Ausbildung

Motivationstypen beim Pferd: Wie man sie richtig trainiert

Ein Artikel von Marlitt Wendt | Redaktion | 12.05.2022 - 16:13
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Zugerhörigkeits-, Macht- oder Leistungstyp: Welcher Typ ist ihr Pferd?
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Vermutlich kenn das jeder, der mit Pferden zu tun hat: Während manche Dinge spielerisch gelernt werden, fallen andere entsetzlich schwer. Hat das Pferd denn plötzlich das Lernen verlernt? Oder stimmt die spezielle Herangehensweise einfach nicht? „Zu großen Teilen liegt der Lernerfolg darin begründet, zu verstehen, was Motivation eigentlich bedeutet, welche Persönlichkeitstypen es beim Pferd gibt und wie sie sich in Bezug auf Handlungsbereitschaft und Lernverhalten auswirken können“, erklärt die auf Pferde spezialisierte Verhaltensbiologin Marlitt Wendt.

Wie Menschen lernen auch Pferde individuell anders und sind über unterschiedliche Quellen zu motivieren. Herauszufinden, welcher Lern- und Motivationstyp das eigene Pferd ist und dies dann entsprechend bei der Ausbildung zu berücksichtigen, bringt im Training große Vorteile, denn:  „Pferdeausbildung funktioniert nur dann geschmeidig und reibungslos, wenn zwei Persönlichkeiten in ihrem Wesen und Handeln miteinander in Einklang gebracht werden können. Beide Partner im Mensch-Pferd-Team handeln aus Sicht der Psychologie gemäß ihrer sogenannten ureigenen Hauptmotive, also gemäß ihrer charakterprägenden, besonders kennzeichnenden individuellen Leistungsantriebe. Solche Leistungsantriebe sind gewissermaßen Schlüsselbedürfnisse, deren Erfüllung entscheidend über die Motivation und damit über den Fortschritt in der Ausbildung mitentscheidet“, so Wendt.

Laut der Verhaltensbiologin lassen sich drei Motivationstypen unterscheiden:

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Pferde des Zugehörigkeitstyps wollen mit ihrem Menschen interagieren. © www.Slawik.com

Der Zugehörigkeitstyp

Pferde dieses Typs sehnen sich nach intensiven Beziehungen, ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit ist stark ausgeprägt. „Sie mögen tendenziell eher keine Risiken eingehen, sondern ein bekanntes, gewohntes Umfeld und ebensolche Aufgaben. Sie beziehen vermeintliche Fehler oder gar bereits ein fehlendes oder verspätetes Feedback sehr schnell auf sich selbst. Diese Pferde empfinden es andererseits oft schon als Belohnung, wenn sich andere authentisch mit ihnen freuen“, weiß Marlitt Wendt. Womit der Zugehörigkeitstyps hingegen gar nicht kann: Zurückweisung, das Gefühl ungeliebt oder unbeliebt zu und Isolation, also ausgeschlossen oder allein gelassen zu sein.

Der Grundtenor im Training dieses Typs lautet idealerweise: Wir sind hier, um gemeinsam Spaß zu haben, und wir erfreuen uns dabei miteinander an unseren Erfolgen. „In dieser entspannten Lernatmosphäre motivieren Mensch und Tier einander gegenseitig, da hier niemand negative Konsequenzen zu befürchten hat und Fehler oder Ungenauigkeiten uns lediglich anspornen, es zukünftig noch besser zu machen“, erklärt Wendt.

Was außerdem gut tut ist eine ständige Interaktion. „Pferde dieses Typs brauchen stets ein unsichtbares Band zu ihrem Menschen. Daher ist es bei ihnen besonders entscheidend, häufig kurzen Blickkontakt zu suchen, zu lächeln und das Pferd körpersprachlich zu spiegeln. In der Praxis kann man einen gezielten Prozess beginnen, um Bewegungen zu synchronisieren und die unsichtbare Verbindung zum Zugehörigkeitstyp- Pferd zu stärken.“

Wichtig sei außerdem, immer in der Harmonie der Bewegungen zu bleiben, nur so geriete der Zugehörigkeitstyp nicht in Stress oder Unsicherheit, sondern ließe sich "als Tanzpartner mit sanfter Hand führen".

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Machttyp-Pferde lieben es, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen und neue Herausforderungen auf ihre Art meistern zu können © www.Slawik.com

Der Machttyp

Selbstbestimmung ist ein zentrales Thema bei Pferden des Machttyps. Solche „Powerpferde“ können sich auch ohne den Rückhalt der Herde behaupten und entscheiden im Zweifelsfall lieber selbst, statt der Masse zu folgen. Machttyp-Pferde unterscheiden sich im praktischen Umgang entscheidend von Zugehörigkeitstypen. „Sie brauchen das Gefühl, sowohl in ihrem Alltag als auch im Training selbstwirksam handeln zu dürfen. Sie lieben es, eigene Entscheidungen treffen zu können und Herausforderungen auf ihre ganz eigen e Art zu meistern“, erklärt Marlitt Wendt.

Im gemeinsamen Training lässt sich dieses Bedürfnis befriedigen, wenn das Pferd die Gelegenheit bekommt, auch mal selbst Entscheidungen zu treffen oder ein Alternativverhalten zeigen zu können. Einem Machttypen gibt es Berge, wenn er beim Spaziergang an einer Wegkreuzung mal die Richtung aussuchen darf oder ihm die Wahl gelassen wird, ob es heute auf den Reitplatz geht oder doch lieber ins Gelände. Oder auch einfach mal „nein“ sagen zu dürfen, um den Nachmittag lieber mit den Kumpels auf der Weide zu verbringen.

Haben Machttyp-Pferde hingegen das Gefühl, zu etwas gezwungen zu werden, wehren sich sehr schnell. Auch können sie mit diffusem Verhalten des Menschen und wenig klaren Signalen nichts anfangen. Sie steigen dann rasch aus dem Training aus und gehen eigene Wege. „Bei diesem Pferdetyp ist es gerade für unerfahrene Pferdemenschen eine Herausforderung, den Mittelweg zwischen eigener Klarheit und Selbstsicherheit und dem Gewähren von Freiheiten für das Pferd zu finden. Und dabei genau zu überlegen, an welcher Stelle sich das Durchsetzen der eigenen Idee wirklich lohnen würde. Denn: Ist unser Powerpferd nicht mit unseren Plänen einverstanden, müssen wir ihm gute Argumente liefern, uns trotzdem zu folgen. Das bedeutet, dass ein Pferd vom Machttyp gewissermaßen gut abwägt, welches Verhalten sich wirklich lohnt. Entweder braucht es eine großzügige Belohnung, um ein solches Pferd zur Mitarbeit zu motivieren, oder aber eine hohe Dosis Druck. Zieht man Druck als Methode in Erwägung, so muss man im Hinterkopf behalten, dass ein solches Pferd immer wieder nachfragen wird. Es wird sich nicht leicht beeindrucken lassen und jedes erdenkliche Schlupfloch suchen und finden oder aber sich gezielt wehren“, so Wendt.

Wer sich auf einen Kampf einlässt, zieht schnell den Kürzeren. Umso wichtiger sei es bei diesem Pferdetyp, über positives Feedback zu arbeiten. Laut Wendt bieten sich in der Praxis besonders Aufgaben an, die dem Pferd entsprechenden Freiraum lassen. Klar fürs Pferd nachvollziehbare und logisch aufgebaute Übungen wie etwa Trailhindernisse geben der Ausbildung Struktur. „Hier können wir dem Pferd das Gefühl geben, selbstständig zu handeln und verschaffen ihm Erfolgserlebnisse aus der Situation heraus. Die Bewältigung der sukzessive schwieriger werdenden Aufgaben ist dabei eine Form der Belohnung, die durch Lob oder Futter noch verstärkt werden kann.“

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Leistungstypen brauchen unmittelbares Feedback wie Lob und Bestätigung, wenn sie etwas gut gemacht oder sich zu etwas überwunden haben – und sie lieben Neues. © www.Slawik.com

Der Leistungstyp

Pferdepersönlichkeiten, die dem Leistungsmotiv zugeordnet werden können, zeigen einen ausgeprägten inneren Drang nach Abwechslung, Neugier, Kreativität, Fortschritt und Erfolg. „Vom Leistungsmotiv gesteuerte Individuen streben anspruchsvolle, stimulierende Ziele an. Zum Erreichen dieser Ziele gehen sie durchaus Risiken ein und tolerieren eigene Fehler und Misserfolge bzw. fassen ein Feedback auf Verfehlungen nicht als persönlichen Angriff auf, sondern als wichtige Information“, weiß Marlitt Wendt. Umso wichtiger sei schnelles, direktes Feedback. „Sie lassen ihre Leistungen gerne von anderen beurteilen und damit auch anerkennen.“

Unter Pferden findet man den Leistungstyp häufig unter Showpferden, die begeistert jeden neuen Trick lernen. Aber auch viele Sportpferden, die eine hohe Leistungsbereitschaft mitbringen, gehören dazu. Im Training treibt sie neben viel Feedback des menschlichen Partners das Gefühl an, etwas geleistet, eine Aufgabe gelöst oder aber eine Belohnung verdient zu haben. Dies führt zu einer häufigeren Wiederholung der erfolgversprechenden Handlung. Aber Vorsicht: Aufgaben sollten im Trainingsalltag nicht zu oft zu wiederholt werden, die einmal erlernt, langweilen sich diese Tiere schnell, wenn sie endlos gleiche oder ähnliche Bewegungsabläufe zeigen sollen. „Ihre Stärke liegt darin, immer neue Details zu erarbeiten oder ganz neue Lektionen zu verinnerlichen. Gerade bei diesem extrem leistungsbereiten Pferdetyp ist es entscheidend, seine Motivation immer wieder aufs Neue herauszukitzeln. Er blüht auf, wenn er etwas Neues erlernen darf und liebt es häufig, wenn ganz unterschiedliche Sinneseindrücke im Training mit einbezogen werden. Zum Beispiel, indem man nicht nur körperlich an Kraft oder Ausdauer des Pferdes arbeitet, sondern seine hohe Intelligenz miteinbezieht und kognitive Aufgaben findet.“

Bei Pferden vom Leistungstyp beginnt Marlitt Wendt gerne mit abstrakteren Denkaufgaben, etwa mit Target-Training, an. „Leistungstypen sind in der Regel generell sehr verspielt. Daher kann bei diesen Individuen die allgemeine Motivation häufig auch durch ein Spiel zwischendurch erhöht werden. Das versuche ich auch im gewohnten Training umzusetzen.“ Als Beispiele nennt die Verhaltensbiologin Ballspielen und Apportieren. „Beide trainierbaren Verhaltensweisen eignen sich sehr, um das Training in Trainingspausen aufzulockern. Gerade weil man selbst durch die immer wieder andere Richtung und Geschwindigkeit, in der man mit dem Pferd spielt, immer neue Anregungen geben kann. Ein solches Spiel bleibt interessant und spannend und spornt das Leistungstyp-Pferd immer wieder zu Bestleistungen an.“