Verhalten

Weit mehr als nur Ohren anlegen: Pferdemimik ungemein vielschichtig

Ein Artikel von Redaktion | 02.06.2025 - 16:50
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Pferde "sprechen" mit dem ganzen Gesicht – und nicht nur mit den Ohren. © Christiane Slawik, www.slawik.com

Pferde gelten seit jeher als sensible, soziale Tiere – doch wie differenziert und fein ihre Kommunikation tatsächlich ist, zeigt nun eine neue Studie der University of Portsmouth. Dr. Kate Lewis und ihr Forschungsteam haben herausgefunden, dass Pferde über ein weitaus komplexeres Repertoire an Gesichtsausdrücken verfügen, als vielfach angenommen – und diese gezielt einsetzen, um Stimmungen, Absichten und soziale Signale an Artgenossen zu übermitteln.


Ein reiches Repertoire statt bloßer Ohrenstellung

Vor allem – aber nicht nur – für Laien gilt insbesondere die Ohrstellung als entscheidender Hinweis auf den Gemütszustand eines Pferdes. Doch die jetzt in der Fachzeitschrift PeerJ veröffentlichte Studie verdeutlicht: Die gesamte Mimik des Pferdes spielt eine zentrale Rolle bei der sozialen Interaktion – von den Nüstern über Lippen und Augen bis hin zur Stirnpartie.

„Pferde zeigen eine reiche und komplexe Palette an Gesichtsausdrücken, und wir dürfen diese Feinheiten nicht übersehen, wenn wir ihr subjektives Erleben wirklich verstehen wollen“, betont Studienautorin Dr. Lewis gegenüber The Guardian. Für sie steht fest: Wer Pferde nicht nur reiten, sondern verstehen möchte – ob als Halter, Trainer oder Tierarzt – sollte lernen, ihre Mimik ganzheitlich zu lesen.


Systematische Analyse natürlicher Verhaltensweisen

Die Besonderheit der neuen Untersuchung liegt in ihrer Methodik: Anders als frühere Studien, die Pferdemimik vor allem unter künstlich geschaffenen Stressbedingungen (z. B. Futterentzug) analysierten, beobachtete das Team diesmal 36 Hauspferde in ihrem natürlichen Alltag. Insgesamt wurden 72 Stunden Videoaufzeichnungen analysiert.

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Flach zurückgelegte Ohren, hochgezogene innere Augenbrauen, geweitete Nüstern - mit diesem Pferd ist gerade nicht gut Kirschen essen. ©Nadine Haase - stock.adobe.com

Mithilfe des etablierten Equine Facial Action Coding System (EquiFACS) analysierten die Forscherinnen und Forscher die Gesichtsmuskelbewegungen in verschiedenen sozialen Situationen. Diese wurden in vier Kategorien unterteilt: freundlich, spielerisch, aggressiv und aufmerksam.
 

Deutliche Muster in unterschiedlichen Situationen

Obwohl viele Gesichtsausdrücke in mehreren Kontexten auftraten, zeigten sich klare Präferenzen in bestimmten Situationen:

  • Freundliche Interaktionen: Pferde streckten oft ihre Nüstern nach vorne – ein Zeichen von Nähe und positiver sozialer Absicht.
  • Aufmerksamkeit: Die Ohren waren nach vorn gerichtet und zogen sich leicht zusammen – typisch für fokussiertes Interesse.
  • Aggression: Flach zurückgelegte Ohren, hochgezogene innere Augenbrauen, geweitete Nüstern und ein gesenktes Haupt wiesen auf drohendes Verhalten hin.
  • Spielverhalten: Besonders vielfältig war die Mimik beim Spiel. Häufig zu beobachten waren herabhängende Unterlippe, angehobenes Kinn, geöffnetes Maul, nach hinten gedrehte Ohren und vermehrt sichtbare Augenweiß. Der Kopf wurde oft angehoben oder leicht nach rechts geneigt – ein Muster, das dem sogenannten „Play Face“ bei Primaten erstaunlich ähnelt.
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Im Spiel zeigen Pferde eine ganz besonders vielfältige Mimik. ©www.Slawik.com

Evolutionäre Parallelen zum Primaten

Bemerkenswert ist auch die Erkenntnis, dass Pferde beim Spiel dieselben Gesichtsmuskeln einsetzen wie nicht-menschliche Primaten – insbesondere beim Öffnen des Mauls. Dies wird in der Verhaltensforschung als Signal für nicht-aggressives Spiel interpretiert und dient der sozialen Deeskalation.

„Diese Spiel-Mimik wurde bei Pferden bislang nur anekdotisch beschrieben, aber wir konnten nun eindeutig zeigen, dass sie tatsächlich existiert – und, was besonders wichtig ist, dass dabei die gleichen Muskeln wie bei Primaten aktiviert werden“, sagte Lewis. Die Ähnlichkeit deute darauf hin, dass das sogenannte „Spielgesicht“ bei Säugetieren früher entstanden ist als bisher angenommen – nämlich noch bevor sich Pferde und Primaten auf dem evolutiven Stammbaum voneinander trennten.
 

Bedeutung für Pferdehaltung und Tierschutz

Die Ergebnisse könnten auch praktische Auswirkungen auf den täglichen Umgang mit Pferden haben. Wer die differenzierten Gesichtsausdrücke seiner Tiere erkennt, kann Stress früher erkennen, besser auf soziale Bedürfnisse eingehen und damit aktiv zur Verbesserung von Wohlbefinden und Tier-Mensch-Interaktion beitragen.

„Wenn wir die Mimik unserer Pferde verstehen, können wir ihre Lebensqualität verbessern – im Stall, auf der Weide, beim Training“, so Lewis.

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Wer Pferde lesen kann, kommuniziert besser. © www.Slawik.com

Die neue Studie macht deutlich: Pferde sprechen mit dem ganzen Gesicht – und nicht nur mit den Ohren. Wer genau hinsieht und das Zusammenspiel der Gesichtszüge versteht, erhält tiefere Einblicke in ihr Innenleben. Für Fachleute aus Zucht, Verhaltenstherapie, Ausbildung oder Tiermedizin ist das Wissen um die feine Mimik der Pferde ein unverzichtbares Werkzeug – und für jeden Pferdefreund eine Einladung, die Tiere noch genauer kennenzulernen.