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Low, deep, round: Das Überzäumen des Pferdehalses wird heute oft und scharf kritisiert - insbesondere in sozialen Medien. © Tomas Holcbecher

Nase hinter der Senkrechten: Hochrangige Trainer fordern mehr Toleranz

Ein Artikel von Pamela Sladky | 20.12.2017 - 11:54
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Low, deep, round: Das Überzäumen des Pferdehalses wird heute oft und scharf kritisiert - insbesondere in sozialen Medien. © Tomas Holcbecher

In einem offiziellen Statement der Association of Fellows of the British Horse Society kritisieren hochrangige Trainer unterschiedlicher Disziplinen - unter ihnen Europameister und Olympiasieger - die pauschale Verurteilung von Reitern, wenn deren Pferde hinter die Senkrechte geraten. Denn, so das Argument: Es gebe viele Gründe, warum sich ein Pferd nicht in lehrbuchmäßiger Haltung präsentiere, und nicht immer sei die Schuld beim Reiter zu suchen. So könne etwa ein Mangel an Energie oder Kraft dafür verantwortlich sein, dass ein Pferd seinen Kopf für einen Moment nichtso trägt, wie in den Richtlinien gefordert. Und auch ein Überschuss an Adrenalin oder Spannung bei Aufregung könnten ein Überzäumen herbeiführen, heißt es in der Aussendung der AFBHS. Dass es durchaus Fälle gibt, in denen der Reiter das Aufrollen des Pferdehalses zu verantworten hat, will man gleichwohl nicht abstreiten. Hier reichten die Gründe von Angst vor Kontrollverlust, unpassender Zäumung und einer fehlgeleiteten Trainingsphilosophie bis hin zu schlichtweg schlechten Reitens.

Oftmals sei auch eine Kombination von Gründen Auslöser für eine nicht korrekte Haltung. „Dass kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn sich ein sonst gut trainiertes und gut gerittenes Pferd in fremder Umgebung unsicher fühlt und heftig wird. In solchen Momenten fühlt sich der Reiter vielleicht gezwungen den Rahmen enger zu wählen, um die Kontrolle zu behalten und die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten.

Perfekte Haltung Teil eines jahrelangen Trainingsprozesses

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Kommt ein Pferd zu tief, kann das eine Folge von Balanceverlust sein - oder aber von schlechtem Reiten. © Kseniya Abramova - fotolia.com

Beim Training von Pferden gehe es um eine stetige Verbesserung, um Entwicklung und manchmal auch darum, die natürliche Balance des Pferdes zu verbessern, so die AFBHS-Vorsitzenden Sabrina Jones und Tim Downes. Während dieses Prozesses könne es immer wieder vorkommen, dass Pferde unterschiedlichen Körperbaus, Temperaments und Trainingszustandes instinktiv ihren Kopf und Hals dazu verwenden würden, um ihre Balance wiederzufinden – was letztlich zu einer Veränderung in der Position derselben führen würde. Manche Pferde, so das Duo, fühlten sich in gewissen Phasen ihrer Ausbildung wohler, wenn sie die Nase leicht hinter der Senkrechten tragen würden.

Davor seien auch weit fortgeschritten ausgebildete Turnierpferde nicht gefeit. „Um mit der Höchstnote 10 bewertet zu werden, muss ein Pferd in der Prüfung unter anderem mit der Nase stets vor der Senkrechten (…) bleiben. Und genau wie alle anderen Aspekte einer Prüfung kann auch dieser Bereich in manchen Phasen weniger als exzellent sein – was in einer Benotung unter 10 zum Ausdruck kommt. Wäre es in allen Bereichen möglich immer ein Maximum zu erreichen, würden alle Pferde in jeder Phase der Prüfung mit einer 10 bewertet werden. Dann würden sich Bewerbe aber ad absurdum führen. Es sind die unterschiedlichen Fähigkeiten der Reiter und die Unterschiede in den Bereichen Training und Sicherheit der Pferde, die für die Platzierungen in einem Bewerb sorgen.“

Die häufig geäußerte Kritik, Richter und Stewards würden es verabsäumen die Pferde durch entsprechende Urteile und Verweise vor unlauteren Trainingsmethoden zu schützen, sieht man bei der AFBHS als wenig gerechtfertigt. „Richter, Stewards und andere Offizielle werden regelmäßig geschult um ein klares Verständnis davon zu haben, wie das korrekte Training eines Pferdes aussehen soll.“

Um die – in ihren Augen – vorschnelle und unfundierte Kritik an Offiziellen und Reitern zu verhindern, ermutigt die Fellows of the British Horse Society alle Dachverbände, das LDR-Training und seine Auswirkungen in Seminaren häufiger zu thematisieren. Es sei entscheidend, so der Vorstand der Vereinigung, dass bei allen interessierten Personen ein klares Verständnis dafür gegeben ist, wie korrektes klassisches Pferdetraining aussieht – und zwar, noch bevor etwas kategorisch abgelehnt oder kritisiert wird. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass es zu Überreaktionen auf oberflächliche Symptome bei Momentaufnahmen kommt.

Gegen Rollkur

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Bei der Rollkur wird der Pferdekopf unter Kraftanwendung bis an die Brust gezogen. © www.slawik.com

Trotz aller Forderung für mehr Toleranz gegenüber LDR, erteilt die AFBHS der Rollkur eine klare Absage: „Pferde, die wiederholt entweder an der Longe oder unter dem Sattel hinter der Senkrechten gearbeitet werden, oft mit sehr kurzem Hals in tiefer Haltung und ungeachtet dessen wie der Pferdeköper als Ganzes funktioniert, werden in einer völlig unakzeptablen Art und Weise von Personen trainiert, die dem körperlichen und mentalen Schaden, den sie damit anrichten, mit totaler Ignoranz gegenüberstehen. Ein solches Training sollte von allen nationalen Verbänden auf das Schärfste verurteilt werden. Derart gearbeitete Pferde sind unglücklich und verspannt, weil sie in einer unnatürlichen Weise trainiert werden, die physischen Stress und körperliche Folgeschäden verursacht und einer in Verkürzung der Nutzungsdauer resultiert.“

ps

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