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Das Rückwärtsrichten ist eine sehranspruchsvolle Lektion, mit der vor allem die Durchlässigkeit des Pferdes abgefragt werden kann. © horses in media/Julia Wentscher

Richtig rückwärts

Ein Artikel von Dr. Britta Schöffmann | 01.06.2015 - 08:54
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Das Rückwärtsrichten ist eine sehranspruchsvolle Lektion, mit der vor allem die Durchlässigkeit des Pferdes abgefragt werden kann. © horses in media/Julia Wentscher

Ein gutes Rückwärtsrichten geschieht auf feinste Reiterhilfen flüssig, diagonal im Zweitakt tretend, deutlich abfußend und in sicherer Anlehnung. Doch leider sieht man diese Lektion eher selten so ausgeführt. Stattdessen wird oft vom Reiter gezogen, was das Zeug hält. Die Folge: sich gegen die Reiterhand wehrende Pferde, die entweder ihren Hals eng aufrollen, sich nach oben frei machen, zurückstürmen oder wie angenagelt stehenbleiben, die den Takt verlieren, rückwärts kriechen oder die gerade Linie verlassen. Die Fehler, die beim Rückwärtsrichten passieren können, sind mannigfaltig. Und nur in Ausnahmefällen, wie zum Beispiel bei der gefürchteten Ataxie (krankhafte Störung der Bewegungskoordination), kann sich der Reiter aus seiner Schuld herausreden. Meistens resultieren Probleme beim Rückwärtsrichten aus Reiterfehlern.

Vorsichtshalber verzichtet so mancher deshalb im Training lieber ganz auf diese leidige Lektion. Wer allerdings Turniere reiten möchte, den holt die Übung früher oder später wieder ein. In vielen Prüfungsaufgaben wird das Rückwärtsrichten verlangt, zum Glück seit 2009 auch wieder der schwierigsten Dressurprüfung, dem Grand Prix. Und statt es als lästig zu verdammen, wäre jeder gut beraten, den tieferen Sinn und vor allem auch die große Aussagekraft eines guten, aber auch eines schlechten Rückwärtsrichtens zu erkennen und dankbar für diesen Hinweis seines Pferdes zu sein.

Prüfstein

Wer Schwierigkeiten mit dem Rückwärtsrichten hat, sollte sich also gedanklich auf die Suche nach dem wahren Problem seines Ausbildungsweges machen. Es liegt meist nicht in der Lektion Rückwärtsrichten selbst – zumindest nicht, wenn das Pferd einmal begriffen hat, was von ihm verlangt wird –, sondern in der noch nich tgänzlich erreichten oder sogar mangelhaften Durchlässigkeit. Besteht hier ein Manko, sei es wegen muskulärer oder psychischer Verspannungen, grundsätzlicher Anlehnungsprobleme oder fehlerhafter Hilfengebung, müssen erst auf diesen Gebieten die Defizite aufgearbeitet werden. Apropos Hilfengebung: Ein Pferd lässt sich nicht rückwärtsziehen! Gemäß dem Motto „Druck erzeugt Gegendruck“ darf sich kein Reiter wundern, wenn sein Pferd auf ein Zuviel an Zügelhilfe nach vorn aufs Gebiss drückt, sich festmacht und mit Widersetzlichkeit reagiert. Vielmehr muss das Pferd lernen, sich auf ein vermehrtes Schließen der Zügelfaust (= annehmende Zügelhilfe) bei leicht verwahrend und locker nach hinten gelegten Unterschenkeln am Gebiss abzustoßen und nach hinten zu treten. Das gelingt nur bei einem unverspannten und ausbalancierten Pferd und bei einer feinen Hilfengebung.

Das richtige Timing aus Annehmen und Nachgeben ist dabei ganz wichtig. Gedanklich sollte der Reiter beim ersten Tritt sogar eher „nach vorn denken“ als „nach hinten“ und erst in dem Moment, in dem das Pferd eine Schulter anhebt, die gerade entstehende Bewegung durch Annehmen nach hinten „umlenken“. Auf diese Weise wird verhindert, dass das Pferd seine Körpermasse nach hinten lehnt und so nicht mehr abfußen kann.

Zur besseren Kontrolle der Körpermasse lässt sich eine sehr schöne Übung heranziehen, die es in Dressuraufgaben so zwar nicht gibt, die aber das Körpergefühl von Pferd und Reiterin verbessert. Dazu wird das Pferd, ähnlich einerS chaukel, rückwärts und vorwärts bewegt, vorwärts aber nur im Ansatz. Das heißt: In dem Moment, in dem das Pferd  seine Körpermasse aus dem Rückwärtswieder ins Vorwärts verlagert, lässt eine annehmende Zügelhilfe es bereits wieder rückwärts treten – ähnlich einer Waage.

Rückwärtsrichten erfordert Durchlässigkeit, aber gleichzeitig führt es – in Kombination mit allen anderen Lektionen– auch zur Durchlässigkeit. Richtig, das heißt zwanglos ausgeführt, fördert das Rückwärtsrichten die Hankenbeugung und damit auch die Versammlungsfähigkeit eines Pferdes und ist in der Ausbildung nicht wegzudenken. Als Bestrafung unterm Sattel ist es allerdings gänzlich ungeeignet.

Was tun, wenn beim Rückwärtsrichten…

… das Pferd nicht versteht, was es soll?
Die Übung zunächst am Boden vorbereiten – zuerst ohne, dann mit Reiter. Dazu seitlich vor dem Pferd stehen und anfangs mit Halfter, später auch auf Trense, das Pferd zum Zurücktreten animieren, notfalls mit der Hand oder einer Gerte vorsichtig am Buggelenk touchieren, gerne auch mit Stimmhilfe („zuuurück“) unterstützen.

… das Pferd seine Beine in den Boden stemmt und eisern stehen bleibt?
Weniger Handeinwirkung, schneller und lockerer aus dem Handgelenk agieren, vorübergehend Hilfe von unten hinzunehmen. Zudem kann es helfen, den Oberkörper – um den Pferderücken zu entlasten – ein wenig nach vorn zu lehnen.

… das Pferd nach hinten kriecht?
Weniger Handeinwirkung, Schenkeleinwirkung lockerer, Sporen raus aus dem Pferd! Kleiner Tipp: Bei vielen Pferde hilft es, mit den Knien etwas Druck zu machen, das Pferd also quasi aus den Knien heraus von vorn nach hinten zu entlassen.

… das Pferd nach hinten stürmt?
Hand mehr „dranlassen“, senkrecht (schwer) sitzen bleiben, die Waage (siehe oben) einüben.

… das Pferd gegen die Hand geht?
Mit der Hand weicher sein, die allgemeine Durchlässigkeit verbessern.

… das Pferd schief zurücktritt?
Hier gibt es verschiedene Korrekturmöglichkeiten: den Schenkel der Seite, zu der das Pferd ausweicht, mehr zurücknehmen; vorübergehend das Rückwärtsrichten in leichter Stellung reiten (entweder zur Seite des Ausweichens oder zur anderen – einfach ausprobieren); vorübergehend an der Bande rückwärtsrichten; innerhalb eines Stangendurchgangs rückwärtsrichten; insgesamt vermehrt an der Geraderichtung arbeiten.

… wenn das Anreiten/Antraben aus dem Rückwärtsrichten nicht flüssig funktioniert?
Im Geiste die Bewegung mitmachen: rück-rück-rück-vor. Dabei darauf achten, dass der vorherige Rhythmus in den ersten Vorwärtsschritt/Trabtritt mitgenommen wird.

Copyright Pferderevue/Britta Schöffmann

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