Pferde sind Spitzensportler, die unter Belastung einen hohen Sauerstoffbedarf haben. Was sie vom Menschen und vielen anderen Tierarten unterscheidet: Pferde sind obligatorische Nasenatmer, Luft können sie ausschließlich durch ihre Nüstern einsaugen. Selbst unter größter Anstrengung und bei hohem Luftbedarf bleibt ihnen die Maulatmung verwehrt.
Will das Pferd bei zunehmender Anstrengung seine unter Druck geratenen Bronchien mit mehr Luft versorgen, bleiben ihm deshalb nur zwei Möglichkeiten: Es kann seine Nüstern so weit wie möglich blähen, und es kann sein Genick öffnen – also den Hals lang machen und seinen Stirnlinie mehr der Horizontalen annähern – um auf diese Weise den Rachenraum zu weiten und maximalen Luftdurchfluss zu erlauben.
Beizäumung beeinflusst Atmung
Gerade Zweiteres ist unter dem Reiter, aber auch an der Longe oder vor dem Wagen, oft nur eingeschränkt möglich, denn in der Regel fordern wir das Pferd während dieser Tätigkeiten dazu auf, sich in beigezäumter Haltung zu bewegen.
„Wenn wir reiten, erhöhen wir den Reibungswiderstand oft unbewusst. Während des Trainings erzeugen Pferde sehr hohe Luftströme mit daraus resultierendem Unterdruck in den oberen Atemwegen, was zu einem Kollaps (in manchen Bereichen) der Atemwege und damit einhergehend zu geringeren Luftströmen führen kann. Durch das Öffnen des Genicks versteift sich die Luftröhre und ein Kollaps wird verhindert“, erklärt Paula Tilley, Autorin einer kürzlich in der Fachzeitschrift Animals veröffentlichten Studie, die sich mit den Auswirkungen unterschiedlicher Genickwinkel auf die Atmung des Pferdes beschäftigte.
Frühere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass das Reiten und Longieren in Hyperflexionshaltung die Atmung des Pferdes massiv beeinträchtigt. Paula Tilley, Joana Simões und José Paulo Sales Luis von der Universität Lissabon in Portugal wollten nun herausfinden, ob schon ein geringgradiges Beugen des Genicks den Luftfluss behindert kann. Dazu beobachtete das Forscher:innen-Trio 20 in ihrer Ausbildung weit fortgeschrittene Dressur- und ebenso viele hochklassige Springpferde beim Training in unterschiedlicher Kopf-Hals-Haltung. Sie zeichneten allfälliges Abwehrverhalten auf und maßen die Blutsauerstoffsättigung, die Laktatwerte, den Pleuradruck, den Durchmesser des Rachens sowie die Herz- und die Atemfrequenz.
Die Pferde wurden in zwei verschiedenen Trainingseinheiten mit dreiwöchigem Abstand für 40 Minuten geritten. Einmal mit einem Genickwinkel von 100° – das entspricht einer Position der Stirnlinie etwa eine Handbreit hinter der Senkrechten – und einmal mit einem 85°igem Genickwinkel, bei dem sich die Stirnlinie etwa eine Handbreit vor der Senkrechten befindet.
Größere Genickbeugung = weniger Luft
Bereits bei 100° reagierten die Pferde beider Disziplinen mit deutlich stärkerem Abwehrverhalten: Schweifschlagen, Kopfschütteln, Öffnen des Mauls und exzessivem Speichelfluss. Dass der Grund für diese Unmutsäußerungen in der erschwerten Atmung liegen könnte, ist durchaus vorstellbar. Denn bereits diese leichte Überzäumung äußerte sich in einem gehäuften Auftreten von Unregelmäßigkeiten in den oberen Atemwegen, einem erhöhten Pleuradruck und einer Verengung des Rachenraumes.
Bei 85° traten die genannten Probleme deutlich seltener auf, dafür zeigten die Pferde häufiger Entspannungsmerkmale wie ein aufmerksames Ohrenspiel. Die Dressurpferde, die mit offenerem Genick geritten wurden, hatten im Anschluss des Trainings deutlich bessere Laktatwerte. Interessanterweise traf dies nicht auf die Springpferde zu.
„Betrachtet man jedoch die Blutproben aller Pferde zusammen, waren auch hier die Laktatwerte* bei jenen Pferden, die in der 100°-Genickbeugeposition geritten wurden, deutlich erhöht“, fasst Paula Tilley zusammen.
Bei hohem Sauerstoffbedarf - beispielsweise bei einem flotten Galopp - sollte man den Pferden erlauben, die Nase nach vorne oben zu nehmen. So kann mehr Luft in die Bronchien transportiert werden.
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Kleiner Unterschied für den Reiter, großer für das Pferd
„Die Unterschiede, die wir entdeckt haben, stützen die Annahme, dass eine Verstärkung der Genickbeugung beim Reiten um nur 15° negative Auswirkungen auf das Atmungssystem und das Verhalten eines Pferdes und damit auf sein Wohlbefinden haben kann“, halten Tilley und ihre Kollegen fest.
Für die Praxis heißt das: Wer Leistung von seinem Pferd verlangt – sei es bei einem flotten Ausritt im Gelände, bei fordernder Dressurarbeit auf dem Reitplatz oder im Springtraining –, der tut gut daran darauf zu achten, dass sein vierbeiniger Partner möglichst ungehindert atmen kann. Und das gelingt am besten, wenn die Pferdenase die meiste Zeit vor oder an der Senkrechten und nicht dahinter stecken bleibt.
Die Studie "Effects of a 15° Variation in Poll Flexion during Riding on the Respiratory Systems and Behaviour of High-Level Dressage and Show-Jumping Horses von Paula Tilley, Joana Simões und José Paulo Sales Luis" wurde am 22. Mai im Fachjournal Animals veröffentlicht und kann hier nachgelesen werden.
*Um den gesteigerten Energieverbrauch bei Anstrengung zu decken, verbrennt der Körper Kohlenhydrate mithilfe von Sauerstoff über die Atmung. Bei intensiver Belastung reicht der Sauerstoff irgendwann oft nicht mehr aus, sodass die Kohlenhydrate – nun ohne Hilfe des Sauerstoffes – in Milchsäure umgewandelt werden. In den Muskeln entsteht dabei Laktat, das, je länger die Belastung dauert, vom Körper nur mehr unzureichend abgebaut werden kann. Das überschüssige Laktat macht den Energiefluss langsamer und die Muskeln müde.