Haltung

Wann friert das Pferd? So finden Sie es heraus!

Ein Artikel von Pamela Sladky | 20.12.2021 - 11:16
paddock_winter1214.jpg

Pferd und Mensch haben ein sehr unterschiedliches Kälteempfinden - weshalb es immer wieder zu Fehleinschätzungen kommt, ob ein Pferd friert.
© www.Slawik.com

Jeder Mensch hat seine eigene Wohlfühltemperatur, am angenehmsten empfinden die meisten von uns den Bereich um 25 Grad Celsius. Fällt die Quecksilbersäule darunter, braucht es schon mehr als einen Bikini oder eine Badehose, damit wir nicht frieren. Zeigt das Thermometer unter 10 Grad an, gibt es außer ein paar Hartgesottenen kaum jemanden, der sich ohne Pulli und Jacke noch nach draußen traut.

Anders das Pferd. Als Steppenbewohner war es in freier Wildbahn regelmäßig großen Temperaturunterschieden ausgesetzt. Verglichen mit uns, aber auch mit anderen Haus- und Nutztierarten, vertragen Pferde Hitze und Kälte deshalb vergleichsweise gut – wobei kühle bis kalte Temperaturen deutlich willkommener sind als sehr warme. Ihr Wohlfühlbereich bewegt sich zwischen 5 und 15 Grad Celsius – und damit deutlich unter jenem des Menschen.

Vermutlich ist das auch der Grund, warum es vielen Reiterinnen und Reitern schwerfällt, richtig einzuschätzen, ob und wann ihr Pferd friert und ob es gegebenenfalls einen besonderen Schutz benötigt.

Eines ist klar: Selbst für einen Frischluftfanatiker wie das Pferd gibt es ungünstige Witterungsbedingungen, die dazu führen können, dass es friert. Im Winter sind das vor allem Dauerregen bzw. -schneefall und/oder niedrige Temperaturen verbunden mit starkem Wind. „Bei langanhaltenden Niederschlägen in Kombination mit Wind oder Kälte kommt es durch das nasse Haarkleid zur Herabsetzung der Isolationsfunktion“, erklärt Verhaltensforscherin Margit Zeitler-Feicht. Braucht es bei solchen Gegebenheiten also eine Decke? Das kommt drauf an, sagt die promovierte Agraringenieurin. In der Natur stellen sich Pferde mit der Kruppe gegen den kalten Wind und senken den Kopf, so dass der Wind über sie hinwegfegen kann. Dadurch wird der Wärmeverlust gesenkt.

Freilebende Pferde suchen bei unangenehmen Witterungsbedingungen z. B. Baum- und Buschgruppen auf. „Dieses Verhalten ist sinnvoll, denn es verhindert eine zu starke Auskühlung des Körpers und dient somit der Konstanthaltung der Körpertemperatur“, so Zeitler-Feicht. Deshalb muss auch in der Haltung dafür gesorgt werden, dass unsere Hauspferde, die über einen längeren Zeitraum im Freien gehalten werden einen Unterstand oder das Stallgebäude aufsuchen können, betont die Ethologin.

offenstall_winter12148.jpg

Haben gesunde und nicht geschorene Pferde die Möglichkeit, einen Wetterschutz aufzusuchen, brauchen sie in der Regel keine Decke.   © www.Slawik.com

In der Realität ist ein schützendes Dach nicht immer und überall vorhanden. Steht die Wahl zwischen gar kein Auslauf bei widrigen Bedignungen, oder mit Decke raus, dann ist eine leichte Paddock-Decke, die vornehmlich Wind und Nässe abhält und keine wärmende Funktion hat, sicherlich ein gangbarer Kompromiss. Grünes Licht für die Decke gibt es auch, wenn die körpereigene Thermoregulation nicht mehr so gut funktioniert, „denn im Alter sind alle Stoffwechselprozesse verlangsamt, auch die jahreszeitliche Anpassung an die Witterung. Dies trifft auch auf chronisch oder schwer kranke Tiere zu“, erklärt Dr. Zeitler-Feicht.

dt_reitpony_bobby12117.jpg

Im Alter ist die die körpereigene Thermoregulation oft eingeschränkt.
© www.Slawik.com

Ein absolutes Muss ist eine Decke beim geschorenen Pferd. Werden die Tiere ihres natürlichen Winterschutzes beraubt, klappt es mit der Thermoregulation nämlich nur noch in sehr eingeschränktem Maße.
 

Eine für alles?

Die Krux an der Decke: Während ein intaktes Winterfell Temperaturunterschiede locker bewältigt, sorgt der Pferdemantel immer für das gleiche Maß an Wärme. Und das kann schnell zu wenig oder aber auch zu viel sein. Wer sich dafür entscheidet, sein Pferd einzudecken, muss deshalb die Außentemperatur immer gut im Blick behalten. Schwanken die Grade zwischen Tag (z. B. bei ungetrübtem Sonnenschein) und Nacht (sternenklarer Himmel) deutlich, kann ein mehrmaliger Deckenwechsel durchaus vonnöten sein.

Der organisatorische Aufwand, der damit verbunden ist, wird leicht unterschätzt. Man sollte sich daher gut überlegen, ob man dem Pferd nicht doch lieber seinen naturgewachsenen Pelz gönnt. Zwar versprechen manche Decken, eine große Bandbreite abzudecken, in der Praxis stoßen solche Modelle jedoch schon bei geringen Temperaturschwankungen an ihre Grenzen. „Man darf nicht vergessen, dass eine Decke, die bei Sonnenschein getragen wird, selbst beim ruhenden Pferd die kühlende Wirkung natürlicher physiologischer Wärmeableitungsmechanismen wie die Erweiterung der Blutgefäße und das Schwitzen bei steigender Umgebungstemperatur behindern kann“, erklärt Dr. Petra Weiermayer, Fachtierärztin für Homöopathie aus Wien. Eindecken, so viel muss einem klar sein, ist immer ein erheblicher Eingriff in die natürliche Thermoregulation – weswegen man individuell gut abwägen sollte, wie man seinem Pferd am besten helfen kann. „In jedem Fall ist eine Unterstellmöglichkeit dem Eindecken vorzuziehen“, findet Dr. Zeitler-Feicht. Für sie ist klar: „Das Eindecken darf keine Schwächen in der Haltung wie eine fehlende Unterstellmöglichkeit beim Fressen kompensieren.“


Anzeichen für Kälteempfinden

Und wie zeigt ein Pferd nun, dass ihm kalt ist? Das sicherste Indiz, da sind sich beide Expertinnen einig, ist das Kältezittern. „Zittern ist eine unwillkürliche Muskelkontraktion mit einer Frequenz von 10 bis 20 Kontraktionen pro Sekunde und hat keine andere Funktion als die der Wärmeerzeugung“, erklärt Dr. Weiermayer. Und die ist überaus effektiv. Durch das hochfrequente An- und Abspannen der Muskulatur kann die Wärmeproduktion innerhalb weniger Sekunden auf das Fünffache angehoben werden. Allerdings zu einem hohen Preis: Zittern verbraucht viel Energie. Nicht zuletzt deshalb sollte man ein bibberndes Pferd möglichst rasch unterstützen. Allerdings muss das nicht zwingend durch Eindecken sein, findet Dr. Margit Zeitler-Feicht. Sie rät, erstmal zu versuchen, die Ursache für das Schlottern zu ergründen. „In der Regel, d. h. wenn das Pferd gesund und noch nicht zu alt oder krank ist, fehlt es lediglich an einer Unterstellmöglichkeit. Nicht selten gibt es zwar einen Unterstand auf der Koppel, doch dieser ist für die rangniedrigen Tiere nur schwer oder gar nicht zugänglich oder er hat andere Mängel. Ein Witterungsschutz erfüllt unter anderem nur dann seine Funktion, wenn er allen Pferden gleichzeitig Schutz vor ungünstigen Witterungseinflüssen bietet“, mahnt die Pferdewissenschaftlerin.

winterfell_isolieren221.jpg

Durch Aufstellen der Haare wird die Isolierfähigkeit des Fells erhöht.
© www.Slawik.com

Kälte empfinden kann ein Pferd aber auch schon, bevor es zittert. Das zeigt sich in der sogenannten Piloerektion, dem Aufrichten der Haare. Durch das „Aufplüschen“ wird mehr Luft im Fell eingeschlossen, die Isolierfähigkeit erhöht sich. Für das Pferd ist das ein ganz natürlicher Vorgang und deshalb noch kein Grund, ihm eine Decke zu verpassen. Hält dieser Zustand über mehrere Tage hinweg an, sollte allerdings die Energiezufuhr angehoben werden. Das geschieht idealerweise durch eine Extraportion hochwertiges Heu.

Stehen dem Pferd trotz Decke die Haare zu Berge, bietet das Modell für die aktuellen Witterungsbedingungen schlicht nicht genügend (Wärme-)Schutz. Dann sollte auf eine Decke mit mehr Füllung umgestiegen werden. Zu mehr Füllung rät Dr. Weiermayer auch, wenn sich die Hauttemperatur im Lendenbereich auffallend kühl anfühlt. Manche Pferde zeigen zudem durch einen eingeklemmten Schweif, dass ihnen kalt ist, andere durch eine angespannte Muskulatur im Rückenbereich. Es ist also ratsam, sein Pferd genau zu beobachten um herauszufinden, ob es sich wohlfühlt – oder ob es einen Wind- und Wetterschutz-to-go braucht. „Die Thermoregulation ist das Ergebnis komplexer und ausgefeilter biologischer Prozesse, die von vielen Umweltfaktoren und nicht nur von der Umgebungstemperatur beeinflusst werden. Hierbei zeigt sich eine große Individualität, da die Thermoregulation von pferdespezifischen Faktoren wie Alter, Rasse, physiologischem Zustand, Akklimatisierung, Haarkleidqualität und Fütterung abhängig ist. Aus den genannten Gründen müssen Decken immer nach den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Pferdes ausgewählt werden“, bestätigt Dr. Petra Weiermayer.

Dr. Margit Zeitler-Feicht ist überzeugt: „Bei stundenweiser Auslaufhaltung können gesunde Pferde mit gut konditionierter Thermoregulation auch in der kalten Jahreszeit tagsüber ohne Witterungsschutz gehalten werden.“ Damit sie gut funktioniert, sollte das Pferd so viel Zeit wie möglich bei Außenklimabedingungen gehalten werden. Das klappt freilich am besten im Offenstall, aber „auch bei Stallhaltung ist dies möglich, wenn die Stalltemperatur der Außentemperatur im Tages- und Jahresrhythmus in etwa folgt“, so Dr. Zeitler-Feicht.