Haltung

Dampfmacher: Besseres Heu durch heißen Dampf

Ein Artikel von Regina Käsmayr | 02.02.2021 - 13:41
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Bei Atemwegspatienten ist die Gesundheit stark von der Qualität des Heus beeinflusst. 
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Manches war in der guten alten Zeit tatsächlich besser. Die Heuqualität zum Beispiel. In mühsamer Arbeit wurde das wertvolle Raufutter damals von Hand geschnitten, gewendet und lose eingefahren. Heute werden zumeist Rundballen gepresst, die insgesamt problematischer sind als kleine Quaderballen, aber dazu später mehr. Hygienische Mängel entstehen zum Beispiel durch ein zu tief eingestelltes Mähwerk. Dadurch kommt es zu Verunreinigungen durch Erde, die Reizhusten auslösen kann, aber zumindest kein allergisierendes Potenzial mitbringt. Schlimmer sind Schimmelpilze, Bakterien und Hefen, die beispielsweise durch zu späten Schnitt entstehen. Nach der Blüte verpilzen nämlich grundsätzlich alle Pflanzenhalme. Durch unsachgemäßes Mähen, Trocknen oder Lagern verschlimmert sich das Problem. Oft wird das Heu außerdem mit zu hohem Feuchtigkeitsgehalt gepresst. „Unter praxisüblichen Bedingungen kann Bodenheu mit maximal 20 % Einfuhrfeuchte sicher gelagert werden, beim Pressen sollte der Wassergehalt optimalerweise unter 18 % betragen“, sagt Dr. Andreas Adler vom Institut für Tierernährung und Futtermittel der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). „Lagerung mit einem höheren Wassergehalt führt dagegen durchwegs zu einem starken Aufkommen von Lagerpilzen und einem damit verbundenen rasch einsetzenden Verderbsprozess. Je feuchter das Futter eingebracht wird, umso höhere Wassermengen müssen in der Frühphase der Lagerung in möglichst kurzer Zeit vom Heustock abgeführt werden, um eine sichere Lagerung zu gewährleisten und mikrobiologisch bedingte Qualitätsminderung und Futterverderb zu verhindern.“

Hauptfaktor für Feuchtigkeit ist schlechtes Wetter, aber auch eine falsche Mäh- oder Lagertechnik kann dafür verantwortlich sein. Die Folge ist ein erhöhter Schimmel- und Bakterienbesatz. Besonders schlimm wüten thermophile Schimmelpilze – also solche, die Temperaturen ab 45 Grad aufwärts lieben – in gepresstem Heu, das sich während des Lagerns aufheizt. Je höher der Pressdruck, desto mehr Pilze. Am größten ist das Problem also in Rund- und großen Quaderballen.

Tatsache ist: Das Raufutter wird immer schlechter. 2015 starben zwei von zehn erkrankten Pferden aus dem burgenländischen Andau, bei denen Besitzer und Polizei zunächst angenommen hatten, sie wären vergiftet worden. Tatsächlich waren aber Hefen und Schimmelpilze die Täter. Sie hatten das Grundfutter der Tiere derart durchseucht, dass schwerwiegende gesundheitliche Probleme im gesamten Bestand auftraten. Laboranalysen des Lehrstuhls für Tierernährung und Diätetik an der LMU München finden in jeder dritten Probe Schimmel- oder Schwärzepilze, Milben-, Bakterien- und Hefebefall sowie Verunreinigungen durch Sand, Erde oder Nagerkot jenseits der Toleranzgrenze. Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Ellen Kienzle weiß: „Pferde werden dadurch langsam, aber sicher lungenkrank. Bereits bei rund drei Viertel aller Pferde findet man Schädigungen, wenn man deren Lungen endoskopiert – selbst wenn sie nur hin und wieder husten.“
 

Heu entstauben – aber wie?

Der sogenannte Staub – also neben Pflanzenabrieb vor allem Keime und Sporen – findet sich auch in qualitativ hochwertigem Heu, nur eben in geringerer Konzentration. Aus diesem Grund sollte möglichst jedes Heu vor dem Verfüttern behandelt werden, auch wenn die Pferde noch keine Anzeichen einer Lungenerkrankung aufweisen.

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Heu Wässern bindet zwar den Staub, löst aber auch Nährstoffe aus dem Futter und kann unter Umständen sogar zu einem exponentiellen Anstieg von Bakterien und Keimen führen.
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Es reicht allerdings nicht, das Heu mit der Gießkanne nass zu machen, um den Staub oberflächlich zu binden. In den vergangenen Jahren wurden daher Ansätze gesucht, die für eine nachhaltige Entstaubung sorgen sollen. Der Maschinenbauingenieur Christian Reinsdorff aus Treffen in Kärnten hat beispielsweise eine patentierte Heuentstaubungsanlage auf den Markt gebracht (www.heuentstaubung.at), in die alle handelsüblichen Rund- und Quaderballen passen. Das Heu wird durch eine Fördereinrichtung zu einer Schneid- und Schlegelvorrichtung transportiert, welche die Halme auf 12 cm kürzt und deren Struktur zerstört. Dadurch werden sämtliche Staub-, Pollen- und Sporenanteile freigesetzt und anschließend abgesaugt. Rund 80 bis 85 % der Keime und Sporen werden auf diese Art entfernt, so Reinsdorff. 100 % seien nicht möglich, denn ein zu starker Saugvorgang würde auch wichtige Blütenbestandteile zerstören. Der restliche Staub wird daher durch eine geringe Feuchtigkeitszufuhr gebunden. Das Verfahren wurde von der AGES getestet, mit dem Ergebnis, dass im Endprodukt „kein freier, grobsinnlich wahrnehmbarer Staubanteil mehr festgestellt“ werden konnte. Die Grundqualität des Heus muss aber trotz der Entstaubung durch die Maschine stimmen. „Wenn Sie vorne schlechtes Heu reingeben, kommt hinten natürlich kein qualitativ hochwertiges raus“, sagt Reinsdorff. 250 kg Heu pro Stunde schafft die 10 x 6 x 4 Meter große Anlage und ist daher eher für größere Betriebe zu empfehlen, „ab 20 bis 25 Pferden rechnet sich das, außerdem kann man die Anlage, die rund 58.000 Euro kostet, auch leasen“, so Reinsdorff. Bislang wurden bereits zwei Heuentstaubungsanlagen in Deutschland installiert, die neben einer besseren Gesundheit der Pferde auch für arbeitstechnische Entlastung sorgen: „In Kombination mit unserer innovativen Schubkarre mit integrierter Waage wird die Heufütterung enorm erleichtert und vereinfacht – und vor allem erhält jedes Pferd so viel Heu, wie es braucht.“ Damit auch kleinere Betriebe bzw. Einzelpferde in den Genuss von entstaubtem Heu kommen können, bietet Reinsdorff auch bereits entstaubtes Heu verpackt zum Kauf an.

Dampf ist besser als Wasser

  • Schimmel, Pilzsporen, Bakterien und Milben werden nicht nur gebunden, sondern abgetötet.
  • Es bildet sich kein keimbelastetes Abtropfwasser als Nährboden für Bakterien und Hefen.
  • Das Heu bleibt schmackhaft.
  • Der Nährwert bleibt fast vollständig erhalten.
  • Die Anzahl der Kauschläge des Pferdes beim Fressen erhöht sich.

Dämpfen statt Wässern

Für den Privatpferdehalter oder kleinere Betriebe war der Klassiker bei Atemwegsproblemen bislang das stundenlange Wässern des Heus in einem Trog. Dadurch werden neben dem Staub allerdings auch die Nährstoffe ausgewaschen. Ein positiver Effekt: Auch der Zuckergehalt im Heu nimmt ab – speziell bei Hufrehe-anfälligen Tieren wird daher gerne lange und ausführlich gewässert. Einer aktuellen Studie des Schweizer Instituts für Nutztierwissenschaften zufolge steigt aber mit zunehmender Wässerungsdauer der Keimgehalt im Heu rasant an. Insbesondere Hefen gedeihen prächtig in dem feuchtwarmen Klima. Lediglich eine Wässerung von fünf Minuten führte zu keiner nennenswerten Keimvermehrung. Gewässertes Heu, das drei Tage lang aufgehoben wurde, war bereits so stark verdorben, dass die Futterprobe warm wurde. Die Lösung der Wissenschaftler: Heu bedampfen statt wässern. „Durch das Dämpfen nahm der Besatz an Bakterien, Schimmelpilzen und Hefen ab“, so das Fazit der Untersuchung. „Auch bei den Probennah men drei Tage nach dem Dämpfen stiegen die Werte nicht an.“ Auf die Inhaltsstoffe hatte das Dämpfen nur geringe Auswirkungen, ähnlich wie beim Dampfgaren von Gemüse. Der Trockensubstanzgehalt sank nur von 89 auf 80 %. Beim Wässern hingegen lagen die Nährwerte – je nach Dauer des Einweichens – nur noch zwischen 32 und 17 %. Wasserlösliche Mineralien wie Kalium und Natrium werden beispielsweise komplett aus dem Heu herausgewaschen. Dieses Problem lässt sich zwar laut Dr. Dorothe Meyer von iWEST Tier-Ernährung durch die Zugabe von einem Esslöffel Kochsalzlösung pro zehn Liter Wasser lösen. Die Expertin gibt aber zu bedenken: „Nasses Heu stört ein zusammenhängendes System – das Pferd produziert weniger Speichel und kann dadurch das Futter schlechter verdauen.“

Bedampftes Heu hingegen wird einer Untersuchung des Kentucky Equine Research Centre zufolge besonders sorgfältig gekaut, womöglich weil es den Pferden besser schmeckt als eingeweichtes. Die Anzahl der Kauschläge liegt sogar höher als bei unbehandeltem Heu. Dies führt zu einer verstärkten Speichelproduktion, die wiederum den Magen vor zu hoher Säurebelastung schützt. Falls Sie einen Rehepatienten haben und trotzdem wässern wollen, um den Zuckergehalt des Heus zu verringern, gibt es zumindest eine vertretbare Lösung: Erst wässern, dann bedampfen. Mag. Elisabeth Lischka PMM von der Firma Pferdperfekt, die das Heubedampfungsgerät „Haygain“ vertreibt (www.pferdperfekt.com, ab 830 Euro), gibt allerdings zu bedenken: „Bei Hufrehe-Pferden müsste gemäß einer britischen Studie aus dem Jahr 2014 das Heu relativ lange eingeweicht werden, um wirklich signifikante Reduktionen wasserlöslicher Kohlenhydrate zu erzielen, nämlich rund neun Stunden. In dieser Zeit ist das Heu allerdings in einem miserablen hygienischen Zustand. Hier wird empfohlen, nach dem Einweichen unbedingt zu bedampfen – und es sollte für solche Pferde vor allem Heu gewählt werden, das von vornherein möglichst zuckerarm ist.“

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Wesentlich ist die vollständige Durchdringung des Heus mit Hochtemperatur-Dampf. © HAYGAIN

Kaufen oder selber bauen?

Der Haygain ist heute der bekannteste Heubedampfer. Er entfernt Keime nachweislich zu 99 %. Dazu wird ein Ballen oder loses Heu eine Stunde lang mit über 100 Grad heißem Dampf behandelt. „Das Herzstück des Geräts ist ein patentiertes Düsensystem, das den Dampf gleichmäßig in alle Richtungen verteilt“, erklärt Pferdperfekt-Inhaber Christian Gutenbrunner. Dies, und die Tatsache, dass das Gerät komplett dicht verbaut ist, unterscheidet es von den zahlreichen Selbstbauten, die unter Pferdehaltern kursieren. Denn grundsätzlich kann ein solcher Bedampfer auch aus einer umfunktionierten Mülltonne gebaut werden – mit dem Unterschied, dass diese weder luftdicht abschließt noch der heiße Dampf bis in die Mitte des Heuballens dringt. Dies kann am Ende denselben Effekt bringen wie das Einweichen von Heu, wie eine Studie der Royal Agricultural University im britischen Gloucestershire beweist. „Teilweise gedämpftes Heu reduzierte die freien, lungengängigen Teilchen um 88 % – ein deutlich niedrigerer Wert als jener, der mit Einweichen oder mit dem Haygain erreicht wird. Es verringerte aber nicht wesentlich die Schimmel- oder Bakterienkonzentrationen im Vergleich zu trockenem Heu“, so Rebecca James von Haygain, die an der Studie mitgearbeitet hat. „Die Autoren beschreiben die hausgemachten Dampfer mit ihren warmen, feuchten Bedingungen als Inkubator, der Bakterienwachstum stimuliert. Das bestätigt die Bedeutung von Hochtemperatur-Dämpfen mit voller Dampf-Durchdringung.“

Dr. Adler von der AGES stellt klar: „Hundertprozentig frei von Schadstoffen bringen Sie das Heu niemals. Aber mit einer Temperatur von über 85 Grad zerstört man viele Strukturen und Pilzsporen, die sonst große Schwierigkeiten gemacht hätten. Im besten Fall gibt man bereits hochwertiges Heu in den Bedampfer hinein.“ Denn selbst die beste Bedampfung kann nichts gegen die Stoffwechselprodukte der Pilze, die Mykotoxine, ausrichten. Diese verursachen Schäden im Magen-Darmtrakt, in Leber und Niere und lösen Allergien aus. Sie sind temperaturresistent und bleiben auch dann im Heu, wenn sämtliche Sporen abgetötet werden.

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Haygain-Heubedampfer gibt es in unterschiedlichen Größen passend zum jeweiligen Bedarf.
© HAYGAIN

Erfahrungen mit Bedampfung

Nicht nur in der Pferdeklinik der Veterinärmedizinischen Universität Wien, auch in zahlreichen Pferdebetrieben wird der Haygain mittlerweile eingesetzt. Dipl.-Agraringenieurin Karin Kattwinkel benutzt ihn zum Beispiel in ihrem Pferdegesundheitszentrum Equo Vadis in Walsrode. „Wir haben immer allergische Pferde und Hustenpatienten hier und sind mehr als nur positiv überrascht“, sagt sie. „Bisher ‚heuallergische‘ Pferde können uneingeschränkt mit dem bedampften Heu gefüttert werden. Wichtig ist nur, dass das behandelte Heu noch am selben Tag verfüttert wird, da es ja nach der Behandlung sehr viel Feuchtigkeit enthält und entsprechend rasch verschimmeln würde.“

Die Frage, wie lange bedampftes Heu einwandfrei genießbar bleibt, ist eine der häufigsten, die Haygain-Kunden stellen. Daher wurde auch dieses Thema im Rahmen der Schweizer Studie geklärt: Nach 24 Stunden sind die Keimzahlen in dem bedampften Material noch beinahe unverändert. Selbst 48 Stunden danach könne man das Heu noch bedenkenlos verfüttern, die offizielle Empfehlung liegt aber bei 24 Stunden. Kattwinkel betont, dass sie seit dem Einsatz von Haygain keinen hohen Wasserverbrauch mehr habe, kein Bewässerungs- Abwasser und kein Kotwasserproblem, was vorher bei Heulagefütterung oft auftrat. Sie warnt jedoch davor, den Bedampfer allzu sorglos einzusetzen und damit verdorbenes Futter in hochwertiges Heu verwandeln zu wollen. „Aber in Zeiten, in denen es durch die hochtechnisierte maschinelle Werbung des Heus und festes Pressen immer schwieriger wird, von Pilzsporen und Staub unbelastetes Heu zu bekommen, ist die Behandlung mit dem Haygain immerhin eine Möglichkeit, die Pferde dennoch nicht über die Fütterung krank zu machen.“