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Das Stillstehen ist ein Muss in der Pferdeausbildung und gehört deshalb zur Basisarbeit. © www.slawik.com

Stillgestanden: Vom Zappelphilipp zum gelassenen Gernsteher

Ein Artikel von Pamela Sladky | 27.01.2015 - 09:33
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Das Stillstehen ist ein Muss in der Pferdeausbildung und gehört deshalb zur Basisarbeit. © www.slawik.com

Pferde sind ökonomische Genies. Neben der Nahrungsaufnahme nimmt das Ausruhen den größten Zeitraum in ihrem Tagesablauf in Anspruch. Die Zeit, die Pferde im Liegen verbringen, ist sehr kurz. Umso wichtiger sind deshalb die Ruhephasen im Stehen, die sich über rund 20 Prozent des Tages erstrecken. So können sie stundenlang entspannt auf der Koppel oder dem Paddock dösen, ohne sich nur einen Zentimeter zu bewegen. Unbewegliches Stehen, so scheint es, ist für ein Pferd das Natürlichste der Welt.

Sobald nun aber der Mensch seinem Pferd das Halfter überstreift, ist es aus mit der Ruhe, und die Fähigkeit zum Stillstehen löst sich bei vielen Pferden anscheinend mit einem Schlag in Luft auf. Es wird gezappelt, gehibbelt, gescharrt, gedrängt – eben alles, nur nicht stillgestanden. Dabei ist das ruhige Stehen im täglichen Umgang mit dem Pferd unverzichtbar.

Beim Putzen ist ein unruhiges Pferd lästig und unangenehm, bei ärztlichen Untersuchungen oder dem Hufschmiedbesuch wird solch ein Pferd zu einem echten Problem. Auch das sichere Aufsteigen vom Boden aus oder das ruhige Halten vor einer Aufstieghilfe wird durch ein Zappelphilipp-Pferd unnötig erschwert – deshalb gilt: Das Stillstehen ist ein Muss in der Pferdeausbildung und gehört deshalb zur Basisarbeit.

Störfaktor Mensch

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Ein zuverlässig stillstehendes Pferd ist unumgänglich für das ruhige Halten vor einer Aufstieghilfe und das sichere Aufsteigen. © www.slawik.com

Der Grund für ein hibbeliges Pferd ist häufig beim Menschen zu suchen. Alltagsstress, Termindruck und knappe Zeitressourcen sind negative Begleiterscheinungen unserer modernen Welt. Wer sich den ganzen Tag damit konfrontiert sieht, hat häufig verlernt, sich von der inneren Unruhe frei zu machen. Und so nehmen wir sie unbewusst mit zu unseren Pferden und wundern uns, warum die plötzlich all ihre Ruhe verloren haben. Pferde sind sehr sensible, empfindsame Wesen und für Schwingungen, die von ihrer Umwelt ausgehen, sehr empfänglich. Der erste Schritt zu einem ruhigen und gelassenen Pferd fängt deshalb bei Ihnen selbst an. Stehtraining ist praktisch, denn es kann überall und zu jeder Zeit durchgeführt werden. Als Ausrüstung brauchen Sie nicht mehr als ein Halfter, einen Strick und eventuell eine Gerte. Wenn Sie mit dem Stehtraining noch ganz am Anfang sind, sollten Sie vorerst einen ruhigen ungestörten Ort aufsuchen, an dem sich Ihr Pferd voll und ganz auf Sie und Ihre Kommandos konzentrieren kann.

Konsequenz - der Schlüssel zum Erfolg

In einem ersten Schritt lernt Ihr Pferd das Kommando zum Anhalten. Ob Sie dafür das Wort „Steh“, „Halt“, „Woah“ etc. oder ein Geräusch wie etwa einen Zischlaut wie „sssssssst“ oder Pfeifen verwenden, ist dabei egal – wichtig ist, dass Sie immer und ausnahmslos dasselbe Signal verwenden. Konsequenz ist beim Stehtraining der Schlüssel zum Erfolg. Geben Sie nie das Kommando zum Anhalten, wenn Sie es nicht so meinen. Wann immer Sie es also gebrauchen, muss es das sofortige Stehenbleiben Ihres Pferdes zur Folge haben. Folgt Ihr Pferd Ihrer Aufforderung nicht, lassen Sie Ihrem akustischen Signal ein Schlenkern mit dem Strick folgen. Die quer vor seine Brust gehaltene Gerte wirkt zusätzlich als optische Begrenzung. Ziehen Sie nicht am Strick – dadurch wird Ihr Pferd nur zum Gegenziehen und weiterem Wehrverhalten animiert. Sobald es sich korrekt benimmt, setzen Sie Ihre Hilfen aus, lassen Sie den Strick lose herabhängen. Und ganz wichtig: loben nicht vergessen!
 
Ist das Kommando zum Anhalten gefestigt, gehen Sie zum Stillstehen über. Stellen Sie sich dazu etwa eineinhalb Meter vor Ihrem Pferd auf und geben Sie ihm das Kommando zum Anhalten. Macht Ihr Pferd einen oder mehrere Schritte auf Sie zu, geben Sie erneut das Kommando. Falls nötig, schlenkern Sie zur Verdeutlichung Ihres Wunsches mit dem Strick. Sobald es wieder steht, gehen Sie auf Ihr Pferd zu und schicken Sie es durch sanften Druck auf die Brust oder Wellenbewegungen mit dem Seil einige Schritte retour zum Ausgangspunkt. Sobald es dort einige wenige Sekunden regungslos verharrt, loben Sie es kräftig und beenden Sie die Lektion für diesen Tag. Stillstehen ist eine Konzentrationsübung für Mensch und Pferd – misslingt sie, geschieht dies meist nicht aus Ungehorsam des Pferdes, sondern mangels Konzentration.

Von nun an sollte diese Arbeit zum täglichen Training gehören und die Dauer des Stillstehens peu à peu auf mehrere Minuten ausgedehnt werden. Gelingt dies, dann üben Sie an belebteren Plätzen weiter. Ihr Pferd soll lernen, sich trotz eines geschäftigen Umfeldes auf Sie zu konzentrieren und dabei gelassen stillzustehen. Im nächsten Schritt können Sie die Geräuschkulisse etwa durch Rascheln oder Zischen von Sprays verändern. Beginnt das Pferd zu zappeln, korrigieren Sie es ruhig, aber bestimmt. Und nicht vergessen: Loben Sie richtiges Verhalten ausgiebig – so erhalten Sie sich die Motivation Ihres vierbeinigen Partners während dieser sonst nicht sonderlich spannenden Lektion. 

Stillstehen für Fortgeschrittene

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Stangen als Begrenzung erleichtern den Beginn der Stillsteh-Übung. © Archiv

Beim Ground Tying, was so viel bedeutet wie „am Boden anbinden“, lernt das Pferd, auf ein Signal hin unangebunden stehen zu bleiben. Es verharrt dabei so lange in seiner Position, bis es ein gegenteiliges Signal erhält – ungeachtet dessen, ob sich der Mensch in der Zwischenzeit von ihm entfernt oder nicht. Das Ground Tying findet seinen Ursprung im Alltagsleben der Cowboys. Bei der Arbeit mit den Rindern in offenem Land bot sich nicht immer eine Anbindemöglichkeit, deshalb mussten die Pferde der Viehhirten lernen, auch unangebunden an einem Fleck stehen zu bleiben. Als Signal dafür galten meist die zu Boden hängenden Zügel.

Ist Ihr Pferd bereits versiert im Stillstehen, können Sie sich an das Ground Tying wagen. Stellen Sie Ihr Pferd dazu an einem ruhigen, umzäunten Platz ab. Zu Beginn ist eine optische Begrenzung in Form eines aufgelegten Stangenvierecks eine gute Hilfe. Zwar kann das Pferd jederzeit problemlos darübersteigen, die Stangen bieten trotzdem zumindest eine gewisse Hemmschwelle. Lassen Sie den Strick aus Ihrer Hand zu Boden gleiten. Entfernen Sie sich nun ein paar Schritte und geben Sie das Kommando zum Stillstehen, damit Ihr Pferd weiß, dass es Ihnen nicht folgen soll. Bewegt es sich, korrigieren Sie es und geben Sie das Kommando erneut. Nach und nach können Sie sich immer weiter entfernen, um Ihr Pferd herumgehen und es später auch z. B. am Putzplatz unangebunden stehen lassen. So können Sie das Ground Tying nach und nach in den Alltag einfließen lassen.

Bauen Sie die Übungen zum Stillstehen bei Spaziergängen und Ausritten, beim Longieren, Führen oder Freilaufen ein und legen Sie es niemals als Strafe an, sondern immer als Entspannungsphase und Belohnung. Auf diesem Weg wird auch der unruhigste Geist mit der Zeit zum gelassenen Gernsteher.
 

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