Freund Pferd

Der Traum von Freundschaft mit dem Pferd – und wie er in Erfüllung gehen kann

Ein Artikel von Sibylle Ortner | 02.06.2021 - 14:11
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Der Traum vieler – eine Freundschaft mit Pferden – kann Wirklichkeit werden. © www.slawik.com

Ein Leben ohne Pferde kenne ich nicht. Seit ich denken kann, bin ich von ihnen umgeben und suche ihre Nähe. Mit vier Jahren durfte ich bereits die ersten Longestunden nehmen und fing an, von einem eigenen Pony zu träumen. Meine Vorstellung davon war romantisch. Ich und mein Pony würden uns gegenseitig lieb haben, einander vertrauen und die tollsten Dinge miteinander erleben, über Wiesen jagen, Baumstämme überspringen und dafür weder Sattel noch Zaumzeug benötigen. Wir würden uns wortlos verstehen, Partner und auch Freunde sein.

Ich war gerade neun geworden, als sich mein allergrößter Wunsch erfüllte und ich tatsächlich zu Weihnachten ein Pony geschenkt bekam. Das war unglaublich, ein Wunder! Mein neues Pony aber war absolut kein kuscheliges Schmusetier. Merlin war damals geschätzte sieben Jahre alt, voll unbändiger Energie, er hatte ein stolzes Auftreten und eine unverkennbar schlechte Meinung vom Menschen, die er sehr deutlich zum Ausdruck brachte.

Meine einprägsamste Erinnerung aus dieser ersten Zeit ist sein damals übermächtiger Unterhals, der stets das letzte war, was ich sah, nachdem ich den Riegel zu seiner Box geöffnet hatte und bevor er mich ohne Rücksicht auf meine Unversehrtheit über den Haufen rannte, um sich auf ein Stück Wiese zu verziehen. Beim Satteln trat er nach mir, beim Aufsteigen begann er sich im Kreis zu drehen und schlug nach allen Richtungen, und wenn ich einmal oben saß, bewegte er sich prinzipiell nur buckelnd fort.

Von allen Seiten kam immer nur der gleiche Rat: ich solle ihm zeigen, wer der Herr ist.


Sibylle Ortner

Ich war ein verbissenes kleines Mädchen und wollte meine Stärke demonstrieren, indem ich so brutal war, wie ich nur konnte (wofür ich meist auch Lob von den Erwachsenen erntete).

Aber Merlin wollte sich einfach nicht davon überzeugen lassen, dass ich mit meinen 30 Kilo gegen seine 300 Kilo die Stärkere war, der er gehorchen musste. Die Lage verschlimmerte sich eigentlich nur: Nun ließ er sich nach seinen Ausbrüchen nicht mehr einfangen und trat beinhart jeden, der es versuchte. Er schlug mehrere Leute krankenhausreif, mir brach er bei einem der unzähligen Male, die er mich überrannte, den Arm. Er war ein gefährliches Pferd, und die Hilfe der Erwachsenen beschränkte sich bald darauf, mich anzubrüllen, wenn er mir wieder einmal entkommen war, was dazu führte, dass mir jedesmal schlecht wurde, wenn ich mich nur dem Reitstall näherte. Natürlich gab es viele Leute, die mir rieten, ihn gegen ein braveres Pferd einzutauschen, was theoretisch auch kein Problem gewesen wäre. Aber ich wollte nichts davon hören. Er war mein Pony, und mit eisernem Trotz hielt ich an meinem Traum fest. Er und ich müssten uns nur zusammenraufen, dachte ich bei mir.

Ein Umdenken beginnt

Mit den Jahren wurde er tatsächlich ruhiger, zumindest, was das Reiten betraf. Er wurde nicht nur ruhig, er wurde faul und desinteressiert. Nun bestand mein täglicher Kampf darin, ihn dazu zu kriegen, sich schneller zu bewegen, was ich mit viel Schenkel- und Gerteneinsatz bewerkstelligte. Ich weiß noch, wie stolz ich in all diesen Jahren auf meine Durchsetzungskraft war, die ich für die wichtigste Tugend eines Reiters hielt. Im Umgang war er auch braver geworden, aber als ungefährlich konnte man ihn dennoch nicht bezeichnen. Er wirkte stets unzufrieden, und mir ging es genauso.

Der Wendepunkt kam, als ich ihn auf Offenstallhaltung umstellte. Innerhalb weniger Wochen wurde er viel umgänglicher, sein aggressives Verhalten verschwand innerhalb von Monaten zur Gänze und kehrte nie wieder zurück. Er war glücklich, und das stimmte mich sehr fröhlich, aber unsere Beziehung war immer noch weit entfernt von meinem Traum. Er schien mich nun mehr zu mögen, aber für wahre Zuneigung und Freundschaft gab es keinerlei Anzeichen. Ich begann daran zu zweifeln, dass so eine Beziehung überhaupt möglich war, vor allem mit ihm. Heimlich dachte ich, dass unser Zug längst abgefahren wäre, dennoch war ich nicht bereit, meine Suche aufzugeben.

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Das Auskämpfen einer Rangordnung ist für Pferde im Herdenverband wichtig, als Mensch muss man sich nicht daran beteiligen. Es gibt  freundlichere Wege, um Respekt und Vertrauen seines Pferdes zu  gewinnen. ©www.Slawik.com

Ich war nun zum ersten Mal selbst für seine Ausbildung verantwortlich, und ich verschlang jedes Pferde-Sachbuch, das ich finden konnte. Ich probierte alle möglichen Methoden aus, die sich mit dem Umgang und der Beziehung zwischen Mensch und Pferd beschäftigten, nicht nur an Merlin, sondern auch an anderen Pferden. Ich lernte viel aus meinem Herumprobieren, aber im Endeffekt musste ich feststellen, dass mich all diese Methoden – obwohl mir die Übungen durchaus gelangen, und die Pferde wie vorgesehen reagierten – meinem Traum nicht näherbrachten. Ich hatte das Gefühl, dass die Pferde ihr Programm zwar brav abspielten, aber sich nicht wirklich dafür interessierten. Anstatt nun besser mit ihnen kommunizieren zu können, hatte ich das Gefühl, dass sie stumm wurden.

Ich überlegte viel, was das Problem sein könnte und brauchte lange, um es schließlich zu erkennen: ich war keine Kämpferin mehr. Bei all diesen Methoden ging es mehr oder weniger deutlich darum, sich durchzusetzen. Man musste Alphatier sein, und das Pferd sollte deshalb Respekt zeigen. Tat es das nicht, sollte man sofort handeln und – wenn nötig – auch zuschlagen. Aber ich wollte das nicht mehr. Ich hatte zehn lange Jahre gegen mein Pferd gefochten, zugeschlagen, wenn es mich gerempelt, zurückgetreten, wenn es mir gedroht hatte und es stets zurechtgewiesen, wenn es mir nicht gehorchen wollte. Ich hatte genug davon. Ich wollte nicht mehr kämpfen, ich wollte hier und jetzt glücklich sein. Und die häufigen Streitereien standen – auch wenn sie nur geringfügig waren – meinem Glück im Wege. Mein Leben lang war ich davon überzeugt gewesen, dass man mit Durchsetzungsvermögen alles schaffen kann. Doch nun sah ich mich gezwungen, diese Überzeugung über Bord zu werfen. Es musste einen anderen Weg geben! Und ich musste ihn unbedingt finden!

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© Merlin mit Rose: Es dauerte sehr lange, bis aus dem gefährlichen Rüpel ein charmanter Gentleman wurde.

Der andere Weg

Ich hatte davor zwar schon ab und zu mit Leckerlis gearbeitet, aber das war immer nur halbherzig gewesen. Nun dachte ich über die ganze Sache genauer nach und bemerkte, dass meine Vorbehalte gegenüber Leckerlis nicht meine eigenen waren, sondern dass die negative Einstellung anderer Leute auf mich abgefärbt hatte. Ich selbst konnte kein für mich geltendes Argument entdecken, wieso ich es nicht einmal so probieren sollte. Des Weiteren wollte ich herausfinden, mit wie wenig Härte und Druck ich auskommen konnte.

Ich begann mit einer leicht zu beschreibenden Übung. Ich stellte ein Cavaletti mitten in die leere Halle und ließ Merlin frei. Ich machte es mir extra schwer, indem ich ihm das Halfter abnahm, so würde ich nicht in Versuchung geraten, ihn am Halfter zu führen. Nun machte ich es mir zur Aufgabe, ihn über das Hindernis zu locken. Ich hatte nur meine Leckerli und meine Stimme. Ich verbat mir, ihn zu treiben, ich wollte versuchen, ihn zu überreden. Diese Übung funktionierte überraschend rasch. Ich belohnte ihn überschwänglich und machte ein paar Tage so weiter. Nach dem dritten oder vierten Mal konnte ich ihn durch einen kleinen Parcours manövrieren, indem ich ihn lockte und mit ihm gemeinsam lief, ich berührte ihn dabei nicht und setzte ihn nicht unter Druck. Das Ergebnis war so erstaunlich, dass es mir wie ein Wunder vorkam: Wenn mein Merlin mich nun sah, kam er wiehernd ans Tor gelaufen. Er lief freudig neben mir her und zeigte keine Anzeichen von Faulheit mehr. Er beobachtete mich und war unendlich aufmerksam. Ja, das Ganze war fast kitschig!

Merlins Verhalten trieb mich an, die Sache weiter zu verfolgen. Ich verwendete immer mehr Lob – und immer weniger Druck wurde nötig. Ich begann, dieses System aufs Reiten zu übertragen, was im Endeffekt aus mir eine begeisterte Dressurreiterin und aus Merlin schließlich ein begeistertes Dressurpferd machte. Beides hatte ich selbst eigentlich nie für möglich gehalten. Ja, auch meine Begeisterung wuchs. Das viele Loben verstärkte mein eigenes Glücksempfinden. Ich hatte nun um ein Vielfaches mehr Freude an der Arbeit, was sich im Übrigen bis heute nicht geändert hat. Dieser für mich sehr eindrucksvolle Erfolg brachte mich dazu, mir eine Frage zu stellen. Wie viel Dominanz ist wirklich nötig? Oder anders gefragt: Wie sanft darf ich sein? Meine Neugier war entflammt, und ich brannte darauf, dieser Frage mit Hilfe von weiteren Pferden auf den Grund zu gehen. Was ich dabei alles entdeckte, soll Gegenstand in meinen nächsten Artikeln sein.

Zur Person

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© privat

Sibylle Ortner ist Buchautorin und Fotografin, und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Weinviertel. Zur Familie gehört auch eine kleine gemischte Pferdeherde vom Minipony bis zum Warmblutpferd.

Die Arbeit mit Pferden wurde für sie schon in frühen Jahren vom Hobby zum Mittelpunkt ihres Lebens und zur nicht mehr wegzudenkenden Leidenschaft.