Haltung

Nonplusultra Offenstall?

Ein Artikel von Sven & Peggy Morell | 08.03.2024 - 12:17
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Ein gut geführter Offenstall mit viel Platz, individueller Fütterung und einer harmonischen Herde ist das Ideal, aber nicht immer in der Nähe zu finden. © Alessandra Sarti

In der Theorie ist die Offenstallhaltung überzeugend: Die Vierbeiner können sich den ganzen Tag nach Belieben bewegen, gemeinsam mit Artgenossen spielen, fressen und dösen. Ihnen weht zudem stets Frischluft um die Nüstern oder prasselt gelegentlich – wenn gewollt – Regen auf die Kruppe. Doch in der Praxis hapert es oft, denn in vielen Offenställen treten mitunter Probleme auf. Pferdebesitzer:innen, die bereits schlechte Erfahrungen gesammelt haben, sind nicht selten überzeugt: „Mein Pferd ist nicht für den Offenstall geeignet.“ Dabei liegt es meist nicht am Vierbeiner – sondern am Offenstall, der schlichtweg nicht zum Pferd passt.


Fallstricke im Offenstall

Das rührt zum einen daher, weil der Begriff weit gefasst werden kann: Vom knietiefen Matschplatz mit notdürftigem Unterstand bis hin zum Aktivstall mit ausgeklügelter Raumaufteilung sowie computergesteuerter Fütterung fallen zahlreiche Varianten in diese Kategorie. Nicht alles, was sich „Offenstall“ nennt, ist aber auch wirklich pferdegerecht. Damit sich das Pferd wohlfühlen kann, müssen einige Grundvoraussetzungen erfüllt sein – eine davon ist genügend Platz: Welche Bedingungen unbedingt erfüllt sein müssen, ist im „Handbuch zur Überprüfung der Mindestanforderungen für die Haltung von Pferden und anderen Equiden in Österreich“, herausgegeben von der Fachstelle für tiergerechte Tierhaltung und Tierschutz, ersichtlich (nachzulesen u. a. bei www.tierschutzkonform.at).

Nicht alle Pferde kommen allerdings mit diesen Mindestmaßen zurecht, werden in der Folge aggressiv oder lethargisch – und mitunter vorschnell als „offenstalluntauglich“ abgestempelt. Wäre mehr Platz vorhanden, würden vermutlich auch mehr Pferde in einem Offenstall gut klarkommen. Daher gilt: Großzügige Liegemöglichkeiten, reichlich Auslauffläche und genügend Fressplätze tragen entscheiden dazu bei, ob das Konzept „Offenstall“ funktioniert. Auch die räumliche Situation ist wichtig: Hat der Liegebereich zwei Ausgänge, ist er eher quadratisch oder ein langer Schlauch, gibt es Raumteiler? Für Pensionspferdebetriebe ein Dilemma: Sie möchten ihren Einstellpferden zwar ausreichend Platz bieten, wirtschaftlicher ist es aber, möglichst viele Pferde auf der vorhandenen Fläche unterzubringen. Schließlich haben viele Betriebe ohnehin schon an den aktuellen Bedingungen schwer zu knabbern.

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Großzügige Liegemöglichkeiten, reichlich Auslauffläche und genügend Fressplätze tragen entscheiden dazu bei, ob das Konzept „Offenstall“ funktioniert. © www.Slawik.com

Management und Mitbewohner entscheidend

Nicht nur viel Platz ist wichtig, auch das tägliche Stallmanagement trägt entscheidend dazu bei, ob die Vierbeiner sich im Offenstall wohlfühlen – oder eben nicht. Zu den wesentlichen Faktoren zählen beispielsweise:

  • Geringe Fluktuation: Bei ständigem Pferdewechsel entsteht Unruhe. Die Rangordnung muss jedes Mal neu geklärt werden, was zu vermehrten Rangeleien und mitunter Verletzungen führt. Zudem kann eine hohe Fluktuation im Pensionsstall auf Missstände hindeuten.
  • Individuelle Fütterung: Auch in Gruppenhaltung sollte es möglich sein, jedem Pferd seine individuelle Portion zuzuteilen. Das ist zugegeben eine Herausforderung und kann nur durch Fressstände oder computergestützte Fütterung gewährleistet werden. Oder die Pferdebesitzer:innen müssen mehr eingebunden werden, also etwa Kraftfutter selbst zufüttern.

Selbstverständlich muss darüber hinaus die Sauberkeit stimmen, die Qualität des Futters einwandfrei sein und der/die Stallbetreiberin über fundiertes Fachwissen und Erfahrung verfügen.

Bleiben noch die Vierbeiner selbst, die mitbestimmen, ob es im Offenstall klappt. Grundsätzlich sollte die Herde nicht allzu bunt gemischt sein, da die Anforderungen an den Stallbau dann enorm sind. Vor allem (Gitter-)Abstände sind problematisch, denn was für einen mächtigen Kaltbluthuf keine Gefahr darstellt, kann für einen zierlichen Ponyhuf zur Falle werden. Unterschiedliche Altersstufen sind im Offenstall grundsätzlich kein Problem, allerdings: Sehr junge Pferde sollten immer gleichaltrige Freunde haben, sehr alte Pferde hingegen sind mitunter nicht mehr so gut zu Fuß und mit Youngsters überfordert.

In gemischten Pferdeherden können Wallache, die sich wie Hengste benehmen, zu einem großen Problem werden. Schließlich sind Stutenbesitzer nicht erfreut, wenn der Wallach regelmäßig auf den Rücken ihrer Stute springt – abgesehen von der Verletzungsgefahr. Zudem gibt es noch den „Problemfall“ Hengste. Zwar kommt eine Studie der Freien Universiät Berlin zu dem Schluss, dass Hengste durchaus in Gruppen gehalten werden können, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dennoch: Einen Pensionsstall, der Hengste im Offenstall hält, dürfte mindestens ebenso schwierig zu finden sein wie die berühmte Nadel im Heuhaufen.

Offenstall – Aktivstall – Paddock Trail: Was sind die Unterschiede?

Ein Offenstall gliedert sich traditionell in einen Innenbereich mit sich direkt daran anschließendem Auslauf. Im Innenbereich befinde sich die Liegefläche, Fressplätze können sowohl im Innen- als auch im Außenbereich vorhanden sein. Bei einem Aktivstall kommen zusätzlich spezielle Bewegungsanreize für die Pferde hinzu, etwa bauliche Umwege durch Zäune oder Baumstämme und lange Wege zwischen den einzelnen Bereichen wie zum Beispiel Raufe und Tränke. Oft erfolgt die Futterzuteilung in Aktivställen via Computer, die Pferde tragen dafür einen speziellen Chip. Mit diesem ist auch eine Zutrittskontrolle zu bestimmten Bereichen möglich – beispielsweise auf die Weide oder in sogenannte Chill-Out-Boxen, in denen die Vierbeiner entweder Ruhe oder Extra-Futter finden. Unterschiedliche Bodenbeläge sind ebenfalls typisch. Auch ein Paddock-Trail ist grundsätzlich ein Offenstall, der zusätzliche Bewegungsanreiz wird durch einen Rundweg geschaffen, auf dem verschiedene Funktionsbereiche wie etwa mehrere Futterstellen, Lecksteine, Wälzplatz, Unterstände usw.) räumlich möglichst weit verteilt angeordnet sind.

Alternativen zum Offenstall

Grundsätzlich kann also (fast) jedes Pferd im Offenstall gehalten werden, wenn auf die Bedürfnisse der Bewohner ausreichend eingegangen wird. Aber: Für Pferdebesitzer ist es schlichtweg nicht immer möglich, einen solchen, optimal auf die Bedürfnisse ihres Schützlings zugeschnittenen Offenstall zu finden – noch dazu in angemessener Entfernung. Dann muss ein adäquater Kompromiss her:

Eine Innenbox ist eigentlich keine Alternative, denn die Haltung in einer solchen ist oft nicht pferdegerecht: Ein so großes Tier auf einer Fläche von etwa zwölf Quadratmetern für viele Stunden am Tag einzusperren, sollte heutzutage nicht mehr vorkommen. Ein Pferd braucht freie Bewegung und Artgenossen. Es gibt sicher Betriebe, die trotz Innenboxenhaltung den Pferden ausreichend Auslauf mit Artgenossen bieten, allerdings stehen noch immer zu viele Pferde zu viele Stunden in zu engen Innenboxen. Übrigens: Freie Bewegung heißt, das Pferd darf selbst bestimmen – Führanlage oder Laufband zählen also nicht dazu.

Eine Verbesserung der reinen Innenbox ist die sogenannte Kurtz-Box, benannt nach ihrem Erfinder Andreas Kurtz (auch als „Sozialgitter“ bekannt, siehe PR 8/2016). Ein Teil der Zwischenwand ist hier durch senkrechte Gitterstäbe, die bis zum Boden reichen, ersetzt. Die Pferde können den Kopf hindurch strecken und so besser Kontakt zum Nachbarn aufnehmen, beispielsweise gegenseitig Fellpflege betreiben. Vor allem für Hengste, die ja zum Großteil in Einzelboxen leben, kann dies eine Verbesserung sein. Der tägliche Auslauf muss dennoch gewährleistet werden.

Außenboxen sind nicht viel besser zu bewerten als Innenboxen, zumindest was den Platzbedarf und den Kontakt zum Nachbarn betrifft. Den Pferden wird hier lediglich die Möglichkeit geboten, hinauszuschauen, was die Langeweile ein wenig abmildern kann und für mehr frische Luft sorgt. Ansonsten überwiegen wie auch bei der Innenbox die Nachteile und es muss entsprechend für ausreichend Bewegung und Kontakte mit anderen Pferden gesorgt werden.

Viele Pferde leben mittlerweile in Paddockboxen. Diese Boxen mit direkt angrenzender „Terrasse“ bieten zum einen mehr Platz als reine Boxen, immerhin erweitert sich das Platzangebot in der Regel im Vergleich etwa auf das Doppelte. Außerdem können die Pferde frei entscheiden, wann sie draußen stehen und wann lieber nicht. Das gilt natürlich nur, wenn die Tore zum Paddock bei schlechtem Wetter nicht geschlossen werden, was leider in manchen Betrieben durchaus Usus ist. Als Mittelweg zwischen Innen- und Paddockbox wird mitunter der Zugang zum Paddock nachts grundsätzlich verschlossen, beispielsweise wenn sonst nicht sichergestellt werden kann, dass nachts kein Unbefugter von außen an den Stall gelangt. Paddockboxen können allerdings auch nur dann eine mögliche Alternative zum Offenstall sein, wenn die Pferde zusätzlich täglich bei jeder Witterung mehrere Stunden gemeinsam mit Artgenossen auf die Weide oder auf einen Schlechtwetterauslauf dürfen, schließlich ist die Bewegungsmöglichkeit im Paddock doch sehr begrenzt.

Einige Pferdebetriebe bieten „Mini-Offenställe“ an, also Offenställe, in denen vielleicht nur zwei (oder vier) Pferde zusammenleben. Gerade für Vierbeiner, die bereits älter sind oder – vielleicht aufgrund nicht artgerechter Aufzucht – sich grundsätzlich in größeren Herden schwertun, oft eine durchaus gute Lösung. Diese Mini-Offenställe können auch – wenn baulich möglich – durch das Zusammenlegen von zwei (oder mehreren) benachbarten Paddockboxen erfolgen. Solche flexiblen Boxensysteme müssen aber schon beim Stallbau mit eingeplant werden, nachträglich ist eine solche Veränderung oft nur schwer umsetzbar.

In Laufställen wohnen die Pferde gemeinsam in einem Innen- oder Außenstall, der idealerweise in Liege- und Fressbereich unterteilt ist. Ist der Stall entsprechend großzügig dimensioniert und die Vierbeiner dürfen zusätzlich täglich an die frische Luft, ist diese Haltungsform durchaus okay. Allerdings ist sie in Pensionsställen selten zu finden, sondern eher in Gestüten oder Aufzuchtställen.

Eine weitere Alternative zum Offenstall ist die ganzjährige Weidehaltung. Diese Haltungsform entspricht dem Herden- und Lauftier sehr, sie stellt aber große Anforderungen an das Management: Notwendig sind unter anderem ein geeigneter Standort mit entsprechender Bodenbeschaffenheit (Sandböden trocknen schneller ab als Lehmböden), sehr große Flächen für wenig Pferde, ein stets trockener, zugluftfreier, eingestreuter Unterstand, ganzjährige, frostfreie Wasserversorgung sowie befestigte Futterplätze für die Zufütterung. Ansonsten wird aus der ganzjährigen Weidehaltung recht schnell eine matschige, unhygienische Angelegenheit.

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Rundstall: Nach innen haben die Pferde einander alle im Blick ...

Exotisch: Rundstall

Runde Gebäude auf Pferdehöfen sind nicht neu, Longierhallen oder Führanlagen – oder die Kombinationen aus beiden – sind weit verbreitet. Runde Ställe hingegen haben noch Seltenheitswert. Dabei gibt es die ungewöhnliche Stallform für Kühe, Schweine, Schafe und Ziegen schon länger. Einige wenige Stallbaufirmen bieten mittlerweile auch für Pferde runde – beziehungsweise vieleckige – Behausungen an. Beispielsweise „verwandelt“ die Firma Uwe Kraft Reitsportgeräte & Metallbau GmbH mit Sitz im deutschen Baden-Württemberg eine Zwölfeck-Stahlkonstruktion in einen Rundstall mit elf Boxen. Die einzelnen Boxen selbst sind nicht rund, weisen jedoch eine Eigenart auf: Durch die Kreisform des Gebäudes werden die Boxen zur Außenseite hin automatisch breiter – das bedeutet mehr Platz für die Vierbeiner. Zum Kreismittelpunkt hingegen würden diese spitz zulaufen, deshalb bleibt bei Rundställen immer ein Innenkreis „übrig“, der beispielsweise als überdachter Putzplatz, Lager- oder Arbeitsraum genutzt werden kann. Weitere Besonderheit: Alle Pferde eines Rundstalles haben im Inneren stets alle Stallkameraden im Blick – nicht wie in einem gewöhnlichen Stall nur die Pferde nebenan und gegenüber. Wichtiges Plus eines Rundstalles sind die kurzen Arbeitswege, denn eine lange Stallgasse gibt es nicht.

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... nach außen hat jede Box einen Paddock, die Arbeitswege sind mangels Stallgasse kurz.

Das runde Gebäude kann zur alleinigen Nutzung als Stall konzipiert (mit Nutzung des Innenzirkels zum Beispiel als Putzplatz) werden. Möglich ist auch eine Kombination von Boxen und Führanlage. Dabei liegt die Führanlage entweder außen, im Inneren sind die Boxen angebracht. In diesem Fall ist die Führanlage recht großzügig bemessen, von entscheidendem Nachteil ist aber, dass ausschließlich reine Innenboxen möglich sind. Liegt die Führanlage oder optional der Longierzirkel hingegen innen und die Boxen sind außen herum angeordnet, können zusätzlich an die Boxen Paddocks angebaut werden, wodurch neben zusätzlichem Raumangebot ein luft- und lichtdurchfluteter Stall entsteht. Verstehen sich zwei Nachbarpferde gut, ist – insofern die Abtrennungen entfernt werden können – wie bereits oben erwähnt ein „Mini-Offenstall“ realisierbar.

Auch wenn Rundställe durchaus gewisse Vorteile gegenüber den klassischen, eckigen Bauten bieten, sind sie (bisher) kaum anzutreffen. Allerdings gilt auch hier: Als Alternative zur Offenstallhaltung ist nur die Paddockvariante mit zusätzlichem Auslauf – oder die Version „Mini-Offenstall“ durch zwei oder mehr zusammengelegte Nachbarboxen – akzeptabel.
 

Offenstall: Ja, aber …

Klar ist: Von den gängigen Haltungsformen, die auch eine Nutzung der Pferde ermöglichen, kommt der Offenstall den grundlegenden Bedürfnissen der Lauf- und Herdentiere am nächsten. Viele Pferdebesitzer:innen haben das erkannt, weshalb sich Offenställe großer Nachfrage erfreuen. Kritiker führen gerne das Argument an, dass nicht jedes Pferd für die Haltung im Offenstall geeignet sei. Es ist aber meist vielmehr so, dass der konkrete Offenstall nicht zum Vierbeiner passt, da dessen individuelle Ansprüche nicht berücksichtigt werden (können). Auch die Entfernung vom Wohnort des Besitzers spielt eine wichtige Rolle, schließlich soll die tägliche Fahrt in den Stall nicht zum Zeiträuber werden – ganz abgesehen von den hohen Spritkosten. Nicht zu vergessen: Der Zweibeiner sollte sich im Stall ebenfalls wohlfühlen. Um all das unter einen Hut zu bringen, kann beispielsweise auch eine große Paddockbox mit täglichem Auslauf, ein Mini-Offenstall, ein Laufstall oder die ganzjährige Haltung auf der Weide eine akzeptable Alternative zum Offenstall darstellen. Die eigene Bequemlichkeit hingegen sollte nicht in die Stallauswahl mit einfließen: Natürlich ist ein in einer Innenbox gehaltenes Pferd stets schnell für das Training verfügbar, das ist aber keine Rechtfertigung dafür, dem Vierbeiner die Erfüllung seiner Bedürfnisse zu verwehren. Deshalb ist die Haltung in Innen- oder Außenboxen auch nur dann als Kompromiss hinnehmbar, wenn die Pferde reichlich Zeit außerhalb dieser vier Wände verbringen – und zwar gemeinsam mit ihresgleichen.