Veterinärin Prof. Dr. Ellen Kienzle gilt als Koryphäe im Bereich der Pferdeernährung. Unter dem Titel „Kompendium zur Rationsberechnung für Pferde“ hat die inzwischen emeritierte Lehrstuhlinhaberin für Tierernährung und Diätetik an der tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians- Universität in München kürzlich einen Teil ihres umfassenden Fachwissens gemeinsam mit ihren Kolleginnen Christina Pankratz und Annette Zeyner zusammengefasst. Was als recht unscheinbares Büchlein daherkommt, hat das Potenzial für ein neues Standardwerk. Wir haben Prof. Dr. Kienzle zum Gespräch gebeten und zu den Herausforderungen, die die Pferdefütterung heute mit sich bringt, befragt.
Frau Prof. Kienzle, ihr neues Buch erscheint zur rechten Zeit, man hat das Gefühl, dass die Verunsicherung, wie man das eigene Pferd füttern soll, noch nie so groß war, wie heute. Viele Pferdebesitzerinnen fühlen sich mit dem Thema überfordert oder sehen zumindest Optimierungsbedarf. Aus ihrer Sicht: Wo liegen die größten Herausforderungen, denen sich Pferdehalter:innen heute konfrontiert sehen in Bezug auf die Fütterung ihrer Tiere?
Das größte Problem ist das Übergewicht. Die Leute merken das ewig nicht, dass ihre Pferde zu dick sind. Oft fällt erst der Groschen, wenn ein neuer Sattelgurt gekauft werden muss. Leider kann es dann sehr schnell gehen, dass das Pferd dann auch gleich eine Rehe bekommt. Und dann wird das Abnehmen sehr, sehr schwer. Auch wenn Pferde abnehmen, wird das häufig lange übersehen, was ebenfalls problematisch werden kann. Denn die Pferde verlieren ja oft nicht nur Fett, sondern auch Muskelmasse. Das führt dazu, dass sie unter dem Reiter den Rücken nicht mehr anheben können und sich auch nicht mehr richtig ausbalancieren, wenn sie weiterhin gefordert werden. Dann lassen Krankheiten und Lahmheiten nicht mehr lange auf sich warten. Es ist also sowohl Übergewicht als auch Untergewicht schlecht, beides sollte man schnell erkennen. Hier gibt unser Buch durchaus auch Hilfestellung. An und für sich richtet es sich ja eher an Fachleute, aber der Abschnitt, wie man bei seinem Pferd rechtzeitig bemerkt, ist durchaus auch für Laien geeignet.
Der Ernährungszustand eines Pferdes wird ja häufig sehr unterschiedlich bewertet. Was früher eigentlich normal war, wird heute oft als mager bezeichnet. Haben wir uns zu an den Anblick (zu) runder Pferde gewöhnt?
Das ist richtig. Wenn man ein normalgewichtiges Pferd hat, wird man gerade in Freizeitställen oft schon angesprochen, dass das Pferd zu dünn sei. Das ist das eine. Das andere sind Werbefotos von extrem überfütterten Pferden, die den Idealzustand abbilden sollen. Da ist es kein Wunder, wenn sich in den Köpfen festsetzt, dass rund normal ist. Früher, als ich noch viel auf Dienstreisen war, hab ich mir immer einen Jux draus gemacht, und gesagt, dass ich am liebsten in den mittleren Westen in Amerika reise, weil das der einzige Ort auf der Welt ist, an dem ich mich als normalgewichtige Frau gertenschlank fühlen kann. Das Problem dabei ist, dass die Bauchspeicheldrüse und andere Organe das Gewicht nicht relativ sehen, sondern absolut. Das ist bei den Pferden natürlich auch so. Über einen Body Condition Score von 6 sollte man definitiv nicht kommen, sonst begibt man sich auf einen gefährlichen Weg.
Was nicht immer ganz einfach ist. Bei manchen Pferden hat man das Gefühl, die nehmen schon vom bloßen Hinschauen aufs Futter zu.
Im Grunde ist es wie beim Menschen. Auch beim Pferd gibt es deutlich unterschiedliche Stoffwechseltypen. Es gibt leichtfuttrige Pferde, die aus Gegenden kommen, wo nicht viel wächst. Ob das nun Shetland oder Spanien ist, ist egal. Und auf der anderen Seite gibt es Pferde, die rein auf Rennleistung gezüchtet sind, da spielte es keine Rolle, was die verbrauchten und wie die aussahen. Wer als erster durchs Ziel lief, der pflanzte sich fort. Es gab da mal einen Versuch bei Mäusen, da hat man besonders bewegungsfreudige Mäuse gezüchtet. Die wurden bei normaler Fütterung immer dünner. Das ist beim Vollblut ähnlich. Und die Sportpferde stehen irgendwo in der Mitte.
Wenn es ums Abnehmen geht, hört man ja bisweilen ganz gegensätzliche Empfehlungen, von drastischer Futterreduzierung und striktem Weideverbot bis hin zu keinesfalls ohne Heu ad lib, dafür aber möglichst mageres Raufutter. Was raten Sie?
Wenn Pferde von sich aus tatsächlich weniger fressen bei ständigem Angebot, kann das daran liegen, dass das Heu unter Umständen mühsam zu kauen, verpilzt bzw. allgemein von schlechter Qualität ist, also zu wenig Protein, zu wenige Nährstoffe enthält. Mit solchem Heu kann ich natürlich ein übergewichtiges Pferd ad lib füttern und möglicherweise nimmt es damit sogar ab – aber das hat unter Umständen einen ganz schön hohen Preis. Dasselbe gilt für das beliebte Einweichen. Ja, da geht viel Zucker raus, aber auch Protein und andere Nährstoffe. In solchen Fällen ist wirklich eine Rationsberechnung angeraten, damit das Pferd nicht in Mängel kommt, von denen man gar nicht wusste, dass es die überhaupt gibt.
Wie kann man leichtfuttrige Pferde am besten in einem annehmbaren Gewichtsbereich halten oder gar ein dickes Pferd abspecken?
Das geht nur mit Bewegung, wenn man ehrlich ist. Im Grunde ist es eine ganz einfache Rechnung. Heu hat im Regelfall etwa fünfeinhalb Megajoule. Ein leichtfuttriges Pferdchen braucht vielleicht 40, 50 Megajoule. Dieses Pferd muss unter 10 kg fressen um nicht zuzunehmen. Frisst es 14 Kilo Heu, muss es ungefähr 10 Kilometer laufen, damit die Energiebilanz ausgeglichen bleibt. Da führt kein Weg dran vorbei. Und da helfen auch keine Stoffwechselkräuter, die angeblich die Fettverbrennung ankurbeln. Fakt ist: Es gibt nichts, was man essen kann – oder ein Pferd fressen kann – um abzunehmen, es sei denn, es ist giftig. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn Leute fragen, was sie füttern können, damit ihr Pferd abnimmt. Das entbehrt ja jeder Logik!
Bewegung ist also der Schlüssel zum Idealgewicht beim Pferd. Ist es egal, in welcher Form sie stattfindet?
Dazu muss ich auch aus tierärztlicher Sicht sagen: Wenn man bewegen will, dann muss man es richtig machen. Beim Longieren kommt man vielleicht auf zwei bis drei Kilometer, wenn man nicht über eine halbe Stunde longiert. Alles, was darüber hinausgeht, ist extrem schädlich für die Beine, weil die Pferde immer die Zentrifugalkraft ausgleichen müssen. Wenn die Muskulatur nach einer gewissen Zeit schlapp macht, geht die Belastung direkt auf die Knochen. Die Pferde laufen dann einfach schief und legen sich in die Kurve. Ich lese auch immer wieder, dass Pferde mit 15-minütigem Intervalltraining ganz toll abnehmen. Das ist aus meiner Sicht Unsinn. Nach einer Viertelstunde ist ein Pferd noch nicht einmal richtig aufgewärmt. Wer in einer solch kurzen Zeitspanne richtig Kalorien verbrennen will, der müsste eine Viertelstunde Renntempo reiten. Und das ist weder realistisch – denn seien wir ehrlich, wo kann man das schon, außer auf einer Rennbahn – noch gesund fürs Pferd. Auch Dressur verbrennt bei weitem nicht so viele Kalorien, wie viele meinen. Selbst auf hohem Niveau können Sie mit Dressurlektionen keinen Speck abarbeiten. Wenn man will, dass das Pferd abnimmt, wird man sich tatsächlich bemühen müssen mit ihm ins Gelände zu gehen. Man muss nicht galoppieren, wie verrückt, aber man muss rausgehen! Die Pferde arbeiten im Gelände freiwillig in einem ganz anderen Tempo. Wenn sie in der Bahn Schritt gehen, haben sie vielleicht vier Stundenkilometer, weil es immer rundherum geht und langweilig ist. Wenn Sie im Gelände unterwegs sind, haben sich schnell mal fünf, fünfeinhalb Stundenkilometer, wenn Sie ein Warmblut reiten. Das ist ein Unterschied von 20 Prozent! Deshalb kann man ein Pferd ohne regelmäßiges Geländereiten nur sehr schwer schlank halten.
Buchtipp
Bekommt Ihr Pferd alles, was es braucht? Hat es einen Mangel oder ist es gar überversorgt? Fragen wie diese lassen sich mithilfe des neu erschienenen Fütterungsleitfadens „Kompendium zur Rationsberechnung beim Pferd“ von Ellen Kienzle, Christina Pankratz und Annette Zeyner fundiert beantworten. Das Buch richtet sich primär an Personen mit einem Grundwissen in der Tierernährung, ist aber auch interessierten Pferdebesitzer:innen ein guter Ratgeber, wenn sie mehr über die Beurteilung des Ernährungs- und Trainingszustandes und des Stoffwechseltyps ihres Pferdes erfahren möchten. Das Buch liefert aktuelle Daten zum Grundfutter, gibt erstmals eine Empfehlung zur Bedarfsableitung für arbeitende Pferde und zur Proteinbewertung von Mischfuttermitteln und bietet praktische Hinweise zur Schätzung der Grundfutteraufnahme bei fehlenden Angaben. Damit liefert es wichtiges Handwerkszeug zur Ermittlung des Bedarfes sowie zur Kontrolle des Fütterungserfolges.
Kienzle, E., Pankratz C, Zeyner, A.: Kompendium zur Rationsberechnung beim Pferd. Autorengemeinschaft Pferdewissen, Oberschleißheim 2023, Preis 32 Euro zzgl. Versandkosten, Bestellung unter kienzle@tiph.vetmed.uni-muenchen.de
Mehr lesen im Februar
Mehr über das Thema Pferdefütterung damals und heute, wann eine Rationsberechnung sinnvoll ist und was man bei der Mineralstoffgabe beachten sollte, lesen Sie in der Februarausgabe der Pferderevue. Welche Themen Sie in diesem Heft außerdem erwarten, erfahren Sie hier.
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