Ausbildung

Cool Down: So werden aus heißen Öfen entspannte Reitpferde

Ein Artikel von Dr. Britta Schöffmann | 28.10.2015 - 09:52
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Wach, aufmerksam und fein anden Hilfen - so wünscht man sich ein gutes Reitpferd. Ein zu Viel an Reaktionsfreudigkeit und Temperament kann hingegen zum Fluch werden, wenn man nicht in der Lage ist ist, diese Eigenschaften in die richtigen Bahnen zu lenken. © www.slawik.com

Temperamentvolle und reaktionsschnelle Pferde können dem Reiter das Leben in vielen Bereichen immens erleichtern – sie sind fein an den Hilfen, wach und aufmerksam, eben keine Schlafmützen. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten, denn so ein mitunter „heißer Ofen“ will richtig geritten werden und ist meist auch eine Herausforderung im Umgang – selbst für erfahrene Reiter. Was nützt ein reaktionsschnelles Hinterbein (im Reiterjargon gerne auch als „elektrisches Hinterbein“ bezeichnet), wenn das Pferd beim kleinsten Geräusch explodiert? Oder wenn es seinem Reiter unaufhörlich unterm Sattel davonläuft und bei allem und jedem sein Heil in der Flucht sucht oder auf der Stelle tänzelt? Und so hört man auf Reitplätzen oder Waldwegen nicht selten „brrrrr“ und „ruuuuhig“ – verzweifelte (und meist vergebliche) Versuche, den aufgeregten Vierbeiner irgendwie zur Ruhe zu bringen. Ein entspanntes Ausreiten oder eine losgelassene Turniervorstellung sind kaum möglich. Aus dem Traum wird dann schnell ein Albtraum. Aufgeben und resignieren?

Sicher nicht. Zwar wird man den Charakter seines Pferdes nicht ändern können – ein alter Horseman- Spruch besagt „Sie sind, wie sie sind“ –, aber es ist in den meisten Fällen möglich, zumindest das Temperament etwas zu beeinflussen. Für den „heißen Ofen“ heißt das: Der Mensch muss Mittel und Wege finden, die Reaktivität des Pferdes, also das Tempo und die Stärke, mit der es auf Außenreize reagiert, zu verändern und seine niedrige Reizschwelle anzuheben. Die Arbeit mit dem Pferd ruht dabei auf zwei Säulen: der Bodenarbeit und der Arbeit unter dem Reiter.

Selbstreflektion

Bevor der Reiter sich aber nun intensiv mit seinem Pferd beschäftigt, sollte er sich zunächst mit sich und seinem eigenen Temperament auseinandersetzen – und sich die selbstkritische Frage stellen: Bin ich Teil des Problems? Nicht selten scheinen Pferde unter dem Einfluss ihrer Besitzer nervös und übertrieben heiß, bei einem souveränen und erfahrenen Reiter dagegen entspannt und losgelassen. Nervosität, Ängstlichkeit oder Launenhaftigkeit des Menschen übertragen sich unweigerlich aufs Pferd und führen zu einer entsprechenden Reaktion.

Pferde sind Herdentiere und als solche sehr soziale Lebewesen. In Freiheit ist es wichtig für sie, sich auf Stimmungsveränderungen andere Pferde einzustellen, um Konflikte zu vermeiden und miteinander kommunizieren zu können. Und es ist sogar überlebenswichtig, Nervosität oder Angst der ranghöheren Gruppenmitglieder zu erspüren, um sich als Fluchttier im Notfall blitzschnell mit der Herde in Sicherheit zu bringen. Ein Mensch also, der selbst eher hektisch und nervös ist, wäre für ein ebenso gestricktes Pferd nicht unbedingt der richtige Reiter. Als vertrauenswürdiger Partner sollte er souverän sein und dem Pferd in kritischen Situationen zur Seite stehen können, statt es durch eigene Fehler zu noch stärkerem Fluchtverhalten zu veranlassen. Sind Sie also ebenfalls eher der Typ Hektiker, sollten Sie vielleicht – so ungewohnt das klingen mag – erst einmal darüber nachdenken, über Entspannungstechniken (autogenes Training o. ä.) selbst ruhiger zu werden, bevor Sie den nächsten Schritt angehen: die Desensibilisierung Ihres Pferdes.

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Werden überreaktive Pferde nur im schützenden Umfeld einer Reithalle geritten, haben sie keine Möglichkeit, Gelassenheit auf (Außen)Reize zu erlernen. © www.slawik.com

Bodenarbeit

Für von Natur aus überreaktive Pferde kann jeder noch so kleine und für Menschen unwichtige Außenreiz ein Grund für eine nervöse Überreaktion sein. Deshalb ist es im Hinblick auf den allgemeinen Umgang und auch aufs Reiten durchaus sinnvoll, ein solches Pferd ganz bewusst an unbekannte oder Angst auslösende Reize zu gewöhnen. Dieses Desensibilisieren geschieht in kleinen Schritten und kann sich, je nach Charakter des Pferdes, über Wochen oder Monate hinziehen. Bodenarbeit ist hier ein sehr effektives Mittel, das darüber hinaus noch den Vorteil hat, die Beziehung und die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd zu stärken und zu verbessern. Zur Arbeit auf dem Boden zählt zum einen das allgemeine Handling (wie etwa aus der/in die Box bzw. auf die/von der Weide führen, anbinden, pflegen, satteln etc.) und zum anderen die geführte Bodenarbeit mit den Schwerpunkten Führtraining, Stangen- und Geschicklichkeitstraining sowie Schrecktraining.

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Schrecktraining hilft nervösen Pferden dabei, Neuem nicht mit Panik sondern mit gesunder Neugierde selbstsicher zu begegnen. © www.slawik.com

Desensibilisierung unterm Sattel

Viele „heiße Öfen“ werden durch Bodenarbeit und durch regelmäßiges Training auch unter dem Sattel viel entspannter. Trotzdem darf man nicht davon ausgehen, dass hier nun gar keine Probleme mehr auftreten, manche Pferde reagieren leider immer noch sehr schnell und heftig auf ihre Umwelt. Aber auch hier gilt das Prinzip der Desensibilisierung: Während des Reitens nach und nach möglichst viele Außenreize einbringen und das Pferd daran gewöhnen. Dabei gehören zu den Außenreizen die Konfrontation mit optischen und akustischen Umweltreizen, das Reiten an unterschiedlichen Orten und Plätzen sowie der Einsatz der Hilfen, dabei vor allem die Schenkel und Gewichtshilfen.

Gerade bei der Desensibilisierung gegenüber Umweltreizen machen viele Reiter, im Bemühen ihr Pferd (und sich selbst) möglichst nicht zu erschrecken, den Fehler, sich unter einer Art „Käseglocke“ zu verkriechen. Am liebsten bleiben sie in der sicheren Reithalle, wo kein Laut und keine Bewegung ihren Ritt stören. Damit erweist der Reiter seinem „heißen Ofen“ aber einen Bärendienst, denn toleranter gegenüber Umweltreizen wird das Pferd so nicht – genau das Gegenteil wird der Fall sein. Denn werden überreaktive Pferde nur unter einer „Käseglocke“ geritten, haben sie keine Möglichkeit, Gelassenheit auf (Außen)Reize zu erlernen. Kleinigkeiten wie das Klappern einer Tür, das Rauschen des Windes oder das Bellen eines Hundes werden sie immer aus der Ruhe bringen und einen Fluchtreflex auslösen.

Tipp
Statt „Käseglocke“ und watteweicher Ruhe also auf jeden Fall mit anderen Pferden gemeinsam in der Halle arbeiten (die können schon beruhigend wirken), gegebenenfalls das Radio anstellen (gibt ein Hintergrundgeräusch, und der Reiter lauscht auch nicht mehr angespannt auf Außengeräusche) und lernen, mit unvorhergesehenem Krach selbst gelassen umzugehen. Sollte das Pferd mit Scheuen reagieren, einfach ignorieren, weiter reiten und so tun, als sei nichts geschehen. Wer einen Helfer zu Hand hat, kann diesen bitten, sich außerhalb der Bande bzw. des Vierecks hin und her zu bewegen und sich mal da, mal dort hinzusetzen. Bleibt der Reiter dabei entspannt, wird sich auch das Pferd entspannen. Nach und nach kann der Helfer dann weitere Außenreize dazu bringen, vielleicht mal mit Hund hin- und her gehen oder einen aufgespannten Schirm halten.

Alles, was für den heimatlichen Platz gilt, gilt umso mehr in einer fremden Umgebung: Wer immer nur im gewohnten Umfeld bleibt, darf sich nicht wundern, wenn sein Pferd in fremder Umgebung überreagiert. Also: Raus aus der Halle, so oft wie möglich auf fremden Plätzen reiten und regelmäßig ins Gelände gehen. Manchen Reiter mag das viel Überwindung kosten, er wird aber mit der Zeit merken, dass es den „heißen Ofen“ ganz schön abkühlt.

Tipp
Besonders am Anfang wäre es sinnvoll, ein entspanntes Begleitpferd dabei zu haben. Da Pferde auch zu sozialem Lernen fähig sind, schauen sie sich das Verhalten anderer Pferde ab. Bleibt das Begleitpferd also in allen Situationen ruhig und relaxed, erkennt auch der Zappelphilipp irgendwann, dass es keinen Grund für Flucht oder Aufregung gibt. Und so ganz nebenher lernt ein Pferd durch die vielen unterschiedlichen Reize einer sich immer wieder verändernden Umgebung auch, sich besser auf seinen Reiter zu konzentrieren, da diese Reize nicht mehr im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stehen, sondern in den Hintergrund rücken.

Eine ganz wichtige Voraussetzung beim Abkühlen des „heißen Ofens“ ist das Beherrschen von Schenkel-, Zügel- und Gewichtshilfen und ihre perfekte Dosierung. Häufig sieht man Reiter, die ihr Pferd am extrem kurzen Zügel bremsen wollen, die Unterschenkel wegstrecken, um nur ja keine treibende Hilfe zu geben (man will ja nicht noch flotter unterwegs sein) und dabei auch noch in leichte Rücklage oder aber in den leichten Sitz gehen. Alles kontraproduktiv!

Der kurze Zügel setzt das Pferd unter physischen und psychischen Druck: Es möchte fliehen, wird aber gezwungen zu bleiben. Das macht Stress im Kopf, der den „heißen Ofen“ noch mehr auf Touren bringt. Außerdem erfährt das Pferd bei bremsenden Zügeln Druck auf Kiefergelenk und Genick, verspannt seine Hals- und Rückenmuskulatur und baut so immer mehr negative Spannung auf, die es irgendwie abbauen will.

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Auch wenn es Anfangs Überwindung kostet: Lassen Sie Ihrem "heißen Ofen" die Zügel immer wieder auch mal länger. © www.slawik.com

Die weggestreckten Unterschenkel tun ihr übriges: Dadurch entsteht – vor allem im Dressursitz – meist ein wenig mehr Druck im Steigbügel und dadurch auch im Pferderücken (was vortreibend wirken würde), und das sowieso schon angespannte Pferd wird bei jedem zufälligen oder beabsichtigten Schenkelkontakt noch mehr überreagieren. Kommt dann noch Rücklage (wieder Druck auf den Pferderücken) oder leichter Sitz (Einladung zum Vorwärtsgehen) hinzu, wird’s immer schwieriger, das Pferd zur Ruhe zu bringen.

Auch hier liegt der Lösungsansatz zum Teil in einer Desensibilisierung des Pferdes, vor allem auf die Reiterschenkel. Grundsätzlich möchte man als Reiter sein Pferd sensibel auf die Schenkelhilfen behalten, den Zappelphilipp aber nicht unbedingt, denn der ist hier meist zu sensibel. Deshalb Unterschenkel ans Pferd, damit das Pferd sich an diese Berührung gewöhnt und sie akzeptiert. Außerdem: Zügel länger – und dem Pferd die Möglichkeit geben, sich einen Überblick zu verschaffen (auch wenn dabei die Anlehnung verloren geht) und damit das Gefühl zu bekommen, es könnte ja fliehen, wenn es wollte … Dass Sie im Notfall eingreifen und energisch bremsen müssen, versteht sich von selbst. Wenn Sie dem Pferd aber niemals erlauben, sich am langen Zügel zu strecken und sich umzusehen, kann es sich auch nie wirklich entspannen. Und schließlich darauf achten, dass Sie ausbalanciert und möglichst senkrecht sitzen, um nicht ungewollt Druck nach vorn auszuüben.

Tipp
Unterschenkel am Pferd, Zügel nicht zu kurz, ausbalancierter Sitz – gelingt das, ist schon viel gewonnen, auf dem Reitplatz können eine geschickte Linienführung und das richtige Tempo für noch mehr Entspannung sorgen. Schon beim Lösen im Schritt kann mit der Linienführung Ruhe vermittelt werden, ohne das Pferd aktiv zu bremsen (und damit weiter zu verspannen). Volten und Achten im Schritt am langen Zügel sind eine gute Möglichkeit, ein hektisch nach vorn hastendes Pferd zu ruhigerem Schreiten zu bringen. Dabei muss das Pferd die Außenseite seines Körpers ein wenig mehr dehnen und mit seinen Beinen einen weiteren Weg absolvieren, während es sich auf der Innenseite etwas verkürzen muss und die Beine einen kürzeren Weg haben. Diese so simpel erscheinende Aufgabe erfordert Konzentration und Koordination und nimmt bereits Tempo raus!

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Ein permanent sanft an den Pferdebauch angelegter Schenkel hilft hypersensiblen Pferden dabei, ihn besser zu akzeptieren. © Farmer - Fotolia.com

Abschließen sei hier noch mit einem weit verbreiteten Irrglauben aufgeräumt: Viele Reiter glauben, ihren „heißen Ofen“ erst mal ausgiebig nach vorwärts traben und galoppieren zu müssen, damit das Pferd müde wird. Das mag bei dem einen oder anderen funktionieren, doch die meisten kommen so erst richtig auf Betriebstemperatur und werden dabei alles, nur nicht müde. Bei ganz vielen Pferden hilft es dagegen, bereits beim lösenden Leichttraben fast das gesamte Tempo rauszunehmen und bis auf eine Art Jog (wie beim Westernreiten) zu reduzieren. Um dies nicht übers Bremsen mit dem Zügel zu erreichen, leitet man mehrfach einen Übergang zum Schritt ein und treibt genau in dem Moment wieder ein wenig heraus, in dem das Pferd parieren wollte. Dieser so entstehende „Zuckeltrab“ ist zwar keine Augenweide, aber das Pferd muss sich dabei höllisch konzentrieren und viel Kraft aus der Hinterhand aufwenden, um seine Masse in der trabartigen Bewegung fast ohne Schwebephase zu halten. Unterstützt der Reiter dies bei Bedarf noch durch Leichttraben gegen die Bewegung (ein wenig länger oben bleiben) und Reiten auf gebogenen Linien, werden die meisten Pferd ziemlich schnell ruhiger und bleiben „bei“ dem Reiter – eine wichtige Voraussetzung für den Beginn des „zum Treiben Kommens“ und damit für ein entspanntes Reiten.

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Dieser Artikel von Dr. Britta Schöffmann wurde erstmals in Ausgabe 5/2014 der Pferderevue veröffentlicht. Pferderevue AbonnentInnen können diese Artikel zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter pferderevue.mein-epaper.at einloggen und in allen Heften aus 30 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!

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