Kommentar

Pferdesport auf dem Prüfstand

Ein Artikel von Pamela Sladky | 05.08.2024 - 11:54
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Von der Lichtgestalt zur Geächteten: Charlotte Dujardin mit ihrem Wallach Valegro in der Blützeit ihrer Erfolge
© Arnd Bronkhorst/FEI

Die Enthüllung kam zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Wenige Tage vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Paris wurde bekannt, dass die Britin Charlotte Dujardin unter dem Verdacht des „horse abuse“, also des missbräuchlichen Umgangs mit einem Pferd, steht. Die Gerüchte erhärteten sich, als Dujardin in einer Erklärung via Social Media ihren Rückzug von den Olympischen Spielen bekanntgab und sich reumütig für ihr Verhalten entschuldigte. Eine vorläufige Sperre durch den Weltreiterverband FEI folgte auf dem Fuße, und wenig später wurde auch das Video öffentlich, das den Anstoß für die Causa gab. Es zeigt die Britin in einer Trainingssituation mit einer Schülerin und deren Pferd. Innerhalb einer Minute schlägt Dujardin mit einer Longierpeitsche 24 Mal anscheinend wahllos auf die Beine des Pferdes ein, mal von vorne, mal von hinten, zwischenzeitlich sogar beidhändig. Das Video, das bereits vor Jahren entstanden sein soll – es ist von zweieinhalb aber auch von vier Jahren die Rede – und vom niederländischen Rechtsanwalt Stephan Wensing im Namen einer Mandantin an die FEI übermittelt worden war, löste weltweit eine Welle der Empörung aus. Sie ergriff nicht nur Social Media, sondern sorgte für eine regelrechte Flut an Negativschlagzeilen in der Presse – von Fachmagazinen bis hin zu Boulevard- und Qualitätsmedien. Der Eindruck, den der Reitsport bei der Allgemeinheit hinterließ, war und ist fatal, der Imageschaden gerade so kurz vor Olympia gewaltig.


Wie viele Skandale verträgt der Reitsport?

Die Causa Dujardin ist bereits der dritte große Skandal, mit dem sich der (Dressur-)Reitsport im vergangenen Dreivierteljahr konfrontiert sieht. Doch dieser schmerzt besonders. Denn anders als in den Fällen rund um den Dänen Andreas Helgstrand und den US-Reiter Cesar Parra steht mit Charlotte Dujardin eine Reiterin im unrühmlichen Mittelpunkt, die vielen als Lichtgestalt in der Dressur galt. Die Britin ist Weltrekordhalterin, dreifache Olympiasiegerin, sie gewann auf Welt- und Europameisterschaften über ein Dutzend Medaillen, mehr als die Hälfte davon in Gold. Sie wurde für ihr Horsemanship, ihre vorbildliche Pferdehaltung und insbesondere auch für ihre pferdegerechte Ausbildung und Reiterei gefeiert und bewundert. Nicht umsonst wurde sie vom britischen Königshaus mit dem dritthöchsten Orden, den das Empire zu vergeben hat, geehrt. Sogar die Spanische Hofreitschule zeichnete Dujardin aus: 2016 verlieh ihr das Institut unter der Leitung von Elisabeth Gürtler der Dressurreiterin die Medaille d l’École d’Èquitation Espagnole de Vienne für ihre Ausbildung nach klassischen Prinzipien und ihre faire und feine Art zu reiten. Dass ausgerechnet eine derart hochdekorierte und geschätzte Reiterin mit solchen Bildern auffällt, ist schwer zu verkraften.

Ob Charlotte Dujardin im internationalen Sport jemals wieder einen Fuß auf den Boden bekommen wird, ist fraglich. Trotz ihrer sofortigen Reuebekundung („Ich schäme mich zutiefst“) sind die Konsequenzen für sie schon jetzt deutlich spürbar. Neben der vorläufigen Sperre durch den Weltverband kündigten zahlreiche Sponsoren und langjährige Unterstützer ihre Zusammenarbeit auf, die Wohltätigkeitsorganisation Brooke, die sich weltweit für Arbeitspferde einsetzt, will Dujardin nicht länger als Botschafterin. Und auch die Reiterkollegen wenden dem einstigen Liebkind der Dressur den Rücken zu. In einer Erklärung verurteilte der Internationale Dressurreiter-Club (IDRC) unter der Leitung von Isabell Werth die Handlungen der Britin „auf das Schärfste“. Wie die FEI in dieser Angelegenheit entscheidet, bleibt abzuwarten. Das Verfahren ist am Laufen, Dujardin ist bis zu dessen Ausgang von allen nationalen wie internationalen Reitsportveranstaltungen ausgeschlossen.


Es ist eine Minute vor zwölf

Die Umstände, die Veröffentlichung des Videos zu einem derart sensiblen Zeitpunkt, nachdem man das Material jahrelang quasi in der Schublade hatte, werfen sicherlich Fragen auf. Darüber kann man diskutieren. Keinen Spielraum für Diskussionen lassen die darin gezeigten Szenen, die dort zur Schau gestellte Einstellung gegenüber dem Sportpartner Pferd. Zwar beteuerte Dujardin, dass die Handlungen im Video völlig untypisch seien und nicht widerspiegelten, wie sie ihre Pferde trainiere oder ihre Schüler coache. Dass ausgerechnet dieser Ausnahmefall, diese „Fehlentscheidung“, wie Dujardin es bezeichnete, prompt mit einer Handykamera festgehalten wurde, lässt zumindest Zweifel an ihrer Aussage aufkommen.

Wasser predigen und Wein trinken, das geht auf die Dauer eigentlich nie gut. Schon gar nicht in einer Zeit, in der Fotos und Videos überall und jederzeit buchstäblich im Handumdrehen gemacht sind und via Social Media in Sekundenschnelle Verbreitung finden. Der Reitsport steht unter Beobachtung. Das muss allen Akteurinnen und Akteuren bewusst sein. Und er wird nur überleben, wenn die mantrahaft bekundete Liebe zum Pferd zu keiner Zeit in Frage gestellt werden kann. Der „Moment in Time“, die vielzitierte Momentaufnahme, hat als Erklärungsversuch längst ausgedient. Und das ist vielleicht auch ganz gut so.