Leseprobe

Fiakerin Martina Michelfeit: "Die Stadt braucht Pferde!"

Ein Artikel von Eva Schweiger | 26.09.2022 - 17:18
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Fiakerei in Wien: eine schöne Arbeit unter immer schwierigeren Bedingungen © beranek-images.com

Es ist ein heißer Spätsommermorgen im Wiener Prater. Hinter einer grün überwucherten Mauer ragt ein riesenhafter Schlot aus Backsteinen in den wolkenlosen Himmel, in weißen Lettern prangen die Worte „Freudenauer Chamotte-Fabrik“ gerade noch auszumachen über dem Eingangstor. Schon kommt eine Frau die Aspernallee entlang aus den Tiefen des Praters auf uns zugeradelt, drei Hunde im Schlepptau: Martina Michelfeit, Fiakerunternehmerin, Reittherapeutin, Soziologin. „Entschuldigt’s, ich komm’ grad von der Rennbahn, da hab’ ich auch ein paar Pferd’ stehen“, erklärt sie und bugsiert uns durch ein kleines Türchen in der Mauer in ihr Reich – ihren Fiakerstall, ihren „Stadtbauernhof“, wie sie ihn liebevoll nennt.

Wir finden uns wieder zwischen alten Backsteingemäuern, verstaubten Lustern an der Stalldecke, zwei Minischweinen in einem kleinen Paddock, eleganten Kutschen und glänzend geputzten Pferde davor. Es ist eine halb poetisch-nostalgische, halb schnörkellos-bodenständige Atmosphäre, die uns hier empfängt. Und auch die Fiaker:innen selbst, das sollen wir bei unserem Blick hinter die Kulissen noch erfahren, befinden sich mitten in diesem Spannungsfeld.

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Martina Michelfeit im Gespräch mit Pferderevue-Redakteurin Eva Schweiger
© beranek-images.com

Fiaker unter Beschuss

Einer von den Fiakern, die für Martina Michelfeits Unternehmen fahren, spannt gerade den zweiten Schimmel vor seine Kutsche. „Der ist noch nicht lang dabei, aber siehst du, wie ruhig der schon ist? Der hat keinen Stress. So, jetzt kriegt er noch die Fliegenmaske. Sie sagen immer, wir sollen raus aus der Stadt, wir sollen im Prater fahren. Aber die Pferde sind heilfroh, wenn wir über den Donaukanal drüber sind, weil die Viecher im Wald bleiben!“, erzählt er knurrend, während die Pferde routiniert auf ihren Einsatz warten.

Dass die Fiaker unter Dauerbeschuss aus Politik und Tierschutz stehen, lässt auch so einen alten Hasen wie ihn sichtlich nicht kalt. Ein Anflug von Bitterkeit und Frustration ist nicht zu überhören – eine Stimmung, die in der gesamten Fiakerbranche zu spüren ist. Wenn man heute über die Wiener Fiaker redet, kommt man kaum an den Debatten über kollabierende Pferde in der Innenstadt, hitzefreie Tage, beschädigte Fahrbahnen und Kunststoff-Hufbeschlag, Routenverlegungen nach Schönbrunn und in den Prater oder überhaupt: Abschaffung herum. Das schlägt sich auf die Freude am Beruf: „Das Ausfahren macht gar keinen rechten Spaß mehr. Du wirst auf der Straße schon beschimpft, sogar von den Kindern. Früher war das ganz anders, da waren wir Aushängeschild der Stadt, die Wiener waren stolz auf uns.“

Keine angenehme Arbeitsatmosphäre, soviel ist sicher. Und das, obwohl das Sightseeing per Fiaker aktuell boomt und die Kutschen immer noch gerne als werbewirksames Aushängeschild des Wiener Tourismus genutzt werden. Einfach aufgeben? Das ist für passionierte Fiaker:innen keine Option.


Pferde braucht die Stadt

Gegen halb zehn Uhr morgens begegnen uns hier im Prater viele Fiaker, die gerade auf dem Weg in die Stadt sind. Dort, am Stephansplatz, hat ein Tierschutzverein eine Protestaktion für eine Hitzefrei- Regelung ab 30 Grad und in letzter Konsequenz für die Abschaffung der Fiaker in der Stadt angekündigt. „Mir ist es mittlerweile eh egal, ich tu mir meine ‚Horcherl‘ rein, wenn wir vorbeifahren. Das hör’ ich mir gar nicht mehr an“, erklärt Martina Michelfeit achselzuckend, und man spürt, dass die Gleichgültigkeit nur Fassade ist.  

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In der Stadt treffen Fiaker und Aktivist:innen der Tierschutzvereine regelmäßig aufeinander – konstruktiv miteinander gesprochen wird trotzdem nicht. Warum eigentlich? © beranek-images.com

Denn das Pferd würde mit der Verbannung aus der Innenstadt auch ein weiteres Stück weit aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwinden, und das wäre – da ist sie sich sicher – ein Schritt Richtung Verlust unserer Pferdekultur: „Was passiert, wenn das Pferd nicht mehr genutzt wird? Wenn Pferde nur mehr irgendwo herumstehen, nicht mehr Teil des Alltags sind, dann interessieren sie irgendwann überhaupt niemand mehr.“ Warum nicht andersherum denken? „Wir brauchen eine Stadt, die für die Pferde gut ist. Dann ist sie nämlich auch für die Menschen gut.“

Großstädte wie Wien sind eigentlich schon längst für sämtliche ihrer Bewohner zu heiß, zu laut und zu hektisch geworden. Sollen nun also die Pferde der Stadtentwicklung weichen oder umgekehrt die Stadt so gestaltet werden, dass sie ein verträgliches, vielleicht sogar angenehmes Lebensumfeld für alle bietet?

Das Tauziehen zwischen Fiakerei, Politik und Tierschutzorganisationen macht konstruktive Diskussionen und Verbesserungen im Sinne aller leider sehr schwer. Ein Grund dafür ist wohl, dass die Fiakerpferde allzu gerne auch vor den politischen Karren gespannt werden. Mittlerweile ist die Situation so schwierig, sind die Anfeindungen so belastend geworden, dass die Fiakerin selbst kaum mehr ausfährt. Und das, obwohl die Tierschutzaktivist:innen in Pferdemasken und Fiakerkostümen am Stephansplatz an diesem Tag im Grunde dasselbe fordern wie sie selbst: verbesserte Lebensbedingungen für die Pferde. Nur über den Weg ist man sich nicht einig.

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