HUFE GESUNDREITEN

Der Reiter formt den Huf

Ein Artikel von Pamela Sladky | 11.11.2022 - 12:10
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Wie, wieviel und wo man reitet, beeinflusst die Hufgesundheit maßgeblich. © www.slawik.com

Gutes Reiten ist schön. Schön für das Auge des Betrachters, schön vor allem aber auch für das Pferd. Unter einem guten, einfühlsamen Reiter wird es beweglicher, stärker, bildet eine harmonische Bemuskelung aus und kann sein Gangpotenzial seinen natürlichen Veranlagungen entsprechend entfalten. Mental sorgt gutes Reiten für ausgeglichene Pferde, die sich ihres Körpers und ihrer Bewegungen bewusst sind und in der Zusammenarbeit mit dem Menschen zufrieden, freudig und selbstbewusst auftreten.

Dass eine gelungene Arbeit unter dem Sattel auch positive Auswirkungen auf die Hufgesundheit hat, ist hingegen nur wenigen Pferdebesitzer:innen bekannt. Dabei hat die Art und Weise, wie sich ein Pferd bewegt – und damit natürlich auch, wie es geritten wird – maßgeblichen Einfluss auf seine Hufe. Das hat Burkhard Rau, Autor des viel beachteten Buches „Hufe gesund reiten“, schon früh gelernt. Das erste Mal richtig bewusst wurde dem gelernten Hufbeschlagsmeister und -orthopäden die unvermeidliche Wechselwirkung zwischen Bewegungsqualität und Hufgesundheit bereits in seiner Jugend.

Ein Freund hatte sich ein Pferd gekauft, ein Warmblut, zwölfjährig, geritten, brav. Ein Kopper, aber sonst gesund mit unauffälligem Körperbau und ebensolchen Hufen. Nur wenige Monate nach seiner Anschaffung bot sich dem jungen Burkhard Rau bei einem Besuch seines Freundes ein überraschendes und leider sehr unerfreuliches Bild: Nicht nur das Verhalten und der körperliche Zustand des Wallachs hatten sich deutlich verschlechtert, auch dessen Vorderhufe waren kaum wiederzuerkennen. Der eine war spitz zulaufend und schnabelförmig gewachsen, der andere in Form eines Bockhufes. Während sein Freund vermutete, dass er vom Pferdehändler tüchtig übers Ohr gehauen worden war, ahnte Rau bereits, wo die Wurzel des Übels zu suchen war. Als Folge einer Polioerkrankung (Kinderlähmung) hatte sein Freund eine leichte körperliche Beeinträchtigung. Auf dem Pferderücken machte sich diese durch eine ausgeprägte Schiefe im Sattel bemerkbar, die sich zunehmend auf das Pferd übertrug – auf dessen Bewegungen, sein Verhalten und schließlich auch auf das Hufwachstum.
 

Der Huf als Zeigeorgan

Aus der Art, wie Hufe geformt sind, wie sie sich verändern, ließe sich viel über den Zustand des Pferdes herauslesen, meint Burkhard Rau. Er bezeichnet die Horngebilde deshalb gerne als Zeigeorgan. „Man kann an Veränderungen der Hufe ganz schnell sehen, wenn im System irgendetwas nicht funktioniert.“ Ist ein Huf krumm und schief, liegt das ursächliche Problem dafür oft an ganz anderer Stelle. Und häufig am Reiter selbst. „Früher gab es ganz viele Dinge, wo ich in der Hufbearbeitung an Grenzen gestoßen bin. Auf der Suche nach Lösungen habe ich viele Dinge ausprobiert. Ich habe mir die Haltung angesehen, die Fütterung, das Equipment und irgendwann auch den Reiter selbst und wie er das Pferd bewegt. In ganz vielen Fällen bin ich bei den letzten beiden Punkten hängengeblieben.“ Dabei stehen drei  Problemfaktoren im Vordergrund:

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Eine schiefe Reiterin geht am Pferdekörper - inklusive Hufe - nicht spurlos vorüber.
© www.Slawik.com

Problemfaktor Nr. 1: Schiefe

Jedes Pferd ist bis zu einem gewissen Grad schief. Das eine mehr, das andere weniger. Schiefe führt per se dazu, dass das Pferd seine beiden Körperhälften ungleich belastet – was bisweilen beträchtliche Auswirkungen auf die Hufe haben kann, wie das Beispiel von Raus Jugendfreund und dessen windschiefem Warmblüter zeigt. Die geraderichtende Arbeit leistet deshalb einen wesentlichen Beitrag zur Hufgesundheit. Und sie betrifft nicht nur das Pferd. „Wir sind selbst alle nicht gerade und bringen unsere eigene Schiefe natürlich aufs Pferd. Deshalb muss man hier immer wieder korrigierend eingreifen“, meint Burkhard Rau.

Reiterinnen bzw. Reiter können Probleme in diesem Bereich mit guter Sitzschulung an der Longe in den Griff bekommen. Manchmal braucht es aber auch den Gang zum Osteopathen und/oder regelmäßiges Turnen, um ausgeprägter Dysbalancen Herr zu werden. Geht es ums Training fürs Pferd, schwört Rau auf Equikinetic. Das vom deutschen Pferdetrainer Michael Geitner entwickelte Fitnessprogramm vereint Longentraining am Kappzaum mit High Intensity Intervall Training, kurz HIIT. Die Pferde werden dabei in einer Quadratvolte in konsequenter Innenstellung und Biegung im Zeitintervalltraining mit häufigen Handwechseln gearbeitet – in der Schiefentherapie eine sehr effektive Methode.

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© Eliane Reichelt

Equikinetic
Pferdefitness im Quadrat


Minimaler Aufwand, maximales Ergebnis: Ein solches Training wünscht sich vermutlich jeder – egal ob für sich selbst oder fürs Pferd. Die vom deutschen Horseman Michael Geitner entwickelte Equikinetic kommt diesem Ideal schon sehr nahe. Mehr lesen ...

Problemfaktor Nr. 2: falsches Reiten

Geraderichtung ist ein essenzieller Teil der Pferdeausbildung und ein wichtiger Beitrag zur Gesunderhaltung der Hufe. Aber bei weitem nicht der einzige. Um sich unter dem Reiter oder der Reiterin gut zu bewegen, braucht das Pferd außerdem einen gleichmäßigen Takt, Losgelassenheit, eine gute Anlehnung, ausreichend Schwung und zu einem gewissen Grad auch Versammlung – nicht zufällig allesamt Punkte der klassischen Ausbildungsskala. „Es ist für jedes Pferd eine sinnvolle und gute Sache, dressurmäßig auf ordentlichem Niveau gearbeitet zu werden. Egal, ob Freizeit- oder Sportpferd.“ Die Skala der Ausbildung sei für alle zu respektieren, findet Burkhard Rau, der seiner persönlichen Skala noch einen Punkt hinzugefügt hat: die Zeit. „Ich möchte gerne alles in Ruhe machen und jedem Pferd die Zeit geben, die es braucht. Da sind sie ja doch oft sehr unterschiedlich.“

Was passiert, wenn man versucht, Abkürzungen zu nehmen, oder vom Weg abkommt, erlebt Rau in der Praxis nur zu oft. Erst kürzlich sei er bei einem hoch veranlagten Dressurpferd gewesen, das im Zeitraum von nur sechs Monaten an den Vorderbeinen deutlich untergeschobene Trachten entwickelt hatte. Die Ursachenforschung ergab, dass der Reiter im Training verstärkt auf Hyperflexion setzte. „Dabei hat sich die Unterstützungsfläche beim Reiten nicht verkleinert, sondern das Pferd ist auseinandergefallen. Der Druck im Bereich der Vorderhufe hat sich auf die Trachten verschoben, die hinteren Hufe waren im Zehenbereich stärker abgenutzt. Durch die eingerollte Haltung hatte das Pferd Probleme in der Lumbalregion. Das konnte man auch an den Hufen sehen“, so Rau.

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Hyperflexion - nicht nur für Muskeln, Sehnen, Bänder und die Pferdepsyche belastend, auch die Hufe können unter dieser sehr zweifelhaften Trainingsmethode leiden.
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Man muss sein Pferd aber nicht erst einrollen, um den Hufen zu schaden. Jedwedes falsche Training führt zu Verspannungen in der Muskulatur. Je nachdem, wie ausgeprägt sie sind, verlieren die Bewegungen des Pferdes an Geschmeidigkeit. Auch das sieht man den Hufen an. „Der Kronrand schwillt geringfügig an, und es zeigen sich feine Risse in diesem Bereich. In weiterer Folge beginnt der Huf, sich konkav zu verformen.“ Für Rau ist klar: „Wenn ich nicht respektiere, dass ich ein Pferd auch zum Reitpferd ausbilden muss, wenn ich mich draufsetzen will, dann werde ich immer ein Pferd haben, das die Vorhand zu stark belastet. Die Vorderhufe werden immer eine etwas spitzrundere Form ausbilden anstatt der vorhandtypischen runden Form, und wir werden immer Probleme bekommen. Das führt zu deutlich früheren Arthrosen, zu Schale, zu Hufknorpelverknöcherungen bis hin zu Stellungsveränderungen. Viele Pferde entwickeln durch falsches Arbeiten und falsches Reiten eine rückständige Stellung.“

Zum Glück lassen sich nicht nur negative Entwicklungen an den Hufen erkennen. „Bei einem Pferd, das im Laufe seiner Ausbildung lernt, sich immer besser mit der Hinterhand zu tragen, werden die Hinterhufe mit der Zeit runder. Das liegt daran, dass die Hinterhand verstärkt Stützaufgaben übernimmt und unter den Schwerpunkt tritt.“ Wer diese Veränderung an seinem Pferd wahrnimmt, darf sich selbst auf die Schulter klopfen, spricht sie doch für eine reelle Ausbildung. Die muss laut Rau übrigens nicht zwingend im Sattel stattfinden. Der Hufexperte ist ein großer Fan von begleitender Arbeit vom Boden aus. Neben Equikinetic schwört er auf Langzügelarbeit und Arbeit an der Hand. „Das, was die Pferde vom Boden aus lernen, können sie unterm Sattel in der Regel ganz einfach abrufen.“

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Gute, gymnastisch wertvolle Arbeit zahlt sich aus - egal, ob an der Hand, oder unter dem Sattel.   © www.slawik.com

Problemfaktor Nr. 3: Müßiggang

Als eine der besorgniserregendsten Entwicklungen sieht Rau den Bewegungsmangel unserer heutigen Pferde. Zwar haben sich die Haltungsbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verbessert, wenn es aber ums Arbeitspensum geht, können die modernen Freizeitpferde ihren Kollegen aus den 1970er- und 1980er-Jahren in der Regel nicht das Wasser reichen. Rau erzählt von einem Bild, das in einer Reithalle eines Vereins in Leverkusen hängt. Die Aufnahme zeigt einen typischen Sonntagmorgen an einem Wintertag in den 1970er-Jahren. „Da ist die Reithalle gesteckt voll. Eine riesige Abteilung, die da im klassischen Reitunterricht reitet.“ Daneben hängt ein zweites Bild. Wieder ein Sonntagmorgen, diesmal im Jahr 2019. „Es zeigt zwei Leute, die in der Halle stehen und ihre Pferde longieren. Ich denke, der Vergleich zeigt ganz gut, wo wir heute stehen“, meint Burkhard Rau.

Seinem Empfinden nach seien die Menschen damals deutlich mehr geritten. Heute rede man lieber übers Reiten. „Auch wenn die Leute damals vielleicht nicht die Überreiter waren, ist es immer noch besser, regelmäßig irgendwie im Gelände zu reiten als nichts zu tun.“ Das gilt für die allgemeine Pferdegesundheit. Das gilt aber auch für die Hufe. Je mehr sich ein Pferd bewegt, desto stärker verdichtet sich das Horn. Ein Effekt, der sich laut Rau gut bei der Umstellung auf Barhuf beobachten lässt. „Nach ein paar Wochen oder Monaten sind die Hufe deutlich kürzer geworden – und zwar nicht, weil auf einmal weniger Horn dran ist, sondern weil die Menge an freiem Wasser zurückgegangen und der Huf stärker komprimiert ist. Das macht den Huf belastbarer.“

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Ausreichend viel Bewegung auf unterschiedlichen Untergründen ist  essenziell wichtig für den gesunden Huf. © www.Slawik.com

Ausreichend Bewegung sorgt außerdem dafür, dass die Huflederhäute besser durchblutet werden und so in der Lage sind, die Nährstoffe dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht werden. Bewegt sich ein Pferd wenig, ist die Abnutzung des Hufes geringer, der Umfang am Tragrand nimmt zu, wobei es vornehmlich das wenig kompakte Kitthorn ist, das für den Hornzuwachs sorgt. Der erhöhte Umfang hat zur Folge, dass größere Kräfte auf den Huf wirken – was dazu führt, dass sich die Hufwände oft verbiegen. Auch Reizungen der weißen Linie und Probleme im Bereich des Strahls können auftreten, ebenso wie ungleiche Belastungszustände am Hufballen und damit verbundene Stauchungen als Folge zu langer Hufe. „Für die Hufgesundheit ist Bewegung deshalb essenziell wichtig“, sagt Burkhard Rau.

Dabei sollte sie möglichst nicht nur auf weichen Böden stattfinden. Für die ideale Durchblutung und Bewegung der Hornkapsel in alle drei Dimensionen muss sich das Pferd auf unterschiedlichen Untergründen bewegen. Gerade wer ohne Hufschutz reiten möchte, muss den Huf in dieser Hinsicht im wahrsten Sinn des Wortes abhärten. „Der Huf verhält sich wie ein Muskel: Ich kann keine Hochleistung des Hufes erwarten, wenn ich ihn nur auf Breitensportniveau trainiere“, so Rau.

Eigenverantwortung gefragt

An sich selbst, seinem Sitz, der Art wie man reitet und wie sehr man das Pferd auslastet, zu arbeiten, macht sich bezahlt. „Wenn man die Quantität und Qualität der Bewegung der Pferde verbessert, dann wird bei vielen – ich spreche ganz bewusst nicht von allen, denn es gibt immer Ausnahmen – die Hufbearbeitung völlig überflüssig. Da findet sich so schnell ein stabiles Gleichgewicht im Verhältnis zwischen Nachwachsen, Abnutzen und Verdichten des Horns, dass man als Hufschmied oder -orthopäde tatsächlich nix mehr zu tun hat.“

Was nach reiner Theorie klingt, erlebt Burkhard Rau in der Praxis tatsächlich immer wieder. Raus beeindruckendster Kandidat in dieser Hinsicht absolvierte seinen letzten Besuch beim Schmied im Februar 2016. Trotzdem sind die Hufe top und sehen aus, als wären sie erst vorgestern bei der Pediküre gewesen. Dass dieses Ideal nicht bei allen Pferden möglich ist, ist klar. Dafür müssen Bewegungsablauf und Fundament des Pferdes einfach passen – ebenso wie alle anderen Parameter. Nichtsdestotrotz spielt der Faktor Mensch eine wesentliche Rolle bei der Hufgesundheit. Eine Rolle, die man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen sollte. „Man neigt dazu, den Fehler nicht bei sich, sondern bei anderen zu suchen und zu delegieren. Man ruft den Hufbearbeiter, den Physiotherapeuten, den Osteopathen, wen auch immer, und der soll das Pferd reparieren. Genau dieses System versuche ich zu bekämpfen, weil es so natürlich nicht funktionieren kann“, meint Rau. Letztlich muss jede:r Pferdesportler: in die Verantwortung für sich, sein/ ihr Pferd und dessen Hufe übernehmen. Da führt kein Weg dran vorbei. Und das ist gut so.

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© privat

Zur Person

Burkhard Rau ist Schmiedemeister, staatlich geprüfter Hufbeschlag-Lehrschmied, Physiotherapeut und Osteopath für Pferde. Pferde, ihre Hufe und ihre Gesundheit sind seit über 50 Jahren seine Passion. In seiner Pferdepraxis in Rheinland-Pfalz verbindet er Hufbearbeitung mit Physiotherapie, Osteopathie mit gesundheitsförderndem Pferdetraining.

Weitere Infos gibt’s unter www.equicura.de.

Buchtipp

Dass die Art der Bewegung starken Einfluss auf Form und Qualität der Hufe hat, erlebt  Hufschmiedemeister Burkhard Rau Tag für Tag. In seinem Buch beschreibt er ausführlich die Wechselwirkung zwischen Bewegung und Hufgesundheit und zeigt auf, wie sich Fehlhaltungen und schlechtes Reiten auf die Hufe auswirken, wie der Huf untrüglich anzeigt, wo es in der Bewegung nicht stimmt, und was Pferdebesitzer:innen tun können, um langfristig die Hufe ihrer Pferde zu verbessern.

Hufe gesund reiten – Die Wechselwirkung von Bewegung und Hufgeschehen verstehen
von Burkhard Rau
erschienen bei Müller Rüschlikon
204 Seiten, 30,80 Euro,
erhältlich unter www.motorbuch-versand.de