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Seit 2021 kann niemand mehr behaupten, dass Spitzensport für Pferde barhuf nicht möglich sei. Allerdings ist er immer noch nicht üblich, und auch die Reitsportler:innen, die ihre Pferde möglichst viel barhuf laufen lassen und nur für kürzere Phasen oder sogar nur einzelne Events beschlagen lassen, hängen das zumeist nicht an die große Glocke. Verständlich, wollen sie doch vielmehr mit ihren sportlichen Leistungen beeindrucken. Grundsätzlich ist die Motivation für alle, die auf Barhuf setzen: Das Pferd soll eine bessere Performance zeigen als mit Eisen. Ob es das tut, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.
Zwei, die regelmäßig ohne Hufeisen an die absolute Weltspitze reiten, sind Henrik von Eckermann (SWE) und sein King Edward. © Stefan Lafrentz
Beispielhafter King Edward
In Interviews und auf ihren Social-Media-Kanälen haben vor allem die schwedischen Reiter vieles über ihre Beweggründe für Spitzensport-Barhufer berichtet: Die Frau des schwedischen Olympiazweiten von 2021 Peder Fredricson postete kurz vor den Tokioter Spielen auf Instagram über den barhuf fantastisch springenden, damals 15-jährigen Wallach All In: „Vor etwa einem Jahr hat Peder nach einer langen Pause angefangen, ohne Hufeisen zu reiten.“ Der Wallach hatte die Eisen vor der Pause abgenommen bekommen, und sich „sehr schnell umgewöhnt“, wie Fredricson selber erzählte. Seine Entscheidung für Barhuf begründete er damit, dass sich das Pferd ohne Eisen wohler fühle.
Auch das zweite schwedische Pferd, das mit der Mannschaft in Tokio Gold gewann und im Einzel auf Platz vier landete, King Edward, war früher beschlagen. Sein Reiter, der Weltranglistenerste Henrik von Eckermann, berichtete der britischen Zeitschrift Horse & Hound über den Grund der Eisenabnahme bei King Edward, er sei unzufrieden mit der Art und Weise, wie er über seine Hindernisse sprang – nämlich stärker zu einer Seite. Da er aber grundsätzlich gesund war, ergab die Analyse schließlich den Beschlag als Problem des schiefen Springens. „Als wir ihm die Eisen abgenommen haben, hat sich das komplett geändert. Man spürte sofort, dass er entspannter und zufriedener war. Seitdem trägt er keine mehr“, wird von Eckermann zitiert.
In Paris allerdings stellten sich dem Paar ganz andere Probleme: Nach der olympischen Testveranstaltung in Fontainebleau im heurigen April entschied der Doppel-Weltmeister, seinen King Edward vorne beschlagen zu lassen, da der Boden dort enorm fest und sehr kompakt gewesen sei. Doch dann trat sich der 14-jährige Belgische Wallach vom Celler Landbeschäler Edward in der olympischen Eröffnungsrunde ein Eisen ab. Da von Eckermann feststellte, dass der Belag doch deutlich weicher als beim Testevent war, kamen die Eisen ganz runter.
Gesündere Pferde, weniger zu tun für die Tierärzte: Die Springprofis machen gute Erfahrungen ohne Eisen. © Stefan Lafrentz
Mal mit, mal ohne
Ein Vorgehen, dass für viele Sportreiter:innen, die ihre Pferde möglichst viel barhuf haben wollen, durchaus üblich ist. Die meisten wechseln zwischen langen Barhufphasen und traditionellem Beschlag oder Bekleb, greifen aber auch auf Hufschuhe während des Trainings zurück. Ein Vorgehen, das man zunächst vor allem aus Distanzreiterkreisen kannte, das sich aber nun seit Jahren den Weg über das Spring- und Vielseitigkeitsreiten bahnt und auch von Dressurreiter:innen bereits genutzt wird.
Der Barhuftrend hat nicht nur für Produktentwicklungen und Unternehmensgründungen gesorgt, sondern in Schweden auch die Forschung vorangetrieben: Hintergrund ist ein Satz, der eigentlich bei jedem Springprofi fällt, der bereits länger auf Barhuf setzt – egal ob die Schweden oder die französischen Springreiter Michel Hécart und Julien Épaillard: „Wir haben festgestellt, dass wir den Tierärzten damit wesentlich weniger zu tun geben.“ Warum das so ist, war das Ziel einer Barhufstudie, die als Zusammenarbeit der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften und dem Tierversicherer Agria Djurförsäkring durchgeführt wurde. Sie gab Professor Lars Roepstorff und seinem Team die Gelegenheit, herauszufinden, was im Huf von Springpferden passiert, wenn sie nicht beschlagen sind. Es wurden dabei laut Forscher:innen vier Bereiche identifiziert, die „einen direkten Einfluss auf die Gesunderhaltung und Leistung des Pferdes haben können“. „Da Lahmheiten die Hälfte aller Verletzungen bei Pferden ausmachen, war dies einer der Auslöser, nach möglichen Hinweisen zu suchen, wie wir Verletzungen reduzieren können“, ergänzt Agnes Fabricius, CEO von Agria.
Roepstorff, der an der Abteilung für Anatomie, Physiologie und Biochemie lehrt, hat die Schlussfolgerungen dieser Forschung, an der auch Peder Fredricson teilnahm, auf der Göteborger Pferdeshow 2023 vorgestellt. Die interessantesten Aspekte des Barhuflaufens sind demzufolge, wie der Huf sich in der Bewegung verhält, wie die Rotation des Hufes beeinflusst wird, wie lange der Huf in der Luft ist und die Gleitphase des Hufes, wenn er auf dem Boden landet. Roepstorff erklärt, dass das Pferd durch das geringere Gewicht am Huf im Vergleich zu einem Eisenbeschlag sein Bein in der Schwebephase nicht so hoch heben muss. Durch die schnellere Beschleunigung kann das Pferd schneller zwischen der Stützphase und der Schwebephase wechseln. Ein Vorteil – vermutlich nicht nur im Parcours: „Wir sehen, dass das Pferd leichtfüßiger wird, was wiederum erklären könnte, warum unbeschlagene Pferde sowohl über als auch zwischen Hindernissen schneller sein können und somit ihre Leistung steigern. Da der Huf flexibler sein darf, ist es vernünftig und logisch anzunehmen, dass dies zu einer besseren Stoßdämpfung führt, nicht nur im Inneren des Hufs, sondern auch weiter oben in der Gliedmaße.“
Unterschiede im Hufmechanismus
Es zeigte sich bei der Untersuchung zudem erneut, dass sich die inneren Bewegungen des Hufes – in der Regel als Hufmechanismus bezeichnet – in mehrfacher Hinsicht zwischen barhufigen und beschlagenen Pferden unterscheiden. Barhuf zeigen vor allem die inneren und äußeren Trachten eine größere Beweglichkeit, der Huf hat insgesamt eine größere Ausdehnung und einen größeren Bewegungsspielraum sowie eine stärkere Kontraktion beim Abrollen. Als sehr interessant beurteilt Roepstorff folgendes Ergebnis: „Kurz vor dem Auffußen lässt sich barhuf eine verstärkte Kontraktion der Trachten beobachten.“ Weiters zeigten die Analysen, dass sich das Bewegungsmuster des barhuf laufenden Pferdes in Bezug auf die Verweildauer des Hufes auf dem Boden verändert, was sich positiv auf Beschleunigen oder Abbremsen, Wendungen und Sprünge auswirkt, denn die eigentliche Bewegungsarbeit findet während der Zeit statt, in der der Huf den Boden berührt. „Das bedeutet, dass die Arbeit des barhufigen Pferdes effizienter ist“, so die Forscher:innen.
Leistungsstarker Barhuf
Die Springprofis lassen sich nur bedingt in die Karten schauen, wie Sie bei ihren Pferden leistungsstarke Barhufe entwickeln. Von Fredricson weiß man, dass er selber viel an den Barhufen macht – wenn nötig selber feilt. Alle setzen zudem auf Ausritte und Weidegang. Insgesamt hat man den Eindruck, eine Umstellung auf Barhuf sei kein Problem. Und das ist sie tatsächlich nicht, wenn man davon ausgeht, dass diese Leistungssportler grundsätzlich gesund und auftrainiert sind. Als solche verfügen sie einerseits über die Muskulatur, um eine Barhufumstellung körperlich gut auszugleichen, und andererseits über gesunde Hufe und einen ebensolchen Bewegungsapparat. Kein Vergleich also dazu, wenn ein krankes, untrainiertes oder übergewichtiges Pferd aus der Not heraus – etwa weil kein Eisen mehr hält – umgestellt wird, und der Huf erst gesund durchwachsen und oft auch noch entsprechend korrigiert und saniert werden muss. Dann dauert es im Zweifelsfall länger, ist aber, wie die Praxis zeigt, gesundheitlich nicht weniger effektiv.
Laut einer Studie der International Society for Equitation Science haben Dressur-Barhufer keinen Wettbewerbsnachteil. © www.slawik.com
Für den Dressurbereich wurde bislang hauptsächlich untersucht, ob oder wie Eisen im Vergleich zum Barhuf die Vorhandaktion verändern – mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Zudem ist die übliche Vorgehensweise bei solchen Studien, den Gang beschlagener Pferde zu messen, dann den Beschlag abzunehmen und das Gangbild erneut zu analysieren. Eine von der International Society for Equitation Science vorgestellte Studie, die Dressurpferde, die mindestens ein Jahr barhuf waren, mit beschlagenen verglich, kam zu dem Ergebnis, dass in Sachen Bewegung die Barhufer keinen Wettbewerbsnachteil haben.
Wer überlegt, ob barhuf für sein Pferd eine Option ist, der sei erinnert, dass früher traditionell im Winter die Eisen abgenommen wurden. Nicht zuletzt ist der Herbst und frühe Winter mit seinem Gatsch und – für die meisten – ohne Turniere in der Regel ein guter Zeitpunkt zur Barhufumstellung.