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Wem sie sich anschließen, entscheiden Pferde meist ganz spontan. Die Theorie von der Leitstute, die hauptsächlich die Bewegung der Herde steuert, scheint neuesten Erkenntnissen nach eher in den Bereich der Mythen zu gehören. © hemlep - fotolia.com

Jeder kann führen: Leitstutenprinzip bloß ein Mythos

Ein Artikel von Pamela Sladky | 27.05.2015 - 10:37
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Wem sie sich anschließen, entscheiden Pferde meist ganz spontan. Die Theorie von der Leitstute, die hauptsächlich die Bewegung der Herde steuert, scheint neuesten Erkenntnissen nach eher in den Bereich der Mythen zu gehören. © hemlep - fotolia.com

Lange Zeit ging man davon aus, dass die ranghöchste Stute für die Führung einer Pferdeherde verantwortlich zeichnet und deren Bewegungen maßgeblich lenkt. Doch diese Theorie gerät immer mehr ins Wanken. In einer 2013 veröffentlichten Studie deutscher Wissenschaftler wurden erstmals Zweifel geäußert, ob es wirklich die sogenannte Leitstute ist, die Bewegung und Aktivität der Herde vorrangig steuert.

Bei Beobachtung dreier Herden wildlebender Esperia Ponys stellten Forscher der Universität in Nürtingen fest, dass Stuten völlig unterschiedlichen Ranges Herdenbewegung auslösten, indem sie sich einfach von der Gruppe entfernten. Allerdings konnte zu keiner Zeit beobachtet werden, dass sich jeweils alle Tiere der Herde diesem Ortswechsel anschlossen.

Obwohl hochrangigen Stuten in der Regel mehr gefolgt wurde als rangniedrigen, beobachtete das Team um Konstanze Krüger, Professorin für Pferdehaltung in Nürtingen, mehrfach Fälle, in denen zahlreiche Herdenmitglieder einer rangniedrigen Stute nachgingen.

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine jüngst veröffentlichte Studie aus Frankreich. Im Rahmen ihrer Forschungen beobachteten Marie Bourjade und ihre Kollegen zwei wild lebende Przewalski-Herden im 380 Hektar umfassenden Gebiet von Le Villaret. Auch hier konnte keines der Herdenmitglieder als eindeutiges Leitpferd identifiziert werden. Die Führung der Herde wurde indes auf viele Tiere aufgeteilt – ungeachtet des jeweiligen Ranges, den sie innerhalb des sozialen Herdengefüges einnahmen. „Während unserer Beobachtungen konnten wir kein Leitpferd ausmachen, das den Großteil der Herdenbewegung häufiger bestimmte als andere Herdenmitglieder. Der Entscheidungsprozess schien stattdessen auf mehrere Pferde aufgeteilt zu sein“, fasste Bourjade ihre Erkenntnisse zusammen.

Die Mär vom geliebten Alpha, dem alles folgt

Für Konstanze Krüger sind diese Beobachtungen Grund genug, um das Leitstutenprinzip ernsthaft in Frage zu stellen. Weitaus wahrscheinlicher scheint es zu sein, dass die Führungsrolle in Pferdeherden auf all jene Tiere aufgeteilt ist, die in der Lage sind, andere Herdenmitglieder in Bewegung zu versetzen. Und das können, wie die Studien aus Deutschland und Frankreich deutlich zeigen, Pferde mit niedrigem Rang beinahe gleichermaßen wie Ranghohe. Eine Leitstute, die alleinig über die Bewegung der Herde entscheidet, scheint hingegen eher in den Bereich der Mythen zu gehören.

Mit diesen Erkenntnissen bröckelt auch so manche Ausbildunghteorie um die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Denn während landläufig die Meinung vertreten wird, der Mensch müsse lediglich die Position des Alphatieres mimen damit ihm sein Pferd immer und überallhin folgt, zeigen die Spontanentscheidungen wildlebender Pferde ganz klar, dass der „Boss“ zu sein nicht notwendigerweise impliziert, dass sich das Pferd automatisch dem Ranghöchsten anschließt.