Ausbildung

Vom Rennpferd zum Reitpferd: Traber und Galopper im zweiten Bildungsweg

Ein Artikel von Pamela Sladky | 22.09.2016 - 10:04
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Einmal Vollblut, immer Vollblut: Viele Besitzer von Ex-Rennpferden schwören auf die Vorzüge ihrer einstigen Leistungssportler. © www.slawik.com

Rapsfelder, endlos wirkende Wiesen und inmitten der Idylle ein winziges Dorf. Auf der Wiese hinter dem einzigen Bauernhof in Merkenbrechts tummelt sich eine kleine Pferdeherde. Ein zierliches dunkelbraunes Pferd mit einer auffälligen Blesse steht außerhalb des Paddocks und knabbert genüsslich am saftigen Gras neben einer Kinderschaukel. Wenn man den zarten Wallach beim Grasen beobachtet, erahnt man weder seine stattlichen 20 Jahre noch seine erfolgreiche Karriere. Avenum’s Bold Referee durfte als Rennpferd Erfolge in ganz Europa feiern. Heute genießt er seine Pension auf einer Koppel im Waldviertel. Nicht minder erfolgreich war Stein Cohnection. Der heute 17-jährige Traber war zehn Jahre lang auf internationalen Bahnen unterwegs und hat eine Gewinnsumme um die 43.000 Euro ertrabt. Beide mussten nach einer erfolgreichen Laufbahn abdanken und begannen ein neues Leben abseits der großen Rennbahnen.

Karriereende – was nun?

146 Traber wurden im österreichischen Geburtsregister der Zentrale für Traber-Zucht und Rennen in Österreich im Jahr 2012 festgehalten, 80 Galopper sind in der Trainingsliste aus dem Jahr 2013 des Austrian Racehorse Owners Club registriert. Wie viele davon pro Jahr ihre aktive Karriere beenden oder schon als Jungpferde aus verschiedensten Gründen ausgemustert werden, ist nicht zu eruieren. In Deutschland schieden jährlich rund 1000 Pferde aus dem Rennsport aus, meint Nicole Billaudelle, die früher selbst Rennpferde trainierte. Was aber erwartet die ausgemusterten oder ausgeschiedenen Rennpferde? Ist ein Neuanfang in einer anderen Disziplin sinnvoll und möglich?

In der Reiterwelt werden Vollblüter von der Rennbahn oft als verrückt oder nicht reitbar abgestempelt. Auch ehemals erfolgreiche Champions werden für nicht viel mehr als den Fleischpreis verkauft. „Den meisten bedeuten Rennpferde zu viel Arbeit. Wir verkaufen sie billig und wollen einen guten Platz für sie finden“, sagt der aus Österreich stammende Rennpferdetrainer Mario Hofer, der seit 1993 als Trainer im deutschen Krefeld tätig ist.

Weil billig aber oft mit wertlos gleichgesetzt wird, lassen viele Besitzer die Pferde nach ihrer Karriere umtrainieren, um sie so besser als Freizeitpferde verkaufen zu können. Avenum’s Bold Referee war eines dieser Pferde, die im zweiten Bildungsweg umgeschult wurden. Nach all seinen Erfolgen entschied sich der dunkelbraune Galopper selbst, eine neue Karriere zu starten: Während seines letzten Rennens hielt er wie gewohnt mit der Spitze mit. Als das Feld in der letzten Kurve zum Zielsprint ansetzte, behielt er sein Grundtempo bei und wurde Letzter. Im Ziel war er weder verschwitzt noch atmete er stark. Sein Besitzer ließ ihn daraufhin seine Rennkarriere beenden.

Der kleine Braune kam zu Astrid Maurer, die ihn trainieren sollte, damit er schließlich als Freizeitpferd verkauft werden könnte. Astrid hatte Erfahrung mit Galoppern. Schon zuvor durfte sie eine Stute von der Bahn ihr Eigen nennen, hatte diese aber bereits in Pension geschickt. Bereits beim Ausladen stand für Astrid fest, dass der Braune sie wohl nicht mehr verlassen würde – es war Liebe auf den ersten Blick. Die beiden lebten ihre Leidenschaft im Spring- und Vielseitigkeitssport und sind auch heute noch ein Team. Sie haben bei Anton Martin Bauer trainiert und einige Schleifen gesammelt. Vor allem in der Vielseitigkeit konnte „Lumpi“ seine Leichtfüßigkeit und sein Springvermögen ausspielen.

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Immer wieder finden Ex-Rennpferde in der Vielseitigkeit ihre neue Berufung. © www.slawik.com

Ein ähnliches Schicksal hat der Traber Stein Cohnection. Er beendete seine Karriere allerdings nicht freiwillig. Eine schwere Fesselträgerverletzung machte weitere Rennen unmöglich. Steini, wie er heute genannt wird, blieb in der Familie. Die Schwester der Besitzerin, Silke Perstling, übernahm den damals 14-Jährigen. Heute lebt der ehemalige Traber auf einem Lusitanogestüt in Graz und wird in der klassischen Dressur ausgebildet. Lektionen wie Spanischer Schritt, Spanischer Trab oder Traversale zeigt der Traber heute mit der Eleganz eines Barockpferdes.

Hoher Arbeitsaufwand

So schön sich die zweiten Karrieren der beiden auch anhören, so viel Arbeit steckt hinter dem erfolgreichen Start in eine neue Zukunft. Nicht umsonst findet man im Zusammenhang mit Vollblütern häufig das Zitat: „Beschäftige es, sonst beschäftigt es dich“. Viele Leute unterschätzen, dass sie sich kein rohes, sondern ein bereits ausgebildetes Pferd gekauft haben. Nur nicht so ausgebildet, wie man es üblicherweise erwartet.

Sich mit dem bisherigen Alltag der Rennpferde ernsthaft zu befassen, vermeidet viele Startschwierigkeiten und fördert das Verständnis für manche Eigenheiten, meint Nicole Billaudelle. Sie ritt über mehrere Jahre Rennpferde im Training auf der Rennbahn Neue Bult bei Hannover, hatte später Reitbeteiligungen auf Rennpferden und ist heute Besitzerin eines Ex-Galoppers, den sie selbst umschulte. Zudem betreibt sie das Internetportal www.rennpferde-rente.de auf dem über 200 ehemalige Rennpferde vorgestellt werden und sich Besitzer über Schwierigkeiten und Freuden bei der Arbeit mit den Vollblütern austauschen können. Auf diese Weise hat Billaudelle einen tiefen Einblick in verschiedenste Geschichten rund um ehemalige Rennpferde gewonnen. Häufig würden unwissende Eltern ihren Kindern ein vergleichsweise billiges Rennpferd schenken, seien sich aber weder des Arbeitsaufwands noch der Risiken bewusst. Die Reiter sind häufig überfordert, die Pferde werden als nicht reitbar abgestempelt und dann weiterverkauft. Ein Teufelskreis.

Auch die Schweizerin Nadia Knöpfel warnt vor dem Arbeitspensum, das ein solches Pferd mit sich bringt. Wie Nicole Billaudelle war auch sie früher im Rennsport tätig. Mit dem Ende ihrer Arbeit auf der Bahn kaufte sie sich einen Galopper und bildete diesen zum Reitpferd aus. Nach erfolgreicher Umschulung wollte sie sich abermals beweisen und holte sich erneut ein Pferd von der Bahn. Ihr Erfolg verbreitete sich in der Schweiz wie ein Lauffeuer, sodass Besitzer ehemaliger Rennpferde plötzlich vor ihrer Tür Schlange standen. In starken Jahren schulte Nadia bis zu 20 Rennpferde zu Reitpferden um. Vermittelte sie eines erfolgreich weiter, stand das nächste schon vor der Stalltür. „Ich würde den Leuten, die sich ein solches Pferd kaufen, weil es billig ist, dringend empfehlen, mit einem Fachmann zu arbeiten“, rät Knöpfel aus Erfahrung.

Von den anfänglichen Schwierigkeiten können auch Astrid Maurer und Silke Perstling ein Lied singen. Lumpi – diesen Namen erhielt der Galopper Avenum’s Bold Referee, weil er anfangs so schlimm war – machte Astrid in den ersten Monaten das Leben nicht leicht. Schon das erste Aufsteigen endete beinahe im Krankenhaus. Denn was Astrid am ersten Tag noch nicht wusste: Lumpi litt unter Gurtenzwang. Der Versuch, Schritt zu reiten, endete im Steigen und einer Rolle rückwärts der beiden. Auch an Galoppieren war anfangs kaum zu denken. Normale Galopphilfen kannte Lumpi nicht. Unter Angaloppieren verstand er ein katapultartiges Wegschießen, wie er es in der Startbox gelernt hatte. Auch Rechtsgalopp war ihm anfangs fremd, galoppierte er doch auf der Rennbahn stets nur gegen den Uhrzeigersinn. Gegenverkehr auf einem Abreitplatz glich anfangs einem Spießrutenlauf. Der erste Turnierbesuch der beiden war daher von Stress und abermaligem Steigen geprägt. Anbinden lässt er sich bis heute nicht, und auch Männer kann er nicht leiden – die dürfen ihn nicht angreifen, was zu teils kniffligen Momenten im Stall führt. Auch mit Verhaltensstörungen hatte Astrid zu kämpfen – Lumpi webte. Selbst kurz bevor er in Pension geschickt wurde und zum optimalen Partner geworden war, ging hin und wieder das Rennpferd mit ihm durch. Vor allem, wenn ihn ein anderes Pferd im Galopp überholte. Bei Ausritten hieß es daher immer, als erster oder letzter zu reiten.

Erfolgreich umgeschult

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Dressur mit einem ehemaligen Rennbahn-Crack? Auch das ist möglich, wenn man die Besonderheiten der Pferde entsprechend berücksichtigt. © www.slawik.com

Geduldig lässt Steini sich ein kleines Kind auf den Rücken setzen. Ein Mädchen geht mit ihm und dem Kind hoch zu Ross spazieren. „Er ist total kinderlieb. Ich kann ihn ohne Bedenken mit Kindern rausschicken, da macht er keinen falschen Schritt“, erzählt Silke und blickt ihrem Ex-Traber stolz nach. Früher jedoch war keine Spur von Gelassenheit in dem Dunkelbraunen. Die größte Herausforderung war es, normalen Schritt zu gehen. „Steini kannte nur rennen. Egal ob vorwärts, seitwärts oder rückwärts, Hauptsache rennen“, erzählt Silke. In den ersten Wochen arbeitete sie nur an einem normalen Schritt, ohne Biegung, ohne Anlehnung, ohne alles. Meist lobte sie ihn nach einem einzelnen Schritt vorwärts und stieg ab. So lange, bis man ihn ruhig vorwärts reiten konnte.

Auch im Gelände führte die Rennlust immer wieder zu Problemen. „Einmal sind wir mit drei Trabern ausgeritten – und alle drei sind total heiß geworden. Wir hatten blutige Hände und Knie, weil es nur darum ging, irgendwie auf dem Pferd zu bleiben. Wenn man runterfällt, bleibt der nicht mehr stehen.“ Auch wenn er sich halten ließ, war es Gezappel in alle Richtungen. Im Straßenverkehr natürlich nicht immer bedenkenlos: „Ein Pferd, das du nicht mehr unter Kontrolle hast, ist im Straßenverkehr und mit Fußgängern schon gefährlich.“

Silke hatte mit Steini trotzdem Glück. Weil er jahrelang für ihren Heimatstall lief, wusste sie schon vorher viel über das Pferd und darüber, was es erlebt hatte. Eine große Hürde war es allerdings, dem Traber Galoppieren beizubringen. „Mit dem Galopp habe ich ihn lange in Ruhe gelassen. Rechtsgalopp ist er dann von selbst bald eingesprungen, links war es ganz schwierig“, so Silke.

In der Ruhe liegt die Kraft

All diese kleinen Macken sind bei Ex-Rennpferden keinesfalls selten, denn sie haben in ihrem bisherigen Leben nichts anderes gelernt. Gerade das macht die Arbeit für unerfahrene Reiter teilweise schwierig. „Man muss das nötige Feingefühl haben, um die Tiere zu verstehen“, meint Nadia Knöpfel. Bekommt sie ein Pferd frisch von der Bahn, stellt sie es erst für einige Tage oder Wochen auf die Koppel in eine Herde mit anderen Vollblütern. „Sie kennen das teilweise gar nicht, dass sie mit anderen Pferden zusammen sind. Rennpferde leben praktisch in Einzelhaft“, meint Knöpfel. Sie gibt ihnen vor der Arbeit Zeit, in der Gruppe psychisch herunterzufahren. Dann unternimmt sie mit den jungen Pferden ausgedehnte Spaziergänge, um ihnen das Gelände zu zeigen und integriert zudem Longieren in den Trainingsplan, um die häufig unterentwickelte Rückenmuskulatur aufzubauen.

Eine etwas andere Strategie empfiehlt der aktuell erfolgreichste aktive Rennpferdetrainer Mario Hofer. Er betont, dass die Pferde auf der Rennbahn Höchstleistungen bringen und muskulär dahin gehend aufgebaut werden. Man könne sie nicht von einem auf den anderen Tag auf die Wiese stellen, sondern müsse sie behutsam abtrainieren. Nicole Billaudelle stimmt dieser Vorgangsweise zu. Rennpferde dürften keinesfalls mit rohen Jungpferden gleichgesetzt werden, denn sie hatten bereits einen strikt geregelten Arbeitsalltag. Sie empfiehlt, sich mit dem Pferd zu beschäftigen, sich auch über das Abtrainieren Gedanken zu machen und eine neue Basis zu schaffen. Diese Pferde wurden im Hochleistungssport eingesetzt, jeden Tag konditioniert und gut gearbeitet. Man würde ihnen auch psychisch keinen Gefallen tun, wenn man sie ein paar Wochen wegstellt. „Man kann die definitiv reiten, man muss nur wissen: wenn man auf dem Reitplatz eine Volte oder einen Zirkel im Galopp reiten möchte, dann wird das nicht funktionieren. Die kennen nur Trainingsbahnen, die zwei Kilometer lang sind“, so Billaudelle.

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Mit viel Geduld und dem nötigen Können und Einfühlungsvermögen lassen sich Traber und Galopper zu verlässlichen Reitpferden ausbilden. © www.slawik.com

In einem Punkt sind sich alle Experten einig: Will man ein ehemaliges Rennpferd zum Reitpferd ausbilden, braucht man vor allem Ruhe, Geduld und Durchsetzungskraft. Das Training solle man aufbauen wie bei einem jungen Pferd. Viel vorwärts-abwärts reiten, das Pferd an Zügel- und Beinhilfen gewöhnen, Longieren, Spazierengehen und Bodenarbeit, so Billaudelle. Wolle man schnell ein perfekt zu reitendes Turnierpferd, sei man bei Ex-Rennpferden definitiv am falschen Platz. Mindestens sechs Monate müsse man einplanen, bis man ein Rennpferd gut arbeiten kann, meint Nadia Knöpfel. „Die sind anfangs mit allem überfordert. Man braucht Feingefühl, um abzuwägen, wie viel man ihnen wann zumuten kann.“

Am meisten falle laut Knöpfel die angeknackste Psyche vieler Rennpferde auf. Sie seien aus ihrem Alltag nur Stress und lautes Reden gewöhnt. Dass man sie streichelt und lieb mit ihnen redet, sei den meisten fremd. Gerade deshalb sei es wichtig, die Arbeit mit viel Ruhe anzugehen und dadurch Vertrauen aufzubauen. Der mittlerweile seelenruhige Steini verfiel anfangs ebenfalls häufig in Stress. In einer solchen Situation kam immer wieder das alte Verhaltensmuster von der Rennbahn zum Vorschein: Er riss den Kopf hoch, drückte mit der Schulter nach innen, mit dem Kopf nach außen und wollte im Renntrab davon. Silke arbeitete mit viel Ruhe und Geduld daran, ihn aus dem Stress herauszuholen. „Mittlerweile kann ich ihn ganz gut beruhigen. Früher musste ich dann einfach stehen, einen Schritt vorwärts gehen, loben und fertig.“ Kurz: Die Arbeit beschränkte sich an etlichen Tagen auf das Erlernen von Gelassenheit.

Lernen durch Verstehen

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Häufig sind Galopper mit einem guten Sprungvermögen ausgestattet, das sie nach erfolgreicher Umschulung im Parcours voll entfalten können. © www.slawik.com

Rennpferde leben anders als Reitpferde. Sie haben einen pedantisch genauen Tagesablauf mit exakten Fütterungs- und Trainingszeiten. Egal, ob Putzen, Satteln oder das Aufsteigen der Jockeys, der Großteil ihres Lebens spielt sich in der Box ab. Die Pferde erbringen schon in jungen Jahren Höchstleistungen und werden auch dahin gehend trainiert. Sie sind in einem konditionellen Zustand, den viele andere Pferde ein Leben lang nicht erreichen werden. Rennpferde werden meist zu mehreren trainiert, Alleingänge kennen die wenigsten. Im Freien halten sie sich nur stundenweise auf, in der Box stehen sie von Artgenossen isoliert. Ein Annehmen der Zügel bedeutet für Rennpferde, dass sie noch schneller laufen sollen. Der Aufbau von Rücken- oder Halsmuskulatur wird im Training vernachlässigt. Was zählt, sind eine starke Schulter und Hinterhand. Sie kennen keine Reitplätze oder -hallen, sondern kilometerlange Sandbahnen. Sie werden eher auf Stimme als auf Sitz- oder Schenkelhilfen trainiert. Die Liste der Besonderheiten könnte endlos fortgesetzt werden.  

Das Wissen um die Ausbildung und Lebensweise der Vollblüter ist essenziell, um auf ihr Verhalten eingehen zu können und ein möglichst zielführendes Training zu entwickeln. Oft werden Vollblüter als hektisch oder gar als verrückt abgestempelt, nur weil sie auf gewisse Dinge anders reagieren als andere Pferde. Versucht man, ihre Vergangenheit zu verstehen und im Umgang bei Null zu starten, wird wohl so mancher Reiter zur Erkenntnis gelangen, dass das Pferd einfach auf seine erlernte Art und Weise reagiert.

„Die kommen von einem exakt geregelten Tagesablauf ins totale Chaos“, so Dr. Isabella Copar, offizielle Rennbahntierärztin in der Freudenau und in Ebreichsdorf und Geschäftsführerin des Austrian Racehorse Owners Club. Laut Copar sei der Großteil der Leute, die sich solche Pferde kaufen, nicht dafür geeignet, Pferde selbstständig auszubilden. Darunter leiden würde schlussendlich aber der Ruf der Galopper. Zu Unrecht. In unprofessioneller Hand würden sich die sensiblen Vollblüter zwar in der Tat schwer einfügen, weiß man allerdings mit ihnen umzugehen, gebe es keine besseren Sport- und Freizeitpartner.

Rennbahntierärztin Dr. Constanze Zach sieht ein ähnliches Potenzial in ehemaligen Trabrennpferden. Traber seien unkomplizierte, gutmütige Pferde, die gerne im Tourismus als Reit- oder Kutschpferde eingesetzt werden. Auch als Wanderreitpferde würden sie sich hervorragend eignen. Häufig werden Traber bereits während ihrer aktiven Karriere angeritten und gehen auch Trabrennen unter einem Reiter. Sie sind folglich nicht nur das Ziehen eines Sulkys, sondern auch das Gewicht eines Reiters gewöhnt.

Der Pferdefuß an Rennpferden

Die Muskulatur der Rennpferde bleibt dennoch ein viel diskutiertes Thema in der Pferdewelt. Rennpferde werden vor ihrem zweiten Geburtstag eingeritten und müssen auch ohne ausreichenden Aufbau der Rückenmuskulatur das Gewicht der Jockeys tragen – ein Grund für häufige Kritik am Rennsport. Nadia Knöpfel bestätigt, dass fast alle Pferde, die sie zur Ausbildung bekam, an Rückenproblemen oder gar Kissing Spines litten. Ebenso viele hatten mit Magengeschwüren zu kämpfen. Die Kosten, die sie für Chiropraktiker, Zahnärzte und Physiotherapeuten aufwenden musste, wurden durch den Verkaufspreis nie gedeckt. Auch dieses Risikos müsse man sich bewusst sein. Empfehlenswert ist, wie bei jedem anderen Pferdekauf, auch bei Rennpferden eine Vorkaufuntersuchung durch einen Tierarzt des Vertrauens.

Dr. Zach und Dr. Copar relativieren die von Nadia Knöpfel geschilderte Häufung von Rücken- und Magenproblemen. Generell seien Magengeschwüre eine weit verbreitete Erkrankung bei Sportpferden ganz allgemein und hängen wesentlich mit einer nicht der Natur des Pferdemagens angepassten Ernährung zusammen. Durch Stress verursachte Magengeschwüre verschwänden, sobald das Pferd aus der aktiven Karriere ausscheide. Eine Häufung von Rückenproblemen sei ihnen ebenfalls nicht bekannt. „So aufgepasst wie auf Rennpferde wird auf kein anderes Pferd. Wäre es anders, würden sie ihre Leistung nicht bringen“, so Dr. Copar.

Nicole Billaudelle fasst die Problematik zusammen: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass ein Pferd, das von der Bahn kommt, keine sehr ausgeprägte Rückmuskulatur hat. Das ist eine Tatsache.“ Die Rückenmuskulatur sei für den Rennsport nicht wichtig, sie werde deshalb auch nicht aufbauend trainiert. Holt man sich also ein Pferd von der Bahn, liegt es vor allem am Reiter, die Rückenmuskulatur schonend aufzubauen und somit die Entstehung von Rückenproblemen zu verhindern. Die Sättel im Reitbereich sind maßgeblich schwerer als Rennsättel, und auch die meisten Reiter bringen wesentlich mehr auf die Waage als ein Jockey. Solange die Rückenmuskulatur noch nicht ausreichend aufgebaut wurde, kann dieses vermehrte Gewicht vor allem im Aussitzen zu Unbehagen auf Seiten des Pferdes führen.

Einmal Vollblut, immer Vollblut?

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Eine unzureichende Bemuskelung im Rückenbereich ist vielen Rennpferden gemein. Diesem Umstand muss bei der Umschulung besonders Rechnung getragen werden. © mayneum - fotolia.com

„Was willst du denn mit einem Rennpferd?“ „Wie klein der ist!“ „Willst du dir nicht ein gescheites Pferd kaufen?“ Einen dieser Sätze hat wohl jeder Vollblut-Besitzer schon zu Ohren bekommen. Fragt man sie, warum sie ihre Pferde Warmblütern vorziehen, scheinen die Mühen und Strapazen der ersten Monate wie weggeblasen. Dass es sich lohnt, das bestätigen sie alle. „Sie sind einfach grundehrlich“, meint Astrid. „Sie haben einen sehr starken Charakter und geben einem so viel zurück“, sagt Silke. „Sie sind intelligent und lernen viel schneller als andere Pferde“, so Dr. Zach. „Sie sind wie ein Spiegel. Ein Vollblüter lässt sich deine Reitfehler nicht lange gefallen“, meint Billaudelle.

Vollblüter sind sensible, intelligente Pferde, die schnell lernen – im positiven wie im negativen Sinn. Sie wissen genau, was sie wollen – und gegen ihren Willen anzukämpfen, hat meist nur wenig Sinn. Diese Erfahrung musste auch Astrid machen. Sie und ihr Lumpi bestritten einige Turniere. Meist sehr erfolgreich. Doch merkte sie, dass etwas nicht stimmte oder er keine Lust hatte, trat sie meist schon am Abreitplatz auf die Bremse und nahm am Bewerb nicht teil. „Beim Reiten hat er mir immer klar gesagt, wenn er nicht will.“

Auch Traber Stein Cohnection macht aus seinen Gefühlen keinen Hehl, wäre er ein Mensch, würde man ihm wohl einen Hang zur Eifersucht unterstellen. „Wenn ich mich einen Tag lang nicht um ihn kümmere oder ein anderes Pferd von der Koppel hole, dann dreht er sich von mir weg und schaut mich nicht mehr an“, erzählt Silke. Dafür ist seine Freundschaft mit seinem besten Kumpel umso intensiver. Wie der Schatten des jeweils anderen stehen die beiden gemeinsam auf der Weide und folgen einander auf Schritt und Tritt. Bemerkenswert ist auch Steinis Fähigkeit zum mimischen Ausdruck. Schaut man dem dunkelbraunen Wallach dreimal in die Augen, so wirken sie dreimal verschieden. Passt ihm etwas nicht, rümpft er wortwörtlich die Nase. „Du schaust ihn an und weißt sofort, wie er sich gerade fühlt“, so Silke.

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In der erfolgreichen Umbildung eines ehemaligen Rennpferdes spielt vor allem das Vertrauen eine große Rolle. Hat man es erst einmal gewonnen, ist fast alles möglich. © www.slawik.com

Nicht nur der besondere Charakter und die Willensstärke machen Vollblüter für viele Reiter so attraktiv. Entgegen der landläufigen Meinung sind Vollblüter nicht hektisch, sondern ganz im Gegenteil sehr nervenstark, wenn man sie die Welt außerhalb der Rennbahn erkunden lässt. Ihr Temperament und ihre Arbeitslust finden im Sport großen Anklang. Nicht umsonst wird besonders die Ausdauer und das Springvermögen von Englischen Vollblütern im Vielseitigkeitssport geschätzt. Der österreichische Vielseitigkeitsreiter Manfred Rust setzte mehrmals auf ehemalige Galopper.

Doch nicht nur im Vielseitigkeitssport finden ehemalige Rennpferde ihren zweiten Beruf. Man kann die vierbeinigen Sportskanonen in fast jeder Disziplin einsetzen. Nadia Knöpfel hat viele Pferde ausgebildet und erfolgreich weitervermittelt. Drei davon sind im Dressursport bis zur Klasse M zu finden, ein paar sind laufend im Parcours unterwegs. Klickt man sich durch die Liste an Rennpferde-Rentnern auf Billaudelles Website, hat es das ein oder andere Vollblut sogar in den Westernbereich verschlagen.

So viel Freude ihnen ihre beiden Ex-Rennpferde auch machen, so sicher beantworten Astrid und Silke die Frage, ob sie sich nochmals ein Pferd von der Bahn holen würden, mit einem klaren Nein. Silke weiß, dass sie mit Stein Cohnection einen wahren Glücksgriff getätigt hat. Sie kannte ihn schon seit acht Jahren, während er unter dem Namen ihrer Schwester Rennen bestritt. Sie wusste schon zuvor, wie er tickt und worauf sie sich einlässt. Mit einem fremden Rennpferd wäre ihr das Risiko zu hoch. Astrid resümiert ähnlich. „Ich denke heute anders als vor 15 Jahren. Als 20-Jährige putzt du dich ab und steigst wieder auf, wenn du im Dreck liegst.“ Ihre beiden Rennpferde geben sie trotzdem nicht mehr her. Sie dürfen bei ihnen alt werden. Denn so viel Mühe und Tränen es teilweise kostete, so sehr schweißte die Arbeit Reiterin und Pferd zusammen. Ihre nächsten Pferde werden sie dennoch nicht von der Rennbahn holen.

Der Tenor unter den meisten Ex-Galopper-Besitzern ist allerdings ein anderer, wie Nicole Billaudelle aus eigener und aus der Erfahrung vieler Gleichgesinnter weiß: „Einmal Vollblut, immer Vollblut. Für mich persönlich gibt es nichts Feinfühligeres und Lernwilligeres als ein Vollblut. Zu keiner anderen Pferderasse hatte ich jemals eine solch tiefe Verbindung. Mein Pferd würde alles für mich tun, und ich für mein Pferd. Hat man das Vertrauen eines Ex-Galoppers gewonnen, dann ist es für immer. Sie kommunizieren ganz anders, offener, konstanter als andere Pferde. Wenn man die genannten Hintergründe kennt und sich auf diese einstellt, dann ist die Arbeit an ihnen auch nicht mühsam, sondern ein bereichernder gemeinsamer Lernprozess.“

Stephanie Schiller

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Dieser Artikel von Stefanie Schiller wurde erstmals in Ausgabe 8/2014 der Pferderevue veröffentlicht. Pferderevue AbonnentInnen können diese Artikel zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter Service/Online-Archiv einloggen und in allen Heften aus über 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!