Gesundheit

Frühe Anzeichen von Cushing werden oft übersehen

Ein Artikel von Redaktion | 18.10.2022 - 13:42
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Es muss nicht immer ein langes, gelocktes Fell sein: Das Equine Cushing Syndrom kann sich anfangs durch weniger auffällige Fellveränderungen bemerkbar machen.   ©www.Slawik.com

Das Equine Cushing Syndrom (ECS), wissenschaftlich als PPID für Parpituary (Hypophyse) Pars Intermedia Disease bezeichnet, wird in der Regel mit Hufrehe und langem Fell in Verbindung gebracht. Das gesamte Spektrum der vielfältigen Symptome mit ihren komplexen Zusammenhängen ist allerdings selbst für erfahrene Pferdemenschen nicht immer auf Anhieb richtig zuzuordnen. Das ist auch ein Grund, warum ECS oft erst dann diagnostiziert wird, wenn der Zustand bereits fortgeschritten ist. Das bestätigt eine aktuelle Übersichtsstudie aus Australien.


Jedes fünfte Pferd über 15 betroffen

PPID ist die häufigste endokrine Erkrankung älterer Pferde und beeinträchtigt die Lebensqualität, die Funktion des Immunsystems und die sportliche Leistungsfähigkeit. Studien zufolge erkranken mittlerweile 21 % aller Pferde über 15 Jahren daran. Auch wenn es teilweise so wirkt, als wäre Cushing zur Modediagnose geworden, kann Dr. Sonja Berger von der Klinik für Interne Medizin für Pferde an der Vetmeduni Wien diesen Verdacht entkräften: "Die relative Häufigkeit der Diagnose rührt eher daher, dass die Pferdepopulation immer älter wird und der Bekanntheitsgrad der Krankheit unter Tierärzten und Besitzern in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen ist."

Entgleiste Hormone

Die Hypophyse, die Hirnanhangsdrüse, wird durch Nervenbotenstoffe aus sogenannten dopaminergen Nervenzellen reguliert. Bei ECS-Pferden sind diese dopaminergen Nervenzellen jedoch nachweislich reduziert. Als Ursache für die Zerstörung dieser Zellen gilt vor allem lokaler oxidativer Stress, wobei bis heute nicht restlos geklärt ist, was diesen Stress auslöst. Man vermutet einen Zusammenhang mit langjährigem Übergewicht bzw. einer zucker- und stärkereichen Fütterung. Ganz von der Hand zu weisen ist der Verdacht, bei Cushing handle es sich um eine "Wohlstandskrankheit", also nicht.

Hier, bei der Zerstörung der dopaminergen Nervenzellen, beginnt der Teufelskreis, denn durch den verminderten dopaminergen Einfluss kommt es zu einer Vergrößerung und Entartung hormonproduzierender Zellen der Pars intermedia des Hypophysenvorderlappens. Die entstehende Geschwulst der Pars intermedia produziert in der Folge große Mengen an Eiweißmolekülen, die unter anderem Auswirkungen auf den Zucker-, Fett- und Insulinstoffwechsel, das Verhalten des Tieres und den Entzündungsstatus des Körpers haben.

Eines dieser Eiweißmoleküle ist das adrenocorticotrope Hormon (ACTH), das in der Nebennierenrinde zu einer vermehrten Ausschüttung des Stresshormons Kortisol führt. Und Kortisol ist der Steuermann für wichtige Stoffwechselvorgänge. Es hemmt bei erhöhtem Vorkommen den Muskelaufbau und ist vor allem als "Stresshormon" bekannt: Es versetzt den Körper in Alarmbereitschaft und erhöht den Blutzuckerspiegel. Doch nicht nur ACTH wird vermehrt ausgeschüttet. Durch die gesteigerte Absonderung des α-Melanozyten-stimulierenden Hormons zeigen Cushing-Pferde ein verändertes Fellwachstum, die erhöhte Synthetisierung von β-Endorphinen macht betroffene Pferde lethargisch und unempfindlicher gegenüber Schmerzen.

Ein weiteres Problem von ECS ist das Auftreten einer möglichen Insulinresistenz. Sie ist eigentlich eine klassische Begleiterscheinung für das Equine Metabolische Syndrom (EMS), betrifft aber auch rund 30 % der Cushing-Pferde, so Dr. Berger. Pferde mit Insulinresistenz sind letztlich auch diejenigen, die am meisten gefährdet sind, die gefürchtete Hufrehe als Folgeerkrankung zu entwickeln.

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Fettkamm, Senkrücken, Hängebauch, Muskelschwund, das typische Cushing-Fell und Hufrehe: So eindeutig zeigt sich ECS erst in sehr fortgeschrittenem Stadium.
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Cushing hat viele Gesichter

Kardinalsymptom einer Cushing-Erkrankung ist der sogenannte Hirsutismus, das typische lange, gelockte Haar, das die Pferde winters wie sommers tragen, übermäßiges Trinken und Wasserlassen. Doch gerade diese Symptome sind häufig erst im Endstadium der Krankheit zu beobachten. Deutlich früher können sich ein verzögerter oder unvollständiger Fellwechsel, Farbänderungen – zum Beispiel Braunfärbung bei Rappen – und ein Leistungsabfall samt Lethargie einstellen. "Typisch sind außerdem Veränderungen des Erscheinungsbildes wie ein zunehmend weicher und schlecht bemuskelter Rücken, ein pendelnder Hängebauch, Fetteinlagerungen im Mähnenkamm und verquollen wirkende, tränende Augen", erklärt Dr. Sonja Berger. Erhöhte Infektanfälligkeit, schlechte Wundheilung, offene Stellen auf der Maulschleimhaut sowie, übermäßiges auch grundloses und bisweilen fleckenförmiges Schwitzen sind ebenfalls Hinweise auf eine mögliche Cushing-Erkrankung.

Obwohl das Bewusstsein rund um die Erkrankung in den vergangenen Jahren enorm angewachsen ist, macht es die Vielzahl möglicher Symptome nach wie vor schwierig, ECS allein aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes sicher zuzuordnen. Vor allem, solange sich die Krankheit noch im Frühstadium befindet. Dies bestätigen auch Naomi Kirkwood, Kristopher Hughes und Allison Stewart, die die vorhandene wissenschaftlichen Arbeiten rund um PPID analysierten um einen Überblick über aktuelle Perspektiven auf den Krankheitsverlauf, klinische Anzeichen, Diagnose und Behandlung zu geben. „Frühe klinische Anzeichen von PPID werden häufig übersehen, und die Krankheit wird oft nicht diagnostiziert, bis sie ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat“, lautet das Fazit des Trios nach Durchsicht von knapp 170 Studien zu diesem Thema.

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Meistens dient der ACTH-Wert im Blutplasma als Marker für eine vorliegende Cushing-Erkrankung. © www.slawik.com

Rechtzeitig testen

Zur  Früherkennung bedarf es in der Regel diagnostischer Tests. Als am genauesten hat sich hierbei der TRH-Stimulationstest erwiesen, so Kirkwood und Kolleg:innen. Am häufigsten wird jedoch der ACTH-Wert im Blutplasma bestimmt – der einfachste Test bei gleichzeitig hoher diagnostische Sicherheit, insbesondere, wenn er in den Monaten August bis Oktober durchgeführt wird. Zu dieser Jahreszeit steigt auch bei gesunden Pferden die Konzentration des Hormons im Plasma deutlich an, Cushing-Patienten reagieren jedoch mit einer überproportionalen Erhöhung. Ist der ACTH-Wert in diesem Zeitraum niedrig, gilt eine ECS-Erkrankung deshalb als sehr unwahrscheinlich.
 

Cushing-Pferde richtig managen

Zur Steigerung der Lebensqualität und zum Erhalt der sportlichen Leistung wird in der Regel eine Behandlung mit Pergolid in Form von Pergolidmesylat durchgeführt – derzeit der einzig zugelassene Wirkstoff zur Behandlung des Equinen Cushing Syndroms. Mit der Tablettengabe allein ist es allerdings nicht getan. Pferde mit diagnostizierter PPID erfordern ein hervorragendes Management und eine vorbeugende Gesundheitsversorgung.

So gilt es in der Fütterung nicht-strukturelle Kohlenhydrate, wie sie in Gras, Getreide, melassierten Zuckerrübenschnitzeln, Saftfutter (z. B. Äpfel und Karotten) und natürlich Brot reichlich stecken, möglichst zu vermeiden. „Wie strikt das Futter tatsächlich reguliert werden muss, kann nicht pauschal beurteilt werden. Das hängt sehr vom Nährzustand des Patienten und einer eventuellen begleitenden Insulinresistenz ab. Eine individuelle Futteranpassung ist daher immer ratsam", meint Dr. Berger.

Abseits von adäquater Fütterung und Pergolid schwört die Ernährungsspezialistin Prof. Ellen Kienzle auf Mobilmachung als probates Mittel gegen Cushingsymptome. "Was man machen muss, ist schlicht: bewegen, bewegen, bewegen! Es gilt grundsätzlich natürlich schon vorher, das Pferd altersentsprechend fit zu halten, es nicht fett werden zu lassen. Und wenn bei einem Cushingpferd ein starker Muskelabbau dazukommt: Bitte nicht den gutgemeinten Fehler machen, es zu schonen und stehen zu lassen. Es soll gleichmäßig im Training bleiben, aber es darf natürlich nicht überfordert werden. Auch gegen Insulinresistenz hilft Bewegung enorm, zumindest bei deren Reduktion."

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Gretchenfrage nach der Reitbarkeit des Pferdes. Die Prognose dafür fällt beruhigenderweise recht gut aus, so Dr. Berger: "Grundsätzlich sind Cushingpferde reitbar, sofern keine Begleiterkrankungen vorliegen. Viele Patienten sind, sofern sie gut eingestellt und gemanagt sind, vollständig belastbar.“

Rücksicht sollte auf das oft höhere Alter der Pferde sowie die cushingbedingten Bindegewebsschwächen mit erhöhtem Risiko eines Sehnenschadens genommen werden. Regelmäßige Kontrollen des Sattels decken auf, ob durch die Änderung des Körperbaus aufgrund der schwindenden Muskulatur im Rückenbereich Anpassungen nötig sind.

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ECS-Pferde brauchen vor allem viel Bewegung. © www.Slawik.com

Dr. Sonja Berger empfiehlt neben der "gut eingestellten medikamentösen Behandlung und ausreichend Bewegung unterstützende Maßnahmen wie das Scheren des Pferdes im Sommer, sofern der Fellwechsel nicht mehr gut funktioniert, regelmäßige Zahnkontrollen, regelmäßige Impfungen und Wurmkuren - möglichst nach parasitologischer Kotuntersuchung -, gezielte Behandlung von Sekundärinfektionen, sowie eine regelmäßige Kontrolle des Körpergewichts und des Mineralstoffhaushaltes."

Bei einer Cushingkrankheit lässt sich also an vielen Hebeln ansetzen, um einem betroffenen Pferd das Leben leichter zu machen. Heilbar ist ECS nicht. Aber mit dem richtigen Management können Pferde trotz ihrer Erkrankung noch viele Jahre gut damit leben.

Cushing – ein Fallbericht

Dass sich Cushing nicht immer ganz eindeutig offenbart, musste ich bei meinem Pferdesenior selbst erfahren. Erstmals bemerkbar machte sich die Krankheit, als mein damals 19-jähriger Vollblutaraberwallach mehr Winterfell bekam als üblich. Ich schob das auf sein Alter und auf die Tatsache, dass er aufgrund einer ausgedehnten Trockenperiode lange nicht eingedeckt werden musste. In der Folgezeit verlor er etwas an Gewicht, vor allem an der Kruppe wurde er immer spitzer. Muskelabbau kam mir da vorerst nicht in den Sinn, denn er wurde gleichbleibend viel gearbeitet. Stattdessen hatte ich das Heu in Verdacht, das mir aufgrund seiner groben Struktur für ein altes Pferd als nicht optimal verwertbar erschien. Dennoch ließ ich vorsichtshalber ein großes Blutbild machen, das allerdings keinerlei Hinweise auf eine mögliche Erkrankung lieferte. Der ACTH-Wert wurde dabei nicht erhoben. Obwohl der Test unauffällig war, blieb der leise Verdacht, dass da irgendetwas nicht ganz rund lief. Im Frühjahr ging es mit dem Gewicht wieder deutlich bergauf. Zu diesem Zeitpunkt erhielt mein Pferd nun zusätzlich Heu vom zweiten Schnitt, das weniger rohfaserreich und gehaltvoller war. Die spitze Kruppe wurde runder und ich war vorerst beruhigt. Es war also vielleicht doch einfach nur das Heu...

Dann war mein Wallach plötzlich stocklahm. Der Tierarzt fand einen Bluterguss im rechten Hinterhuf. Eine Diagnose, die mich nicht weiter wunderte. Der Auslauf der Pferde war diesem Zeitpunkt stellenweise mit großen Kieseln ausgelegt und mein bewegungsfreudiges Pferd nicht gerade besonders achtsam bei seinen Wettrennen mit den Kollegen. Mit der Öffnung des Blutergusses und einem Hufverband wurde die Lahmheit schlagartig besser, aber nur wenig später kam die nächste. Wieder ein Hufabszess. Und dann noch eines, und noch eines! Innerhalb von zwei Monaten hatte mein Wallach auf jedem seiner Hufe zumindest eines. Als die Steine vom Pferdeauslauf entfernt worden waren, hatte das ständige Lahmen vorerst ein Ende, mein Senior blieb aber weiterhin fühlig.

Im folgenden Sommer fiel mir auf, dass mein Wallach ungewöhnlich viel schwitzte. Das war deshalb so besonders, weil er sonst fast nie ins Schwitzen kam. Klar, er hatte etwas mehr Fell als in seinen jungen Jahren, aber von schönem Wuchs, kurz und glänzend. Bei einem langen, kringeligen Fell wäre ich wohl schneller auf Cushing gekommen. Doch davon war nichts zu sehen. Der Fellwechsel hatte auch relativ problemlos geklappt, wenn er mir auch insgesamt verzögert erschien.

Zum Ende des Sommers hin wurde mein Senior zunehmend träger, Ende August konnte man dem Winterfell beim Wachsen förmlich zusehen. Das war nun alles doch schon sehr ungewöhnlich. Der Fütterungszustand war zu diesem Zeitpunkt gut, allerdings fielen mir bei manchen Bewegungen leichte Kuhlen im Rückenbereich auf. Die hatte er früher nicht. Wenige Wochen später empfand ich ihn dann fast schon als zu rund. Ich bemerkte einen ungewohnten Fettpolster im Mähnenkamm und auch über den Augen hatten sich die gewohnten sanften Gruben nicht nur gefüllt, sondern fast schon nach oben ausgebeult. Zudem hatte sich die Trägheit weiter verschlimmert, mein sonst so engagiertes Pferdchen kam plötzlich nur noch im Schneckentempo voran.

Damit war der Groschen endgültig gefallen. Die Summe der Symptome deutete jetzt recht klar auf Cushing hin. Der Verdacht wurde durch den ACTH-Wert bestätigt: 135,0 pg/ml bei einem Referenzwert von max. 29 pg/ml, Cushing im Anfangsstadium. Umgehend wurde eine Behandlung mit Pergolidmesylat (Prascend) eingeleitet und nach einigen Wochen ging es deutlich bergauf. Die Fettpölster verschwanden, die Energie kam zurück ins Pferd, das ungewohnte Schwitzen verschwand und von Hufabszessen und Fühligkeit konnten wir uns glücklicherweise verabschieden. Mittlerweile lebt er seit sieben Jahren gut mit seiner Krankheit. Die Medikation hat ihm seine Lebensqualität zurückgebracht.

Rückblickend gesehen, hätte man die Erkrankung natürlich schon deutlich früher erkennen und behandeln können, denn erste Anzeichen waren zweifellos da. Nur eben nicht so eindeutig, dass sich Cushing als Ursache ganz klar aufgedrängt hätte. Viele Symptome (vermehrte Fellbildung, Gewichtsabnahme) habe ich auf das Alter geschoben, auch wenn ich durchwegs ein komisches Gefühl hatte, dass sich vielleicht doch mehr dahinter verbergen könnte. Heute kann ich nur jedem empfehlen, bei einem betagten Pferd lieber eher als später an Cushing zu denken, sofern es Probleme gibt. Meinem Wallach hätte eine frühere Diagnose einiges erspart.         Pamela Sladky