Dressur

Vorschlag zur Aufhebung der Kandaren- und Sporenpflicht im Grand-Prix-Sport stößt auf Widerstand

Ein Artikel von Redaktion | 05.10.2022 - 10:33
bayer71349.jpg

Die Kandare ist in Dressurprüfungen auf Grand-Prix-Niveau Pflicht. Dasselbe gilt für Sporen.
© www.Slawik.com

Die allgemeine Akzeptanz des Pferdesports innerhalb der Bevölkerung, die sogenannte „social license to operate“, ist seit einiger Zeit ein viel diskutiertes Thema. Wurden erfolgreiche Pferdesportler früher als Helden gefeiert, empfinden große Teile der Bevölkerung den wettkampfmäßigen Sport mit Pferden heute als nicht mehr zeitgemäß und mit dem Tierwohl nicht vereinbar. Wie schlecht es um das Image des Pferdesports steht, zeigt eine kürzlich im Auftrag der britischen Tierschutzorganisation World Horse Welfare durchgeführte Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov. Die Ergebnisse könnten besorgniserregender nicht sein: Von den insgesamt 2057 befragten Erwachsenen lehnten 20 %, und damit jeder Fünfte, den Einsatz von Pferden im Sport kategorisch ab – und das im traditionsreichen Pferdeland Großbritannien.

Auch wenn freilich nicht jede:r so radikal denkt, zeichnet die allgemeine Stimmung nicht gerade ein rosiges Bild. „Die kürzlich von uns in Auftrag gegebene YouGov-Umfrage, die unseres Erachtens nur eine Momentaufnahme war, zeigte, dass 60 % der breiteren britischen Bevölkerung – Menschen, die wenig oder gar keine Beziehung zu Pferden haben – den Einsatz von Pferden im Sport nicht unterstützen oder nur weiterhin unterstützen werden, wenn das Wohlergehen der Pferde verbessert wird. Die Reitsportwelt kann diese Meinung nicht einfach ignorieren, denn sie ist, ob sie will oder nicht, von hoher Relevanz für die Zukunft unseres Sports“, bringt es World-Horse-Welfare-Geschäftsführer Roly Owers ungeschönt auf den Punkt.

sporeneinsatz6100.jpg

© www.slawik.com

Es ist also höchst an der Zeit sich Gedanken zu machen, wie sich die öffentliche Meinung über den Pferdesport verbessern lässt. Genau zu diesem Zweck hat sich ein neu formiertes Gremium innerhalb des Weltreiterverbandes im August zusammengesetzt. Gemeinsam haben die Mitglieder der unabhängigen „Equine Ethics and Wellbeing Commission“ eine Reihe von Empfehlungen ausgearbeitet und sie der FEI  zur „internen Diskussion“ vorgelegt. Sie enthielten – unter anderem – den Vorschlag, die Verwendung der Kandare in Grand-Prix-Dressurprüfungen und Sporen in allen FEI-Disziplinen optional zu machen. Reiter:innen könnten dann selbst entscheiden, ob sie ihr Pferd bspw. in der Königsklasse der Dressur lieber mit einfachem Gebiss und unbewehrten Stiefeln oder mit traditioneller Ausrüstung vorstellen möchten.

Reiter- und Trainervereinigungen lehnen Vorstoß ab

Der Vorschlag ist im Grunde nicht neu. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Bestrebungen, die Wahlfreiheit von Kandaren- und Sporennutzung auch in den höchsten Klassen durchzusetzen. Doch zumindest bislang ist noch jeder Versuch gescheitert. Und auch diesmal ließ Gegenwehr nicht lange auf sich warten. In einem gemeinsamen Schreiben wandten sich die Internationale Dressurreitervereinigung (IDRC) und die Internationale Dressurtrainervereinigung (IDTC) an die FEI, um ihre Bedenken gegen eine Aufhebung der Kandaren- und Sporenpflicht deutlich zu machen. Allgemeiner Tenor: Weder Kandare noch Sporen würden ein Risiko für das Pferdewohl darstellen, außerdem gäbe es bereits ausreichend Kontrollen, um einem Missbrauch vorzubeugen. Beide Gegenstände würden der Hilfenverfeinerung dienen, ihre Verwendung optional zu machen, hätte keinerlei positive Auswirkungen auf das Wohl der Pferde. Eine entsprechende Reglementänderung sei, das geben IDRC und IDTC zu, zwar verlockend, um Kritikern quasi ein „Friedensangebot“ zu unterbreiten. Doch dieser Ansatz sei falsch und naiv, sind sich beide Interessensvertretungen einig. Es sei „ethisch einfach falsch, ungerechtfertigter oder ignoranter Kritik nachzugeben. Unter dem Deckmantel des Pferdewohls eine Regel einzuführen, die sich nicht positiv auf das Pferdewohl auswirkt, wäre unaufrichtig und zynisch. Es würde die Glaubwürdigkeit der FEI als Organisation, die sich an Prinzipien und Beweisen orientiert, mindern.“

15215373506983.jpg

© Andrea - fotolia.com

Kandare oder Trense: Sollen Reiter:innen wählen können?

In höheren Dressurklassen ist die Kandare Pflicht - und das, obwohl sie für viele zwei- und vierbeinige Athleten ein höchst ungeliebter Ausrüstungsgegenstand ist. Warum selbst Dressurprofis die Möglichkeit der Wahl zwischen Trensen und Kandarengebiss begrüßen würden und wie der Umstieg auf die Stange klappt, lesen Sie in diesem Beitrag. Mehr lesen ...

FEI will offen bleiben

Wenig Verständnis für die Haltung zeigt World Horse Welfare Geschäftsführer Roly Owers. Gegenüber dem britischen Magazin Horse & Hound sagte er, er fände es „merkwürdig“, dass der Vorschlag überhaupt für Kontroversen sorge. „Sicherlich geht es doch in erster Linie um die Leistung des Pferdes und nicht um das Gebiss oder andere verwendete Ausrüstungsgegenstände. Ein Kandare kann ein nützliches, aber auch ein sehr machtvolles Werkzeug sein, und es erscheint mir richtig, den Reitern die Wahl zu lassen“, so Owers. „Es muss ein ständiges Mantra für den Sport sein, den Status quo zu evaluieren und die gewohnten Praktiken zu hinterfragen. Einige werden sich vielleicht fragen, warum man diese Änderung vornehmen sollte. Stattdessen sollte man lieber fragen: Warum sollte man es nicht tun?“

Bei der FEI hält man sich in dieser Angelegenheit vorerst noch bedeckt. Man habe sich dem Wohl des Pferdes verpflichtet und sehe es als Aufgabe „offen zu bleiben“ und durch Dialog und Beratung nach sinnvollen Lösungen zu suchen, so ein Sprecher des Weltreiterverbandes gegenüber Horse & Hound. Die Vorschläge der Equine Ethics and Wellbeing Commission seien Teil eines laufenden Konsultationsprozesses. Die Bedenken von IDRC und IDTC habe man zur Kenntnis genommen. Die Fürs und Widers werde man Mitte November anlässlich der FEI-Generalversammlung in Kapstadt besprechen. Man darf gespannt sein, was dabei herauskommen wird. 

Das Schreiben von IDTC und IDRC im Gesamtumfang (aus dem Englischen übersetzt):

Sehr geehrte FEI-Vorstandsmitglieder und Mitglieder der Equine Ethics and Wellbeing Commission,

wir schreiben Ihnen im Namen des International Dressage Riders Club und des International Dressage Trainers Club. Wir wissen, dass es Diskussionen darüber gibt, Kandare und Sporen für Grand-Prix-Dressurprüfungen optional zu machen. Wir bitten Sie höflich, den Beitrag der wichtigsten Interessengruppen zu diesem Vorschlag zu berücksichtigen.

Der Widerstand gegen die Kandare resultiert aus einem Unverständnis darüber, wie und warum die Kandare verwendet wird. Ja, der Missbrauch der Kandare kann zu Gewalt und Verletzungen führen, das gilt jedoch gleichfalls für die Trense oder jedes andere Gebiss oder sogar ein Hackamore. Genau aus diesem Grund gibt es Einschränkungen, welche Ausführungen verwendet werden dürfen, z.B. hinsichtlich der Länge des Unterbaums, der Größe der Zungenfreiheit usw.. Zudem wird das Pferd am Ende jeder Prüfung genau untersucht. Jeder Hinweis auf eine Verletzung des Pferdes führt zur Disqualifikation. Dies ist ein starker Anreiz, um sicherzustellen, dass die Reiter bei der Verwendung der Zügel vernünftig sind.

Die Anatomie des Pferdes bestimmt die Wirkung des/der Gebisse(s) auf das Pferd, Trense- und Kandare funktionieren auf unterschiedliche Weise. Die Trense stellt die Biegung her und trainiert die Muskulatur, während die Kandare die Beugung der Hanken bewirkt. Sie ermöglicht es, die Schultern einzurahmen, um die Selbsthaltung und Körperhaltung zu verbessern. Dies führt zu einer besseren Balance des Pferdes und Geschmeidigkeit bei Übungen, die ein hohes Maß an Versammlung erfordern. Die Kandare ermöglicht dem Reiter, die Präzision seiner Hilfengebung zu verbessern und eine verfeinerte Kommunikation mit seinem Pferd aufzubauen. Es liegt buchstäblich in der Hand des Reiters, denn die Beweglichkeit und Geschicklichkeit der Hände sind das Ergebnis eines korrekten Sitzes und eines feinen Gefühls. Dies beweist ein hohes Maß an Können und Training und ist der Grund, warum es auf höchstem Wettkampfniveau erforderlich ist. Der richtige Umgang mit der Kandare zeugt von höchster Kompetenz.

In ähnlicher Weise geben Sporen dem Reiter die Möglichkeit, fast unmerkliche und feine Beinhilfen zu geben. Und auch hier gibt es derzeit erhebliche Tierschutzmaßnahmen; Detaillierte Angaben zur Art des Sporns (Astlänge, Beschaffenheit der Endfläche etc.), Kontrollen nach jeder Prüfung und Strafen für Missbrauch (Ausschluss). Daher glauben wir, dass weder die Kandare noch Sporen ein Tierschutzrisiko für Pferde darstellen und es ausreichende Kontrollen gibt, um ihren Missbrauch zu verhindern. Diese beiden Ausrüstungsteile optional zu machen, hätte keine positiven Auswirkungen auf das Wohlergehen der Pferde. Es mag zwar verlockend sein, diese Punkte als „Friedensangebot“ für Kritiker optional zu machen, doch wir sind überzeugt, dass dieser Ansatz falsch und naiv ist. Aber was noch wichtiger ist: Es ist praktisch und ethisch falsch, ungerechtfertigter oder ignoranter Kritik nachzugeben. Unter dem Deckmantel des Pferdewohls eine Regel einzuführen, die sich nicht positiv auf das Pferdewohl auswirkt, wäre unaufrichtig und zynisch. Es würde die Glaubwürdigkeit der FEI als Organisation, die sich an Prinzipien und Beweisen orientiert, mindern. Einfach gesagt, es wäre eine irrationale Entscheidung. Darüber hinaus hätte dies, wie die meisten Kompromisse bei Grundsätzen, negative langfristige Auswirkungen, da es die ungerechtfertigte Kritik unterstützen würde, was noch mehr ungerechtfertigte Angriffe fördern würde.

Auch wenn es unangenehm sein kann, unbegründete Angriffe zu ertragen, besteht die einzige wirkliche Verteidigung darin, sich an den Grundsatz zu halten und objektive wissenschaftliche Beweise heranzuziehen, um Regeln für das Wohlergehen aufzustellen. Nur so kann die FEI ihre Integrität bewahren und eine gute Unternehmensführung demonstrieren.

Darüber hinaus drängen wir darauf, dass bei der Erwägung von Tierschutzmaßnahmen die Optionen im Kontext aller FEI-Disziplinen bewertet werden. Zu behaupten, dass eine Disziplin in Bezug auf das Wohlergehen stärker kontrolliert werden muss als eine andere, ist irreführend und falsch.

Wir bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit in dieser Angelegenheit. Wenn Sie weitere Informationen zu Gebissen und Sporen, Aufbau, Funktion und Wirkung am Pferd sowie Hinweise auf Missbrauch wünschen, geben wir Ihnen gerne nähere Auskünfte.

Mit freundlichen Grüßen,

Linda Keenan
Generalsekretärin des International Dressage Trainers Club

Klaus Roeser
Generalsekretär des International Dressage Riders Club