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Der Kraftaufwand an den Zügeln fällt häufig deutlich höher aus, als der Reiter meint. © Alain Vermeulen - fotolia.com

Kraftakt: Zügelspannung stark durch Sitz und Gangart beeinflusst

Ein Artikel von Pamela Sladky | 21.07.2015 - 11:19
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Der Kraftaufwand an den Zügeln fällt häufig deutlich höher aus, als der Reiter meint. © Alain Vermeulen - fotolia.com

Zügelsignale spielen im Orchester der Hilfengebung eine wichtige Rolle. Auch wenn Sie per Definition dem Sitz und den Schenkelhilfen untergeordnet sind, zeigt sich in der Praxis häufig ein umgekehrtes Bild. Unabhängig von der Reitlehre gilt die Forderung nach einer gefühlvollen Hand und einer weichen Anlehnung. Doch wie sanft sind die Zügelhilfen in der Realität?

Zahlreiche Studien der Vergangenheit haben gezeigt, dass subjektive Wahrnehmung des Reiters und Ist-Zustand meist weit auseinander liegen. Selbst eine vermeintlich feine Anlehnung entpuppt sich in der Realität als kiloschwer. Dabei gilt: je höher die Gangart, desto mehr Kraft wirkt aufs Pferdemaul. Dies bestätigte eine kürzlich veröffentlichte Studie aus Schweden, die die Unterschiede der Zügelspannung innerhalb einer Reiteinheit unter die Lupe nahm.

Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit rüsteten die Wissenschafter acht Berufsreiter mit einem Spannungsmesser an den Lederzügeln aus. Die Reiter trainierten in der Folge je drei Pferde in allen drei Grundgangarten auf beiden Händen in ihrer gewohnten Umgebung, sowohl auf geraden als auch auf gebogenen Linien. Dabei stellten die Forschenden gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Gangarten fest. Während im Schritt bei allen Pferd-Reiter-Paaren mit einem Durchschnittswert von acht Newton (entspricht einer Gewichtskraft von 1,224 Kilogramm) je Zügel (!) die geringste Kraft auf das Pferdemaul einwirkte, erhöhte sich dieser Wert im Trab bereits auf 16,5 Newton (= 1,683 Kilogramm) je Zügel. Die größte Krafteinwirkung wurde im Galopp mit Werten von bis zu 24 Newton (2,448 Kilogramm) je Zügel gemessen.

Unterschiede ergaben sich nicht nur im Hinblick auf die Händigkeit des Reiters, wobei alle Rechtshänder mit der rechten Hand stärker einwirkten als mit der linken, auch die Art des Sitzes zeigte große Auswirkungen auf den Zügelzug. Wurde im Galopp im leichten Sitz geritten, verringerte sich der Druck auf das Pferdemaul gegenüber dem Belastungssitz signifikant (13 bis 17 N leichter Sitz, 20 bis 24 N Belastungssitz). Auch das Leichttraben brachte gegenüber dem Belastungssitz eine deutliche Erleichterung für das Pferd (14 N Leichttraben, 17 bis 19 N ausgesessener Trab).

Empfindliches Pferdemaul

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Wie stark der Reiter mit den Zügeln einwirkt, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Die gewählte Gangart und die Art des Reitersitzes nehmen ebenso Einfluss auf den Zügelzug wie die Händigkeit der Reiters, die Händigkeit des Pferdes, der jeweilige Ausbildungsstand, die gerittene Lektion uvm. © BildPix.de - fotolia.com

Das Ausmaß dieser Werte verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es ist, die eigene Einwirkung immer wieder kritisch zu überprüfen. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass der Reiter mit seinen Zügelhilfen auf einen höchst empfindlichen Bereich des Pferdes einwirkt. Kaum anderswo im Pferdekörper befinden sich derart viele hochsensible Nervenenden wie im Pferdemaul. Reize werden extrem rasch auf die (Kau-)Muskulatur übertragen, die darauf zehn bis 20 Mal schneller reagiert, als die deutlich langsameren Muskeln des Bewegungsapparates. Mit zunehmender Krafteinwirkung steigt auch das Schmerzempfinden des Pferdes. Eine Pferdezunge die, die durch groben Zügelzug an den Unterkiefer gepresst wird, löst Verspannungen im gesamten Pferdekörper aus, echte Losgelassenheit – die Basis jeden Reitens – ist auf diese Weise nicht möglich.

Die Studie "Rein tension in eight professional riders during regular training sessions" von Agneta Egenvall, Lars Roepstorff, Marie Rhodin und Marie Eisersiö wurde am 16. Juli 2015 in der Online-Ausgabe des Journal of Veterinary Behaviour veröffentlicht.