Fütterung

Kornlos glücklich? Wie gesund getreidefrei für Pferde wirklich ist

Ein Artikel von Dr. Dorothe Meyer | 10.12.2019 - 12:05
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Getreidefrei liegt im Trend. Doch nicht alles, wo Diätfutter draufsteht, ist wirklich bedenkenlos für stoffwechselgeschädigte Pferde geeignet.   © www.slawik.com

Auch die Pferdefütterung unterliegt Trends – und der aktuelle Trend lautet: getreidefrei. Dagegen ist zunächst wenig einzuwenden, ist das Pferd evolutionsbiologisch doch für die Aufnahme energiearmer, rohfaserreicher Kost ausgelegt. Aber ist die Fütterung getreidefreier Mischfutter wirklich immer so gesund wie häufig behauptet?


Die Kehrseite des Wohlstandes

Auch unsere Pferde macht zu großer Wohlstand krank: Stoffwechselstörungen wie Insulinresistenz, Equines Metabolische Syndrom (EMS) und Cushing- Syndrom erfordern eine begrenzte Aufnahme von Stärke und Zucker, damit eine Behandlung von Erfolg gekrönt ist. Viele Pferdebesitzer streichen aus diesem Grund das Getreide vom Futterplan betroffener Pferde – was grundsätzlich richtig und gut ist. Häufig schenkt man aber den Stärke- und Zuckergehalten in anderen Futtermitteln dabei weniger Beachtung. Doch auch stärkereiches bzw. zuckerhaltiges Gemüse wie Erbsenflocken bzw. getrocknete Karotten sowie auch der in etlichen Diätmüslis enthaltene Grünhafer sind für stoffwechselkranke Pferde möglicherweise problematisch. In der Tabelle finden Sie durchschnittliche Gehalte an Stärke und Zucker in unterschiedlichen Futtermitteln, von denen sich etliche auch in getreidefreien Mischfuttermitteln für Pferde finden.

Futtermittel

Stärke in %

Zucker in %

Heu*

1,76

11,50

Hafer**

39,07

1,73

Grünhafer*

4,09

17,92

Mais*

61,20

3,10

Wintergerste*

53,00

6,80

Luzerne pelletiert**

2,43

6,57

Erbsen**

43,03

7,39

Reiskleie*

21,65

7,59

Rübenschnitzel unmelassiert*

0,00

6,00

Rübenschnitzel melassiert (pelletiert)*

0,00

16,00–21,00

Karotten frisch**

0,38

2,71

Karotte getrocknet***

0,00

25,60

Apfeltrester***

0,00

11,10

Hormonell gesteuerter Teufelskreis

Das EMS ist eng mit der sogenannten Insulinresistenz verbunden. Das bedeutet, dass die Körpergewebe des Pferdes schlechter auf den Botenstoff Insulin reagieren. In der Folge muss die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin herstellen, um den Zucker aus dem Blut in die Zellen zu schleusen. Pferde, die am EMS leiden, sind in der Regel übergewichtig – und das meist nicht erst seit der tierärztlichen Diagnose. Ihr Speck hat sich in der Regel über Monate aufgebaut.

Ein Missverhältnis zwischen Energieaufnahme (Fressen) und Energieverbrauch (Muskelarbeit) führt beim Pferd genauso wie beim Menschen und anderen Tierarten zu vermehrten Fettablagerungen im Körper. Doch Fett ist nicht gleich Fett – und nicht alle Polster am Pferdekörper sind lediglich unschöne Energiespeicher für magere Zeiten. Je nach Lage handelt es sich beim Fett um hormonell aktives Gewebe, das die Hormone Leptin, Adiponectin und Resistin bildet.

Diese Hormone spielen gemeinsam mit Insulin eine wichtige Schlüsselrolle beim EMS. Leptin steuert das Hungergefühl. Das leptinresistente Pferd– ohnehin schon zu dick – zeichnet sich durch ständigen Hunger und rekordverdächtige Fressgeschwindigkeiten aus. Zwei Kilo Heu sind – überspitzt gesagt – schneller verdrückt, als sich der Besitzer umdrehen kann. Resistin ist mitverantwortlich für die Insulinresistenz und erhöht damit die Hufrehegefahr. Ein Teufelskreis kommt in Gang: Die hormonelle Dysregulation sorgt für ein ständig hungriges, rehegefährdetes Pferd, das schneller rund wird als gesunde Pferde – eine Herausforderung für den Besitzer, der, seien wir ehrlich, meist bereits im Vorfeld sein Pferd gerne „verwöhnte“ und eher weniger mit ihm arbeitete. Und nun bekommt er gesagt: Fettreduktion ist notwendig. Nur: Abnehmen ist unter diesen hormonellen Entgleisungen gar nicht so einfach! Ganz besonders dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist: Kann der Tierarzt die Diagnose erst im akuten Reheschub stellen, ist Bewegung erstmal keine Option. Da kommt das getreidefreie Müsli doch gerade richtig? Ist es doch speziell auf die Bedürfnisse von Pferden mit Stoffwechselkrankheiten abgestimmt! Ermöglicht das getreidefreie Müsli somit einen Genuss ohne Reue?

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Kugelrund und g’sund? Leichtfuttrige Rassen wie Ponys erhalten häufig zu viel mehr Futter als ihnen gut tut. © www.slawik.com

Genuss ohne Reue?

Richtig ist: Um eine erhöhte Insulinausschüttung zu vermeiden, sollten die Gehalte an Stärke und Zucker im Futter möglichst niedrig sein. Neben Stärke und Zucker spielt aber auch der Gesamtenergiegehalt eine wichtige Rolle, schließlich macht ein zu hoher Energiegehalt dick – egal, ob die Energie aus Faser, Zucker, Fett oder Eiweiß kommt. Gerne geben Hersteller für ihre getreidefreien, für EMS-kranke Pferde entwickelten Futtermittel jedoch waghalsige Fütterungsempfehlungen: Aufgrund des niedrigen Stärke- und Zuckeranteils könne es das bisherige Kraftfutter in doppelter Menge oder Heu in gleicher Menge problemlos ersetzen. Hier ist es sinnvoll, genauer nachzurechnen, um für das Pferd gefährliche Futterfallen zu vermeiden.

Vorgerechnet

Ein Beispiel, um das Problem zu veranschaulichen: 1 kg eines „Diätmüslis“ enthält laut Deklaration z. B. 7,5 MJ verdauliche Energie. 1 kg des bisher gefütterten Krippenfutters (Sportpferdepellets) enthielt z. B. 11,2 MJ verdaulicher Energie. Zwar enthält das „Diätmüsli“ deutlich weniger Energie als die bisher gefütterten Sportpferdepellets, ersetzt der gewissenhafte Besitzer nun aber 1 kg der Pellets durch 2 kg getreidefreies Müsli, nimmt sein bereits übergewichtiges Pferd 3,8 MJ mehr Energie auf als zuvor. Das EMS-kranke Pferd wird mit der doppelten Menge „Diätmüsli“ somit ganz gewiss nicht abnehmen, sondern im Gegenteil sogar zunehmen. Es lagert also noch mehr Fett ein, mit den beschriebenen hormonellen Konsequenzen.

Ebenfalls ein bekannter Gedankengang in diesem Zusammenhang: Aber wenn das Pferd mit der empfohlenen Futtermenge schon nicht abnimmt, dann schützt weniger Stärke und Zucker doch wenigstens vor Rehe? In der Tat können große Mengen an Stärke und Zucker das Reherisiko vor allem leichtfuttriger Pferde immens erhöhen. Doch auch andere Energielieferanten unter den Nährstoffen haben keineswegs eine „weiße Weste“. Richtig ist aber zweifelsfrei, dass Zucker und Stärke nach der Aufnahme über den Dünndarm zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels führen. Das wiederum führt zu einem erhöhten Insulinspiegel, der die Entzündung der Huflederhaut maßgeblich beeinflusst.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf machen wir am Beispiel des getreidefreien „Diätmüslis“ eine Rechnung mit Stärke und Zucker: 3 % Stärke bedeuten bei der Fütterung von 2 kg Diätmüsli pro Tag 60 g Stärke und bei 6 % Zucker zusätzlich 120 g Zucker, die unser EMS-krankes Pferd pro Tag erhält. Das ist in der Tat wenig im Vergleich zu den früher gefütterten Sportpellets, die 360 g Stärke und 60 g Zucker in den Trog brachten. Bei einer dreimaligen Fütterung am Tag bekommt unser Pferd mit dem Diätmüsli nur noch 20 g Stärke und 40 g Zucker pro Mahlzeit gegenüber vorher 120 g Stärke und 20 g Zucker pro Mahlzeit. Fazit: Mit dem Diätmüsli erhält unser Pferd tatsächlich deutlich weniger Stärke pro Mahlzeit als durch sein vorheriges Futter, aber leider auch etwas mehr Zucker und sogar erheblich mehr Energie (wenn man wie empfohlen 2:1 ersetzt)! Abnehmen könnte das Pferd also nur, wenn das getreidefreie Diätmüsli die früher gefütterten Pellets maximal 1:1 (besser noch 0,5:1) ersetzte. Damit ist die Freude über einen volleren Trog unseres ewig hungrigen „Metabolikers“ aber leider auch schon vorbei.


Wie viel Süßes darf sein?

Je mehr Glukose aus dem enzymatischen Abbau von dünndarmverdaulicher Stärke und Zuckern entsteht, umso mehr steigt der Blutzuckergehalt und damit der Insulinspiegel an. Der Anstieg ist also eine Frage der Menge in einer bestimmten Zeit und damit auch abhängig von der Mahlzeitenhäufigkeit über den Tag.

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Zuckerreiches Obst ist für EMS-Pferde tabu. © www.Slawik.com

Viele kleine Portionen lassen die Insulinausschüttung naturgemäß weniger überschießen als eine einzelne große Mahlzeit. Getreidefreie Müslis füttern Pferdehalter häufig selbst, und da die meisten Besitzer nur einmal am Tag im Stall sein können, geben sie die ganze Portion sehr häufig auf einmal. Um den Anstieg von Blutzucker und Insulin zu minimieren, sollte ein Pferd mit Insulinresistenz pro Mahlzeit nicht mehr als 50 g im Dünndarm abbaubarer Stärke und Zucker pro 100 kg Körpergewicht aufnehmen.

Zum Vergleich: Bei gesunden Pferden sind es pro Mahlzeit bis zu 100 g pro 100 kg Körpergewicht. Unter Umständen ist das getreidefreie Müsli also selbst bei Verfütterung von 2 kg auf eine Mahlzeit in der Tat „sicher“ – nämlich dann, wenn das Gewicht unseres Beispielpferdes mit EMS zum Beispiel 500 kg beträgt. Verbleibt das Problem mit den Kalorien: Unser Pferd nimmt trotz getreidefreier Fütterung weiter zu! Soll ein Pferd mit 500 kg Idealgewicht also abnehmen, wären 300 g ganz simple Trockenschnitzel (unmelassierte Rübenschnitzel) statt Kraftfutter oder getreidefreiem Müsli ein probates Mittel der Wahl. Die geben – nach dem zwingend erforderlichen Einweichen – viel Volumen bei wenig Energie. Sie enthalten wenig Zucker und sind sogar stärkefrei.


Und Heu?

Heu enthält neben Zucker auch relativ viel Energie, denn aus der Zellulose (Faseranteil) des Heus werden von der Dickdarmflora kurzkettige Fettsäuren gebildet. Gutes Heu enthält nicht selten bis zu 15 % Gesamtzucker. Auch hier ist also Vorsicht geboten, da stoffwechselkranke Pferde möglichst Heu mit einem Gesamtzuckergehalt unter 10 % erhalten sollten. Die mutige Aussage, Heufütterung könne keine Hufrehe auslösen, ist also eher den Ammenmärchen zuzuordnen.

Die mutige Aussage, Heufütterung könne keine Hufrehe auslösen, ist also eher den Ammenmärchen zuzuordnen.


Dr. Dorothe Meyer

Wie das Problem lösen? Es gilt bei rehegefährdeten Pferden, die Heumenge auf 1,2 % des Idealgewichtes (nicht des derzeitigen Übergewichtes!) zu reduzieren, bei Pferden, die ständig Hunger haben, kann die Ration gerne auch mit etwas Stroh gestreckt werden, bis zu 0,5 % des Idealgewichtes können als Stroh beigemischt werden. Gemischt in einem sehr engmaschigen Heunetz, ergibt diese Kombination eine gute Fütterungsgrundlage für übergewichtige Pferde.

So sollten die Pfunde rasch (und gesund!) purzeln, insbesondere dann, wenn die Pferde zusätzlich arbeiten müssen und zudem noch eine vitalstoffreiche Nahrungsergänzung (Spurenelemente und Vitamine) erhalten. Pferde mit Stoffwechselerkrankungen profitieren enorm von einer umfassenden Versorgung mit Vitalstoffen. Bei Reduktionsdiäten mit dem Ziel, weniger Energie aufzunehmen, kommt es gleichzeitig auch zu einem verringerten Angebot an Vitalstoffen. Vitamine und Spurenelemente üben ihre für die Gesunderhaltung und Leistungsfähigkeit eines lebenden Organismus unverzichtbare Rolle in lebenden Zellen immer in Verknüpfung mit Biomolekülen aus, auf eine entsprechende Formulierung sollte man also achten.

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Gut für Moppelpferde: Heu - gerne auch mit einem Anteil Stroh gemischt  - aus einem engmaschigen Netz gefüttert © pholidito - Fotolia.com

Kein Getreide für Magenpatienten

Leidet ein Pferd unter Magenproblemen wie einer Gastritis, ist es sinnvoll, den im drüsenlosen Teil des Magens vorhandenen Mikroorganismen möglichst wenig Zucker und Stärke anzubieten. Das verhindert, dass sie vermehrt Milchsäure und andere flüchtige Fettsäuren bilden. Diese Stoffwechselprodukte der Bakterien säuern den Magensaft nicht nur an, sondern führen zusätzlich im Drüsenteil des Magens zu einer erhöhten Bildung von Magensaft. Auch hier gilt die Regel: Magengesunde Pferde sollten pro Mahlzeit nicht mehr als 1 g/kg Körpergewicht an Zucker und Stärke erhalten, magenempfindliche sogar nicht mehr als 0,5 g/kg Körpergewicht. Für Pferde, die akut an Magengeschwüren leiden, wird neben der Gabe eines Magenschutzes deshalb auch eine völlig getreidefreie und zuckerreduzierte Fütterung empfohlen. Das schützt die Schleimhaut nicht nur, sondern unterstützt auch eine schnelle Abheilung vorhandener Geschwüre.

Als Ersatz aber bitte keine Müslis einsetzen, die harte Stängel oder Stiele enthalten (in einem Müsli fanden sich tatsächlich Kirschstiele!), die zu weiteren mechanischen Verletzungen der Schleimhaut führen! Eine an der tierärztlichen Fakultät der Universität Leipzig durchgeführte Studie ergab, dass bereits die Fütterung von Luzernehäckseln Verletzungen der Schleimhaut im Drüsenteil des Magens mit nachfolgender Geschwürbildung provozierte. Und diese Häcksel sind im Mittel noch weicher als manch ein Pflanzenstiel in Pferdemüslis. Pellets aus fein zermahlener Luzerne scheinen sich hingegen positiv auf die Magengesundheit auszuwirken.

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Magenpatienten sollte möglichst wenig wenig Zucker und Stärke verabreicht werden.
© www.Slawik.com


Leistungsfähig auch ohne Getreide?

Das wenig geforderte Sportpferd kommt – vorausgesetzt, das Heu ist blatt- und nährstoffreich – bei ausreichender Heufütterung problemlos ganz ohne Krippenfutter in Form von Getreide aus. Sportlich mehr geforderte Pferde, insbesondere Renn- und Vielseitigkeitspferde, die in höherer Geschwindigkeit arbeiten, aber auch Spring- und Dressurpferde der hohen Leistungsklassen profitieren dagegen von einem ausreichend gut gefüllten körpereigenen Glykogenspeicher.

Glykogen ist die Speicherform der Stärke im tierischen Organismus und ist – wie der Blutzucker (Glucose) – der Treibstoff für schnell kontrahierende Muskelfasern, die nur Glukose und Glykogen nutzen können (sogenannte FT-Muskelzellen). Das körpereigene Speichervolumen für Glykogen in der Muskulatur als größtem Glykogenspeicher und in der Leber ist allerdings sehr begrenzt. Das Wiederauffüllen der Körperreserven nach körperlicher Anstrengung dauert rund drei Tage. Das lässt sich leider auch nicht mit einer vermehrten Zuckergabe über das Krippenfutter beschleunigen.

Aufgrund des geringen Speichervermögens macht es daher wenig Sinn, Pferde mit viel Zucker und Stärke zu füttern – getreu dem Motto: „Wenn Hafer gut ist, ist viel Hafer besser!“ Aber es ist durchaus sinnvoll, Sportpferden ausreichende Mengen an Stärke zu füttern, um den körpereigenen Speicher aufrechtzuerhalten und eine für die jeweilige Sportart optimale Muskelfunktion sicherzustellen. Das gelingt auch mit wenig Hafer und etwas getreidefreiem Müsli. Gerade beim Sportpferd sind aber harte Stängel und Stiele zu vermeiden – der Magen wird es danken!