Wenn ursprünglich brave Pferde plötzlich auffälliges Problemverhalten zeigen, dann ist irgendetwas im Busch. Wer augenscheinliche Auslöser wie Veränderungen in der Herde, unpassende Ausrüstung oder falsches Training ausschließen kann, sollte deshalb immer einen Tierarzt oder eine Tierärztin zu Rate ziehen. Denn in vielen Fällen sind Schmerzen Auslöser für unerwünschte Verhaltensweisen beim Pferd. Doch nicht immer ist eine veterinärmedizinische Untersuchung von Erfolg gekrönt. Manchmal bleibt die Ursache trotz sorgfältiger Diagnostik im Verborgenen.
Genau mit solchen Fällen beschäftigte sich ein Team der Colorado State University fünf Jahre lang. Im Zuge einer Studie, die im Dezember 2021 veröffentlicht wurde, wurden 14 Pferde untersucht, die wegen groben Fehlverhaltens und massiver Leistungseinbußen an die Veterinärklinik der Universität überwiesen worden waren.
Gefahr für sich selbst und andere
Alle Pferde galten im Allgemeinen als gut erzogen, im Stall waren sie umgänglich und leicht zu handhaben. Die Probleme begannen, sobald man sie aus der Box nahm, um sie zu arbeiten. Dann zeigten die Tiere derart gravierendes Abwehrverhalten, dass sie zur Gefahr für sich selbst und andere wurden. Weil wiederholte und umfangreiche diagnostische Untersuchungen keine zugrunde liegende Ursache ans Licht brachte und mehrere Therapien das Verhalten nicht änderten, entschieden sich die Besitzer:innen für den endgültigsten aller Auswege: die Euthanasie.
„Für alle Besitzer war das eine unheimlich schwierige Entscheidung. Sie kommen an diesen Punkt, weil sie der Meinung sind, dass es wirklich im besten Interesse des Pferdes ist, es zu erlösen“, erklärt Studienleiterin Melinda Story im Gespräch mit dem Magazin Equus. „Sie möchten nicht, dass das Pferd leidet. Dabei sieht das Pferd gar nicht so aus, als würde es leiden, wenn es nur im Stall steht. Doch sobald es bewegt wird, reagiert es schnell mit Abwehr – legt die Ohren zurück, während es aus der Box geht, und entwickelt ein wirklich gefährliches Verhalten.“
Wirbelsäulenbereich die Wurzel des Übels
Im Zuge der Diagnostik wurden die Studienpferde von einem Pferdechirurgen und einem Facharzt für Sportmedizin und Rehabilitation eingehend untersucht. Anhand der Krankengeschichte jedes Pferdes, einer myofaszialen Untersuchung (händische Untersuchung von Haut und Muskeln), Chiropraktik, Lahmheitsdiagnostik und neurologischen Untersuchungen sowie diagnostischer Bildgebung wurden vor der Euthanasie neuropathischen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule als vorläufige Diagnose angegeben.
Post morten nahmen die Forscher:innen alle Strukturen und Gewebe rund um die Wirbelsäule genauestens unter die Lupe. Dabei stellte sich heraus, dass alle Pferde eine mittelschwere bis schwere Ganglionitis in Bereichen der Wirbelsäule hatten – eine Entzündung in den Spinalganglien. Das Spinalganglion ist eine Struktur zwischen Rückenmark und peripherem Nerv, welche die Zellkörper von sensiblen Nervenzellen enthält. „Die Spinalganglien spielen eine wichtige Rolle bei der Weiterleitung peripherer sensorischer Informationen an das zentrale Nervensystem, und Ganglionitis wurde mit neuropathischen Schmerzsyndromen in Verbindung gebracht“, so das Forscherteam. Beim Menschen wurde Ganglionitis bei chronischen, neuropathischen Schmerzsyndromen dokumentiert.
Ganglionitis: Kaum zu diagnostizieren, keine Therapie
Beim lebenden Pferd gibt es bislang keine Möglichkeit, die Ganglien und ihren Zustand sichtbar zu machen. „Die Bildgebung des Achsenskeletts beim Pferd ist im Allgemeinen sehr schwierig. Die MRT ist die Bildgebung der Wahl in der Humanmedizin, ist aber im Achsenskelett des Pferdes nicht möglich.“
Nicht möglich sind derzeit außerdem spezifische Behandlungen oder Therapien bei Ganglionitis bei Pferden. „Wir stehen noch ganz am Anfang, diese Erkrankung beim Pferd zu verstehen“, sagt Story.
Doch nicht jedes Pferd, das aufgrund von Schmerzen Problemverhalten zeigt, leidet gleich an einer Ganglionitis. Die 14 Pferde, bei denen die Krankheit im Zuge der Studie festgestellt wurde, entsprechen lediglich 0,001 % der Pferde, die innerhalb von fünf Jahren an der Universitätsklinik vorgestellt worden waren. „Es gibt sicherlich viele Fälle, in denen die Schmerzursache festgestellt, behoben und das Verhalten verbessert werden kann.“ Dies sei letztlich auch der wesentliche Unterschied zu Pferden mit Ganglionitis: Bei ihnen ist jedwede Therapie vergebens.
Ursachenforschung Pflicht
Wer anhaltendes Problemverhalten bei seinem Pferd feststellt, sei dennoch gefordert, dessen Ursprung auf den Grund zu gehen. „Das Wichtigste, das ich den Besitzern mitgeben kann, ist, an sich selbst und ihr Pferd zu glauben. Besitzer bzw. Reiter kennen die Pferde besser als jeder andere. Allzu oft wird ihnen gesagt, dass es dem Pferd gut geht, und ihre Sorgen werden beiseitegeschoben. Der Besitzer ist der Fürsprecher seines Pferdes. Sie müssen weiter Druck machen, um Antworten zu finden, wenn sie wirklich glauben, dass etwas mit ihrem Pferd nicht stimmt.“
Problemverhalten führt häufig zu fragwürdigen bis hin zu missbräuchlichen Trainingsmethoden. Dabei liegt es meist im verzweifelten Versuch des Pferdes begründet, Angst oder Schmerz zu vermeiden. Im Sinne des Tierschutzes ist eine umfangreiche Ursachenforschung deshalb Pflicht.