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Sie sind berühmt für ihren perfekten Sitz: die Reiter der Spanischen Hofreitschule in Wien © René van Bakel - Spanische Hofreitschule

Sattel-Fest

Ein Artikel von Oliver Hilberger | 29.12.2010 - 11:54
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Sie sind berühmt für ihren perfekten Sitz: die Reiter der Spanischen Hofreitschule in Wien © René van Bakel - Spanische Hofreitschule

Historiker vermuten – und bei Vermutungen bleibt es –, dass der Mensch vorerst aus Bequemlichkeit am Pferderücken Platz genommen hat. Zu Beginn der gemeinsamen Geschichte wurden Pferde nur als Zugtiere verwendet, und um sich den Fußmarsch zu erleichtern, setzten sich die Menschen vor etwa 6.000 Jahren dann aufs Pferd. Der erste Schritt vom Zug- zum Reittier war getan, doch galt es für den Menschen, am Pferd zu bleiben – und das möglichst lange und sicher. Denn schließlich wollten die Fähigkeiten des Vierbeiners genutzt und beherrscht werden: Geschwindigkeit und Richtung der gemeinsamen Fortbewebung sollten vom Menschen bestimmt werden. Diese Problematik hat sich über die Jahrtausende hinweg nicht verändert. Auch die heutigen Reitanfänger stehen vor ähnlichen Problemen, denn die Kontrolle über die eigenen motorischen Fertigkeiten gestalten sich oft schwierig genug, doch am Pferderücken muss auch noch ein zweiter Körper beeinflusst werden: der eines mächtigen Pferdes. Der große Vorteil heutzutage ist, dass optimierte Ausrüstung (Sattel und Zaumzeug), gut ausgebildete Pferde und kompetente Hilfe von ReitlehrerInnen zur Verfügung stehen und so die schwierige Aufgabe, eine korrekte Haltung im Sattel einzunehmen, immens erleichtern. Der Sitz zu Pferde ist Ausgangspunkt aller Hilfengebung, darüber ist man sich einig. Ein/e gute/ r ReiterIn zeichnet sich nicht nur durch eine schöne Haltung im Sattel aus, er/sie muss auch losgelassen, ohne den Pferderücken zu stören, jede Bewegung begleiten können.

Die Evolution hoch zu Ross beginnt

Die ersten Pferde wurden von Nomaden aus der eurasischen Steppe gezähmt und als Haustiere gehalten (etwa 3000 bis 2000 v. Chr.). Das Rad war schon erfunden, Historiker vermuten deshalb, dass das Pferd zuerst als Zugtier verwendet wurde. Während im alten Ägypten (2000 bis 1000 v. Chr.) weiterhin vom Pferd gezogene Streit- und Kampfwagen das Bild der Zeit prägten, entwickelten sich im nordafrikanischen und südeuropäischen Raum Reitervölker – die Geschichte der Reiterei beginnt. Im frühen Griechenland (700 v. Chr. bis 395 n. Chr.) war ein „Natursitz“ zu Pferde gebräuchlich. Aus Abbildungen lässt sich rekonstruieren, dass die Reiter einen leichten Rundrücken machten, die Beine zwanglos am Pferdekörper herabhingen und diePferde unter ziemlicher Gewalteinwirkung gehorsam gemacht wurden. Das Parthenonfries (Teile davon sind im British Museum in London zu sehen) gilt als Zeugnis der griechischen Reiterei. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten diesbezüglichen schriftlichen Anweisungen. Dem Staat der Dichter und Philosophen entsprang ein Mann, der als der Vater der Reitkunst gilt und der das erste Mal psychologische Aspekte in die Pferdeerziehung einbrachte: der Schriftsteller, Politiker und Feldherr Xenophon (um 426 bis 355 v. Chr.). In Xenophons Werk „Über die Reitkunst“, das auch heute noch als Basis der klassischen Reitkunst gilt, wurde das erste Mal der Sitz des Reiters beschrieben. Die Griechen kannten noch keinen Sattel, der Reiter musste sich durch einen festen Beinschluss auf dem Pferd halten. Xenophon verwarf den „Rundrückensitz“ und setzte an seine Stelle eine aufrechte und gespannte Körperhaltung. Das Bild des Reitersitzes wurde damals von einer einfachen Zweckmäßigkeit geprägt. Da die Pferde sehr klein waren und nicht viel Rückenbewegung hatten, konnte sich dieser aufrechte, gerade Sitz am blanken Pferderücken ohne Steigbügel durchsetzen. Da es im Krieg wichtig war, nicht vom Pferd zu fallen, galt es nicht, dieses so wenig wie möglich zu stören, sondern mit einem stabilen Sitz sein eigenes Leben im Schlachtengetümmel zu schützen.

Die Entwicklung des Sattels

Die Griechen und Römer ritten ihre Pferde zum großen Teil noch ohne Sattel, obgleich die älteste bekannte Darstellung eines Sattels ins Jahr 300 v. Chr. datiert wird.

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Die römischen Feldherren mussten die Balance am Pferd noch ohne Sattel und Steigbügel finden. © Oliver Hilberger

Die Skythen (als Skythen wurden alle Völker der eurasischen Steppe bezeichnet) entwickelten Lederkissen, die ihren Pferden mit einem Brustgurt verschnallt auf den Rücken gelegt wurden. Einfache Lederriemen waren höchstwahrscheinlich die ersten Steigbügel. Diese Kissen wurde im Laufe der Jahrhunderte um einen festen Sattelbaum ergänzt, der das Gewicht des Reiters besser auf dem Rükken des Pferdes verteilte, weniger verrutschte und so dem Reiter mehr Halt gab. Mehr als ein Jahrtausend (395 v. Chr. bis 1350 n. Chr.) tat sich trotz der Erfindung des Sattels in der Entwicklung des Reitsitzes nicht sehr viel. Im europäischen Raum, geprägt von kleinen, kompakten Pferden, beeinflusst von der immer schwerer werdenden Rüstung des Reiters, blieb der Sitz stocksteif. In den Steigbügeln stehend, das Becken festgestellt und unbeweglich, überlebte diese Art des Reitens im Westen selbst die Ritterzeit. Im östlichen Raum dagegen entwickelten verschiedene Reitervölker, unter ihnen die Araber und Mongolen, den leichten Sitz. Die Steigbügel kurz geschnallt, schwebten sie über dem Pferderücken und konnten so mit ihren Rössern enorme Geschwindigkeiten erreichen. Die Pferde waren leichter und feingliedriger, geeignet für schnelle Angriffe und zur Überbrückung von großen Distanzen. Schon in der Vergangenheit prägte also auch der Körperbau des Pferdes den Reitstil. In unseren Breiten hat sich der „Stehsitz“, der es dem Reiter ermöglichte, ohne allzu grobe Stöße auf dem Pferd zu sitzen, über die Renaissance (1350 bis etwa 1600 n. Chr.) bis zum Beginn des Barocks gehalten. Durch das festgestellte Becken musste jegliche Bewegung des Pferderückens durch angepresste Beine kompensiert werden, man saß am Spalt, um nicht weit aus dem Sattel geworfen zu werden. Die damals gebräuchlichen Schulsättel stützten den Reiter durch ihre hohen Galerien und boten so nicht nur Schutz gegen feindliche Lanzen, sondern umrahmten auch das Becken des Menschen. Die Oberschenkel waren stark „eingepauscht“ und gaben so zusätzliche Festigkeit. Ob dieser Sättel war es kein Wunder, daß das gesamte Bein nach vorne gestreckt war und so als Schenkelhilfen einzig und allein die Sporen zuließen.

Spanien und Amerika

Durch die Entdeckung (1492) und Besiedelung Amerikas wurde auch die Arbeitsreitweise der Spanier mit auf den neuen Kontinent gebracht. Bis zu dieser Zeit entwickelte sich auf der iberischen Halbinsel eine Gebrauchsreiterei, die bis in die heutige Zeit erhalten blieb. Das Hüten von Rindern stellte einen hohen Anspruch an den Reitersitz. Er musste bequem sein, um stundenlang am Pferd sitzen zu können. Die Sättel der Viehhirten hatten eine für den Pferderücken angenehme große Auflagefläche und waren eine Variante des Rittersattels. Die Galerien blieben, um von den Hörnern der Stiere geschützt zu sein, die Pauschen hingegen verschwanden. Durch die gewonnene Bewegungsfreiheit konnte der Vaquero frei und losgelassen seinen Oberkörper zurücknehmen und schonte dadurch seinen Steiß. Reitweise und Reitsitz der Spanier haben sich im Laufe der Jahrhunderte nur sehr wenig verändert und werden noch heute auf der iberischen Halbinsel eingesetzt. In Amerika wurde diese Reitweise übernommen und fand um 1880 mit den berittenen Hirten – den Cowboys – ihre Glanzzeit. Der modifizierte spanische Sattel ist heute als Westernsattel bekannt und erfuhr nur sehr geringe Veränderungen. Die Rinder waren nicht so angriffslustig wie die spanischen Stiere, und so war das Hauptaugenmerk des Sitzes auf Effizienz und Schonung von Pferd und Reiter gelenkt. Der Reitsitz der Cowboys bewahrte sich bis in die heutige Zeit.

Reitkunst vom Barock bis zur heutigen Zeit

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Zur Zeit Maria Theresias entwickelte sich der Vorläufer des heutigen Dressursitzes. © Oliver Hilberger

Parallel zur Entdeckung Amerikas wurde in Europa eine neue Ära der Reitkunst eingeleitet. Die großen Kriege waren vorüber, und der Mensch besann sich auf die schönen Künste. Die Reiterei wurde zum Vergnügen betrieben, und so boten sich der Entwicklung des Sitzes neue Möglichkeiten. In Frankreich und Italien bildete sich eine eigene Reitkultur, aus der ein Reiter hervorging, der wohl als einflussreichster Reitmeister der Geschichte in die Annalen der Reitkunst einging: der Franzose François Robichon de la Guérinière (1688 bis 1751). Im Jahre 1733 veröffentlichte Guérinière das Buch „Ecole de Cavalerie“, eine der bedeutendsten Anleitungen zur Ausbildung von Pferd und Reiter. Er betont darin die Losgelassenheit des Sitzes, die Winkelung von Becken und Oberschenkel und lässt den Reiter auf seinen Sitzknochen ruhen, während die Unterschenkel gerade herabhängen. Damit löste Guérinière den „Stehsitz“ ab, und das Becken gewann als Bewegungspuffer immer mehr an Bedeutung. Der neue Sitz erlaubte ein dynamisches Begleiten des Pferderückens, das dem statisch festgestellten Sitz weit überlegen war. Das 19. Jahrhundert bedeutete für die Reiterei einen großen Umbruch. Europa stand im Zeichen des Krieges, die Kavallerie wurde in den meisten Ländern aufgerüstet, und die Militärreiterei verdrängte die höfische Reitkunst. Die Menschen wandten sich dem Gelände- und Jagdreiten zu, der Pferdetyp veränderte sich. Napoleon Bonaparte brachte eine große Anzahl orientalischer Pferde nach Europa, was der Pferdezucht nachhaltig eine neue Richtung gab. Die neue Reitweise brachte auch eine Veränderung des Sattels und des Sitzes mit sich. Das Erbe von Guérinière lebte in einer „beweglichen Mittelpositur“ weiter, die Bügellänge verkürzte sich und brachte damit den Unterschenkel des Reiters in eine neue Position, die ein Aufstehen im Sattel ermöglichte. Der schon in der Barockzeit bekannte englische Sattel wurde immer beliebter – er besaß keine Pauschen und ermöglichte so dem Reiter viel mehr Bewegungsfreiheit. In Deutschland prägte Gustav Steinbrecht mit seinem Werk „Das Gynasium des Pferdes“ die Reiterei, und noch heute kann man seine Reitlehre als Grundpfeiler der modernen Dressurreiterei ansehen. Als „Erfinder“ des heute noch üblichen modernen Sprungsitzes gilt der Italiener Federico Caprilli (1868 bis 1907). Im Laufe des 20. Jahrhunderts variierte nur noch die Bügellänge, doch der moderne Dressursitz war gefestigt und hat sich bis in die heutige Zeit bestätigt.

Der moderne Dressursitz

In der heutigen Zeit liegt der Schwerpunkt in einem zügelunabhängigen Sitz, der das Pferd optimal unterstützen kann, und der dem/der ReiterIn erlaubt, ohne „Anhalten“ am Zügel im Sattel zu sitzen. Die wichtigste Rolle beim Dressursitz übernimmt das aufgerichtete, dreidimensional bewegliche Becken, das, von ausreichend kräftiger Rückenmuskulatur unterstützt, der Bewegung des Pferderückens aktiv folgen kann. Auf beiden Sitzbeinhöckern im Sattel ruhend, bildet die richtige Position der Hüfte den Dreh- und Angelpunkt des ausbalancierten Sitzes. Die Schwingungen des Pferderückens dürfen nicht gestört, sondern sollten gefördert werden. Die Rückenmuskulatur des/der Reiters/In unterstützt die Bewegungen des Beckens, indem sie zum richtigen Zeitpunkt an- und abgespannt wird. Das Becken erreicht in aufgerichteter Position seine größte Auflagefläche, wodurch ein gezieltes Einsetzen der Sitzbeinhöcker für eine optimale Gewichtshilfe ermöglicht wird. Schon hier offenbart sich, dass es nicht reicht, einfach im Sattel zu sitzen und zu hoffen, dass der eigene Körper die Stöße schon abfangen wird. Ohne ausreichend trainierte Rücken- bzw. Bauchmuskeln wird es nur sehr schwer möglich sein, den Trab eines schwungvoll gehenden Pferdes auszusitzen, ohne ihm in den Rücken zu fallen. An dieser Stelle sei auch der Begriff „Kreuzanspannen“, der schon bei vielen ReiterInnen für Missverständnisse gesorgt hat, näher erklärt: Das „Anspannen des Kreuzes“ ist nichts anderes, als ein dynamisches nach Vorne- Oben-Bringen des unteren Beckenringes, aber nicht durch Zurücklehnen des Oberkörpers, sondern durch den Gebrauch der Bauchmuskulatur. Genau diese Bewegung erlaubt es dem/der ReiterIn wie „angeklebt“ im Sattel zu sitzen. In einer Trockenübung kann man diese Bewegung sehr einfach nachmachen: Man setzt sich in gerader Haltung an den äußersten Rand eines Stuhles und versucht, diesen ausschließlich mit Hilfe seines Beckens nach vorne zu kippen, ohne dabei den Oberkörper nach hinten zu verlagern. In diesem Moment muss man sein „Kreuz anspannen“. Die Dynamik dieses Vorganges wird erst am trabenden Pferde deutlich, denn erst das An- und Abspannen im Takt ermöglicht es, den Trab korrekt auszusitzen.

Die Schenkellage

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Von Links nach rechts: Bild 1 zeigt die Reiterin mit nach vorne gestreckten Armen, die die Schultern und das Ellbogengelenk blockieren. Mit zu langen Bügeln, wie auf Bild 2 zu sehen, kann das Becken der Reiterin nicht mehr richtig arbeiten. Auf Bild 3 sitzt die Reiterin korrekt aufgerichtet und hatArme und Beine in der richtigen Position. © Oliver Hilberger

Aus der korrekten Beckenposition sollen die Oberschenkel des Reiters bzw. der Reiterin flach und ohne zu klemmen am Sattelblatt liegen, die leicht gewinkelten Unterschenkel bringen die Ferse in das Lot von Schultergelenk und Hüfte des Reiters bzw. der Reiterin. Der Fuß ruht am Ballen im Steigbügel. Das Sprunggelenk muss entspannt sein, um die Schwingungen nach unten abzufedern. In dieser einfachen und prägnanten Forderung steckt ein weiteres Geheimnis des Dressursitzes, das auch schon eine große Schwierigkeit für den Reitanfänger beinhaltet. Die Beine des Menschen reagieren auf ungewohnte Bewegungen meist reflexartig mit Verspannung und Klemmen. Die Unterschenkel pressen sich an das Pferd, die Fersen werden hochgezogen, die Knie des Reiters entfernen sich vom Sattel und rutschen immer höher. Meist ist dann der Traum vom perfekten Dressursitz in weite Ferne gerückt. Um diesem Reflex zu entgehen, müssen die Oberschenkel mit der Innenseite flach am Sattelblatt liegen. Dazu spreizt man ein wenig seine Beine, dreht in dieser Position ganz sanft beide Oberschenkel etwas nach innen und legt sie so wieder an den Sattel. Die Folge dieser Bewegung ist, dass das Knie in tiefer Position ohne zu klemmen an den Sattel kommt und die Unterschenkel daraus frei und entspannt positioniert werden können. Die häufig gehörte Anweisung, die Fußspitzen nach innen zu drehen, bringt nur unnötige Verspannungen in das Bein, denn die Füße sollen durch das Drehen des gesamten Beines in die korrekte Lage gebracht werden. Die Wurzel dieses Fehlers findet sich also in der Lage desOberschenkels und nicht im Fuß selbst. Man darf das Drehen aber auch nicht übertreiben, denn dann entfernt sich die Wade des Reiters vom Pferd, und eine Schenkelhilfe wird fast unmöglich. Das so erreichte tiefe Knie ermöglicht es, den Unterschenkel losgelassen in Richtung des eigenen Schwerpunkts zu bringen. Damit das Sprunggelenk korrekt arbeiten kann, muss man es vermeiden, in den Steigbügel zu drücken und dadurch den Absatz tiefer zu bringen. So würde man im gesamten Bein steif und die Geschmeidigkeit ginge verloren. Nur ein entspanntes Sprunggelenk kann das nach unten strebende Reitergewicht dynamisch abfedern und dadurch der Unterschenkel in korrekter Position gehalten werden. Dies erklärt auch, warum es vielen ReiterInnen leichter fällt den Trab ohne Bügel auszusitzen: Da der Fuß keinen Widerstand findet, wirkt nur die Schwerkraft auf das Reiterbein ein und lässt dieses entspannt nach unten hängen. Bei steifen Sprunggelenken bewirkt der Steigbügel das unerwünschte und unangenehme „Nach-obengeworfen- Werden“. Die hochgezogenen Fersen machen die puffernde Wirkung des Sprunggelenkes zunichte und verhindern so eine gezielte Schenkeleinwirkung. Die Schenkelhilfen sollen aus der leicht angelegten Wade kommen und dürfen den Sitz nicht in Unordnung bringen. Es ist besser, daran zu denken, die Fußspitzen leicht anzuheben, um so den Absatz tiefer zu bekommen, als ständig die Fersen hinunterzudrücken.

Der Oberkörper

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Von links nach rechts: Auf Bild 1 rahmt der Oberschenkel das Pferd optimal ein, die Wade kann gezielt eingesetzt werden. Bild 2 zeigt die Reiterin mit offenem Knie wodurch der Kontakt mit dem Sattelblatt großteils verloren geht. © Oliver Hilberger

Aus dem richtig positionierten Becken richtet sich der Oberkörper auf. Aus einer geraden und entspannten Haltung werden die Schultern etwas zurückgenommen, der Brustkorb geweitet und die Oberarme senkrecht fallen gelassen. Die Unterarme mit aufgestellten Händen bilden mit den Zügeln eine Linie zum Maul des Pferdes. Die Kopfhaltung wird durch den Blick über die Pferdeohren bestimmt und komplettiert den Dressursitz. Die häufigsten Fehler entspringen einer falschen Beckenposition, denn diese bestimmt die senkrechte Haltung des gesamten Oberkörpers. Ist das Becken zu instabil und zu steif und kann somit die Schwingungen des Pferderückens nicht mehr aufnehmen, kommt der gesamte Oberkörper des Reiters bzw. der Reiterin in Unordnung. In den meisten Fällen gleicht man diese fehlende Balance durch einen zu weit nach vorne oder zu weit nach hinten genommenen Oberkörper aus, so entstehen der Spalt- bzw. der Stuhlsitz. Die Wurzel dieses Übels findet sich also nicht in der Aufrichtung des Oberkörpers, sondern in einer falschen Beckendynamik. Die Korrektur muss also beim Becken ansetzen – und nicht in der Neupositionierung des Oberkörpers. Viele Verspannungen entstehen zusätzlich in den Schultern des Reiters bzw. der Reiterin, denn solange der Sitz nicht wirklich zügelunabhängig ist, werden diese meist mit nach vorne gezogen, was den Brustkorb einengt, damit die Atmung blockiert und den gesamten Körper verspannt. Manchmal hilft es, während des Reitens zu pfeifen oder leise vor sich hinzusummen (am besten, wenn man sich alleine im Viereck befindet), dies entspannt und lässt die Atmung wieder ruhiger und ausgeglichener werden. Durch den richtigen Sitz wird die Hilfengebung für das Pferd verständlicher, die eigene Körperwahrnehmung geschult, und das Reiten verursacht keine gesundheitlichen Probleme im Bereich der Wirbelsäule. Im Gegenteil, durch die Stärkung der Rückenmuskulatur kann der Mensch genauso vom modernen Dressursitz profitieren, wie das Pferd. Die Sitzlonge – die einzige Möglichkeit, den unabhängigen Sitz zu erlernen – ist nicht nur für den Anfänger eine gute Hilfe, auch fortgeschrittene Reiter- Innen können damit ihre Fehler korrigieren und weiter am Sitz feilen. Sitzdefizite, die nicht schon an der Longe ausgemerzt werden, lassen sich beim Reiten nur noch sehr schwer beheben. Trotz einer Idealvorstellung vom Sitz darf der/die ReiterIn nicht nach einem starren Schema in den Sattel gepresst werden, jedes Individuum hat andere körperliche Fähigkeiten – und Reiten ist und bleibt eine dynamische Angelegenheit – für Pferd und Mensch.

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 11/2007 erschienen. Alle Artikel aus 20 Jahren Pferderevue können Pferderevue-Abonnenten in unserem Archiv kostenlos nachlesen.