Abwechslungsreich trainieren

Fitness von der Stange

Ein Artikel von Claudia Götz | Pamela Sladky | 12.06.2020 - 12:50
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Das Stangnquadrat ist schnell, einfach und platzsparend aufgebaut und lässt sich vielseitig nutzen.   © Horst Streitferdt | Kosmos Verlag

Raus aus der Routine

Für SIGRID SCHÖPE aus Mönchengladbach ist mehr Spaß am Training für Pferd und Reiter ein wichtiges Plus bei der Arbeit mit den bunten Stangen. „Die üblichen Bahnfiguren gymnastizieren das Pferd und schulen den Sitz und die feine, korrekte Hilfengebung des Reiters. Doch was tun, wenn das Pferd so lustlos durch den Sand schlurft, dass man am liebsten gleich wieder absteigen möchte?“, spricht die Buchautorin ein Problem an, mit dem sich viele im Trainingsalltag herumschlagen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass einfache Hilfsmittel wie Stangen oder Pylonen die Konzentration von Pferd und Reiter erhöhen und gleichzeitig das Üben intensiver und abwechslungsreicher gestalten.“ Angenehmer Nebeneffekt: Das Pferd wird dabei auf spielerische Weise wirkungsvoll trainiert, die Abstimmung wird verfeinert und die Hilfen des Reiters werden ganz automatisch präziser. Um diese Ziele zu erreichen, benötigt man keine komplizierten Konstruktionen. Im Gegenteil, ein und derselbe Aufbau lässt sich meist auf viele verschiedene Arten und mit vielfältigem gymnastischen Wert nutzen.

Das beweist auch eine von Schöpes Lieblingsübungen, das Stangenquadrat. Dieser Aufbau kommt mit vier Stangen aus und lässt sich schon mit wenig Platz umsetzen. Trotz des spielerischen Charakters des Stangentrainings darf nicht vergessen werden, dass die Arbeit für das Pferd anstrengend ist – körperlich wie geistig. „Es ist wichtig, immer wieder Pausen einzulegen und den richtigen Zeitpunkt, aufzuhören, nicht zu verpassen. Nur so bleibt die Motivation des Pferdes erhalten“, gibt Schöpe zu bedenken.
 

Gymnastizierung im Quadrat
Das Stangenquadrat bietet eine Fülle an Übungsmöglichkeiten. Man kann in gerader Richtung über die Stangen reiten, sie diagonal überwinden, sich darin drehen oder sie für Volten und Achten nutzen. Beim Geradeausreiten ist es wichtig, die Stangen mittig anzupeilen. Das Pferd soll das Quadrat mit nach vorwärts-abwärts gedehntem Hals locker, aber zügig durchschreiten.

Die Hinterhandaktivität wird vermehrt angeregt, wenn das Stangenquadrat diagonal durchritten wird, weil an den Eckpunkten zwei Stangen übereinanderliegen und das Pferd seine Beine hier höher anheben muss. Beide Varianten lassen sich später auch im Trab ausführen.

Für eine bessere Biegung kann man den Aufbau mit Kleinen Touren kombinieren. Je nach angestrebter Größe der Kleinen Tour liegen die Stangen weiter oder enger beieinander.

Wer’s gerne noch ein wenig kniffliger mag, kann eine Acht über die gegenüberliegenden Ecken des Quadrats reiten. Bei dieser Übung muss das Pferd prompt auf die Hilfen reagieren, denn für das weiche Umstellen bleibt wenig Zeit. Durch den Richtungswechsel werden Biegung und Durchlässigkeit gefördert. Außerdem wird die Hinterhand in den engen Wendungen dazu angeregt, gut unter den Schwerpunkt des Pferdes zu fußen.

Trail für alle

STEFANIE HILLMAIER, Westernreitwartin und österreichische Trailmeisterin, nutzt bei der Stangenarbeit vor allem Elemente aus der Westerndisziplin Trail – einer Disziplin, die Geschicklichkeit und Gelassenheit gleichermaßen verlangt und fördert. „Trailübungen können mit jeder Pferderasse durchgeführt werden, da die Stangenabstände immer für das jeweilige Pferd gelegt werden“, sagt Hillmaier. Wie beim klassischen Reiten werden auch hier „durch richtiges Anreiten der Takt und die Körperbalance geschult“.

Begonnen wird in der Regel vom Boden aus. „Der Trail an der Hand ist vor allem für junge Pferde gedacht, die noch nicht geritten werden können“, erklärt Hillmaier. Danach werden die Anforderungen im Sattel Schritt für Schritt gesteigert – immer mit Bedacht auf die Optimierung der Ausführung und die Reduzierung der Hilfen: „Beim Trail ist es erwünscht, dass die Pferde Zwischenschritte sowie kurze und weite Tritte lernen, um möglichst fehlerlos über das Hindernis zu kommen. In späterer Folge ist es das Ziel, mit losem Zügel, losgelassen und auf feinste Hilfen hin über die Hindernisse zu reiten. Die anspruchsvollste Variante der Stangenarbeit ist schließlich die Ausführung streng nach dem Regelbuch. Dabei wird dem Pferd ein hohes Maß an Beweglichkeit, Balance und Takt abverlangt.“

Hillmaiers Favorit sind Galoppstangen, egal ob als Stangenfolge, als Quadrat, fächerförmig oder als Plus angeordnet. „Stangen im Galopp sind im Trail immer eine der schwersten Übungen, denn sie erfordern Manier, Aufmerksamkeit und Qualität der Bewegungen.“ Das Pferd darf im versammelten Westerngalopp, dem Lope, weder die Stange berühren noch die Stange mit den Vorder- oder Hinterbeinen splitten (also teilen, d. h. nicht die Stange zwischen Vorder- oder Hinterbeine nehmen).

Fächer und Plus für Takt und Durchlässigkeit
Das Stangen-Plus und der Stangenfächer sind platzsparende Möglichkeiten, Pferde an der Hand und unter dem Sattel zu gymnastizieren. Sie werden jeweils in die Mitte eines Zirkels gelegt. Beim Fächer sind fünf Stangen auf gebogener Linie in allen Grundgangarten zu überwinden, danach kann frisches Vorwärts auf gerader Linie folgen. Diese Übung fordert vom Pferd ein hohes Maß an Konzentration, gleichzeitig werden vor allem die Losgelassenheit und der Takt verbessert. Vom Reiter ist eine extrem genaue Hilfengebung gefordert, um das Pferd in der Spur zu halten. Zu Beginn reichen deshalb oft schon zwei bis drei Stangen. Nach und nach kann man auf fünf Stangen steigern, wenn Pferd und Reiter gut damit klarkommen. Wer die Übung noch etwas anspruchsvoller gestalten will, kann die Stangen an einem Ende etwas höher legen. Das bringt extra Kraft in die Hinterhandund Bauchmuskulatur.

Eine gute Möglichkeit, am Gleichmaß von Kleinen Touren zu arbeiten, bietet das Stangen-Plus, wenn zwischen den einzelnen Stangen Volten geritten werden, sodass ein Kleeblatt entsteht.

Kurz und knackig
Die Arbeit mit Stangen erfordert vom Pferd vor allem hohe Konzentration. Spätestens nach 20 Minuten sollten Sie ihm deshalb eine Pause gönnen. Ist Ihr Pferd noch jung oder unerfahren, kann seine Aufmerksamkeitsspanne auch deutlich kürzer ausfallen. Auch wenn Sie selbst hoch motiviert sind: Probieren Sie nicht alles auf einmal aus. Überlegen Sie sich vorher eine, maximal zwei Übungen, die Sie sich für das Training vornehmen. Das Motto ist wie so oft: Qualität vor Quantität. Häufen sich während des Trainings die Fehler, machen Sie Schluss oder legen Sie eine ausgedehnte Pause ein. Durch wiederholte Überforderung kommt auch dem ambitioniertesten Pferd die Lust an der Stangenarbeit abhanden.

Variationen für mehr Aufmerksamkeit

Ausbilderin und Centered-Riding- Expertin SERAPHIN EGGL aus Niederösterreich setzt anstelle von Stangen gerne auf weiche Schläuche. Die Lieblingsübung der Trainerin für Dual-Aktivierung und Equikinetic, der sogenannte Mercedes-Stern, lässt sich jedoch mit beiden gut ausführen. Der Aufbau mit lediglich drei Stangen sieht auf den ersten Blick harmlos und langweilig aus, doch das ändert sich schnell, wenn man erkennt, wie viele Variationsmöglichkeiten er bietet: „Sowohl geritten als auch an der Longe sind hier verschiedene Übungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden möglich“, sagt Eggl. „Je nach Ausbildungsstand von Reiter und Pferd kann in allen Grundgangarten gearbeitet werden.“ Zudem ermöglicht der Einsatz von kürzeren Stangen bei dieser Übung einen sehr platzsparenden Aufbau, was insbesondere für andere ReiterInnen auf dem Platz, die keine Stangenambitionen hegen, angenehm ist. „Und nicht zuletzt fordern und fördern die kürzeren Stangen eine genauere Linienführung und erhöhen so den Schwierigkeitsgrad weiter.“

Sternförmige Abwechslung
Der Aufbau aus drei Stangen lässt zahlreiche Varianten zu, sodass die Reaktionsbereitschaft von Pferd und Reiter sowie die Konzentration extrem gefördert werden. Möglich sind u. a.: eine Große Tour über oder um die Stangen, eine ovale große Tour über einzelne Stangen; Kleine Touren über oder rund um eine Stange; der Wechsel zwischen Kleinen Touren rund um bzw. über einzelne Stangen; Tour verkleinern und vergrößern mit Überreiten der Stangen sowie in der Tour wechseln. Auch unkonventionelle Linien mit einer bestimmten Vorgabe – etwa eine Stange überreiten, eine Stange auslassen usw. – sind möglich. Für Einsteiger lässt sich der Aufbau auch für größere Hufschlagfiguren nutzen – wie den Handwechsel über eine Stange von Tourenpunkt zu Tourenpunkt oder von Tourenpunkt zu Buchstabe. Bei einer Mitteltour muss jeweils nur bei einer einzigen Stange auf gebogener Linie die Mitte getroffen werden. Eine Erhöhung des Schwierigkeitsgrades ergibt sich durch den Wechsel von Gerademachen auf der kurzen Seite zu einer Tour rund um oder über die beiden anderen Stangen.

Der Mercedes-Stern kommt mit dem Platzangebot einer Großen Tour gut aus. Auf dieser Fläche kann der Aufbau in unzähligen Varianten und allen Gangarten geritten werden.

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Die Stangentreppe eignet sich für Anfänger ebenso wie für Grand-Prix-Reiter. © Horst Streitferdt | Kosmos Verlag

Schwung fürs Dressurtraining

„Stangen statt Lektionen“ lautet das Motto von Dressurreiterin Anne-Katrin Hagen. Die norddeutsche Neindorff-Schülerin und Buchautorin ist ein großer Fan von Stangenarbeit für die Ausbildung von Reiter und Pferd, auch in der Dressur – und dort bis zur höchsten Klasse. Ihre kreative Art, die bunten Stangen in den Trainingsalltag einzubauen, zielt darauf ab, „das Reaktionsvermögen des Reiters und die Balance und Geschmeidigkeit des Pferdes entscheidend zu fördern“. Das Besondere in ihrer Anwendung: Im Schritt geritten oder geführt, können selbst Anfänger die Übungen nutzen, die gleichzeitig einem Grand-Prix-Pferd effektive Gymnastizierung bieten.

Hagens erklärte Lieblingsübung ist die sogenannte Stangen-Treppe: „Diese Übung ist schon im Schritt gar nicht so einfach. Im Galopp geritten, wird daraus eine richtig anspruchsvolle Aufgabe für weit ausgebildete Pferde und Reiter.“

Im Zickzack vom Leichten zum Schweren
Bei der Treppe aus vier Meter langen Stangen sind die Enden jeweils etwa zwei Fußlängen voneinander entfernt. Die ganze Treppe befindet sich auf der Linie „durch die halbe Bahn wechseln“. Diese Zickzacklinie aus vier Stangen lässt sich variantenreich nutzen. Beim Geradeausreiten müssen schräg liegende Stangen überquert werden. Das erfordert Aufmerksamkeit und Dehnungsbereitschaft. Schon ein gutes Stück schwieriger ist es, wenn die Treppe im Slalom geritten wird. Bei dieser Übung wird vor allem die Hinterhand aktiviert und das Körpergefühl geschult. Achten Sie darauf, die Stangen unbedingt mittig zu überqueren.

Im Zickzack geht es in schneller Folge von einer Biegung in die nächste, was eine große Herausforderung für das Koordinationsvermögen ist. Vor allem im Trab ist es wichtig, dass sich das Pferd sicher und geschmeidig umstellen lässt, damit Takt und Schwung in dieser Übung nicht verloren gehen.

Die Stangentreppe mit Kleinen Touren kombiniert hat einen hohen gymnastischen Wert und aktiviert insbesondere das innere Hinterbein des Pferdes. Bei geringem Durchmesser wie abgebildet, sollte im Schritt geritten werden. Vergrößert man den Durchmesser auf 8 bis 10 Meter, kann auch getrabt werden.

Anforderungen langsam steigern
Alle vier Ausbilderinnen sind sich einig, dass es wichtig ist, sowohl Pferd als auch Reiter langsam an die Aufgaben heranzuführen und nicht zu überfordern. Dazu gehört nicht nur, dass man den Schwierigkeitsgrad langsam steigert. „Jungen Pferden fällt es leichter, die Stangen in Dehnungshaltung mit tiefer Nase und einem Reiter im Entlastungssitz zu überwinden, während erfahrene, gut gymnastizierte Dressurprofis in guter Anlehnung mit einem aussitzenden Reiter entspannt in allen drei Gangarten über die Stangen gehen“, erklärt Anne-Katrin Hagen. Und für den lernenden Reiter ist ihr der Aspekt wichtig, „dass dieser bei der Stangenarbeit, mehr noch als beim dressurmäßigen Reiten, die Leistungsfähigkeit seines Pferdes richtig einzuschätzen lernt. Stangenarbeit verlangt Verantwortungsbewusstsein für die eigene Sicherheit und für die des Pferdes.“