2014 nahm der Deutsche Dr. med. vet. Andreas Thelen im Rahmen einer Dissertation am Institut für Tierzucht und Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Gießen Pferdehaltungsbetriebe mit insgesamt 926 Pferden im Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Haltungsformen und Verhaltensstörungen unter die Lupe. Die Ställe wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und Fragebögen an Stall- und Pferdebesitzer verteilt.
Die Gruppe der an der Studie teilnehmenden Groß- und Kleinpferde mit einem Druchschnittsalter von zehn Jahren war bunt gemischt, sie bestand aus Zucht- und Freizeitpferden, Beistellern sowie Sportpferden. In einem ersten Schritt wurde eine Befragung der Stallbesitzer durchgeführt. Sie umfasste die Rahmenbedingungen, unter denen die Pferde gehalten wurden wie etwa Haltungsform, Art und Anzahl der Pferde, Häufigkeit und Dauer der Bewegung und des Weidegangs sowie Fütterungsmodalitäten. Die Fragebögen für die Pferdebesitzer enthielten individuelle Angaben zu dem jeweiligen Pferd: Rasse, Alter, Nutzung, Anzahl der Vorbesitzer, Verhalten und Erkrankungen.
Boxenhaltung vorherrschend
Die Auswertung der Daten ergab, dass die Hälfte der erfassten Pferde in Einzelboxen gehalten wurde. Rund 39 % der Tiere lebten in Offenstallhaltung, Pferde in der Robusthaltung waren zu weniger als 10 % vertreten (Als Robustställe wurden die Ställe klassifiziert, bei denen im Wesentlichen keine Einflussnahme des Menschen stattfand). Bei den Bewegungsabläufen wurde unterschieden in gelenkte, durch den Menschen gesteuerte Bewegung (Reiten, Fahren, Voltigieren) und freie, durch den Menschen nicht beeinflusste autonome Bewegung (Paddock, Freilauf, Weide) sowie Zeit und Dauer der Bewegungen. Merkmal aller Haltungsformen war die freie und gelenkte Bewegung, wobei bei der Offenstall- und Robusthaltung die freie Bewegung den größten Zeitraum einnahm.
In Pensionsställen wurde als Haltungsform fast durchwegs die Einzelboxenhaltung mit und ohne Paddock bzw. Auslauf angetroffen. Die Haltungsbedingungen waren hier sehr uneinheitlich, allen gemein war Boxenhaltung mit zeitweisem Auslauf der Pferde.
Mehr als die Hälfte der Pferde verhaltensauffällig
Anhand der Fragebögen wurde die Anzahl unerwünschter Verhaltensweisen erfasst und in Auffälligkeitskomplexe zusammengefasst:
- Die meisten Verhaltensauffälligkeiten (265 Pferde = rund 50 %) ergaben sich bei der Nutzung vom Boden (Flüchten, Halfterabstreifen, Deckenreißen, Futterstreuen, Futterneid, Führen, Putzen, Hufpflege und Aufsitzen), die meisten Probleme beim Aufsitzen (55 %), bei der Hufpflege (40 %) und beim Putzen (35 %).
- An zweiter Stelle folgten bewegungsassoziierte Verhaltensauffälligkeiten wie Weben, Boxenlaufen, Paddocklaufen, Scharren und Schlagen gegen die Boxenwand, wobei die meisten Pferde webten (20 %).
- Auf dem dritten Platz lagen Verhaltensauffälligkeiten bei der Nutzung unterm Sattel (30 %) wie Durchgehen, Scheuen, Kleben, Stehenbleiben, Bocken, Steigen, Sattelzwang und Reiter abstreifen. Dabei waren am häufigsten Scheuen, Stehenbleiben und Bocken.
- Und an vierter Stelle (25 %) rangierten beschäftigungsassoziierte Verhaltensauffälligkeiten wie Koppen (6 Pferde), Lippenschlagen (7), Zähneknirschen (7), Zungenspielen (10), Belecken (17), Gitterbeißen (7), Holzfressen (20), Kopfschütteln (15) und Schweifscheuern (21 Pferde).
Bei den Pferden mit Verhaltensauffälligkeiten ergaben sich zudem bei rund 40 % akute Erkrankungen, die häufigsten am Bewegungsapparat, gefolgt von Stoffwechsel- und Atemwegserkrankungen.
Problemhaltung Einzelbox
Die höchsten Verhaltensauffälligkeiten wurden bei der Einzelboxenhaltung ohne Paddock festgestellt (90,5 %), die geringsten bei Pferden in Einzelhaltung mit Auslauf in der Gruppe (18,7 %). Bei der Rassezugehörigkeit zeigten sich bei den Ponys und Kleinpferden über die Hälfte Auffälligkeiten, bei den Arabern sogar 75 % und bei den Warm- und Vollblütern betrug der Anteil auffälliger Tiere immerhin rund 70 %.
Auffälligkeitsrate möglicherweise noch höher
So erschreckend hoch die Zahl der Verhaltensauffälligkeiten in der 2014 abgeschlossenen Studie auch ausfiel, sie könnt in der Realität sogar noch darüber liegen. „Neben der allgemeinen Problematik der Beteiligung ist nicht auszuschließen, dass Betriebe, die wenige Probleme mit Verhaltensstörungen haben, vermutlich eher bereit sind, an einer solchen Studie teilzunehmen“, gab Dr. Andreas Thelen im Fazit seiner Studie zu bedenken. „Circa zwei Drittel der angefragten Ställe lehnten eine Teilnahme von vornherein ab.“ Nicht teilnehmen an der Befragung wollten „Problemställe mit Problemhaltungen“. Dazu zählten Ställe mit starkem Sanierungsstau an Gebäuden und/oder stark verhaltensauffälligen Tieren oder Ställe gänzlich ohne Auslaufmöglichkeit; wie die Befragung der zuständigen Veterinärämter ergab. „Die Teilnahme wurde zwar nicht explizit abgelehnt, und die Fragebögen wurden auch entgegengenommen, aber nicht ausgefüllt. Mit immer wiederkehrenden Ausreden der Betreiber wurde geradezu taktiert, um am Ende nicht teilnehmen zu müssen. Dies bedeutet, dass nur diejenigen Pensionsställe überhaupt teilgenommen haben, die sich selber für gut genug hielten, einer kritischen Bewertung standzuhalten“, so Dr. Thelen.