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Der klassische Ausbilder Dr. Thomas Ritter hat ein gutes Auge für Details und ein breites Repertoire an Lösungsansätzen für ReiterInnen aller Ausbildungsstufen. © Aleksandra Pawloff

Interview mit Dr. Thomas Ritter

Ein Artikel von Martina Gschirtz | 25.05.2012 - 07:00
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Der klassische Ausbilder Dr. Thomas Ritter hat ein gutes Auge für Details und ein breites Repertoire an Lösungsansätzen für ReiterInnen aller Ausbildungsstufen. © Aleksandra Pawloff

Im Vordergrund des Hauptteils des Interviews standen unsere Fragen nach dem Bügeltritt und den unterschiedlichen Schenkelhilfen, doch auch zu den Themen Biomechanik, Ausbildung von Pferden und ReitanfängerInnen hat der renommierte Ausbilder viel zu sagen.

Wie definieren Sie die Rolle der Biomechanik in der Reiterei?

Im Grunde genommen ist Biomechanik nur ein neues Wort für eine alte Geschichte. Im Prinzip geht es bei der Biomechanik darum, unter Rücksichtnahme auf den Bewegungsapparat und die natürlichen Regeln die Pferde im Rahmen ihrer Möglichkeiten auszubilden. Im Endeffekt sollen alle Muskeln elastisch erhalten, gekräftigt sowie gedehnt werden, und das Pferd soll lernen, nur die Muskeln einzusetzen, die es zur Haltung und Bewegung braucht. Das Pferd soll ohne Verspannungen den Reiter tragen und sich locker bewegen, es soll seine Muskeln elastisch an- und abspannen, damit die Gelenke mit dem größtmöglichen Bewegungsspielraum arbeiten können. Dieser Grundsatz baut auf Gesetzen der Physik auf, und Biomechanik ist das moderne Schlagwort dazu. Das ist nichts Neues.

Worauf legen Sie das Hauptaugenmerk bei Ihrem Unterricht?

Im Groben geht’s anfangs immer darum, dass das Pferd sein Gleichgewicht findet, und der Schüler im gleichmäßigen Tempo eine korrekte Hufschlagfigur reiten kann. Dann, wenn das Pferd annähernd bzw. im Gleichgewicht ist, schaue ich gezielt, welcher Körperteil beim Pferd noch verspannt ist, wo die Muskeln oder Gelenke noch nicht richtig arbeiten. Durch gezielte Übungen werden dann eben jene Körperregionen geschmeidig gemacht.

Sehen diese Übungen für jedes Pferd gleich aus?

Nein, man muss einfach ausprobieren und schauen, wie das Pferd reagiert, weil jedes Pferd ganz unterschiedlich ist. Es gibt Pferde, wo man am besten pariert, indem man Bügel und Zügel verwendet. Dann gibt es Pferde, bei denen ist es gut, wenn man sich schwerer hinsetzt. Es gibt tausend Nuancen, die man anwenden kann. Man muss ein paar verschiedene Möglichkeiten mit dem Pferd ausprobieren und schauen, womit man die beste Antwort vom Pferd bekommt, wie es das Pferd am besten versteht und wie es das Geforderte am besten umsetzen kann. Diese vielen Varianten ergeben sich aus den Unterschieden im Gebäude, Temperament und Ausbildungsstand. Man muss sich immer vor einfachen Formeln hüten. Oft wird verallgemeinert und gesagt, dass alles nur auf diese eine Weise geht. Das kommt ein auch bisschen aus den FN-Richtlinien, die sich aus der HDv12 entwickelt haben. Die Heeresdienstvorschrift selbst war ja nicht dazu gedacht, dass man Pferde und Reiter von Anfang bis Grand Prix ausbildet, sondern man hat angenommen, dass man Rekruten hat, die nichts können, mäßig intelligent sind und damit mehr oder weniger hoffnungslos im Hinblick auf das Reiten. In deren kurzer Ausbildungszeit, die meist nicht mehr als zwei bis drei Jahre dauerte, konnte man den Reitern auch nicht viel beibringen. Es reichte, wenn diese mit Gepäck und im Gelände Schritt, Trab, Galopp reiten konnten, und sie mussten ihren Platz in der Gruppe einhalten können. Die Heeresdienstvorschrift war dazu da, die Rekruten auf diesen Stand zu bringen. Die FN-Richtlinien müssen heutzutage natürlich alles bis zur Grand-Prix-Klasse abdecken, die damalige Heeresdienstvorschrift war nicht dafür gedacht. Deswegen ist da immer eine gewisse Schematisierung gegeben. Das wird aber vielen Pferden in vielen Situationen nicht gerecht. Es kommt immer auf die Situation an: Woher kommen Pferd und Reiter? Was sind die individuellen Schwierigkeiten? Was wollen die beiden erreichen? In der Spanischen Hofreitschule hat man gesagt, dass man eigentlich für jedes Pferd eine eigene Reitlehre schreiben müsste. Es gibt immer wieder welche, bei denen gar nichts funktioniert, was im Lehrbuch steht und die ganz anders geritten werden müssen. Man muss immer flexibel bleiben, viel probieren und außerhalb der Schachtel denken. Keinesfalls sollte man dogmatisch denken und sich auf ein Standardrezept versteifen, weil es so in den Richtlinien steht. Im Zweifelsfall hat das Pferd recht, und man muss die Regeln für sich anpassen.

Viele Ihrer Übungen und Anweisungen erfordern vom Reiter fortgeschrittenes Reiten. Wie handhaben Sie den Anfängerunterricht?

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"Die eindrucksvollste Lektion ist der Gedanke 'Oh! Das hätte ich jetzt nicht machen sollen! Das vermeide ich in Zukunft.' Nur so lernt man eigentlich." © Aleksandra Pawloff

Man muss dem Anfänger einen gangbaren Weg zeigen, zunächst Kompromisse eingehen, indem man dies oder jenes anders macht, weil es für den Anfänger leichter umzusetzen ist. Aber man muss da auch vorsichtig sein. Gerade heutzutage sehe ich leider eine Tendenz zur Übersimplifizierung, weil die Ausbilder sagen „aber der Anfänger…“, und dann wird eine Lehre veröffentlicht, die zwar für den Anfänger passt, ihn aber nicht weiterbringt. Da kann der Anfänger dann zwar irgendwie rumwurschteln, bleibt aber immer Anfänger und stagniert. „Da wollen wir hin“ und „Das wäre der richtige Weg“ – diese Aussagen fehlen mir oft. Ich finde es sogar Anfängern gegenüber zum Teil etwas respektlos, weil die Einstellung dahinter steht, dass die Leute es sowieso nicht lernen, also warum soll ich denen erklären, wie es in Wirklichkeit gehen soll und wie richtiges feines Reiten und fortgeschrittenes Reiten funktioniert. Die lernen’s eh nicht! Wichtiger und richtiger wäre zu sagen, dass man weiß, dass Reiten nicht leicht ist, auch ich habe viele Jahre gebraucht, um das zu lernen, aber da wollen wir hin – und so geht es. Und von hier an müsst ihr euch eben anstrengen. Aber nur weil es anstrengend und schwierig ist, heißt das nicht, man soll da nicht drüber reden und probieren. Mir ist schon klar, dass viele Sachen hoch gesteckte Ziele sind, die manche vielleicht nie erreichen. Aber man muss das Ziel ja hoch stecken, dann kommt man viel weiter, als wenn man das Ziel niedrig steckt. Man muss sich von vorneherein mit dem Gedanken anfreunden, dass man wahrscheinlich nicht alle Ziele erreichen wird, aber man muss halt mal loslegen und mal schauen, wie weit man kommt – und einfach jeden Tag üben. Anders geht das nicht.

Lernen aus Fehlern. Gilt diese Devise bei Ihnen?

Keiner ist als perfekter Reiter geboren, sondern wir haben uns das alle mühsam erarbeiten müssen. Perfektion ist sowieso unerreichbar, jeder macht Fehler. Jedes Mal, wenn man reitet und keine Fehler machen will, darf man nicht reiten. Fehler passieren, man muss halt versuchen, sie zu vermeiden. Auch die besten Reiter machen Fehler, nur die merken es nur schneller. Die wirklich guten Leute merken es wesentlich schneller als der Anfänger, dass sie irgendwie irgendwas nicht hätten machen sollen und können es dann ändern, können es wieder abstellen. Aber Fehler macht jeder – und aus den Fehlern lernt man natürlich auch. Die eindrucksvollste Lektion ist der Gedanke „Oh! Das hätte ich jetzt nicht machen sollen! Das vermeide ich in Zukunft.“ Nur so lernt man eigentlich. Dann vermeidet man den Fehler, dann geht es besser. Das ist dann die komplementäre Lektion dazu: „So geht es besser! Das mach ich von jetzt an.“

Dr. Thomas Ritter in Österreich

Dr. Thomas Ritter wird im August wieder im Raum Hollabrunn, Göllersdorf und Maria Ponsee für einen Lehrgang zur Verfügung stehen. Infos: www.pferdefit.at