Haltung

Fruktan: Mythen und Fakten über das Schreckgespenst

Ein Artikel von Pamela Sladky | 12.05.2020 - 12:44
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Der Vielfachzucker Fruktan gilt in der Pferdehaltung als problematisch. © Christiane Slawik, Würzburg, Germany

1. Fruktan macht Pferde dick.

Fruktan ist ein langkettiges, wasserlösliches Zuckermolekül, das vom Gras gespeichert wird, wenn ein Überschuss an Energie vorhanden ist. Es macht etwa die Hälfte des Gesamtzuckers im Gras aus. Darüber hinaus gehört Fruktan der Gruppe der FOS, der Fructooligosaccharide, an, die im Pferdekörper als Präbiotikum und damit positiv auf das Allgemeinbefinden wirken. Diesen günstigen Effekt von FOS ist Pferdehaltern wohl bekannt. Weidegang tut den meisten Pferden einfach gut – und zwar nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Verdauungsbeschwerden wie Kotwasser verschwinden oft von selbst, magere Pferde, die über die Wintermonate kaum an Gewicht zulegen, runden sich, sobald sie auf Gras stehen. Letzteres kann zum Problem werden, wenn die Pferde bereits (zu) gut genährt aus dem Winter kommen. Dann kann regelmäßiger Weidegang dem Weg zur Fettleibigkeit Tür und Tor öffnen.
 

2. Fruktan löst Hufrehe aus.

Gerade bei Pferden, die ohnehin sehr gut im Futter stehen, kann Fruktan aber nicht nur für ungesunde Extra-Pfunde sorgen, sondern auch Hufrehe auslösen. Die erhöhte Aufnahme des Vielfachzuckers bewirkt eine Übersäuerung des Darminhalts und damit ein massenhaftes Absterben nützlicher Mikroben. In weiterer Folge bilden sich körpereigene Gifte (Endotoxine), die über die Darmwand in den Blutkreislauf gelangen und in den fein verzweigten Kapillaren der Huflederhaut die Entzündung (Laminitis) auslösen.  

Wie so oft ist es aber die Dosis, die das Gift macht. Das „Institut of Grasland and Environmental Research“ (IGER) in Wales wies nach, dass die Aufnahme von 7,5 Gramm Fruktan pro Kilogramm Lebendgewicht bei gesunden Pferden ausnahmslos binnen zwei Tagen zu Hufrehe führt. Dies entspricht einer Menge von etwa 3,5 Kilogramm für ein 500 kg schweres Pferd. Ein durchschnittlich großes Pferd nimmt täglich etwa 30 kg Frischgras zu sich. Bei einem im Mai maximal gemessenem Fruktanwert (80 g/kg TS) ergibt dies eine Aufnahme von etwa 480 Gramm Fruktan. Dies entspricht jedoch nur etwa 15 Prozent der problematischen Menge für ein gesundes Pferd. Allerdings gibt es – soweit dies recherchierbar war – keine Angaben über die Menge von Fruktan, welche die Erkrankung bei hufrehegefährdeten Pferden wie etwa fettleibigen Exemplaren, Pferden mit gestörtem Glukosestoffwechsel, EMS, Diabetes oder Cushing, auslöst. Hier liegt die Vermutung nahe, dass bei diesen Risikogruppen bereits wesentlich geringere Mengen Fruktan Hufrehe auslösen können.

Neuere Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass der Fruktangehalt im Weidegras allein kein sicherer Parameter für die Auslösung von Hufrehe sein muss. In den meisten Fällen ist es vor allem eine Kombination aus verschiedenen ungünstigen Faktoren, die den Weidegang zu Gesundheitsrisiko werden lässt. So erhöhen in Symbiose mit dem Gras lebende Schimmelpilzgifte die Gefahr einer Erkrankung massiv. 

3. Der Fruktangehalt einer Weide ist nicht immer derselbe.

Aufschlussreiche Erkenntnisse über den Anteil von Fruktanen im Weidegras brachte eine Studie des Institutes für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover. Dabei zeigte sich, dass der Fruktangehalt im Gras im Verlauf der Weidesaison zum Teil beträchtlich variiert, mit höheren Werten im Frühjahr und Herbst und niedrigeren in den Sommermonaten. Doch auch innerhalb eines Monats ergaben die Untersuchungen teils gravierende Unterschiede der Fruktanwerte. So wurde zum Beispiel im Monat September ein minimaler Fruktangehalt von 10,6 g/kg Trockensubstanz (TS) und ein Maximalwert von 81,6 g/kg TS beobachtet.
Derartige Spitzenwerte zeigten sich vor allem dann, wenn viel Sonnenlicht auf das Gras einwirkte, gleichzeitig aber die für das Wachstum unentbehrliche Wärme fehlte. Mit steigenden Temperaturen verringerte sich der Fruktangehalt.

4. Kurzes Gras ist besonders fruktanreich.

Es stimmt, dass Fruktan von Gräsern vermehrt gespeichert, wenn die Pferde sie ständig abfressen und kurz halten. In diesen Fällen stehen die Gräser unter Stress und speichern Energie in Form von Fruktan.

Allerdings kann regelmäßiges Mähen helfen, den Zuckergehalt im Gras zu reduzieren. Das hat eine Studie aus den USA gezeigt. In einem Versuch wurden verschiedene Weiden regelmäßig auf 15 cm Graslänge eingekürzt, bevor die Pferde im Anschluss darauf fressen durften. Dabei fand das Forscherteam heraus, dass die allgemeine Kohlenhydratkonzentration im kurz gemähten Gras niedriger war als auf Weiden mit hochgewachsenen Gras. Bei der Auswertung der Blutproben zeigte sich, dass bei jenen Tieren, die das kürzere Gras gefressen hatten, geringere Insulinmengen im Blutplasma nachweisbar waren als bei den Pferden, die auf der Weide mit langem Gras gestanden hatten. Mehr zu dieser Studie lesen Sie hier.
 

5. Regelmäßiges Düngen steigert den Fruktangehalt im Gras.

Düngen wir oft mit einem hohen Nährstoffgehalt und damit auch mit einem hohen Anteil an Fruktan in Verbindung gebracht. Zu einem anderen Ergebnis kam eine Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo). Weiden, die im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit regelmäßig mit stickstoffhaltigem Dünger versorgt wurden, wiesen niedrigere Gehalte des Fruchtzuckers auf als extensiv gedüngte. Dieser Umstand liegt darin begründet, dass die heute sehr weit verbreiteten energie- und zuckerreichen Hochleistungsgräser wie Wiesenschwingel oder Deutsches Weidelgras nur auf nährstoffreichen Böden gedeihen können. Bei Nährstoffmangel reagieren sie mit Stress – und einer vermehrten Produktion von Fruktan. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn zugleich nötige Feuchtigkeit fehlt. Auf Weiden mit einem hohen Anteil an Weidelgras und Wiesenschwingel wird deshalb eine moderate Stickstoffdüngung (dreimal pro Jahr) empfohlen. Ein gänzlicher Düngeverzicht ist hingegen kontraproduktiv.
 

6. Fruktane sind nur im Gras problematisch.

Lange Zeit ging man davon aus, dass Fruktan in erster Linie über frisches Gras in das Pferd gelangt. Untersuchungen von 15 Heusorten des „Grasforschungsinstituts Rocky Mountain Research and Consulting in Colorado (Kathryn Watts)“ in den USA ergaben jedoch, dass neben den vom Pferd ohne weiteres gut zu verdauenden Einfach- und Zweifachzuckern im Heu auch hohe Anteile von Fruktan vorhanden sind. Dabei entspricht der Anteil des Fruktans in einigen Heusorten fast 80 % von dem in der frischen Struktur (Gras). Kathryn Watts fand bei ihren Untersuchungen heraus, dass durch vorheriges Wässern durch sehr warmes bis heißes Wasser fast alle Zuckermoleküle aus dem Heu herausgewaschen werden könnten, besonders der sehr wasserlösliche Mehrfachzucker Fruktan. Das Heu sollte allerdings mindestens 30 Minuten im warmen/heißen Wasser baden. Aber Vorsicht: Die Regel viel hilft viel gilt hier nur bedingt. Wird Heu über mehrer Stunden eingewicht, nimmt zwar der Zuckergehalt ab, gleichzeitig kann es zu einer explosionsartigen Vermehrung schädlicher Bakterien kommen!