Haltung

Gewitter, Sturm und Hagel: Pferde im Offenstall leiden unter Schlafmangel

Ein Artikel von Eva Schweiger | 20.08.2021 - 10:09
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Offenstallhaltung gilt als eine der naturnächsten Haltungsformen für Pferde. Aber die Natur kann ein Pferd auch ganz schön fordern. Das zeigt sich gerade dann besonders, wenn Witterung und andere Umwelteinflüsse – Insektenbelastung zum Beispiel – den Pferden Energie abverlangen. Zusätzlich zum sozialen Umfeld, mit dem sie sich in einer Offenstallgruppe 24 Stunden am Tag auseinandersetzen müssen, kann auch das Leben mit dem Wetter eine große Herausforderung sein. Während wir uns nach getaner Arbeit in eine geschützte Wohnung zurückziehen können, bleiben unsere Pferde draußen. Das entspricht ihren Bedürfnissen und ist unter den richtigen Voraussetzungen auch förderlich für ihre Gesundheit – aber sie brauchen dabei unbedingt die Möglichkeit, sich zu erholen, und zwar an einem ausreichend geschützten Ort. 

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Schlaf ist der Schlüssel zur Gesundheit – auch für Pferde!

Eine kürzlich veröffentlichte Studie lenkt Aufmerksamkeit auf einen erstaunlich wenig bedachten Faktor in der Pferdehaltung: Erholsamer Schlaf ist für das Wohlbefinden unserer Pferde zentral. Es gibt aber überraschenderweise kaum systematische, wissenschaftliche Untersuchungen dazu, wie gut Pferde in verschiedenen Haltungssystemen schlafen.

Eine italienische Forschungsgruppe hat sich vor kurzem dieser Wissenslücke angenommen. Silvia Michela Mazzola und ihre Kolleginnen von der Universität Mailand maßen ein Jahr lang die Stresslevel von 47 Freizeitpferden, die in unterschiedlichen Haltungsformen lebten. Eine Gruppe von Pferden ging tagsüber in Gruppen auf die Koppel und verbrachte die Nacht in Einzelboxen, eine zweite blieb Tag und Nacht gemeinsam auf der Koppel, die dritte Herde lebte naturnah auf etwa sechs Hektar Wald und Wiesen. Auch der Einfluss von Alter, Geschlecht, Fellfarbe und Jahreszeit wurde in die Studie miteinbezogen. Als Indikator für das Wohlbefinden der Pferde verwendeten die Wissenschaftlerinnen den Cortisol-Gehalt im Fell, der als verlässliches Maß chronischer Stressbelastung gilt. 

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Schlechtwetter macht Pferden nur dann etwas aus, wenn sie nicht ausreichend Schutz davor finden können. © www.slawik.com

Die Ergebnisse zeigten eindeutig: Die Haltungsform war der ausschlaggebende Faktor für die Stressbelastung. Überraschenderweise waren es aber jene Pferde, die die Nachtruhe in ihren Boxen genossen, die die niedrigsten Cortisolwerte zeigten, und nicht jene in den naturnäheren Haltungssystemen. Die Gruppe, die Tag und Nacht auf der Koppel verbrachte, stand etwa durchgängig unter dem vergleichsweise größten Stress.

Zurückzuführen, so die Autorinnen, könnte das tatsächlich auf die Schlafqualität der Pferde sein. Dass zum Beispiel ausgedehnter Tiefschlaf im Liegen die Leistungsfähigkeit der Tiere positiv beeinflusst, konnte man schon in früheren Studien bestätigen. Wichtig für guten Schlaf sei aber nicht nur Ruhe und Schutz vor Umwelteinflüssen, sondern auch die richtige Einstreu, ausreichende Boxengröße und ein gutes Stallklima. Im Freien kommen die Pferde durch die sozialen Interaktionen, Wetterbedingungen oder Insektenbelastung wohl nicht zu gleichermaßen erholsamem Schlaf wie in der Box.

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Die Haltungsform macht im Energiehaushalt der Pferde einen großen Unterschied. © www.slawik.com

Ebenfalls interessant: Im Frühling lagen die Stresslevels aller 47 Pferde gleichauf, was die Forscherinnen mit dem angenehmen Klima um diese Jahreszeit erklären. Während Geschlecht und Fellfarbe keinen Einfluss auf das Wohlbefinden der Pferde zu haben schienen, zeigte sich bei den über 15-jährigen Pferden ein durchschnittlich höherer Cortisolgehalt im Fell. Dass alte Tiere weniger gut mit Belastungen umgehen können, so schließen die Wissenschaftlerinnen, zeige einmal mehr, dass gerade sie ganz besonders gutes Haltungsmanagement bräuchten.

Wir entscheiden: Wohin mit der Energie?

Ob ein Pferd nun im Offenstall lebt oder nicht – es ist wichtig, im Kopf zu behalten, dass auch unsere Tiere das Wetter und andere Umwelteinflüsse zu spüren bekommen, und nicht jeden Tag gleichermaßen leistungsfähig sind. Ein wenig Müdigkeit nach einer stürmischen Gewitternacht soll auch einem Pferd erlaubt sein. Je naturnäher, je weniger behütet und „in Watte gepackt“ Pferde leben, desto mehr Energie verlangt ihnen ihr Alltag tendenziell ab. Zu entscheiden, wo unsere Pferde ihre Energie einsetzen sollen – ob im Sport und bei der Arbeit für den Menschen, ob als wichtiger Teil einer Herde oder in der Zucht – liegt dabei in unserer Hand.