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Gerade bei Friesen, die aufgrund ihres Exterieurs meist von Natur aus eine hohe Aufrichtung mitbringen, kommt der Erarbeitung der Anlehnung eine Schlüsselrolle zu, die den dritten Punkt der Ausbildungsskala fast schon an den Anfang rückt. © Nadine Haase - fotolia.com

Die Skala folgt dem Pferd

Ein Artikel von Dr. Britta Schöffmann | 07.09.2015 - 09:43
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Gerade bei Friesen, die aufgrund ihres Exterieurs meist von Natur aus eine hohe Aufrichtung mitbringen, kommt der Erarbeitung der Anlehnung eine Schlüsselrolle zu, die den dritten Punkt der Ausbildungsskala fast schon an den Anfang rückt. © Nadine Haase - fotolia.com

Kein Pferd gleicht dem anderen, jedes Pferd ist ein Individuum. Darauf muss sich der Reiter einstellen und die Ausbildungsskala auch individuell anwenden und hie und da offen dafür sein, die Reihenfolge der einzelnen Punkte bei Bedarf ein wenig zu variieren.

Schon wenn es um das Grundgerüst der Skala geht, um die Basisausbildung (Gewöhnungsphase) jedes Pferdes, die aus den ersten drei Punkten Takt, Losgelassenheit und Anlehnung besteht, ist vom Reiter Flexibilität gefragt. Wer im Laufe seines Lebens mit vielen Pferden zu tun hatte, möglichst sogar mit Pferden unterschiedlicher Rasse, wird wissen, was gemeint ist.

Ein gutes, weil inzwischen auch häufig im ländlichen Dressurviereck anzutreffendes Beispiel sind hier die Friesen, Pferde, die sich einst als (meist trabende) Parade- und Kutschpferde großer Beliebtheit erfreuten und deshalb auch entsprechend gezüchtet wurden: hochaufgesetzter, massiger Schwanenhals, ein eher tiefer, weicher Rücken, eine runde Kruppe, eine aufwändige, hohe Knieaktion – alles Körper- und Bewegungsmerkmale, die zum früheren Verwendungszweck dieser Rasse passten. Doch dann traten die schwarzen Perlen ihren Siegeszug bei Freizeitreitern und Hobbyturniersportlern an, es tauchen mehr und mehr von ihnen auf Turnieren in kleinen bis mittleren Dressuren auf. Bis auf wenige Ausnahmen bietet sich dabei jedoch ein Bild, das nicht unbedingt auf eine korrekte Ausbildung schließen lässt: enge, eingerollte Hälse, durchhängende Rücken, hinten herausarbeitende Hinterbeine sowie stampfende, oft recht schwunglose Bewegungen und Taktprobleme vor allem im Galopp.

Woran liegt das? Sind Friesenreiter grundsätzlich die schlechteren Reiter? Sicher nicht. Sie haben es vielmehr mit Pferden zu tun, die rassetypische Probleme – zumindest mit Blick aufs Dressurreiten – mit sich bringen und deshalb auch rassetypisch gearbeitet werden müssen, und dies ganz besonders im Verlauf ihrer Grundausbildung.

Die Losgelassenheit, zumindest die psychische, ist bei den meisten Friesen nicht unbedingt das Problem, wohl aber der Takt. Im Trab im allgemeinen noch recht taktsicher, zeigen manche Friesen Taktprobleme vor allem im Galopp, der sich oft als polternder Vierschlaggalopp darstellt. Um den Takt – in der Ausbildungsskala immerhin an erster Stelle stehend – sichern zu können, hilft aber gerade bei Friesen nur eines: die Anlehnung (Punkt drei der Skala) zu verbessern. Denn gerade hier besteht bei vielen Friesen das größte Manko.

Der hochaufgesetzte Hals kommt noch höher, der Widerrist sackt nach unten, und der tiefe Rücken wird noch tiefer, sobald der Reiter darauf Platz nimmt. Viele Reiter verwechseln dieses „Hochkommen“ des Halses mit Aufrichtung und nehmen es an, obwohl diese Haltung, die eben nicht einer Senkung der Hinterhand entspringt, den Pferderücken extrem belastet und die Hinterbeine noch weiter nach hinten heraus drängt – alles Begleiterscheinungen, die die sowieso schon schwierige Dehnungsbereitschaft des Friesen und damit eine korrekte Anlehnung fast unmöglich machen.

Zusammengezogene Hälse, festgehaltene Rücken, Knieprobleme und eben Taktstörungen sind die Folge. Der Herstellung und Sicherung der Anlehnung kommt deshalb gerade beim Friesen eine ganz zentrale Rolle zu und rückt den dritten Punkt der Ausbildungsskala fast schon an den Anfang, zumindest aber gleichberechtigt an die Seite des Taktes. Das heißt natürlich nicht, dass das Thema Anlehnung für andere Pferde nicht ebenfalls von größter Wichtigkeit auch für den Takt ist, lediglich die Gewichtung ist im allgemeinen eine andere.

Eine Frage des Temperaments

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Bei hektischen Pferden muss das Thema Losgelassenheit im Fokus stehen. © www.slawik.com

Eine Anpassung bzw. Variierung der Skala-Reihenfolge – wenn man überhaupt von einer solchen reden kann, da die einzelnen Punkte nicht nur aufeinander aufbauen, sondern auch miteinander verzahnt sind, sich ergänzen und nicht einfach nacheinander abzuhaken sind – ist jedoch nicht nur eine Frage der Pferderasse, sondern auch des Temperamentes, des Gebäudes und sogar des Geschlechtes. Vor allem die Basis aus Takt, Losgelassenheit und Anlehnung ist hier anfällig für Beeinflussung durch derartige Äußerlichkeiten. Ein in sich ruhendes, souveränes Pferd, das weder zu Ängstlichkeit noch zu Unsicherheit neigt und auf seine Umwelt mit einer gesunden Neugier reagiert, findet im allgemeinen ohne große Bemühungen seines Reiters zur Losgelassenheit unterm Sattel, auch wenn es vor neue Aufgaben gestellt wird.

Anders der nervöse Typ, dessen Fluchtinstinkt weit stärker ausgeprägt ist als seine Fähigkeit, Vertrauen zu entwickeln. Hier muss der Reiter das Thema Losgelassenheit viel mehr in den Fokus seiner Arbeit stellen, da sich solche Pferde leichter und immer wieder verspannen werden. Allein die Tatsache, dass sie auf neue Herausforderungen – seien es Umweltreize oder neue Übungen unter dem Reiter – nicht mit Flucht reagieren können bzw. dürfen, erhöht ihre Körperspannung bis hin zur Verspannung. Dies ist kein „Spleen“ des jeweiligen Pferdes, sondern eine ganz natürliche Reaktion. Ein erhöhter Muskeltonus, und genau dies ist eine Anspannung, ermöglicht eine schnelleres Reagieren auf eine mögliche Gefahr und damit eine schnellere Flucht – in Freiheit absolut lebensnotwendig, in der dressurmäßigen Arbeit ab einem bestimmten Punkt jedoch eher hinderlich.

Doch nicht nur die Basisforderungen der Ausbildungsskala unterliegen individuellen Herausforderungen, auch die weitere Ausbildung hin zu Schwung, Geraderichtung und Versammlung ist kein festzementiertes Konstrukt, sondern muss dem Pferdetyp entsprechend variabel gesehen werden.

Thema Schwung

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Auch wenn Haflinger selten zu den Gangwundern unter den Pferden zählen, trägt eine konsequente dressurmäßige Ausbildung stark zur Gangverbesserung bei. © Pamela Sladky

Schwung wird definiert als die Übertragung des Impulses aus der Hinterhand auf die Gesamtvorwärtsbewegung des Pferdes. Schwungvoll sind dabei allerdings nur Gangarten mit einer Schwebephase, das heißt der Trab und der Galopp. Der Schritt gilt als schwunglose Gangart.

Ein Pferd kann bereits von Natur aus mit schwungvollen Gängen ausgestattet sein, also über eine Art „Grundschwung“ oder besser: Elastizität verfügen. Diese gilt es zu erhalten und zu optimieren. Aber auch Pferde mit weniger Grundschwung sind durch entsprechende Gymnastizierung und Ausbildung durchaus in der Lage, innerhalb ihrer individuellen Möglichkeiten Schwung zu entwickeln.

Bestes Beispiel: iberische Pferde. Diese meist kurz gebauten, eher im Quadrattyp stehenden Rassen wurden bis vor gar nicht allzu langer Zeit vor allem als Arbeits- und Stierkampfpferde gezüchtet und mussten in Folge klein, kompakt und vor allem wendig sein. Ein schwungvolles Dahertraben mit weiten, nach vorn schiebenden Tritten erschien weniger gefragt, wichtiger war die Fähigkeit, schnelle Richtungswechsel auf der Hinterhand absolvieren zu können. Die damit verbunden hohe Versammlungsfähigkeit dieser Pferde erleichtert so zwar das Erreichen des letzten Punktes der Ausbildungsskala, die Versammlung – nicht aber die Forderung nach Schwung. Bei den meisten dieser Pferdetypen – dies gilt allerdings auch für entsprechende Nicht-Iberer – ist es sinnvoll, das Thema Versammlung früher in die Ausbildung aufzunehmen und über die damit verbundene Stärkung der Tragkraft der Hinterhand auch zu einer Verbesserung der Schubkraft zu kommen.

Thema Geraderichtung

Nun mögen Kritiker einer derart individuellen Anwendung der Ausbildungsskala irritiert die Augenbrauen hochziehen und damit argumentieren, dass ohne den vorletzten Punkt der Skala, ohne die Geraderichtung, auch keine vernünftige Versammlung zu erreichen ist.

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Die Verbesserung un der Erhalt des In-sich-gerade-Seins eines Pferdes sind ein unentwegter Prozess. © www.slawik.com

Das stimmt. Allerdings lässt sich beobachten, dass die Ausprägung der natürlichen Schiefe auch ein wenig mit dem Körperbau zusammenhängt. Je größer und länger ein Pferd, desto ausgeprägter ist häufig auch seine Schiefe. Darüber hinaus sind die Verbesserung und der Erhalt der Geraderichtung eines Pferdes ein unentwegter Prozess.

Über eine längere Zeit vernachlässigt, wird sich die natürliche Schiefe eines Pferdes immer wieder einschleichen – immerhin ist sie von der Natur vorgegeben und vermutlich Folge der Lage des Fohlens im Mutterleib. Abhängig davon, ob ein Fohlen die Monate der Tragezeit in Links- oder Rechtskrümmung im Mutterleib verbracht hat, verkürzt sich die Muskulatur der „inneren“ Seite, während die Muskeln der „äußeren“ Seite ständig gedehnt werden. Aus diesem Grund kommt ein Fohlen bereits mehr oder weniger schief auf die Welt. Die meisten Fohlen (etwa 71 Prozent) sind nach links gebogen, beim Reitpferd spricht man später auch von „links hohl“. Und ähnlich wie bei einem Linkshänder, dem man zwar das Schreiben mit Rechts beibringen kann, bei dem aber, sobald er nicht mehr regelmäßig das Rechtsschreiben übt, die Linkshändigkeit immer wieder zum Vorschein kommt, bleibt auch die Händigkeit des Pferdes latent bestehen und muss vom Reiter immer wieder ausgeglichen bzw. weggymnastiziert werden. Diese gymnastizierende Arbeit ist allerdings erst sinnvoll und vor allem effektiv möglich, wenn die Ausbildungsbasis stimmt und Takt, Losgelassenheit und Anlehnung in Ordnung sind.

Thema Versammlung

Auch die Versammlung, also das angestrebte Ziel der dressurmäßigen Ausbildung, ist nicht nur abhängig von korrektem Reiten, sondern auch von den individuellen Gegebenheiten eines jeden Pferdes. So gibt es Rassen (viele Barockpferderassen), denen die Versammlungsfähigkeit aufgrund ihres Gebäudes und früherer Zuchtziele bereits in die Wiege gelegt wurde und die – wie oben beschrieben – erst über die Versammlung zu mehr Schub und damit mehr Schwung gelangen können.

Daneben steht das jahrzehntelang auf gewaltige Gangarten gezüchtete Sportpferd, das zwar über viel Schubkraft verfügt, dem aber die vermehrte Tragkraft erst angearbeitet werden muss. Für diesen Typus Pferd ist es vollkommen richtig, den Punkt Versammlung als Krönung der bisherigen Ausbildung am Schluss der Skala zu sehen. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass mit Krönung nicht ausschließlich Piaffe und Passage gemeint sind, sondern jegliche versammelte Bewegung des Pferdes. Im Laufe der Arbeit verändert sich lediglich der Versammlungsgrad, der in Perfektion eben in den Übungen der hohen Schule gipfelt.

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Perfektes Beispiel für die Rassenunabhängigkeit der Skala: Orlowtraber und Ex-Polizeipferd Balagur, der es unter seiner Reiterin Alexandra Korelova bis zu den Olympischen Spielen gebracht hat. © Tomas Holcbecher

Je nach Pferdetyp macht es im Verlauf der Ausbildung auch durchaus Sinn, versammelnde Übungen schon recht früh in die Arbeit aufzunehmen. Allerdings kann der Sinn unterschiedlich sein: Der kompakte Typ beispielsweise mit einer günstig gewinkelten Hinterhand und einem eher blütigen Bewegungsablauf bietet Versammlung häufig an und findet über die verbesserte Kadenz oft zu mehr Schwung. Der 1,80-Riese mit langem Rücken, „großen“ Gängen und einem eher langsamen Hinterbein kann über Versammlungsarbeit zu mehr Geschlossenheit und einem schnelleren Abfußen gebracht werden, was wiederum zu mehr Durchlässigkeit verhelfen würde. Die Entscheidung darüber, welche Punkte der Ausbildungsskala für das jeweilige Pferd mehr Gewichtung wann erfahren sollten, setzt vom Reiter viel Erfahrung voraus und auch den Mut, den Ausbildungsweg – immer auf der Basis der Skala – auch mal ein wenig zu variieren.

Copyright: Dr. Britta Schöffmann / Pferderevue

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