Haltung

Wälzen: Das unterschätzte Bedürfnis der Pferde

Ein Artikel von DI Romo Schmidt | 04.06.2019 - 16:34
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Wälzen ist gesund ein elementares Grundbedürfnis des Pferdes.   © www.slawik.com

Nahrungsaufnahme, Bewegung, Schlaf und Sozialkontakt zu Artgenossen - sie alle sind elementare Grundbedürfnisse des Pferdes. Das gilt auch für das sich Wälzen. Und das aus gutem Grund: Es fördert die Hautdurchblutung und strafft das Bindegewebe, massiert Muskeln und löst Verspannungen, entlastet den Stützapparat und mobilisiert die Wirbelsäule, hilft bei Fellwechsel und Thermoregulation, mindert Kolikschmerzen und Juckreiz und schützt die Haut vor Ektoparasiten. Dies alles trägt zum Wohlbefinden des Pferdes bei und fördert seine Ausgeglichenheit.

Trotzdem wird das sich Wälzen von nicht wenigen Pferdehaltern immer noch als lästiges, weil schmutzig machendes Verhalten angesehen und führt daher in vielen Reitbetrieben ein Schattendasein. Das kann fatale Folgen haben. Die Palette reicht von massiven Rückenproblemen bis hin zu Verhaltensstörungen.

Massage der Haut

Regelmäßiges sich Wälzen beeinflusst das größte Sinnensorgan des Pferdes, seine Haut, in vielfältiger Weise: Durch die abwechselnden Druckbelastungen und -entlastungen beim Kontakt zwischen Boden und Haut wird diese zusammengedrückt und wieder entspannt. So entsteht eine bessere Durchblutung mit effektiver Nährstoffversorgung.

Bei übergewichtigen Pferden wird eingelagertes Depotfett gelockert und so der Fettabbau gefördert. Lose Haare, abgestorbene Hautzellen, Parasiten und Schmutz werden während des Wälzvorganges aus der Haut gelöst. Durch das anschließende kräftige Schütteln werden die losen Partikel aus dem Fell geschleudert und das Fell aufgelockert. Es liegt nach dem Schütteln wieder im natürlichen Haarstrich und kann so seine thermoregulierende Funktion besser wahrnehmen. Auch das Bindegewebe wird durch das Herumrollen auf dem Boden massiert und gleichzeitig gestrafft.

Beim Pferd genetisch fest verankert ist übrigens das sich Wälzen im Gatsch. Es dient Wildpferden – und auch nicht so wilden – bis heute als „Schlammpackung“ zum zusätzlichen Schutz vor Insekten und Sonneneinstrahlung.


Muskelmassage und Skelettentlastung

Neben 40 Millionen Haarbalgmuskeln umfasst der Pferdekörper etwa 250 paarige und einige unpaarige Muskeln. Die Mehrzahl davon liegt im Hauptrücken, in Hals, Flanken, Bauch und  Hinterhand mit einer noch größeren Anzahl von Untermuskeln. Wälzt sich ein Pferd, werden  genau diese Muskelgruppen wie bei einer flächigen Massage bearbeitet, bei einem Überschlag von einer Seite zur anderen schließt sie auch die Wirbelsäule mit ein. Bis zu 25 Kilogramm Gewicht pro Handflächenbreite lasten dabei auf der Rücken- und Kruppenmuskulatur. Das entspricht dem Druck von zweieinhalb Eimern Wasser pro Handfläche!

Manche Pferde sind bei ihrer Selbstmassage so geschickt, dass sie sich einige Zeit komplett auf dem Rücken liegend leicht hin- und herbewegen – und aus gutem Grund: Links und rechts entlang der Wirbel, an den Flanken, im Bereich der Kruppe und am Hals befinden sich einige Reflexzonen und Akupunkturpunkte, die auf diese Weise gleich mitbehandelt werden.

Nicht zuletzt deshalb ist es gerade für Pferde mit Verspannungen wichtig sich regelmäßig wälzen zu können. Der druckvolle Kontakt mit dem Boden hilft Blockaden und Muskelverspannungen auf natürliche Art zu lösen. Verstärkt wird dieser Effekt durch kräftiges Buckeln nach dem Aufstehen.

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Echte Wälzexperten verharren einige Momente in Rückenlage und massieren so verstärkt die Muskulatur entlang der Wirbelsäule.
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Wälzen bei Koliken

Viele veraltete Anweisungen zur Ersten Hilfe bei Koliken verbieten das sich Wälzen. Der Grund: Man befürchtete, dass sich der Darm dabei verschieben und als Folge verschlingen könne. Inzwischen haben Studien diese Möglichkeit längst ausgeschlossen. Im Gegenteil: Sich zu wälzen kann eine Darmverschlingung sogar wieder lösen. In Kanada werden Pferde mit Kolik sogar unter tierärztlicher Aufsicht in gewissen Bewegungsmustern hin und her gerollt, um Darmverschlingungen zu lösen, sodass sich eine Operation in vielen Fällen vermeiden lässt. Ist der Darm schon verschlungen, kann das sich Wälzen kaum zusätzlichen Schaden anrichten. Dann ist eine Operation meist unausweichlich.

Will sich ein Pferd mit Kolik also wälzen, kann man es ruhig gewähren lassen. Denn es mindert auf diese Weise instinktiv seine Schmerzen. Allerdings sollte man darauf achten, dass es sich nicht verletzen oder festlegen kann. Pferde sind im akuten Schmerzzustand häufig unzugänglich und achten nicht auf ihre Umgebung. Deshalb sollten sie an einen sicheren Ort verbracht werden, wo sie sich für alle Beteiligten gefahrlos wälzen können.

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In Grupenhaltung lässt sich häufig der ansteckende Charakter des Wälzens beobachten.
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Ein Platz zum Wälzen

Ist in einem Pensionspferdebetrieb regelmäßiger Freilauf und damit auch das sich Wälzen einzelner Pferde in der Halle oder dem Außenreitplatz nicht erlaubt oder aufgrund der starken Frequentierung kaum möglich, sollte über das Anlegen einer Wälzmöglichkeit nachgedacht werden. Das kann entweder ein Round-Pen sein oder ein eigens hierfür angelegter Wälzplatz. Auch in einer Offenstallanlage mit vorwiegend befestigtem Auslaufboden sollte im Außenbereich ein solcher Ort vorhanden sein.

Pferde bevorzugen Untergründe wie Sand oder Sand-Sägespäne-Gemische, um sich zu wälzen. Aber auch staubige Böden, schlammige Plätze, Schnee oder frische Einstreu im Innenbereich taugen zur pferdigen Wellnessbehandlung.

Oftmals wird dem sich Wälzen eine ansteckende Wirkung nachgesagt, wiewohl eher die für alle Pferde gleichen inneren oder äußeren Reize wie zum Beispiel juckendes Fell für ein gemeinschaftliches sich Wälzen ursächlich sind. Fohlen wälzen sich übrigens weniger als erwachsene Pferde, vermutlich weil sie sich hauptsächlich liegend ausruhen. Auch Pferde mit massiven Rückenproblemen wälzen sich kaum oder gar nicht mehr.

Die Behauptung, Schimmel würden sich öfter wälzen als Braune oder Rappen ist weder bewiesen noch nachvollziehbar. Dieser Eindruck gründet wohl eher auf der Tatsache, dass bei Schimmeln Flecken jeglicher Art sehr viel deutlicher ins Auge fallen als bei Pferden mit dunklen Fellfarben.

Sicher wälzen

Für den Weidegang müssen Decken unbedingt mit einer Komplettverschnallung ausgerüstet sein. Fehlt dieser zusätzliche Halt, besteht die Gefahr, dass sich das Pferd mit den Beinen in der Decke verfängt und sich verletzt.

An Sommerekzem leidende Pferde werden oft mit ölhaltigen Lotionen oder Emulsionen eingerieben, die beim sich Wälzen rasch mit Schmutzpartikeln und Sandkörnern verkleben. Deshalb sollten Mähnenkamm und Schweifrübe beispielsweise mit grünem Tee oder speziellen Pferdeshampoos regelmäßig ausgewaschen und die Präparate nach dem Trocknen neu aufgebracht werden.

Hat das Pferd etwa eine offene Satteldruckwunde oder eine andere Hautverletzung, darf es sich bis zum Abheilen der Wunde nicht auf unhygienischem Untergrund wälzen.

Besonders wälzbedürftig sind Pferde, die nach dem Reiten stark schwitzen. Weil der verkrustete Schweiß stark juckt, vor allem unter dem Sattel und Zaumzeug, kann der dadurch ausgelöste Wälzdrang dazu führen, dass sich bei Unachtsamkeit ein Pferd unvermittelt mit dem Sattel auf den Boden wirft und sich zu wälzen versucht. Das würde nicht nur dem Sattel schaden, sondern auch dem Pferd, weil es sich dabei schwerwiegende Rückenverletzungen zuziehen kann. Man sollte deshalb ein verschwitztes Pferd schnellstmöglich absatteln, es abwaschen oder sich auf geeignetem Untergrund wälzen lassen.

In Einzelboxen können sich Pferde beim sich Wälzen festlegen, was schon zu schweren Verletzungen geführt hat. Allerdings kann das in Wandnähe auch bei unglücklichem Hinlegen für den Tiefschlaf passieren und hat dann mit dem eigentlichen sich Wälzen nichts zu tun.  

Kann ein überwiegend in einer Innenbox lebendes Pferd nur selten seinen Triebstau mittels sich Wälzen, Toben und Buckeln ausleben und geschieht dies dann plötzlich ohne vorheriges Aufwärmen oder ohne Lockerung, sind durchaus „Verschiebungen“ von Brust- und Halswirbeln möglich. Können Pferde hingegen regelmäßig ihrem freien Bewegungsdrang mit sich Wälzen und Buckeln nachgehen, wird dieser in der Regel auch nicht zu exzessiv betrieben.

Negativ kann sich das sich Wälzen auch bei Pferden mit Hauterkrankungen auswirken. Denn bei Hautallergien wie dem Sommerekzem, der Nesselsucht oder bei Kontaktallergien sowie bei Hauterkrankungen (Parasiten, Schwellungen, Verschorfungen) neigen Pferde wegen des oft heftigen Juckreizes vermehrt zum Scheuern. Durch das sich Wälzen können dann Schmutzpartikel in die aufgeschubberten Hautbereiche eindringen, was zu bakteriellen Sekundärinfektionen und großflächigen Wundoberflächen führen kann. Deshalb darf sich das betroffene Pferd bis zum Abheilen der Wunde nicht wälzen oder sollte eine gut angepasste Ekzemerdecke tragen.