Rennsport und Tierschutz

10 Gründe, die für ein Peitschenverbot im Pferderennsport sprechen

Ein Artikel von Paul McGreevy, Bidda Jones | PS | 13.11.2020 - 12:35
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Der Peitschengebrauch im Rennsport ist umstritten. ©fifranck - stock.adobe.com

Der Peitschengebrauch bei Pferderennen steht seit langem in der Kritik. In den vergangenen Jahren ist der Druck auf die Pferderennindustrie jedoch stetig gewachsen. Befeuert wird die Forderung nach einem generellen Peitschenverbot nicht zuletzt auch durch die Wissenschaft, die sich seit einiger Zeit intensiv mit dem Thema auseinandersetzt. Erst kürzlich veröffentlichte ein Team australischer Wissenschaftler eine Arbeit, die die Auswirkungen des Peitschengebrauchs auf das Renngeschehen untersuchte. Das Ergebnis: Der Einsatz der Peitsche brachte keinerlei messbare Vorteile.

Einer der beteiligten Forscher ist Prof. Paul McGreevy von der Universität Sidney. Für den international renommierten Verhaltensexperten ist der Peitschengebrauch im Rennen nicht nur sinnlos, sondern auch unethisch. Das ist auch der Grund, warum er sich für ein Verbot des Hilfsmittels stark macht. In einem Beitrag, der kürzlich im Online-Magazin „The Conversation“ veröffentlicht wurde, führen McGreevy und seine Kollegin Bidda Jones zehn Gründe an, warum die Rennindustrie die Peitsche besser heute als morgen  aus dem Sport verbannen sollte.

1. Die Haut von Pferden erscheint genauso empfindlich wie die des Menschen.

Von Peitschenbefürwortern wird häufig angeführt, dass Pferde bei einem Hieb keine Schmerzen spüren. Dieser Behauptung wollte ein in Sydney ansässiges Forschungsteam (zu dem auch Paul McGreevy gehörte) auf den Grund gehen. Es untersuchte die Haut von zehn verstorbenen Menschen und 20 toten Pferden unter dem Mikroskop. Dabei zeigte sich, dass es keinerlei signifikante Unterschiede in der Konzentration der Nervenenden in der oberen Hautschicht bei Menschen und Pferden gibt. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass die Pferdehaut ebenso empfindsam ist, wie die des Menschen.


2. Die Haut von Pferden ist nicht dicker als die von Menschen.

Die bereits genannte Studie konnte auch keinen nennenswerten Unterschied zwischen Menschen und Pferden in der durchschnittlichen Dicke der Haut feststellen. Die Haut der Pferde muss einerseits robust, andererseits aber auch berührungsempfindlich (Insekten!) sein. Zwar ist die unterste Grundschicht der Haut des Menschen deutlich dünner als die der Pferde, allerdings gibt es hier keine Nervenenden, die für das Schmerzempfinden zuständig sind.

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Mikroskopische Querschnitte (400-fache Vergrößerung) von Pferde- (links) und menschlicher Haut. Die Bilder zeigen die Epidermis (oben) und die oberflächliche Dermis. Ausgewählte Nervenenden sind rot dargestellt und mit Sternchen markiert.   © Tong et al. 2020

3. Peitschenfreie Rennen gibt es schon jetzt.

In Norwegen ist der Einsatz der Peitsche bei Pferderennen sei 1982 verboten. In Großbritannien finden seit 1999 die sogenannten „Hands and Heels“-Rennen statt, bei denen die Jockeys zwar eine Peitsche in der Hand halten, sie aber nicht verwenden dürfen. Diese Rennen werden von Jockeylehrlingen bestritten, und damit von den am wenigsten erfahrenen (und damit vermutlich die am stärksten gefährdeten) Reitern. Sowohl die Rennen in Norwegen als auch die britischen „Hands an Heels“-Rennen stehen im Widerspruch zu der in Rennsportkreisen geltenden Meinung, dass Peitschen für Lenkung und Sicherheit unerlässlich seien. Weder aus Norwegen noch aus Großbritannien gibt es Meldungen über Probleme bei der Durchführung der Rennen.


4. Es gibt keine Beweise dafür, dass Peitschen Rennen sicherer machen,

Als Grund für das Festhalten an der Peitsche im Rennsport wird meist ihre Notwendigkeit für die Sicherheit von Pferden und Jockeys angeführt. Eine aktuelle Studie, die „peitschenfreie“ und „peitschenzulässige“ Rennen miteinander verglich, zeigt jedoch: Eine detaillierte Untersuchung der Berichte der Stewards nach den Rennen ergab keinerlei Unterschied zwischen den beiden Renntypen hinsichtlich der Bewegung der Pferde über die Strecke und der Störungen anderer Teilnehmer. Der Peitschengebrauch hatte damit keinerlei Einfluss auf die Sicherheit, so das Fazit. Untersuchungen, die sich mit Hürdenrennen befassten, zeigen sogar, dass der Einsatz der Peitsche häufiger zu schweren Stürzen führte, die den Tod des betreffenden Pferdes zur Folge hatte.


5. … oder gerechter…

Es liegt im Interesse der Glücksspielbranche, dass Rennen integer ablaufen. Der Einsatz der Peitsche gilt als sichtbarstes Zeichen dafür, dass der Jockey alles in seiner Macht stehende dafür tut, um als Erster durchs Ziel zukommen. Die bereits genannte Studie ergab jedoch keinerlei Unterschiede zwischen „peitschenfreien“ und konventionellen Rennen hinsichtlich ungewöhnlichem Verhalten der Jockeys wie z. B. unachtsames Reiten oder ein Zurückfallenlassen, was als Hinweis auf ein geschobenes Rennen gewertet werden könnte. „Der Schlüssel zu einem fairen Rennen liegt nicht darin, Jockeys zur Verwendung der Peitsche zu ermutigen, sondern sicherzustellen, dass alle Jockeys denselben Regeln unterliegen“, ist Prof. Paul McGreevy deshalb überzeugt.


6. … oder schneller.

Hartnäckig hält sich die Behauptung, dass Pferde schneller laufen, wenn sie mit der Peitsche angetrieben werden. Studien haben jedoch gezeigt, dass ein erhöhter Einsatz der Peitsche die Geschwindigkeit an der Ziellinie nicht signifikant beeinflusst. Die bereits zitierte Vergleichsstudie ergab ebenfalls keinerlei Unterschiede in den Endzeiten zwischen konventionellen Rennen und solchen, in denen ohne Peitsche geritten wurde. Im Gegenteil: Weil der Jockey seine Position und damit seinen Schwerpunkt auf dem Pferd bei „peitschenfreien" Rennen nicht verändert, könnte sich der Verzicht auf das Hilfsmittel sogar positiv auf die Leistung der Pferde auswirken.
 

7. Peitschenregeln sind schwer zu überwachen.

Die häufigsten Verstöße gegen geltende Peitschenregeln betreffen Vorhandschläge mehr als fünf Mal vor der 100-Meter-Marke (44 %) und das Anheben des Armes des Jockeys über Schulterhöhe (24 %). Studien mit Hochgeschwindigkeitsaufnahmen von 15 Rennen ergaben mindestens 28 Regelverstöße, an denen neun Pferde beteiligt waren und die nicht in den Berichten der Stewards verzeichnet waren. Dafür gibt es zwei Gründe: Das Filmmaterial, das von Rennkommissaren gesichtet wird, wird frontal gefilmt und mit weniger Bildern pro Sekunde aufgenommen, als das inzwischen mit hochauflösenden Videos möglich ist. Frontalaufnahmen werden von Stewards bevorzugt, da sie Schätzungen des Peitschengebrauchs auf beiden Seiten des Pferdes eher ermöglichen. Gleichzeitig  macht es diese Ansicht schwieriger, andere Aspekte des Peitschengebrauchs, wie z. B. den Einsatz übermäßiger Gewalt, genau zu überwachen.

Eine separate Studie ergab, dass Verstöße gegen die Peitschenregeln bei Reitern von Pferden, die den ersten, zweiten oder dritten Platz belegten, deutlich häufiger vorkamen als bei anderen Pferden. Allerdings waren Pferde, die als letztes ins Ziel kamen, ebenfalls übertrieben oft geschlagen.

Platzierungen und Verstöße gegen die Peitschenregeln

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Bei den drei erstplatzierten Pferden eines Rennens kommt es besonders häufig zu Verstößen gegen die Peitschenregeln - ebenso beim Schlusslicht des Feldes.
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8. Die Öffentlichkeit unterstützt ein Peitschenverbot.

In einer kürzlich durchgeführten unabhängigen Umfrage unter mehr als 1.500 australischen Erwachsenen waren 75 % der Meinung, dass Pferde im normalen Verlauf eines Rennens nicht mit einer Peitsche geschlagen werden sollten, wobei Frauen den Peitschengebrauch doppelt so oft ablehnten wie Männer. Selbst unter befragten Personen, die mindestens einmal pro Woche Rennveranstaltungen besuchten oder auf Rennen wetteten, war gut ein Drittel gegen den Peitschengebrauch.


9. Wetten bleibt auch ohne den Einsatz von Peitschen im Rennen möglich.

Rennen, in denen auf die Peitsche verzichtet wird, erscheinen Wettern offenbar nicht weniger attraktiv. Das zeigen die Beispiele aus Norwegen und Großbritannien. Für Sponsoren können „peitschenfreie“ Rennen aufgrund des klaren Plus in Sachen Ethik sogar besonders attraktiv sein.

10. Müde Tiere im Namen des Sports zu schlagen ist schwer zu rechtfertigen.

Auf einen schmerzhaften Impuls im Bereich der Hinterhand reagieren Pferde aus ihrem Instinkt heraus mit Flucht. In der Natur ist die wahrscheinlichste Ursache für diesen Impuls der Angriff eines Raubtiers. „Das wiederholte Schlagen müder Pferde in der Schlussphase eines Rennens ist wahrscheinlich belastend und verursacht Leiden. Es wird angenommen, dass der Verlust der Entscheidungsfreiheit des Pferdes bei wiederholter Behandlung dieser Art zu einem Zustand der ‚erlernten Hilflosigkeit‘ führt, in dem Tiere lernen, dass sie nichts tun können, um ihre Not zu beenden“, sagt Prof. Paul McGreevy.

Für den Wissenschaftler muss sich der Rennsport künftig zwei Schlüsselfragen stellen: „Funktioniert der Einsatz der Peitsche tatsächlich wie beabsichtigt? Und: Ist es ethisch vertretbar, ein Pferd im Namen des Sports zu schlagen?“

Wenn die Antwort auf beide Fragen "Nein" lautet, stelle sich letztlich nur noch eine Frage: Warum wird weiterhin an der Peitsche festgehalten?