Wissenschaft

Pferde haben ein Ich-Bewusstsein

Ein Artikel von Pamela Sladky | 19.03.2021 - 15:30
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Ein Pferd betrachtet sein Spiegelbild.
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Wenn es darum geht, die Selbstwahrnehmung eines Lebewesens zu testen, greift die Wissenschaft in der Regel auf den Spiegeltest zurück. Dabei wird den Probanden eine Markierung aufgemalt oder aufgeklebt, die sie nur mithilfe eines Spiegels auf dem eigenen Körper erkennen können. Wenn der Proband dann die Markierung an sich selbst sucht oder Bemühungen unternimmt, sie loszuwerden, hat er sich selbst erkannt, so die Annahme.

Menschen bestehen den Spiegeltest in der Regel im Alter von zwei Jahren, auch im Tierreich gibt es Arten, die die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung besitzen. Allerdings ist die Liste der Tiere mit nachgewiesenem Ich-Bewusstsein kurz. Neben Menschenaffen haben bislang nur Delfine, Orcas, Elefanten und Elstern den sogenannten Spiegeltest mit Erfolg absolviert. Allesamt Tiere, die für ihre hohe Intelligenz bekannt sind. Und dann ist da noch der sozial kompetente Putzerlippfisch, der seit seinem bestandenen Spiegeltest auf der Skala der cleversten Tiere einen Riesensatz nach vorne gemacht hat. Und neuerdings auch das Pferd, wie italienische Forscher rund um Paolo Baragli von der Universität Pisa in einer kürzlich veröffentlichten Studie enthüllten.


Selbstbewusste Pferde

Um mehr über die Selbstwahrnehmung der Vierbeiner herauszufinden, führten Baragli und seine Kolleg*innen 14 Testpferde einzeln in ein überdachtes Roundpen, in dem ein Spiegel aufgestellt war. Die Pferde durften das Areal auf eigene Faust frei erkunden und sich mit dem Spiegel auseinandersetzen. Obwohl die Pferde im Vorfeld mit dem vorerst noch verdeckten Spiegel gewissenhaft vertraut gemacht worden waren, reagierten drei Probanden extrem auf den Anblick ihres Konterfeis. Eines nahm verängstigt Reißaus und versteckte sich im hintersten Winkel des Roundpens, zwei weitere Pferde reagierten aggressiv und versuchten, ihr Spiegelbild zu attackieren. Diese drei Pferde wurden von den weiteren Versuchen ausgeschlossen.

Die verbliebenen elf begegneten dem Spiegel hingegen mit Ruhe und Interesse. Sie bewegten den Kopf hin und her, blickten abwechselnd hinter und dann wieder in den Spiegel, oder streckten die Zunge heraus.

In der eigentlichen Testphase wurden den Pferden mit einem auf Wasser basierenden Ultraschallgel Kreuze auf die Ganaschen aufgemalt, ein Bereich, der außerhalb ihres Blickfeldes liegt. Im ersten Durchgang war das Gel transparent und die Kreuze unsichtbar, im zweiten wurde dem Gel geruchlose blaue oder gelbe Fingerfarbe hinzugefügt, weshalb die Markierungen nun erkennbar war. In beiden Phasen durften die Pferde im Roundpen erneut ihr Spiegelbild erkunden.

Der Vergleich zwischen beiden Phasen brachte ein verblüffendes Ergebnis. Wie Verhaltensforscher Paolo Baragli und seine Kollegen in ihrer Studie festhalten, nutzten die Pferde ihr Spiegelbild, um die zuvor markierten Stellen genauer zu betrachten. Zudem rieben sich mehr Pferde ihr Gesicht, wenn ihre Ganaschen die farbigen Kreuze trugen – und das deutlich länger. Baragli und sein Team sehen damit die nötigen Kriterien für die erfolgreiche Absolvierung des Spiegeltests erfüllt. Pferde, so ihr Fazit, haben demnach ein Ich-Bewusstsein und können sich selbst erkennen. Es wäre nur ein weiterer Beweis für die Besonderheit dieser außergewöhnlichen Tiere.