Jessica von Bredow-Werndl darf sich nun Doppel-Olympiasiegerin nennen, der Weg dorthin war für die Aubenhauserin allerdings kein einfacher. Denn ihre Mannschaftskollegin Isabell Werth legte im Finale der letzten sechs Reiterinnen (hier stimmt die Genderbezeichnung exakt) eine Superkür hin, die allerdings einen Fehler in den Wechseln und einen Taktfehler in der Einleitung zur Trabverstärkung enthielt. Nichtsdestotrotz war es die reinste Freude ihrer Runde zu „old-school“-Musikkür zuzusehen. Auch die Richter, die erneut sehr streng am Werk waren, vergaben für Wendy und ihre Reiterin 89,614 %.
Charlotte Fry und Glamourdale setzten das hohe Niveau, das sie schon die ganze Woche über abgeliefert hatten, heute fort. Das Paar zeigte eine sehr ausdrucksstarke Kür, perfekt abgestimmt auf ihre Musik, und erlaubte sich dabei keine groben Patzer. Mit 88,971 % musste sie sich allerdings hinter Werth einreihen - und zwei Reiter kamen noch!
Viele hätten gerne die alte La La Land-Kür gesehen, mit der Jessica vor drei Jahren ihre Goldmedaille sicherte. So wohl auch Ryan Gosling, der an der Seite von Emma Stone in diesem Filmmusical sang und der live vor Ort war. Aber in Paris musste es natürlich französisch sein und so tanzte Dalera zu Edith Piaf. Die 17-jährige Stute bewies am Ende ihrer famosen Laufbahn, dass kaum ein Pferd so eine Ausstrahlung besitzt, wie sie. Und heute war auch die Anlehnung deutlich besser als gestern noch. 90,093 % leuchtete nach dem Gruß zum Schluss auf der Anzeigetafel auf. Führung und eine gewaltige Vorgabe für Cathrine Laudrup-Dufour, die ihre Stute Freestyle erst im Herbst des Vorjahres in den Stall bekommen hatte.
Freestyle, die 15-jährige Fidermark-Tochter, hatte in den Anfängen ihrer Karriere als Weltklasse-Dressurpferd ja schon ihrer Vorreiterin Charlotte Dujardin zu Medaillen verholfen. Und nach der Hammer-Performance im Mannschaftsfinale, wo die Stute und Laudrup-Dufour klar Beste waren, durfte man sich ein enges Rennen zwischen der Dänin und der Führenden Jessica von Bredow-Werndl erwarten. Doch schon bald war dem Publikum klar, dass das Dänen-Duo heute mit dem Sieg nichts zu tun haben wird. Dafür waren einfach zu viele Fehler(chen) drin. Am Ende musste sich Laudrup-Dufour, die 88,093 % für ihren Ritt erhielt, sogar hinter der Niederländerin Dinja van Liere (88,432 %) mit Hermes einreihen.
Damit stand von Bredow-Werndl nach Tokio 2021 erneut als Einzel-Olympiasiegerin fest, Isabell Werth holte mit der Silbernen ihre 14. Medaille bei Olympischen Spielen und Charlotte Fry durfte sich nach Platz drei mit dem britischen Team auch im Einzel über Bronze freuen.
Victoria Max-Theuer: „Sehr zufrieden und glücklich!“
Victoria Max-Theurer ging mit Abegglen in der ersten Gruppe am Vormittag an den Start und bekam für ihre zweite Olympiakür 75,375 %. Das klassierte sie auf Platz 17, vor zwölf Jahren wurde sie mit Augustin in London Dreizehnte. Insgesamt also ein sehr erfolgreiches Abschneiden für die 38-jährige Achleitnerin hier in Paris, auch wenn am letzten Tag von den Punkten her mehr drin war. Ihre Conclusio: „Ich bin sehr zufrieden und glücklich. Dass immer mal Fehler passieren können und dass Pferde Lebewesen sind, ist uns allen klar. Aber wir haben beide Finali erreicht, was ich als großen Erfolg verbuche, und wir fahren mit einem sehr guten Gefühl nach Hause. Natürlich war es schade, dass heute dieser teure Fehler passiert ist.“
Doch was war genau geschehen? Alles sah voll nach Plan aus, doch plötzlich blieb Abegglen vor der ersten Piaffe stehen. „Ich habe den Übergang noch ganz gut erwischt und dann war ich etwas überrascht, weil er überrascht war, dass ausgerechnet an dieser Ecke hinter dem Zaun Leute auf und ab gingen. Da war er einfach abgelenkt.“
Die Punkte, die hier liegen blieben, konnten natürlich nur mehr schwer gut gemacht werden. Dennoch war es eine Freude der Österreicherin zuzusehen: Klassische Musik von Mozart, Verdi, man freut sich schon darauf, diese Kür in Zukunft fehlerfrei genießen zu können! „Er hat trotzdem wieder brav weitergemacht und ich denke, wir haben dann noch viele schöne Lektionen gehabt.“ Schade, dass es auch bei der letzten Piaffe der Übergang verwackelt war: „Das war mein Fehler. Ich bin die Kür ein Jahr nicht geritten, weil wir uns so auf die Mannschaft und damit auf den Spezial konzentriert,“ zeigte sich Vici ganz Teamplayerin. „Gestern, als ich diese Linie geritten habe, war ich im Galopp weit hinter der Musik. Da habe ich gedacht, da muss ich heute ein bisschen Gas geben. Heute war ich aber ein Stück davor, dadurch hat sich dieses nicht ganz abgestimmte Ende ergeben. Ich werde künftig mehr Kür trainieren!“
Auf die Frage, wie der Blick in Richtung Los Angels 2024 aussieht: „Der Blick schaut jetzt einmal so aus, dass wir den LKW einpacken und morgen heimfahren,“ lacht die Oberösterreicherin. „Dann gibt es einmal Durchschnaufen für alle, viel Paddock für die Pferde und dann schauen wir weiter.“
Paris war „ganz besonders“
Generell war Max-Theurer aber, so wie alle ihre Kolleginnen und Kollegen, von den Gegebenheiten in Versailles, von der Kulisse und der Stimmung begeistert: „Also mit Sicherheit waren das ganz besonders lebendige und auch spannende Spiele. Die Venue ist ein Wahnsinn, ich glaube, das kann man ganz schwer toppen. Für mich war es am ähnlichsten zu London, vom ganzen Charakter der Spiele, von diesem Urbanem. Die Bedingungen sind überragend, Böden, Boxen, alles, was das Herz begehrt.“
Alle Ergebnisse im Detail gibt es hier.
Blog: Olympiageflüster aus Versailles (10)
Eigentlich unglaublich: Bei nicht weniger als sieben Olympischen Sommerspielen holte Isabell Werth zumindest eine Medaille. Die erste, und das war gleich eine Goldene, gab es 1992 in Barcelona. Durch den gestrigen Sieg mit der Mannschaft und die Silberne heute im Einzel hält die deutsche Dressurqueen nunmehr bei 14 Mal Edelmetall, davon achtmal Gold. Blickt man dann in die Statistiken, dann erobert Werth damit einen Platz in der Geschichte, denn sie überflügelte die Kanutin Birgit Fischer als erfolgreichste deutsche Olympiaathletin.
Auch wenn das IOC meine Anfrage bisher nicht bestätigte, müssten meine Recherchen richtig sein, dass sie damit auch die einzige Sportlerin in allen Disziplinen ist, die bei sieben Spielen Gold gewann (in Atlanta gab es für die Rheinbergerin zwei Olympiasiege). Selbst wenn Schwimmsuperstars wie Michael Phelps, Mark Spitz oder Katie Ledecky, die Turnerin Larissa Latynina und die Leichtathleten Paavo Nurmi und Carl Lewis mehr Goldene zu Hause hängen haben, annähernd so oft wie Werth war niemand erfolgreich. Auch nicht der ungarische Säbelfechter Aladár Gerevich, der es „nur“ bei sechs Spielen schaffte, auf dem Podium zu stehen.
Mit welchem Feuer Isabell Werth immer noch für den Dressursport brennt, ist aber bewundernswert wie ihre sportlichen Leistungen. Auch wenn sie in der Szene nicht immer und bei allen unumstritten ist, ihre ganze Art und Weise kann sich sehen lassen. Selbst um Medaillen zu reiten und dann - wie hier in Paris staunend zu beobachten - in fast allen Trainings der Österreicher mit Anweisungen und Tipps zur Stelle zu sein und sogar bei den Ritten ihrer beiden Schützlinge Vici Max-Theurer und Stefan Lehfellner im Kiss-and-cry-Corner selber mitzufiebern, zeugt von Professionalität und Berufung. Und auch die Tatsache, dass sie immer noch ins Schwärmen kommen kann, wenn sie von ihren Pferden der Vergangenheit spricht oder von ihrem neuen Star Wendy, die sie erst seit Jänner dieses Jahres im Stall hat, verblüfft. „Wir haben sehr schnell zueinander gefunden, das stimmt, aber es ist schon toll, wenn du auf einem Pferd in einer neuen Partnerschaft sitzt und es macht klick!“ Es ist momentan auch noch nicht abzusehen, wohin dieser Weg mit der 1,85 m großen Stute hingeht. Hier in Paris sicherte sie jedenfalls der deutschen Mannschaft den hauchdünnen Olympiasieg und war an Einzelgold schon knapp daran.
Die Location in Versailles beeindruckte auch Werth, die vor zwei Wochen ihren 55. Geburtstag feierte und leider auch knapp vor Paris ihren Vater verlor. „Wir wollen öfter an so herrlichen und perfekten Orten wie hier vor dem Schloss reiten,“ Werth weiß, was Journalisten im Interview hören wollen. Davon konnte ich mich selbst vor Jahren bei einer Gespräch in Salzburg überzeugen, wo sie keine 08/15-Standardantworten gab, sondern wirklich auf alle konkreten Fragen einging. Und zu sagen hat Isabell Werth sehr viel, wie man in ihren beiden Büchern („Vier Beine tragen meine Seele“ und „Was für ein Mensch ist mein Pferd?“), die sie gemeinsam mit der ehemaligen FAZ-Pferdesportjournalistin Evi Simeoni geschrieben hat, nachlesen kann. Egal ob man die toughe Reiterin mag oder nicht!
Ernst Kopica