten.

Mash und Vitamine

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Pulverschneeritte gehören zu den schönsten Erlebnissen, die der Reitsport zu bieten hat. Allerdings übersieht man bei all dem Spaß leicht, dass sich das Pferd im Schnee besonders anstrengen muss. Hier ist deshalb besondere Vorsicht geboten, damit sich der vierbeinige Partner nicht überanstrengt! © Edoma - .com

Gerade im Winter sind die Unterschiede zwischen Sport- und Freizeitpferden besonders groß. Während die einen warm eingedeckt sind und weiter trainiert werden, machen Freizeitpferde oft Pause. Manchmal gibt es innerhalb der Anlage keine Halle und am Abend ist es früh finster. Dann bleibt meist nur das Wochenende, um sein Pferd ausreichend zu bewegen. In diesem Fall soll jeder verantwortungsvolle Pferdebesitzer das Futter dosieren. Bei weniger Energiebedarf muss das Kraftfutter reduziert werden, das Raufutter kann gegebenenfalls erhöht werden. Ein Kübel mit heiß angerührtem Mash wird von beinahe jedem Pferd gerne angenommen.

Vitamin- und Mineralstoffzufütterung sind am besten mit dem Tierarzt abzuklären Der Markt ist mittlerweile so groß, dass Laien meist überfordert sind, wenn sie ihrem Pferd gezielt Zusätze verabreichen wollen. Karotten oder Äpfel müssen gut gelagert werden, damit sie nicht frieren. Der Magen-Darm-Trakt des Pferdes ist hochsensibel und verträgt weder fauliges noch gefrorenes Obst.

Nicht vermenschlichen

Das Pferd ist im Grunde trotz seiner Sensibilität und bisweilen auch Anfälligkeit ein „winterfestes" Tier; ansonsten würde es wohl Winterschlaf halten. Es sollte ausreichen, verantwortungsbewusst und gefühlvoll auf die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes Rücksicht zu nehmen und nicht zu vergessen, dass wir es mit einem Tier zu tun haben. Was nützen ihm schon Daunendecke und Wollbandagen, wenn ihm bei jedem Atemzug im stickigen Stall Tränen in die Augen steigen?

Dieser Artikel von Andrea Kerssenbrock erschien erstmals in der Pferderevue-Ausgabe 11/2001. Pferderevue AbonnentInnen können ihn zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter Service/Online-Archiv einloggen und in allen Heften aus 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!

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