Damit schuf Lehfellner eine gute Basis für den Mannschaftsbewerb, wo Victoria Max-Theurer und Florian Bacher morgen entsprechend nachlegen wollen, um unter die besten zehn Nationen des Finales zu kommen.
Die Chancen dafür stehen nach diesem Auftakt sehr gut. Beim Einritt stockte zwar den rot-weiß-roten Schlachtenbummlern kurz der Atem, als Roberto Carlos sich von der ungewohnten Kulisse beeindrucken ließ, aber Lehfellner bewahrte die Ruhe und machte seinem Pferd keinen Druck. Das Rezept funktionierte perfekt, denn der Österreicher weiß, was in solchen Fällen zu tun ist.
"Wir sind wie ein Ehepaar"
„Ich kenne das Pferd seit vielen Jahren, ich kenne jede Faser an ihm. Wir sind wie ein Ehepaar. Ich wusste, dass soetwas kommt. Dass es sich dann so erschreckt, kann man nie planen, aber ich habe meine Techniken ihn zu beruhigen. Die haben Gott sei Dank auch heute wieder funktioniert. Das Wichtigste war, ihm Ruhe zu geben. Roberto Carlos funktioniert in so einer Phase nicht mit Druck, sondern mit Loslassen und Hand an den Hals. Das sind die kleinen Dinge, die er merkt, wenn ich oben sitze.“
Auf die Frage wie es sich anfühlte, bei so einem Ereignis mit Nummer 1 einzureiten, meinte er: „Einfach nur cool. Die Olympischen Spiele zu eröffnen, ist eine spezielle Sache. Roberto Carlos hat es offenbar auch sehr speziell empfunden,“ lachte der österreichische Startreiter.
„Grundsätzlich bin ich super zufrieden mit meiner Runde. Nur ein kleiner Fehler im Zickzack beim letzten Wechsel, der geht natürlich auf meine Kappe. Wenn wir das ganze Jahr betrachten, hat er heute seinen besten Grand Prix geliefert. Es war mein Ziel eine Runde mit wenig Fehlern, sodass das Team morgen die Möglichkeit hat, sich für den Grand Prix Spécial zu qualifizieren.“
Ohne Handbremse
In einigen Situationen merkte man aber schon, dass es nicht nur ein Sicherheitsritt war, denn beim verstärkten Galopp, da war doch ganz schöne Power dahinter ohne jede Handbremse. „Ich weiß schon meine Lektionen, wo ich ein bisschen mehr kann und wo ich ein bisschen weniger kann!“
Jetzt heißt es für Lehfellner mit seinen beiden Mitstreitern mitzufiebern und mitzuhelfen: „Wir sind ein eingeschworenes Team und werden das auch gemeinsam meistern, ich bin guten Mutes.“
70 Prozent verdient
Die äußeren Bedingungen forderte den Reitern auch allerhand ab, denn schon beim Einritt der Nummer 1 zeigte das Thermometer 28,2 Grad. „Daher war auch mein Plan so lange wie möglich unter dem Dach abzureiten, nur die letzten fünf Minuten unter freiem Himmel, um die Atmosphäre aufzusaugen und dann rein. Das war auch gut so, er war schon drinnen spritzig genug.“ Obwohl die Richter in ihren Noten nicht allzu weit auseinander lagen, fand Manschaftskollege Florian Bacher: „Das war wirklich ein guter Ritt von Stefan, der sich mindestens 70 % verdient hätte.“
Die heutige Prüfung läuft noch bis 16:30 Uhr, die Zwischenergebnisse werden wir zu gegebener Zeit an dieser Stelle nachtragen. Morgen startet der zweite Teil des Grand Prix wieder um 10 Uhr.
Die Ergebnisse im Detail gibt es hier zum Mitverfolgen und Nachlesen.
Blog: Olympiageflüster aus Versailles (5)
Regeln über Regeln - die Bestimmungen und Vorschriften im Reitsport sind schon kompliziert genug, bei Olympischen Spielen wird es dann noch ein wenig diffiziler. So rätselten etwa gestern die deutschen Kolleg:innen darüber, wer im Falle von Punktgleichheit von Michael Jung und Tom McEwen denn die Nase vorne hätte. Der Grund für diese Diskussion: Jung, der vor dem letzten Springen bei 21,80 Punkten lag, hätte bei einem Abwurf ebenso wie der Brite 25,80 Punkte gehabt. Da kamen die einstigen Bestimmungen ins Gespräch, wonach der Reiter mit der geringsten Differenz zur Sollzeit im Gelände den Vorteil hätte. Gar nicht gut für Deutschland, da Jung im Cross Country schneller war als McEwen, damit war aber diese Differenz größer und Jung wäre für seine Schnelligkeit bestraft worden. Selbst ARD-Reporter Carsten Sostmeier war nicht 100 % firm. Da mischte ich mit in die Unterhaltung ein (gut wenn man in Wien schon seine Hausaufgaben gemacht hatte) und präsentierte meine Unterlagen und das relevante FEI-Papier: Dort steht nämlich unter Punkt 7.2, dass im Falle der Punktgleichheit zuerst das XC-Ergebnis zählt (bei beiden gleich), dann das Dressurergebnis (hier war Jung klar besser) und erst in dritter Linie diese ominöse Abweichung von der Sollzeit. Ein beruhigter Sostmeier stapfte wieder zur Kommentatortribüne und sorgte mit seinem legendären Wortstaccato zu Michis Siegesritt für Begeisterung. So mancher User in den sozialen Medien wollte ihn dafür für einen Fernsehpreis nominiert wissen.
Spröder war die Angelegenheit beim Protest von vier Reitern (darunter Rosalind Canter vom Goldteam Great Britain) gegen die 15 Punkte-Strafe, die von der Ground Jury wegen „missing a flag“ ausgesprochen wurde. Diese Strafe gibt es, wenn nicht alle Teile des Pferdekörpers die Flaggen passiert haben (also etwa Schulter oder Hüfte). Aber alle Einsprüche wurden am Ende abgewiesen mit der Begründung, die Strafen waren„field of play-decisions“, also Tatsachenentscheidungen der Kampfrichter und könnten auch nicht durch spätere Videobeweise revidiert werden. Der VAR aus dem Fußball bleibt dem Reitsport erspart, vielleicht ist das auch besser so, die Diskussionen um solche Videobeweise bei der letzten Europameisterschaft sind noch in Erinnerung.
Und dann gibt es ja noch diese Regelung, dass ein Team auch weiter im Bewerb bleiben kann, wenn ein Pferd zwischen zwei Bewerben ausfällt. Das passierte am Morgen des Vielseitigkeitsspringens den Japanern beim Vet-Check, wobei sogar zwei Pferde in die Holding-Box mussten. Eines wurde später zwar für „fit to compete“ erklärt, aber Cekatinka (geritten von Ryuzo Kitajima) musste in den Stall zurück. Dann musste es schnell gehen, Ersatzreiter Toshiyuki Tanaka wärmte seinen Jefferson auf, ging mit lediglich 1,60 Zeitfehlern durch den Parcours und sicherte damit seinem Team die Bronzemedaille. Kurios: Ohne die dafür berechneten 20 Fehlerpunkte für den Reiter- und Pferdetausch hätte die Überraschungsmannschaft aus Fernost sogar Silber geholt!
Ernst Kopica