Gesundheit

Seniorenturnen für Pferde

Ein Artikel von Claudia Götz/Red. | 26.10.2023 - 10:22
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Neues zu lernen macht Spaß und hält fit. © www.slawik.com

Wie sehen Alterserscheinungen beim Pferd aus? Wo liegt die Grenze zum Kranksein? Und wie viel darf ein älteres Pferd noch tun? Diese und ähnliche Fragen tauchen bei den meisten Besitzer:innen von älteren Pferden irgendwann auf. Die Antworten sind letztlich sehr individuell und vielschichtig. „Seniorenpferde können – je nach gesundheitlichem Zustand – durchaus noch geritten werden“, sagt die Autorin des Buches „Fitness für Seniorenpferde“, Karin Tillisch: „Hierbei gibt es keine Altersobergrenze, einzig und allein der Gesamtzustand des Pferdes entscheidet darüber, ob noch geritten werden kann. Ob und wie Ihr Senior noch geritten werden kann, sollten Sie immer mit dem Tierarzt Ihres Vertrauens absprechen“, erklärt sie. Aufschlussreich ist aber zum Beispiel auch die Entwicklung der Lösungsphasen: Werden sie länger? Lässt das Pferd überhaupt noch los, schnaubt es ab, läuft es in allen Gangarten taktrein ohne zu stolpern? Möchte es selber aufhören zu traben oder zu galoppieren, wo früher längere Reprisen problemlos möglich waren? Sieht es nach dem Reiten besser oder schlechter aus als vorher? Wie verhält es sich, wenn Sie es von der Weide holen oder mit dem Sattel kommen? 

Pferdesenioren unter dem Sattel

Können die Pferde noch geritten werden, sind vor allem Ausritte förderlich: Das Geradeaus ist gut für die Gelenke und liefert dennoch Trainingsanreize. Es bietet sich an, die Strecken so zu wählen, dass man – je nach Tagesform – auch schneller wieder zu Hause sein oder absteigen und führen kann. Vielen Pferden tut das Gerittenwerden noch sehr gut, wenn es rückenstärkend durchgeführt wird. Bergauf ist insgesamt förderlicher als bergab, zu steile Abstiege sollten vermieden oder geführt bewältigt werden. Problematisch können zu lange Schrittphasen werden, wenn das Pferd nicht gelernt hat, das Reitergewicht im Schritt über eine Dehnung des Nackenrückenbandes mit zu tragen. Abhilfe schafft dann eine Weile Führen oder – wenn möglich – eine Trabsequenz. Oftmals stellen Reiter:innen von Pferdesenioren fest, dass sie zwar noch gut traben können, sich aber im Galopp nicht mehr wohlfühlen. Das liegt daran, dass der Galopp als asymmetrische Gangart vom Pferd mehr muskuläre Kraft und Koordination verlangt (siehe zum Thema Galopp PR 7/2018, Seite 8). Selbstverständlich sollte man ein altes Pferd, ähnlich wie ein sehr junges, nicht mehr mit zu viel Gewicht belasten und auf gutes Aufwärmen besonderen Wert legen – zum Beispiel vom Boden aus. „Das Warm-up des älteren Pferdes sollte etwas achtsamer, länger und wesentlich ruhiger sein“, erklärt Tillisch in ihrem Buch: „Nach dem Warm-up folgt die Gymnastizierung. Dieser Part des Trainings ist bei einem älteren Pferd zum Erhalt der Beweglichkeit sehr wichtig.“ 

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Zwischendurch auch einmal abzusteigen und sein Pferd zu führen bringt Entlastung und Abwechslung. © www.slawik.com

Übungen für reife Pferde

Egal, ob man seinen Pferdesenior noch regelmäßig reitet oder nur spazieren geht und mit Bodenarbeit Abwechslung in den Alltag bringt – einfache gymnastizierende Elemente kann und sollte man nach dem Aufwärmen sowohl im Sattel als auch vom Boden aus einbauen.

Schritt – Halten: Anhalten und wieder antreten ist für das Pferd anstrengender als man meint. Es sollte dabei möglichst gleichmäßig alle vier Beine belasten. Wer die Übung an einem leichten Hang bergauf macht, erhöht zusätzlich den Schwierigkeitsgrad beim Antreten und fördert das gleichmäßige Belasten beim Halten. In kurzen Reprisen wiederholt (etwa alle vier bis acht Schritte halten), regt es die Pferde dazu an, sich im Widerrist anzuheben und sich zu tragen.

Rückwärtsrichten: Für Pferde, die sie unter dem Sattel mit Leichtigkeit machen, ist dies eine gute Übung, um die Tragkraft des Rückens zu erhalten und das Becken zu mobilisieren. Aber auch an der Hand vom Boden aus ist das Rückwärtsrichten eine wunderbare Übung, wenn man darauf achtet, dass das Pferd den Rücken nicht wegdrückt. Der Schwierigkeitsgrad erhöht sich, wenn man die Übung hangaufwärts anlegt, also beim Bergabgehen anhält und daraus rückwärtsrichtet. Aus dem Rückwärtsrichten mal mit dem linken, dann mit dem rechten Hinterbein anzutreten, fördert außerdem eine gleichmäßige Muskulatur.

Schritt-Trab-Übergänge: Um die Rückentätigkeit und Selbsthaltung des Pferdes zu fördern und dabei die großen Gelenke der Hinterhand zu mobilisieren, kann man in sehr kurzen Reprisen Schritt-Trab-Übergänge reiten oder führen. Der Trick ist, sozusagen im Antraben schon wieder durchzuparieren – im Sattel idealerweise über den Sitz, ohne Handeinwirkung.

Schulterherein: Schulterherein lässt sich, einmal erarbeitet, auch beim Spaziergang am Stallhalfter gut praktizieren. Es erhält die Koordinationsfähigkeit, mobilisiert die Wirbelsäule und kräftigt weite Teile der Reitpferdemuskulatur. Unter dem Sattel bieten sich auch das Reiten in Stellung oder Viereck verkleinern und vergrößern an. Wichtig ist bei allen Varianten, nur eine geringgradige beziehungsweise dem Vermögen des Pferdes angepasste Stellung und/oder Biegung zu fordern.

Zügelmaß variieren:Über Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen und Wiederaufnehmen im Schritt oder Trab findet das Pferd zu unterschiedlichen Kopf-Hals-Haltungen. Das spricht unterschiedliche Muskeln an und fördert zudem die Durchlässigkeit. Auch an der Hand lässt sich eine tiefere Einstellung des Kopfes und damit eine Dehnung der Oberlinie erwirken.

Tempounterschiede: Sie fördern Durchlässigkeit und Kraft. Beim alten Pferd sind sie zumeist im Schritt (auch an der Hand) oder im Trab möglich. Je nach Pferdetyp kann man auch mit dem Pferd joggen und dabei das Trabtempo variieren.

Wer unsicher ist, womit er seinem alternden Pferd etwas Gutes tut, der sollte eine:n Physiotherapeut:in hinzuziehen. Ob und wie man ein älteres Pferd etwa noch longieren sollte, hängt nicht nur davon ab, wie gut es um den Bewegungsapparat des Pferdes bestellt ist, sondern auch davon, wie gut es gelernt hat, den Flieh- und Scherkräften auf der Kreisbahn durch seine Ausbildung zu begegnen und ausbalanciert in seine Spur zu treten.

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Als Handpferd mit ins Gelände: ideal für Pferdesenior:innen. © www.slawik.com

Vom Reitpferd zum Pensionisten

Wenn die Entscheidung fällt, dass nicht mehr geritten werden soll, „kann es für das ältere Pferd eine enorme Bereicherung seines Alltags sein, ab und zu als Handpferd mit ins Gelände zu gehen“, ist Tillisch überzeugt. Auch leichte Stangenarbeit oder Trailhindernisse können ältere Pferde stärken. „Ein gutes Körpergefühl, das aus der reibungslosen Verbindung zwischen Gehirn und Körper entsteht, erleichtert es dem gereiften Senior, seine nachlassenden Ressourcen wie Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit sehr effektiv einzusetzen“, sagt Tillisch, die mit ihren alten Pferden auch Zirkuslektionen macht. Besonders einfach und effektiv ist das Aufsteigen auf ein kleines Podest: „Das Podest fordert dem Pferd hier ungemein viel Gleichgewichtsgefühl ab – und auch viel Konzentration. Des Weiteren werden im Vergleich zur normalen Bodenarbeit gewisse Muskelpartien stärker kontrahiert oder gedehnt, was ein ideales Krafttraining sein kann.“ Wichtig ist, darauf zu achten, dass das Pferd mit beiden Vorderbeinen gleich häufig auf das Podest steigt und mit den Hinterbeinen ans Podest herantritt, damit der Rücken nicht durchgedrückt wird. Dann stärkt und mobilisiert die Podestarbeit die Rumpfaufhängung gleichermaßen.

Eine schonende Möglichkeit, bei älteren Pferden das Körperbewusstsein zu fördern, sind Balance Pads. Dabei stellt man den Pferden bis zu vier Pads unter die Hufe. Wie bei uns Menschen spricht ein weicher, instabiler Untergrund auch beim Pferd die Propriozeption an: die Fähigkeit, den Untergrund wahrzunehmen und sich auf ihm auszubalancieren. Balance Pads regen außerdem auf sanfte Art die innerste stabilisierende Skelettmuskulatur an und lösen dadurch auch Verspannungen

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Wertschätzung und Liebe sind in jedem Alter wichtige Zutaten für eine gelungene Mensch-Pferd-Beziehung. © www.slawik.com

Fördern ohne zu überfordern

Besonders bei älteren Pferden hat es schnell negative Folgen für den Bewegungsapparat, wenn man sie überfordert. Aber auch Unterforderung ist nicht ideal: Einen Trainingseffekt erzielt man erst, wenn Übungen regelmäßig aber mit ausreichend Zeit zur Regeneration durchgeführt werden. Der Schlüssel zum Erfolg ist also einerseits kontinuierliches Üben und andererseits auch ein großes Maß an Geduld.

Nicht zuletzt spielt auch die Psyche bei unseren Pferdesenioren eine große Rolle: Viele freuen sich über Beschäftigung oder sogar über neue Aufgaben oder einfach darüber, wichtig zu sein. Je besser Pferde all die Dinge, die im Alter noch möglich sind, schon gelernt haben, bevor man sie unbedingt braucht, umso besser und schonender lassen sich diese dann auch einsetzen – egal ob Bodenarbeit, Fahren vom Boden, Handpferdreiten oder Zirkuslektionen. Insofern kann man sich als Pferdebesitzer:in eigentlich gar nicht früh genug mit diesem Thema auseinandersetzen. Oder, wie der griechische Philosoph Plutarch es formuliert, den Karin Tillisch in ihrem Buch zitiert: „Eine gute Leibesbeschaffenheit in der Jugend ist die Grundlage eines guten Alters.“

Wann ist mein Pferd alt?

Bei der Beurteilung von Alter, Konstitution und Fitness sollte man folgende Faktoren beobachten: 

  • Werden die Bewegungen weniger elastisch, gestaltet sich die Lösungsphase länger? 
  • Tritt der Widerrist deutlicher hervor und/oder entwickelt sich ein Senkrücken?
  • Wird die Muskulatur auch an der Hinterhand und am Hals weniger?
  • Wird das Fell schlechter, die Haut schlaffer oder dauert der Fellwechsel länger?
  • Wird das Pferd schwerfuttriger?
  • Friert es leichter oder steckt es Wetterumschwünge schlechter weg als früher?
  • Fühlt es sich in seiner Haltung/Gruppe noch wohl oder hat es Stress und sondert sich ab?
  • Ist das Pferd beim Training konzentriert und motiviert bei der Sache?