Das Training am Hang gibt den Pferden vielfältige Trainingsanreize - und macht in der Gruppe besonders viel Spaß. Aber Achtung: Nicht übertreiben!
© Horst Streitferdt/KOSMOS
Für Reitmeisterin Ingrid Klimke ist die Arbeit im Auf und Ab deshalb ein fixer Bestandteil ihres Trainings. Und zwar nicht nur für ihre Vielseitigkeitspferde, auch ihre Dressurkracher wie WM-Teilnehmer Franziskus oder die beiden aufstrebenden Talente Firlefranz und Freudentänzer profitieren in ihrer Ausbildung von den Vorzügen, die hügeliges Gelände mit sich bringt. „Jede noch so kleine Bodenwelle schult den Gleichgewichtssinn und schafft neue Bewegungserfahrungen. Deshalb baue ich Steigungen und Gefälle regelmäßig in mein Training ein, sei es auf der Wellenbahn beim Reiten auf dem Geländetrainingsplatz oder viel lieber beim regelmäßigen Training am Berg“, outet sich die Dressur- und Vielseitigkeitsikone als Fan für Höheunterschiede.
Wohl dosiert
Allerdings sollte man es gerade zu Beginn langsam angehen. So effektiv das Training am Berg ist, so anstrengend ist es für die Pferde – auch wenn sie das nicht immer gleich zeigen. „Die Gefahr der Überforderung ist im Gelände größer, besonders dann, wenn in Begleitung mehrerer Pferde geritten wird. Pferde spornen sich in Gesellschaft gegenseitig an, sie ziehen sich sozusagen gegenseitig mit“, weiß Klimke. Dass die Kräfte nachlassen, merkt man als Reiter:in dann nicht so deutlich wie auf dem Reitplatz oder in der Halle. „Deshalb ist es immer wichtig, langsam zu beginnen und die Anforderungen nicht zu schnell zu steigern.“ Klimke rät, die Signale des Pferdes aufmerksam zu beobachten und insbesondere die Atmung im Blick zu behalten.
Das Reiten in hügeligem Gelände ist die beste Möglichkeit, um besonders die Rücken- und Hinterhandmuskulatur des Pferdes zu kräftigen. © Horst Streitferdt/KOSMOS
Tempokontrolle
Steht eine Steigung bevor, legen viele Pferde im Tempo zu, quasi um Schwung zu holen. Haben sie die Höhe erreicht – oder geht ihnen vorher die Luft aus – werden sie von selbst langsamer. Bergab neigen vor allem Pferde, denen es an Kraft und/oder Balance fehlt, wiederum zum Rennen. Was nicht nur unangenehm für den Reiter im Sattel, sondern auch gefährlich für Pferd und Mensch werden kann, wenn es dabei an der nötigen Kontrolle fehlt. „In diesem Fall muss der Reiter rechtzeitig parieren. Wir wollen erreichen, dass das Pferd sowohl beim Bergauf- als auch beim Bergabreiten in einem gleichmäßigen Tempo bleibt“, gibt Ingrid Klimke das Trainingsziel vor.
Richtig sitzen, optimal unterstützen
Die wichtigste Hilfe in diesem Zusammenhang ist der Reitersitz. Im Bergauf neigen die meisten Reiter:innen ihren Oberkörper ganz instinktiv nach vorne. Und das ist gut so, denn durch die Gewichtsverlagerung im Sattel wird die Hinterhand des Pferdes, die im Aufwärts deutlich mehr leisten muss, um das benötigte Plus an Schubkraft zu entwickeln, entlastet. „Der Reiter sitzt bergauf etwas nach vorne geneigt und trägt sein Gewicht mit tiefem Absatz im Bügel. Die Hand bleibt tief, die Zügel lang genug, dass das Pferd seinen Hals als Balancierstange nutzen kann. Je steiler der Hang, desto ausbalancierter muss der Reiter sitzen, sodass das Pferd es leichter hat, das Reitergewicht bergauf zu tragen. Beim Klettern von sehr steilen Hängen kann es helfen, in den Halsriemen zu greifen und sich in den Bügel zu stellen“, empfiehlt Klimke.
Buchtipp
Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke ist DIE Expertin für das Reiten im Gelände. In diesem Buch gibt sie ihr komplettes Wissen weiter: sei es der erste Ausritt, das Reiten durch Wasser oder am Berg, das Gymnastizieren im Gelände oder das erste Hindernis. Locker und positiv beschreibt sie, wie das Geländereiten sicher und abwechslungsreich gestaltet und für Pferd und Reiter zum Erfolgserlebnis wird. Wer die Geländeprüfung ablegen will, findet hier konkrete Trainingspläne für die optimale Vorbereitung. „Reiten im Gelände“ ist das neue Standardwerk der Olympiasiegerin, mit vielen Insidertipps, die in keinem Lehrbuch stehen.
Reiten im Gelände
Sicheres Ausreiten - Konditionstraining - Kleine Geländehindernisse
von Ingrid Klimke
112 Seiten, 26 Euro
Erhältlich bei www.kosmos.de
Beim Bergab scheiden sich die Geister. Während sich die einen nach hinten lehnen, bringen die anderen den Oberkörper eher in Halsrichtung. Dazu Geländeprofi Ingrid Klimke: „Für den Sitz gilt beim Bergabreiten: nicht zu viel mitgehen mit der Bewegung des Pferdes, den Oberkörper nicht übertrieben vorneigen, um nicht zu viel Gewicht auf die Vorhand zu verlagern.“ Sie empfiehlt, den Oberkörper etwas zurückzunehmen, um das eigene Gewicht mit dem Schwerpunkt des Pferdes im Lot zu haben.
Steile Bergabpassagen bewältigen Wanderer oft in Serpentinen, um ihre Knie zu schonen. Im Sattel rät die Reitmeisterin davon ab. „Bergab reitet man grundsätzlich in direkter Linie und nicht schräg zum Berg. Wenn es besonders steil ist, reitet man in der langsamsten Bewegungsart, dem Schritt.“ Was man nicht vergessen sollte: Das Abbremsen des eigenen Gewichts ist für die Pferde sehr anstrengend. Umso wichtiger sind hier die einrahmenden Reiterhilfen. Routinierte Pferde dürfen später auch bergab traben und galoppieren, solange sie dabei in guter Balance bleiben, ein ruhiges Tempo halten können und die Bodenverhältnisse es zulassen.
Beim Bergabreiten sollte man darauf achten, das eigene Gewicht mit dem Schwerpunkt des Pferdes im Lot zu haben.
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Richtig aufbauen
Absolutes Muss, bevor es ans Bergauf- und Bergabreiten geht, ist das Pferd ausreichend aufzuwärmen. Das passiert beim Ausreiten auf dem Weg zum nächsten Hügel in der Regel ganz automatisch. Wer von der Ebene per Hänger ins bergige Terrain anreist, ist gut beraten, erst ausgiebig Schritt zu reiten. „Wir starten mit einer 10- bis 15-minütigen Lösungsphase im Schritt. Das ist schon ein gutes Aufbautraining für die gesamte Muskulatur“, schildert Ingrid Klimke ihre Trainingsroutine.
Sie empfiehlt, bei jungen und/oder untrainierten Pferden zu Beginn keine allzu großen Steigungen in Angriff zu nehmen. „Beim Bergaufreiten müssen die Pferde sehr energisch mit den Hinterbeinen abfußen und die gesamte Rückenmuskulatur gebrauchen. Deswegen achte ich darauf, dass ich anfangs nicht zu steil bergauf und bergab reite. Das Pferd muss sich erst langsam an die neuen Anforderungen gewöhnen.“
Mit zunehmender Routine kann die Steigung allmählich erhöht werden. „Im Anschluss an die Lösungsphase im Schritt traben wir in ruhigem Tempo ca. 10 bis 15 Minuten leicht. Auch im Trab geht es bergauf und bergab“, so Klimke.
Galopp gut dosieren
Im Galopp gilt es vorsichtig zu sein. Gerade, wenn man in der Gruppe unterwegs ist, pushen sich die Pferde gegenseitig und gehen dann auch schon mal über ihre Grenzen. Hier ist eine clevere Zusammensetzung der Trainingspartner gefragt. Grundsätzlich gilt: Besser kleinere Gruppen bilden und die Pferde zusammen galoppieren lassen, die einen ähnlichen Ausbildungs- und Trainingsstand haben. Und auch das Interieur spielt eine Rolle. „Der ehrgeizige Bobby mochte zum Beispiel von keinem Pferd überholt werden. Nicht nur, dass er dann immer schneller galoppierte, er bockte auch los“, erinnert sich die Reitmeisterin an ihr langjähriges und inzwischen pensioniertes Erfolgspferd SAP Hale Bob OLD.
Zu Beginn sollte man nicht länger als zwei Minuten am Stück bergauf galoppieren. © Horst Streitferdt/KOSMOS
Zu Beginn des Galopptrainings am Berg ist es deshalb sinnvoll, das Pferd in seinem selbst gewählten Tempo gehen zu lassen. Vor allem jungen Pferden geht bergauf schnell die Kraft aus, sodass sie sich in den Trab fallen lassen. Sie hier extra anzutreiben wäre grundfalsch. Übersteigerter Ehrgeiz kann dem Pferd die Freude am Hangtraining schnell vermiesen, im schlimmsten Fall droht körperliche Überforderung. „Man sollte alle Pferde immer sehr langsam und schonend an das Galopptraining heranführen, um sie nicht zu überfordern. Das ständige Bergauf, Bergab fordert ein Höchstmaß an Konzentration und Trittsicherheit“, gibt Klimke zu bedenken.
Zwei Minuten bergauf galoppieren sind für den Anfang mehr als genug. Hat das Pferd danach noch ausreichend Kraft, kann nach einer dreiminütigen Schrittpause noch ein kurzer Bergauf-Galopp angehängt werden. "Danach galoppiere ich ruhig aus und trabe noch fünf bis zehn Minuten aus, bevor ich in den Schritt pariere", erklärt Klimke. Schritt wird danach so lange geritten, bis sich Puls und Atmung wieder vollständig beruhigt haben.
Pausen sind wichtig
Selbst wenn man bergiges Gelände direkt vor der Haustüre hat, sollte man es mit dem Training dort nicht übertreiben. Zum Konditionsaufbau empfiehlt Ingrid Klimke einen Zeitabstand von fünf Tagen, bevor es erneut ans Klettern geht. "Das finde ich optimal, da innerhalb dieses Zeitrahmens der Organismus Trainingsreize erhalten muss, um sich den steigenden Anforderungen anzupassen." Der Tag nach dem Galopptraining am Hang ist im Stall Klimke Erholungstag. Dann gehen die Pferde auf die Weide oder werden im Schongang locker an der Longe bewegt. Die restlichen Tage bis zur nächsten Hangeinheit werden zum Dressur-, Cavaletti- oder Springtraining genutzt. So bleiben die Pferde motiviert und mit der Kondition geht es wie im Gelände: steil bergauf!