Gymnastizierende Dressur ist wichtig für jedes Reitpferd. Sie hilft, Muskeln und Sehnen geschmeidig zu halten, die natürliche Schiefe auszugleichen und den Pferdekörper zu kräftigen, damit er das Reitergewicht unbeschadet tragen kann. Doch nicht immer muss diese Dressurarbeit auf einem Reitplatz oder in der Reithalle stattfinden. Auch im Gelände lässt sich an Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung und Versammlung feilen.
„Natürlich, es gibt Ausbildungsziele, die man leichter und schneller auf einem Dressurviereck erarbeiten kann. Doch es gibt auch solche, die in der freien Natur besser zu erreichen sind. Im Idealfall hat man also beides zur Verfügung und kann täglich individuell entscheiden, wo man reiten geht – je nachdem, was man gerade trainieren möchte“, erklärt Katharina Möller, FN-Trainerin aus dem thüringischen Diesldorf.
Am Anfang mit Begrenzung
Für den Einstieg hält die Klassikausbildern Waldwege oder Wege, die anderweitig seitlich begrenzt sind ideal. Hier finden vor allem junge und unroutinierte Pferde Sicherheit und ein gleichmäßiges Tempo, weil der vor ihnen liegende Weg klar ersichtlich ist. Derartiges Gelände eignet sich hervorragend, um an Takt und Losgelassenheit zu arbeiten. Dafür rät Möller zu langen Etappen in gleichbleibend ruhigem Tempo. Je länger die Strecke, desto besser. Das gilt ganz besonders für heiße Öfen und notorische Drängler. „Nach dem zweiten oder dritten Kilometer wird erfahrungsgemäß jedes Pferd deutlich ruhiger. Wichtig ist, die Trab- oder Galoppreprise erst dann zu beenden, wenn das Pferd gelassen läuft. Der Reiter sollte einige hundert Meter völlig passiv sitzen können während das Pferd seinen Takt gefunden hat.“ Während dieser Phase des Takt-Findens sollte der Reiter so wenig wie möglich mit der Hand einwirken um den Pferdehals in Form zu bringen. Den braucht das Pferd beim Reiten über Stock und Stein als Balancierstange. Ständiges Herumfummeln am Zügel stört es hingegen dabei seine natürliche Balance zu finden. Verspannung und mangelnde Losgelassenheit sind die Folgen.
Schreitet, trabt oder galoppiert das Pferd erst einmal gleichmäßig, kann der Reiter dazu übergehen, die Linie zu beeinflussen. Im Viereck helfen Bande und Bahnpunkte um das Pferd in der Spur zu halten. Im Gelände ist der Reiter dagegen vordergründig auf die eigene Hilfengebung angewiesen. Und das ist gar kein Nachteil. „Wer sich durch das Fehlen vorgeschriebener Linien mehr auf sich selbst und die eigene exakte Hilfengebung konzentrieren muss, entwickelt mit der Zeit ein besonders feines Gespür dafür, wann sich das eigene Pferd wirklich im Gleichgewicht befindet. Wer so weit ist, braucht keinen Zaun und keine Buchstabentafeln mehr“, so Möller.
Eine weitere Herausforderung sind erste kleine Tempounterschiede innerhalb einer Gangart. Ausgehend vom ruhigen Grundtempo wird für ein paar Galoppsprünge oder Trabtritte zugelegt. Anfangs geht es nur darum, das Zulegen auszulösen. Das Pferd soll auf das vermehrte Treiben prompt reagieren, der Reiter treibt deshalb nur so lange, bis es für einige wenige Tritte oder Sprünge den Raumgriff erweitert. Danach wird das Pferd wieder in das ruhige Ausgangstempo zurückgeführt, bevor es neuerlich zum Zulegen aufgefordert wird.
Vorsicht ist bei falschen Verstärkungen geboten, wie Katharina Möller mahnt: „Durch das Treiben sollen die Tritte größer, nicht eiliger werden. Beginnt das Pferd auf die Schenkelhilfe hin mit kurzen Tritten schneller zu rennen, nutzt diese Art der Tempoverstärkung gymnastisch gar nichts. Sie verhindert das Loslassen sogar.“ In einem solchen Fall ist erst das betont ruhige Grundtempo herzustellen, bevor man sich an einen neuen Versuch wagen kann „Am besten wartet man einen Moment ab, in dem das Pferd so losgelassen wie möglich geht. Für das folgende Zulegen wird danach nur ganz leicht mit möglichst entspannten Waden getrieben."
Der Reiter sollte kein turnierplatzmäßiges Losstrampeln seines Pferdes erwarten, sondern nur ein minimal vermehrtes Durchfedern des Ganges. Das muss von außen kaum sichtbar sein – Hauptsache, der Reiter fühlt es.“ Der Reiter begleitet das minimale Zulegen durch einen passiven Sitz ohne aktiv zu treiben. Nach und nach, kann man sich so im Gelände zu einem immer ausdrucksstärkeren und dabei reellen Tritteverlängern herantasten.
Seitengänge natürlich verbessern
Wege mit einseitiger Begrenzung bieten sich an, um Stellung und Biegung im Hinblick auf die Seitengänge zu erarbeiten. An einem Waldrand beispielsweise hat man auf einer Seite eine klare Begrenzungslinie und zur andern Seite den Blick in die Weite.
Beim Seitwärts im Gelände kommt es wie in der Reitbahn nicht darauf an, dass das Pferd orientierungslos seitwärtstrudelt. Der Reiter sollte sich bei der Erarbeitung und vor allem auch später beim Wechsel zwischen den Seitengängen an einer Linie orientieren. „Nur dann sind sie der Versammlung zuträglich, weil die Hinterbeine in Richtung unter den Schwerpunkt fußen und nicht etwa seitlich daran vorbei“, erklärt Katharina Möller.
Der Vorteil im Gelände: Die landschaftlichen Gegebenheiten helfen, um individuelle Schwächen auszugleichen. Wird das Pferd in den Seitengängen beispielsweise gerne eilig, um der anstrengenden Beugung des lastaufnehmenden Hinterbeins zu entgehen, und fällt es dem Reiter schwer genügend Abstellung zu erreichen, dient der Waldrand als optische Bremse, wenn das Pferd in Richtung Wald gestellt wird. „Mit der Begrenzung durch den Wald ist es leichter, in betont ruhigem Tempo das lastaufnehmende Hinterbein des Pferdes zum aktiven Untertreten zu veranlassen“, so Möller.
Wird das Pferd dagegen in den Seitengängen zäh und neigt dazu, an Fleiß zu verlieren, hilft es, es in Richtung der offenen Landschaft zu stellen und die Weite wirken zu lassen. Durch den freien Blick lässt sich der Schwung leichter entfalten. So kann man im Gelände spielerisch mehr Raumgriff in den Seitengängen erreichen, der dem Pferd in der engen Reithalle schwerer fallen oder gar durch quetschende Schenkel erzwungen werden würde.
Tempokontrolle auf Feld- und Wiesenwegen
Auf Wegen in offener Landschaft sind Pferde häufig gehfreudiger und guckiger als im Wald, denn es gibt nun mal in allen Richtungen mehr zu sehen. Für den Beginn stehen auf Feld und Wiese deshalb die Sicherheitsgewinnung und Tempokontrolle im Vordergrund. Als Übung zur Überprüfung und Verbesserung der Losgelassenheit rät Katharina Möller zum Reiten in wechselndem Rahmen. „Dazu fasst der Reiter die Zügel in der für die Gangart üblichen Länge – also so lang, dass ein leichter aber stetiger Zügelkontakt möglich ist. Danach werden die Zügel um wenige Zentimeter verkürzt, gleichzeitig aber weitergeritten wie gehabt. Aufgrund der verkürzten Zügel geht das Pferd automatisch in etwas kürzerem Rahmen als zuvor. Nach einigen Schritten, Tritten oder Sprüngen werden die Zügel auf das ursprüngliche Maß nachgegeben oder geringfügig länger. Das losgelassene Pferd wird dem längeren Zügelmaß automatisch folgen und seinen Rahmen erweitern. Wer auf diese Weise mehrmals hintereinander den Rahmen wechselt, wird schon bald bemerken, wie sein Pferd bei jeder Wiederholung die Verkürzung williger mitmachen und sich beim Herauskauen konstanter nach vorn dehnen wird.“
Lange und kurze Wege im Wechsel – perfekt für Übergänge
Nicht überall stehen kilometerlange durchgehende Reitwege zu Verfügung, häufig werden Reitstrecken durch Straßen, unübersichtliche Kreuzungen mit Querwegen oder den Wechsel zu einem Bodenbelag, der sich nicht für höhere Gangarten eignet, unterbrochen. Spätestens in diesen Situationen muss zwangsweise ein Übergang zu einer niedrigeren Gangart geritten werden. Abgesehen von diesen geländeabhängigen Notwendigkeiten haben Übergänge – richtig ausgeführt – auch einen großen gymnastischen Wert. Bei den Übergängen in eine höhere Gangart wird der Antritt aus dem Hinterbein gefördert, während das Pferd bei korrekten rückführenden Übergängen vermehrt geschlossen wird – beides bekanntlich Kriterien für die Versammlung.
Übergänge lassen sich im Gelände praktisch überall ausführen. Und je mehr nacheinander geritten werden, desto aufmerksamer wird das Pferd. Eine unübersichtliche Strecke mit vielen Querwegen kann so optimal ins Training eingebaut werden. Denn durch das (notgedrungene) Reiten vieler Übergänge wird nach und nach die Vorbereitungsphase für den Gangartwechsel kürzer bis irgendwann der bloße Gedanke reicht, um das Pferd wie gewünscht anzutraben oder stoppen zu lassen.
Bergauf und bergab zum gymnastizierten Pferd
Wege mit Hanglage müssen für die dressurmäßige Arbeit kein Hindernis darstellen. Das Bergaufreiten fordert und fördert die Schubkraft des Pferdes und ist damit in wirklich jedem Ausbildungsstand sinnvoll. Aufgrund der Steigung muss das Pferd mit der Hinterhand energisch unterschieben um vorwärts zu kommen. Unter diesen Gegebenheiten fällt das Erreichen von Takt, Losgelassenheit und Anlehnung besonders leicht. Verstärken lässt sich der gymnastische Wert des Bergaufreitens, wenn man Steigungen zum Reiten von Übergängen nutzt. Pferde, die in der Reitbahn wenig aktiv untertreten und das innere Hinterbein hängen lassen, profitieren, wenn sie in Seitengängen bergauf geritten werden. Sie müssen gezwungenermaßen aktiver untertreten, um die Gangart halten zu können.
Das Bergabreiten fordert und fördert die Tragkraft. Voraussetzung dafür ist, dass es bewusst und auf Linie bergab geht. Nur dann ist gewährleistet, dass es unter seinen Schwerpunkt tritt und die Gelenke seiner Hinterbeine automatisch vermehrt beugt. Katharina Möller rät, mit dem Bergabreiten langsam zu beginnen, im Schritt und mit wenig Gefälle. Dabei lernt das Pferd, wie es seinen Körper einsetzen soll um nach unten zu kommen. „Das Pferd soll seine Beine beim Bergabreiten bewusst setzen und kleine Schritte machen. Je besser es seine Hinterbeine beugt, desto mehr hebt es den Widerrist und das Genick an, und der Reiter spürt, wie sich ein versammelter Schritt anfühlen soll“, erklärt Möller.
Bei stark unausbalancierten Pferden rät die Ausbilderin dazu abzusteigen und zu Fuß zu gehen. Auch vom Boden aus sollte der Reiter darauf achten, dass das Pferd möglichst in gerade Linie bergab geht.
Geht ein Pferd unter dem Reiter sicher und gut koordiniert im Schritt bergab, steht höheren Gangarten nichts entgegen. Dabei ist ein ruhiges Tempo Pflicht, eine möglichst versammelte Haltung das Ziel. „Ist ein Pferd noch nicht in der Lage, sich genügend zu setzen, wird es bergab stolpern und schneller werden, anstatt sich selbst aufzunehmen. Dann sollte man das Tempo auf jeden Fall zurücknehmen oder wieder in den Schritt wechseln“, empfiehlt Möller.
Bei weiter fortgeschrittenen Pferden lässt sich ein Hang nutzen um rückwärts hinaufzugehen. Wird die Übung in kleinen geraden Schritten ausgeführt, bringt sie das Pferd dazu, seine Hinterhand maximal unter den Schwerpunkt zu schieben. Beginnt das Pferd mangels Kraft mit den Hinterbeinen seitlich auszuweichen, ist sie allerdings wertlos.
Kurven vielseitig nutzen
Kurviges Gelände eignet sich hervorragend um an Biegung und Stellung zu arbeiten und das Pferd auf die diagonale Hilfengebung abzustimmen. Auf einem Waldweg um Bäume herum oder beim Abbiegen auf einen anderen Weg lassen sich das korrekte Reiten von Wendungen und das Umstellen perfekt trainieren. Aber auch gerade Wege können daszu genutzt genutzt werden, beispielsweise wenn der Reiter in Schlangenlinien von Wegrang zu Wegrand reitet. Bei flachen Schlangenlinien fällt die Biegung geringer aus und der Wechsel zwischen den Links- und Rechtsbiegung erfolgt allmählich. Steilere Schlangenlinien verstärken den Biegungsgrad und machen ein rascheres Umstellen vonnöten.
Kurven lassen sich übrigens nicht nur als Wendungen reiten. Fortgeschrittene Pferd-Reiter-Paare können einen Richtungswechsel auch in Pirouettenform nehmen. Die Grenzen zwischen Kurzkehrtwendung, Arbeitspirouetten und Pirouetten sind dabei fließend und sind je nach Versammlungsfähigkeit des Pferdes individuell anpassbar.
Im Galopp geritten bieten kurvige Wege die Möglichkeit das Gleichgewicht des Pferdes auf ganz natürliche Weise auch im Außengalopp zu schulen. Später können durch den Weg vorgegebenen Richtungsänderungen für Galoppwechsel genutzt werden. Einfache wie fliegende.
Pausen sind wichtig
Dressurmäßige Arbeit im Gelände ist anstrengend. Ganz besonders dann, wenn es auch bergauf und bergab geht oder der Boden etwas tiefer ist. Pausen zwischen den Trainingsreprisen sind deshalb auch draußen wichtig. Hat sich das Pferd bei einer Lektion sehr angestrengt und sein Bestes gegeben – gemessen an seinem individuellen Ausbildungsstand – ist nicht nur ein kräftiges Lob angesagt sondern auch eine ausgedehnte Schrittpause am hingegebenen Zügel. Wer mag, kann dafür auch aus dem Sattel steigen.
Im Stall sollte das Pferd mit beruhigtem Puls und weitestgehend trocken ankommen, damit es das Geländereiten nicht mit Stress und Aufregung verbindet. Auf diese Weise wird der Dressur-Ausritt zur gelungenen Abwechslung zum Training in der Reitbahn, von dem das Pferd sowohl geistig als auch körperlich profitiert.
Katharina Möller/ps
Buchtipp
Dass klassische Dressurarbeit sehr gut im Gelände funktioniert, zeigt Katharina Möller in ihrem Buch“ Feines Dressurreiten im Gelände - Gymnastizierung in freier Natur“. Auf spielerische Weise wird das vorhandene Reitgelände in das Dressurtraining integriert, um so auf ganz natürliche Weise Schub- und Tragkraft des Pferdes zu trainieren und ihm zu mehr Gleichgewicht und Versammlung zu verhelfen. Es werden zahlreiche, aufeinander aufbauende Übungen skizziert, die nicht nur zum Nachreiten, sondern auch zur selbständigen Weiterentwicklung anregen. Das Buch geht auf die besonderen Anforderungen an Sitz und Hilfengebung beim Dressurreiten im Gelände ein, erklärt die Zusammenhänge der klassischen Lehre und gibt Tipps für das individuelle Training des Pferdes. Die Ausbildungsziele reichen von der Verbesserung von Takt und Losgelassenheit bis hin zu gezielter Geraderichtung und Versammlungsförderung.
Feines Dressurreiten im Gelände
Gymnastizierung in freier Natur
Katharina Möller, Cadmos Verlag
Softcover, 128 Seiten, ca. 80 farbige Abbildungen,
UVP 19,95
Bestellen