Trotz zahlreicher neuer Forschungsergebnisse und preiswerter innovativer technischer Möglichkeiten halten noch viele SportpferdehalterInnen an der Einzelhaltung fest, mit Argumenten wie erhöhtem Verletzungsrisiko, eingeschränkter Verfügbarkeit, Schwierigkeiten beim Eindecken geschorener Turnierpferde, beschlagenen Hufen, negativem Einfluss auf die Ausdauerleistung sowie Motivations- und Leistungsdepression. Dass es sich bei diesen vermeintlichen Argumenten vordergründig um tief verwurzelte Vorurteile hält, zeigen nicht nur zahlreiche Studien, sondern auch SpitzenreiterInnen wie beispielsweise die britischen Dressur-Superstars Carl Hester und Charlotte Dujardin oder Deutschlands Vorzeige-Dressurreiterin in Sachen Umgang und Pferdehaltung, Uta Gräf.
Tatsächlich sind die die physischen und psychischen Verbesserungen infolge einer Gruppenhaltung mit viel Platz gerade Pferden, die sich auf einem hohen Leistungsniveau befinden, überaus zuträglich: Die täglich frei zurückgelegten Strecken bewirken eine Erhöhung der Grundkondition, das Immunsystem wird durch naturnahe Umweltbedingungen gestärkt, das Nervenkostüm durch ständige Außenreize stabilisiert. Eine abwechslungsreiche Bodenbeschaffenheit macht Hufe widerstandsfähig, die dauerhafte Aktivität sorgt für strapazierfähige Sehnen, Bänder, Muskeln und Knochen. Auch der Sportlerrücken profitiert dank ungehinderten Wälzens und bodennaher Fütterung von einer naturnahen Haltung, ebenso die Atemwege, die durch den beständigen Austausch mit Frischluft sauber und gesund gehalten werden. Dank der kontinuierlichen Bewegung bleibt die Verdauung in Schwung. Und nicht zuletzt wirkt sich artgerechte Haltung auch auf die Psyche des Pferdes aus: Durch das ständigen Ausleben von Komfortverhalten werden die vierbeinigen Athleten zufriedener, ausgeglichener und leistungsbereiter.
Erhöhtes Verletzungsrisiko ein Mythos
Das häufigste Argument für die Einzelhaltung ist die Minimierung des Verletzungsrisikos. Von 2006 bis 2009 wurden in diesem Zusammenhang am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Uni München unter Leitung der Verhaltensforscherin Dr. Margit Zeitler- Feicht Untersuchungen zur Häufigkeit von Drohgebärden und Unterlegenheitsgesten durchgeführt. Dabei stellte man fest, dass der sogenannte „Hinterhandschlag“, wie das Austreten gegen andere Pferde mit den Hinterbeinen wissenschaftlich bezeichnet wird, gerade mal 1,5 Prozent aller Verhaltensweisen in dieser Pferdegruppe ausmachte und nur als Drohgebärde zum Einsatz kam, zumal während des Untersuchungszeitruames kein einziges Mal eine Berührung oder ein Treffer erfolgte. Allerdings hatten die in dieser Forschungsarbeit beobachteten Pferde sehr viel Platz zum Ausweichen und Flüchten. In beengten Verhältnissen hingegen kann es durchaus zu Körperkontakten mit den Hinterhufen kommen.
In einer Pferdegruppe gibt es aggressive und nichtaggressive Formen der Konfliktlösung, wobei auch die aggressiven Formen meist nur Drohhandlungen darstellen, kaum je findet gefährlicher Körperkontakt statt. Dies bestätigte eine weitere sechs Monate umfassenden Studie, bei der per Videoüberwachung am Anfang und am Ende der Trainings- und Ausbildungsperiode das Verhalten von zehn jungen Warmblutpferden in einer Offenstallhaltung je einen Monat lang beobachtet und dabei zu Beginn 1353 (und am Ende 1197) „agonistische Aktionen“ festgestellt und ausgewertet wurde. Hiervon waren 66 Prozent (74 Prozent) Drohgebärden wie Halsdrohung und Platzverweis, 13 Prozent (neun Prozent) Beißen, 13 Prozent (11 Prozent) Jagen und acht Prozent (sechs Prozent) Schlagen (Vor- und Hinterhandschlag). Auf den Tag umgerechnet heißt das, dass in der zehnköpfigen Pferdegruppe täglich etwa 43 (zu Beginn) und 38 (am Ende) „kämpferische“ Aktionen durchgeführt wurden, jedes Pferd also viermal am Tag in dieser Form agierte. Übrigens gab es auch in dieser Untersuchung keine ernsthafte Verletzung durch Beißen oder Schlagen, wie Katja Lehmann in ihrer Dissertation „Einfluss des Trainingszustandes auf die soziale Rangordnung bei Pferden“ (Uni Hannover) konstatiert.
Eingeschränkte Verfügbarkeit in modernen Ställen kein Thema
Als zu Beginn der 1990er Jahre immer mehr Stimmen die Boxenhaltung von Pferden kritisch hinterfragten, machte der ehemalige Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Landtechnik in Freising-Weihenstephan Dr. Heinrich Pirkelmann auf sich aufmerksam, indem er der Einzelhaltung von Pferden in Innenboxen positive Aspekte zubilligte: „Haltungstechnische Vorteile für den Pferdehalter wie die Durchführung der individuellen Betreuung und Fütterung sowie der bequeme Zugriff auf das Tier begründen diesen Sachverhalt“. Zugegebenermaßen steckte die damalige praktische Umsetzung von Offenställen noch in den Kinderschuhen, und man machte sich keine großen Gedanken über die Strukturierung derselben oder ordnete vernünftige Tretschichten im Außenbereich und saubere Ruheräume an. Die Folge war, dass der Begriff „Offenstall“ einen negativen Touch bekam, weil die darin lebenden Pferde in der Tat oft ein verschmutztes, feuchtes Haarkleid und vermatschte Hufe hatten, die den Pflegeaufwand vor dem Training erheblich erhöhten.
Heute sieht das jedoch ganz anders aus: Ein gut durchstrukturierter Offenstall mit der Möglichkeit der individuellen Fütterung, zum Beispiel durch Fressstände oder automatisierte Futterstände, einem durchdachten Ruheraum mit Pferdetoilette und einer idealen – und vor allem gepflegten – Tretschicht auf dem Paddock ermöglichen nicht nur die von Dr. Pirkelmann genannten Kriterien, sondern verbessern sie sogar im Vergleich zur Boxenhaltung, zum Beispiel was das saubere Fell anbetrifft. Auch der „bequeme Zugriff“ lässt sich in einem offenen Habitat mit Sicherheitsschleuse zu jeder Zeit problemlos durchführen.
Scheren, Eindecken und Hufbeschlag – keine echten Probleme
Auch Maßnahmen wie das Eindecken geschorener Turnierpferde im Winter seien nicht möglich, weil die Decke durch die soziale Fellpflege in Mitleidenschaft geraten könnte. Ebenso das Abnehmen des Eisenbeschlags an den Hinterhufen, das in der Gruppenhaltung von Vorteil wäre, komme aus sportlichen Gründen besonders bei Springpferden nicht in Frage. Auf der anderen Seite hat beispielsweise eine von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung in Auftrag gegebene Marktanalyse gezeigt, dass 80 Prozent der SportreiterInnen eine Gruppenhaltung mit Auslauf als optimal ansehen.
Dieser Einstellung sind Anfang 2000 auch Caroline und Jörg Rönnefarth aus dem süddeutschen Tuningen gefolgt und haben eine rigorose Haltungsumstellung in ihrem Turnierstall durchgeführt. Nachdem sie von der Boxen-Einzelhaltung fast komplett auf Gruppenhaltung umgebaut hatten, reduzierten sich die Tierarztkosten, die durch die zahlreichen Atemwegserkrankungen und Koliken ihrer bis dahin in Boxen gehaltenen Turnierpferde verursacht worden waren, um 75 Prozent. „Seitdem sind Ammoniak und Staublungen für uns kein Problem mehr“, erzählt Jörg Rönnefarth 2003 in einem Interview einer renommierten Pferdefachzeitschrift. „Die neuen Probleme, die sich durch die offene Haltung ergaben, haben sich nach und nach fast von allein gelöst. Viele Reiter haben Angst vor Verletzungen durch Schläge bei kleinen Keilereien. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass bei ausreichend Platz zum Ausweichen diese Blessuren kaum ins Gewicht fallen, verglichen mit dem Schaden, den wir früher durch Husten, Lahmheiten berichtet er weiter.
Auch der Winterpelz sei kein Problem mehr. „Am Anfang haben wir die Turnierpferde noch eingedeckt. Irgendwann haben wir es dann bleiben lassen, weil wir merkten, dass es auch anders ging“. Zum Beispiel mit längeren Schrittphasen nach der Arbeit. „Dann hab ich es mal drauf ankommen lassen und sie im Winter nach der Arbeit kühl, aber noch feucht auf den Paddock gebracht. Passiert ist rein gar nichts“.
Keines seiner Pferde hat sich je erkältet. Im Gegenteil, die Tiere seien insgesamt wesentlich widerstandsfähiger geworden. Auch das Verhalten der Herde besserte sich durch die Haltungsumstellung. Infolge der ständigen Bewegung auf den Paddocks wurden vor allem die nervösen Pferde gelassener, entspannter und leistungsbereiter.
Warum sich die meisten HalterInnen und PensionsbetreiberInnen von Sportpferden noch heute so schwer tun, ähnliche Veränderungen wie die schwäbische Familie Rönnefarth vorzunehmen, erklärt die renommierte Pferde-Verhaltensexpertin und Buchautorin Dr. med. vet. Barbara Schöning: „Eine Faustregel besagt, dass es rund 20 Jahre dauert, bis eine neue wissenschaftliche Erkenntnis unter Fachleuten als Allgemeinwissen akzeptiert wird, und weitere 20 Jahre, bis sie auch bei den Laien (Pferdebesitzer, d. A.) angekommen ist.
Gruppenhaltung verbessert die Kondition
Eine weitere Voreingenommenheit hinsichtlich der Gruppenhaltung von Sportpferden ist, dass sich die Ausdauerleistung nachhaltig verringere und sich Motivationsdefizite und Leistungsrückgang einstellten. Auch zu diesem Thema wurden inzwischen zahlreiche Untersuchungen dahingehend durchgeführt, welche Pferde sich in welcher Haltungsform bewegen. Dabei weichen die in den verschiedenen Gruppenhaltungssystemen bewältigten Wegstrecken erheblich voneinander ab. So betragen die täglich zurückgelegten Strecken in einem Offenstall beispielsweise 1,8 Kilometer, im Bewegungs- beziehungsweise Mehrraumlaufstall zwischen drei und zehn Kilometer. Diese Angaben stammen zum Teil aus der Untersuchung von Stephanie Arnemann, „Haltung von Sportpferden unter besonderer Berücksichtigung der Leistung“ und sind nur als richtungsweisend zu verstehen. Denn die täglichen Wegstrecken von Pferden in der offenen Haltung hängen von vielen Parametern wie etwa der Gruppenzusammenstellung, der Eigendynamik der Pferde oder der Gestaltung und Größe der Laufflächen ab. Einzig die von Margit H. Zeitler-Feicht 2003 ermittelte Laufstrecke von in Einzelboxen gehaltenen Pferden von 170 Metern pro Tag kann als verbindlich angesehen werden.
Das Argument, Sportpferde, die in Gruppenhaltung leben, hätten Einbußen hinsichtlich ihrer Ausdauerleistung, wurde in der Forschungsarbeit von Stephanie Arnemann am Deutschen Institut für Tierzucht Mariensee der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) widerlegt. Dabei wurde der Einfluss der Pferdehaltung gerade auf die Ausdauerleistungsfähigkeit untersucht. Die im Rahmen dieses Pilotprojektes eingesetzten zehn Warmblutpferde absolvierten als angehende Vielseitigkeitspferde die Grundausbildung sowie ein Ausdauertraining auf dem Laufband. Während dieser Zeit waren fünf von ihnen in einer Mehrraumgruppenauslaufhaltung untergebracht und fünf in Boxenhaltung. Die circa zwei Jahre dauernde Untersuchung sollte Aufschluss darüber geben, ob die Befürchtung vieler SportpferdehalterInnen, die freie Bewegungsmöglichkeit führe zu einer Motivations- und Leistungsdepression, zutrifft. Dabei ergab die Forschungsarbeit, die in den eigens hierfür eingerichteten Stallgebäuden (ehemalige Remise für die Gruppenhaltung und geschlossener Boxenstall für die Einzelhaltung) in Mariensee durchgeführt wurde, dass „sich die offene Haltung positiv auf die Ausdauerleistungsfähigkeit der Probanden auswirkt. Als die Versuchspferde aus der Gruppenauslaufhaltung wieder in Einzelboxen verbracht wurden, verschlechterte sich die Ausdauerleistungsfähigkeit der Pferde“.
Neue Lebensenergie für Burnout-Pferde
Psychische Handicaps werden durch Traumata und Dauerstress verursacht. Sie äußern sich zum Beispiel im sogenannten „Burnout-Syndrom“ und kommen hauptsächlich bei hoch im Blut stehenden Pferden sowie Sportpferden vor. Steht ein Pferd infolge Haltungsfehlern oder zu intensiver Beanspruchung dauerhaft unter Dauerstress, kann es zu einem Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung kommen, die eine ganze Reihe von Erkrankungen und gesundheitlichen Störungen nach sich ziehen kann. Die Platte reicht von Magengeschwüren über Durchfall, Kotwasser, Kolik, Atemwegserkrankungen, Erkrankungen des Stoffwechsels, Schädigungen des Immunsystems, Allergien bis hin zu Knochenverkalkungen.
Burnout beim Pferd macht sicht in erster Linie in Wesensveränderungen, Leistungsabfall, Verweigerungen jeglicher Art wie etwa Verladeprobleme oder untypische Verhaltensmuster wie scheinbar unerklärbare Aggressionen bemerkbar. Nachhaltige Besserung findet das „Burnout-Sportpferd“ durch die Umstellung in die offene Gruppenhaltung mit dem nötigen Umfeld für seine Regeneration.
Alternativen und Überbrückungen
Für Sportpferde, die aus welchen Gründen auch immer nicht dauerhaft in einem Gruppenhaltungssystem gehalten oder integriert werden sollen oder können, müssen Alternativen gefunden werden, die ihren Bedürfnissen am nächsten kommen. In der Einzelhaltung stellt die sogenannte Kombi-Laufbox eine Sicherheitsvariante der Lauf- bzw. Paddockbox mit nächtlicher Aufstallung dar. Sie wird hauptsächlich in Turnierställen praktiziert, um zu verhindern, dass die Pferde nachts auf den Kleinpaddocks zu aktiv oder zu unruhig werden oder sich gegebenenfalls bei schlechter Witterung aus kollektivem Zwang im Außenbereich aufhalten und sich dann erkälten könnten.
Diese Art der Einzel-Halbrobusthaltung ist auch eine Alternative, wenn in einem Stall ein ständiges Kommen und Gehen von Ausbildungspferden herrscht und unerfahrene oder unsichere Pferde mit der freien Entscheidungsmöglichkeit, sich draußen oder drinnen aufzuhalten, nicht zurechtkommen und dann Tumulte auslösen könnten.
Nachts wird auch häufig deshalb aufgestallt, weil im Außenbereich eine Überwachung der Pferde durch das Personal nicht möglich ist. Weitere Gründe sind Sicherheitsaspekte wie etwa Gefahren, die vom Umfeld der Stallanlage drohen oder der freie Zugang zu den Außenpaddocks von einem öffentlichen Weg oder ähnliches.
Auch in der Gruppenhaltung wird aus den oben genannten Gründen diese Halbrobusthaltung praktiziert. Sie bietet sich vor allem dort an, wo es bauliche Gegebenheiten unmöglich machen, eine pferdegerechte Offenstallanlage umzusetzen.
Voraussetzung für die „Halbrobustgruppenhaltung“ ist ein möglichst stallnaher Auslauf, der zumindest über eine Unterstellmöglichkeit verfügen sollte. Dieser Unterstand ermöglicht Witterungsschutz für die Pferde und erspart das zeitaufwendige Zurückbringen der Pferde in den Innenstall beispielsweise bei Gewitter. Die Fütterung erfolgt morgens und abends (Rau- und Kraftfutter) in den Boxen, weiteres Stroh und Heu wird tagsüber auf dem Auslauf vorgelegt (Strohraufe, Heunetze oder frei ausgelegte Heuberge). Der Flächenbedarf des Auslaufs sollte nach verschiedenen Richtlinien bzw. Empfehlungen zwischen 50 und 200 Quadratmeter pro mittelgroßem Pferd liegen. Die Fläche des Witterungsschutzes errechnet sich in Anlehnung an Verhaltensforscher Professor Zeeb nach der Formel 2,5 x Stockmaß zum Quadrat, bei mittelgroßen Pferden beträgt sie also um die sieben Quadratmeter pro Pferd.
Derjenige, dem das Wohl seines Sportferdes wirklich am Herzen liegt, findet heutzutage genügend Möglichkeiten, ihm ein artgerechteres Leben zu ermöglichen. Wer sich dennoch für die weitgehende Einzelboxenhaltung entscheidet, sollte wissen, dass er damit in erster Linie seine eigenen Bedürfnisse befriedigt – und nicht die seines Pferdes.
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Dieser Artikel von DI Romo Schmidt ist erstmals in Ausgabe 2/2011 der Pferderevue erschienen. Pferderevue AbonnentInnen können diese Artikel zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter Service/Online-Archiv einloggen und in allen Heften aus 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!
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