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Klassische Symptome für Cushing: lockiges Fell, Hängerücken und -bauch, durchtrittige Fesseln © Dr. Sandra Ranner – Tierklinik Schierling

Das Cushing Syndrom

Ein Artikel von DI Dr. Sabine Brandt, Dr. Sonja Wlaschitz | 17.12.2010 - 11:50
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Klassische Symptome für Cushing: lockiges Fell, Hängerücken und -bauch, durchtrittige Fesseln © Dr. Sandra Ranner – Tierklinik Schierling

Etwa ab ihrem 19. Lebensjahr entwickelte die Schimmelstute ein ganz erstaunliches Winterfell: Es wurde von Jahr zu Jahr dichter, länger und am Hals und an der Brust bildeten sich kleine Löckchen. Dass so ein Pelz auch länger braucht, um dem Sommerfell zu weichen, erschien logisch, und da die Stute im übrigen guter Dinge war, schenkte man dem Phänomen kaum Beachtung. Im April 2001 erkrankte das Pferd im Alter von 21 Jahren ohne ersichtlichen Grund an Hufrehe. Die Stute wurde umfassend behandelt und erholte sich gut. Im April 2003 erfolgte der nächste Reheschub, der jedoch erneut erfolgreich behandelt werden konnte. Im Juli 2004 gab die Stute plötzlich Milch. Hatte man bislang das fortschreitende Alter für die mehrfachen Erkrankungen und zunehmende Teilnahmslosigkeit verantwortlich gemacht, so begann die Pferdebesitzerin nun, die Fachliteratur zu studieren – bis der Verdacht „Cushing“ im Raum stand, der durch einen einfachen Test an der Veterinärmedizinischen Universität bestätigt wurde. Ab diesem Zeitpunkt erhielt der Schimmel das von der Klinik empfohlene Medikament Pergolidmesilat, und die Symptome klangen innerhalb von etwa zwei Monaten ab. Heute ist das Pferd 25 Jahre alt, wird wieder normal gefüttert und mäßig ausgeritten, und sein Blick ist wieder lebhaft und interessiert. Leider wurde das Equine Cushing Syndrom (ECS) bei diesem Pferd nicht früher erkannt – seine Leidensgeschichte wäre weitaus kürzer gewesen.

Was ist Cushing?

Das nach dem amerikanischen Neurologen Harvey W. Cushing benannte Equine Cushing Syndrom entsteht wahrscheinlich durch einen Tumor der Hirnanhangsdrüse, der zu einer Überproduktion an Cortisol führt. Diese Überproduktion des wichtigen Hormons hat zum Teil lebensbedrohliche Stoffwechselstörungen zur Folge. Eine recht häufige Manifestation dieser Stoffwechselstörungen ist die Hufrehe – etwa 82 % der Pferde mit Morbus Cushing sind davon betroffen. Bis vor wenigen Jahren wurde ECS als seltene, aber recht gut erkennbare Erkrankung vor allem alter Pferde eingestuft. Inzwischen zeigen jedoch neue Daten, daß das Syndrom wesentlich häufiger und auch bei jungen Pferden auftritt – und zudem schwieriger als bislang angenommen zu diagnostizieren ist. 2004 hat Mark T. Donaldson Ergebnisse einer in USA durchgeführten Studie veröffentlicht, die zeigen, dass bei 70 % der untersuchten Pferde, die an unerklärlicher Hufrehe litten, ECS die Ursache war, wobei das durchschnittliche Alter der Pferde bei 15 Jahren lag und das jüngste dreijährig war. Donaldson begann diese Studie 1996, nachdem er Cushing bei einem vierjährigen Pony erkannt und (nach dessen Tod) bestätigt hatte. Dieser Fall ließ ihn daran zweifeln, dass Cushing eine reine Alterserkrankung – wie allgemein angenommen – darstellt. In der Folge testete er über einen Zeitraum von sechs Jahren jedes Pferd mit Hufrehe auf ECS. Überraschenderweise waren von insgesamt 40 Tieren 28 positiv, obwohl sie keines der anderen möglichen Cushing-Symptome aufwiesen.

Mögliche Symptome

Typisch für ECS ist, dass es kein typisches weil einheitliches Krankheitsbild gibt, wodurch die Diagnose erschwert wird. Die möglichen Symptome können einzeln oder in verschiedenen Kombinationen auftreten, sind nicht zwingend vorhanden und werden oft irrtümlich z. B. für Alterserscheinungen gehalten. Es wird daher empfohlen, immer an Cushing zu denken, wenn auch nur ein Anzeichen auftritt und andere Krankheiten als Ursache ausgeschlossen werden können. Folgende Symptome sind bei Cushing allein oder im Verband zu beobachten:

  • dickes, langes, im deutlichsten Fall gelocktes Winterfell verzögerter oder kaum stattfindender Fellwechsel
  • chronische Hufrehe
  • übermäßiger Durst – die Pferde trinken bis zu 80 l Wasser pro Tag statt der üblichen 20 bis 30 l
  • übermäßiges Urinieren
  • Fettpolster oberhalb der Augenlider und am Mähnenkamm
  • Muskelrückbildung vor allem am Rücken (Hängerücken), aber auch am Bauch (dadurch Hängebauch)
  • Lethargie, Depression
  • Abmagerung gesteigerte Infektionsanfälligkeit durch stark geschwächtes Immunsystem
  • Neigung zu chronischen, schlecht zu therapierenden Erkrankungen
  • grundloses, fleckenförmiges Schwitzen
  • Parasitenbefall des Fells
  • Durchtrittigkeit in der Fessel
  • Herz-Kreislaufprobleme bis hin zum Umfallen
  • abnormaler Zyklus, Unfruchtbarkeit, Milchproduktion bei nicht tragenden Stuten
  • schlechte Wundheilung, wunde Stellen auf der Maulschleimhaut
  • erhöhter Wurmbefall
  • hoher Blutzuckergehalt
  • Erblinden, Kopfschlagen, Demenz

Diagnose

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Maul auf: Geschwüre im Maul gehören ebenfalls zur Symptomatik des ECS. © Dr. Sandra Ranner – Tierklinik Schierling

Um eine sichere Diagnose stellen zu können, werden spezifische Hormontests durchgeführt. Am verläßlichsten ist der Dexamethason-Suppressionstest, welcher den Effekt des Cortisol-ähnlichen Dexamethasons auf die Cortisolkonzentration im Blut erhebt. Dexamethason blockiert die Sekretion des Hormons ACTH durch die gesunde Hirnanhangdrüse und reduziert deutlich den Cortisolgehalt im Blut. Im Falle von Cushing ist Dexamethason dazu nicht in der Lage. Weiters kann die ACTHKonzentration im Blut erhoben werden. Liegt sie über dem Normalwert, kann auf Cushing geschlossen werden. Nachteil für den Tierarzt ist hier, da die entnommene Blutprobe sofort nach der Entnahme bearbeitet werden sollte, um falsch negative Ergebnisse zu vermeiden – was praktisch nicht durchführbar ist, wenn das Pferd sich nicht an einer Klinik befindet. Ebenfalls ein Nachteil: der Test ist nur im positiven Falle beweisend, ein Cushing kann also mit einem negativem Testergebnis nicht sicher ausgeschlossen werden. Hier der Vorteil: Auch Pferde mit hochakuter Hufrehe können gefahrlos getestet werden. Da hohe Cortisolkonzentrationen im Blut häufig zu erhöhten Insulinwerten führen, (Symptom Diabetes – übermäßiges Trinken, Urinieren!), sollte zusätzlich bei Cushing-Verdacht auch der Blutzuckergehalt untersucht werden. Sämtliche Tests werden an der Klinik für Interne Medizin und Seuchenlehre der Veterinärmedizinischen Universität schnell und kostengünstig durchgeführt.

Therapie

Die derzeit zur Verfügung stehenden Medikamente können zwar das Adenom nicht beseitigen, jedoch in den meisten Fällen die oft schmerzhaften Symptome. Wird ECS frühzeitig erkannt, hat man mit etwas Glück in kurzer Zeit wieder ein beschwerdefreies, voll einsetzbares Pferd. Das verwendete Medikament darf bei Besserung nicht abgesetzt werden und muss lebenslang, in der Regel morgens, zugefüttert werden. An erster Stelle hinsichtlich Wirksamkeit steht mit Sicherheit Pergolidmesilat (Permax®), ein Medikament, das in der Humanmedizin zur Therapie von Parkinson angewandt wird. Eine exakte Aussage über die genaue Dosierung kann jedoch nicht getroffen werden, sie variiert von Pferd zu Pferd und muss individuell unter tierärztlicher Aufsicht ermittelt werden. Die eingangs zitierte Stute wurde erfolgreich mit Pergolidmesilat behandelt, erste Erfolge waren nach etwa drei Wochen zu sehen, nach zwei Monaten waren die Fettpolster oberhalb der Augenlider verschwunden und der Fellwechsel ziemlich erfolgreich abgeschlossen. Auch Cyproheptadin (Periactin ®) kommt häufig zur Anwendung. Es handelt sich hier um einen Serotonin-Blocker, der ebenfalls in Tablettenform verabreicht wird. Cyproheptadin ist in 75–80 % der Fälle wirksam. Als neue Hoffnung gilt derzeit Trilostan, das bislang zur Cushing-Behandlung bei Hunden diente. Im Rahmen einer britischen Studie konnte gezeigt werden, daß Trilostan nebenwirkungsfrei nicht nur Symptome reduziert, sondern auch den Blut-Cortisolgehalt normalisiert. Alternativ werden neuerdings Mönchspfefferpräparate (Vitex agnus castus), Alfalfa (Medicago sativa) oder homöopathische Wirkstoffe vorgeschlagen. Da es sich bei Cushing um eine Tumor- bedingte massive Störung des Cortisolstoffwechsels handelt und die Wirkung dieser Therapieformen bislang nicht belegt werden konnte bzw. sogar widerlegt wurde, sollten Alternativmethoden eher unterstützende denn ausschließliche Anwendung finden.

Unterstützung

ECS kann behandelt, aber nicht geheilt werden. Wie man dem Pferd zusätzlich helfen kann, zeigt die folgende Zusammenstellung:

  • Stress unbedingt vermeiden. Der allgemeine Hormonstatus vieler Cushing-Pferde belegt den stark erhöhten Stress, unter dem diese Pferde stehen bieten Sie dem Pferd einen sicheren, angenehmen und vertrauten Lebensraum in seiner gewohnten Umgebung (kein Boxen-, Koppel-, oder Ortswechsel)
  • ausreichendes Futter- und Wasserangebot an immer demselben Ort
  • gegebenenfalls Fell im Sommer abscheren, bei Kälte eindecken
  • häufig putzen, um Hautkrankheiten zu vermeiden
  • Hufe in gutem Zustand halten
  • Zähne regelmäßig prüfen lassen
  • Pferd nicht der Aggression anderer Pferde aussetzen
  • Kontakt mit fremden Pferden vermeiden
  • regelmäßig entwurmen (alle 45 Tage)
  • Fütterung anpassen, d. h. Vitaminmehrversorgung, Reheprophylaxe (wenig Kraftfutter, vor allem Mais und Gerste vermeiden, begrenzter Weidegang, hier vor allem das frisch sprießende Gras vermeiden).

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Dieser Artikel ist erstmals in Ausgabe 10/2005 der Pferderevue erschienen. Pferderevue AbonnentInnen können ihn zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter Service/Online-Archiv einloggen und in allen Heften aus 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!

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