Ausbildung

Schulterherein: So reitet man es richtig

Ein Artikel von Dr. Britta Schöffmann | 16.11.2015 - 10:24
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Das Schulterherein ist eine Schlüssellektion in der (dressurmäßigen) Ausbildung des Pferdes.
© www.slawik.com

Wie der Name schon sagt, wird beim Schulterherein, das zu den Seitengängen gehört, die Schulter des Pferdes und damit seine ganze Vorhand seitlich verschoben. Beim Schulterherein bewegt sich das Pferd entlang einer geraden oder gebogenen Linie gegen die Bewegungsrichtung gestellt und um den Reiterschenkel gebogen weiter vorwärts-seitwärts. Zumindest in diesem Punkt sind sich alle einig.

Drei oder vier Hufspuren?

Uneinigkeit herrscht jedoch in der Frage, ob dieses Vorwärts-Seitwärts auf drei oder vier Hufschlaglinien absolviert werden soll. Auf drei Hufschlaglinien (Abstellung 30 bis 35 Grad) wollen es die turniersportlichen Richtlinien. Von vorn betrachtet sind in diesem Fall nur drei Pferdebeine zu sehen, da sich der innere Hinterfuß des Pferdes auf derselben Linie bewegt wie der äußere Vorderfuß und somit von ihm verdeckt wird. Dabei kreuzen die Vorderbeine, die Hinterbeine bewegen sich parallel zueinander.

In der klassischen Reitkunst dagegen wird das Schulterherein auf vier Hufschlaglinien (Abstellung 40 bis 45 Grad) geritten, und somit kreuzen auch die Hinterbeine. Was aber ist nun richtig und was falsch? Die Frage erübrigt sich eigentlich, denn es gibt darauf keine eindeutige Antwort. Wer die Lektion auf einem Turnier präsentiert, muss das Schulterherein – soll es „richtig“ sein – auf drei Hufschlaglinien reiten, weil die Richtlinien es so vorgeben und verlangen. Das heißt aber nicht, dass im Training – je nach individuellen Erfordernissen – nicht mal die eine, mal die andere Variante geritten werden kann. Der gymnastische Effekt, der beim Ausführen der Übung über drei bzw. vier Hufschlaglinien erreicht werden kann, ist nämlich ein wenig unterschiedlich.

Zwar fördern beide Arten die Hankenbeugung und damit die Lastaufnahme des Pferdes, doch verbessert das Schulterherein auf drei Hufschlaglinien eher die laterale Beweglichkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule, das Schulterherein auf vier Hufschlaglinien dagegen fördert vermehrt die Beweglichkeit des Beckens und der Hinterbeine.

Auch was die Gewichtshilfen angeht, wird Unterschiedliches gelehrt. Während die einen den inneren Gesäßknochen belasten, halten es die anderen für sinnvoller, nach außen in Richtung der Bewegung zu sitzen. Geht das Pferd beispielsweise im Rechts-Schulterherein hieße das, nicht auf dem rechten (inneren) Gesäßknochen zu belasten, sondern auf dem linken (äußeren). Auch hierüber wird gestritten, dabei liegt die Wahrheit vermutlich mal wieder irgendwo – im wahrsten Sinne des Wortes – in der Mitte und wird letztlich vom Pferd vorgegeben.

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Das Schulterherein kann auf drei (links) oder vier (rechts) Hufschlaglinien geritten werden – beide Varianten gymnastizieren, allerdings unterschiedliche Körperpartien des Pferdes. © www.slawik.com

Innen oder außen?

Die Entscheidung darüber, wo gesessen wird, wird maßgeblich vom Pferd beeinflusst. Das eine mag eher eine innere Gewichtshilfe vorziehen, das anderen eher eine äußere, und wieder ein anderes vielleicht tatsächlich sogar eine mittige. Erfahrene Reiter sind meist in der Lage, sich hier auf die unterschiedlichen Pferde individuell einzustellen. Der Rest der Hilfengebung ist jedoch immer gleich: Das Pferd wird mit dem inneren Zügel leicht und weich nach innen gestellt und um den inneren, treibenden Schenkel gebogen. Der liegt am Gurt, höchstens minimal dahinter. Der äußere Schenkel liegt hinter dem Gurt und verhindert ein Ausweichen der Hinterhand nach außen, der äußere Zügel hält in Verbindung mit dem inneren Schenkel das Pferd auf der Linie und verhindert ein Ausfallen über die äußere Schulter.

Richtige Hilfengebung ist das A und O

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Schulterherein auf drei Hufspuren, wie es das Turnier-Reglement vorschreibt. © Pamela Sladky

Gerade die Hilfengebung ist beim Schulterherein die häufigste Fehlerquelle. Meist wird zu viel mit dem inneren Zügel geritten, so dass das Pferd seinen ganzen Hals nach innen verdreht, sich im Genick verwirft und mit der Schulter nicht vom Hufschlag wegkommt. Oder der Reiter nimmt sein inneres Bein weit zurück. Dabei mag zwar auf den ersten Blick ein Schulterherein entstehen, beim näheren Hinsehen entpuppt es sich aber als ein „Hinterhandheraus“, da der zurückgelegte innere Schenkel das Pferd nicht biegt, sondern seine Hinterhand zum (Aus)Weichen veranlasst. Der gewünschte gymnastizierende Effekt der vermehrten Hankenbeugung und Lastaufnahme bleibt dabei auf der Strecke.

Gut sichtbar machen lässt sich dieser Fehler durch ein Schulterherein auf der Mittellinie, denn hier sollte sich die Vorhand, wenn alles gut klappt, von der Mittellinie entfernen, während die Hinterhand auf der Mittellinie bleibt.

Korrekt geritten, ist das Schulterherein ist ein echter Alleskönner: Mit seiner Hilfe lässt sich die Versammlungsbereitschaft des Pferdes fördern, außerdem sein Gleichgewicht, die Beweglichkeit seiner Schultern, seine Geraderichtung, seine allgemeine Geschmeidigkeit und damit auch seine Durchlässigkeit verbessern. Es lohnt sich also, an der korrekten Ausführung zu feilen, denn nur dann kann die Lektion ihren vollen gymnastischen Wert entfalten.

Was tun, wenn mein(em) Pferd im Schulterherein…

… mit der Schulter auf dem Hufschlag bleibt?
Weniger Innenstellung geben und den äußeren Zügel deutlicher führen lassen. Bei der Einleitung zum Schulterherein an das Abwenden auf eine Diagonale denken (und dies auch andeuten), und in dem Moment, in dem die Schulter in Richtung der Diagonalen wendet, sie mit dem äußeren Zügel abfangen und in Richtung des äußeren Zügels treiben.

… nach ein paar Metern wieder mit der Schulter Richtung Hufschlag driftet?
Das Schulterherein „treppenförmig“ anlegen, das heißt, auf die Diagonale wenden wollen, abfangen, ein paar Schritte/Tritte Schulterherein, dann wieder kurz auf die Diagonale herausreiten, wieder abfangen und ein paar Schritte/Tritte Schulterherein parallel zur langen Seite und so fort.

… auf der hohlen Seite über die äußere Schulter ausweicht?
Zunächst nur Schultervor verlangen, also eine Art abgespeckte Version der Lektion. Es wird mit geringerer Stellung und Biegung geritten. Klappt das besser, dann ähnlich wie oben beschrieben arbeiten, außerdem alle paar Meter zwischen Schulterherein und Renvers wechseln. Dies verbessert die Geraderichtung und verringert die hohle Seite und die damit entstehenden Probleme.

… auf der festen/steifen Seite nicht genügend Längsbiegung entwickelt?
Konzentrierter auf eine korrekte Stellung achten, dabei mit dem äußeren Zügel etwas nachgeben (um Stellung zu ermöglichen) und die Nüster weich in Richtung innerer Bugspitze stellen wollen. Tritt bessere Stellung ein, sofort nachgeben. Dabei mit dem inneren Schenkel am Gurt intensiver und bewusster in Richtung äußerer Zügel reiten wollen. Außerdem abwechselnd Schulterherein – Volte – Schulterherein reiten.

… an Schwung verliert?
Dies liegt häufig in einer falschen Drehung des Reiteroberkörpers begründet. Viele Reiter neigen dazu, ihre innere Schulter in Wendungen nach vorn zu drehen. Dabei behindern sie die innere Pferdeschulter, das Pferd kann gar nicht mehr ungestört vorwärts gehen. Im Schulterherein (so wie in jeder Wendung) deshalb die eigene innere Schulter bewusst zurücknehmen („Reiterschulterherein“)