Ausbildung

So lernen Pferde schneller und leichter

Ein Artikel von Claudia Götz | 30.11.2022 - 16:40
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Eine gute Stimmung ist beim Lernen wichtig.
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Pferde müssen im Umgang mit uns viel lernen – und das von Anfang an. Sie müssen nicht nur lernen, dass wir sie anfassen, sondern auch, dass wir sie dorthin führen, wo wir sie haben wollen – auch in den dunklen Hänger oder weg von der Mutter. Wir wollen, dass sie lernen, uns auf ihrem Rücken zu tragen und auch von dort aus bestimmen, wohin und auf welche Art sie sich bewegen: im Schritt, Galopp oder in der Piaffe, über ein Hindernis oder durchs Wasser.

Reitschüler erkennen auf unterschiedlichen Schulpferden schnell, dass jedes Pferd anders tickt. Nicht nur in seinen Bewegungen, sondern auch in seinem Temperament. Die Art, wie ein Pferd auf unterschiedliche Aufgabenstellungen schon im Anfängerunterricht reagiert, lässt Reiteinsteiger früh feststellen, dass sich die Tiere bisweilen stark voneinander unterscheiden – und obendrein auch eine ganz persönliche Tagesform haben. Ein guter Reitlehrer fördert die Fähigkeit, sich auf das jeweilige Pferd gezielt einzustellen, frühzeitig. Allerdings ist diese Erfahrung nicht jedem Reiter vergönnt. Zudem kann die Sensibilität für die Individualität der Pferde abstumpfen, wenn man nur noch Umgang mit einem – nämlich dem eigenen – Pferd hat. „Dazu kommt, dass viele Reiter nicht gelernt haben, die Pferde richtig zu lesen“, sagt Dr. med. vet. Barbara Schöning. Diese Erfahrung macht die Fachtierärztin für Verhaltenskunde und Tierschutz in ihrer Arbeit als Verhaltensberaterin vor allem dann, wenn es um sogenannte „Problempferde“ geht. „Ich stelle immer wieder fest, dass viele Reiter auf das Ausdrucksverhalten entweder nicht achten oder es nicht korrekt interpretieren.“ Ein weiteres Problem sei, dass häufig mit menschlichen Erwartungen an das Pferd herangegangen werde. „Dann wird gefolgert, dass das Pferd einen ärgern oder dominieren möchte, wenn aus biologischer Sicht eigentlich völlig klar ist, dass es einfach nur überfordert und gestresst ist und deshalb gar nicht so reagieren kann, wie man es möchte."

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Klassische Konditionierung: betteln beim Anblick des Futterwagens © www.Slawik.com

Die Grundlagen des Lernens

Bei der Ausbildung von Tieren solle man deshalb ganz grundsätzlich beachten „dass sie nicht die Fähigkeit haben, Schüler im menschlichen Sinne zu sein“, sagt Dr. Margit H. Zeitler-Feicht. Die Wissenschaftlerin ist auf Pferdeverhalten spezialisiert und Leiterin der AG Ethologie, Tierhaltung und Tierschutz an der Technischen Universität München-Weihenstephan. Sie befasst sich unter anderem mit der Frage, welche Einflussfaktoren bei der Lernbereitschaft von Pferden eine Rolle spielen. Sie hält es für eine wichtige Voraussetzung, dass Pferdehalter und Reiter die lerntheoretischen Grundlagen kennen und auch verstehen. „Die einfachste Form des Lernens ist die Gewöhnung. Bei einem wiederholten Reiz, der weder positive noch negative Folgen hat, nimmt die Reaktionsstärke des Tieres nach und nach ab.“ Als typisches Beispiel nennt sie einen Hoftrac, der täglich am Paddock vorbeifährt und vor dem das junge Pferd bei der ersten Begegnung noch erschrickt. Spätestens nach einer Woche reagiert es nicht mehr. Es hat sich an den Anblick und die Geräusche gewöhnt und stuft den Hoflader nicht mehr als gefährlich ein.

Eine andere Form des Lernens ist die Konditionierung, wobei man hier zwei Formen unterscheidet – klassisch und operant. Bei Letzterer stellt das Tier eine Verbindung zwischen einem Verhalten und einem Reiz her. Etwa, wenn das angebundene Pferd am Strick spielt, ihn dadurch losmacht und auf diese Weise an das Gras gelangt, das neben dem Putzplatz wächst. Sein Verhalten, am Strick zu spielen, wurde durch das anschließende Grasen belohnt, was es dazu motiviert, sein Verhalten beim nächsten Mal zu wiederholen.

Bei der klassischen Konditionierung wird ein neutraler Reiz zum Schlüsselreiz. Wie das funktioniert, erklärt Zeitler-Feicht so: „Ein bekanntes Beispiel in der Pferdehaltung ist das Klappern des Futterwagens vor Fütterungsbeginn. Der ehemals neutrale Reiz der Geräusche des Futterwagens wird, indem er zeitgleich mit dem bedeutungsvollen Reiz Futter angeboten, zum Schlüsselreiz.“

Und dann gibt es noch das kognitive Lernen. Hierunter versteht man die Fähigkeit, ein Verhaltensmuster, das man vorher noch nicht hatte, zu kopieren. Dass Pferde dazu in der Lage sind, wurde erst vor wenigen Jahren wissenschaftlich bestätigt, für erfahrene Pferdemenschen ist diese Erkenntnis allerdings wenig überraschend. Diese Fähigkeit zeigt sich etwa, wenn Pferde bei einem Neuankömmling beobachten, wie er sein Heu vor dem Fressen Maul für Maul in der Tränke tunkt und dieses Verhalten für sich übernehmen. Oder wenn junge, rangniedere Pferde älteren, ranghohen Tieren bei der Arbeit zusehen können und sich dabei etwas abschauen. „Pferde lernen in erster Linie über Gewöhnung und Konditionierung“, fasst Zeitler-Feicht zusammen.

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© Pferderevue

Eine Frage der Motivation

Wie gut oder schlecht ein Pferd lernt, hängt vor allem von seiner Motivation ab. Und die steht ganz wesentlich im Zusammenhang mit dem Verstärker, der es antreibt. „Ein pferdegerechter Umgang basiert auf positiver Verstärkung. Dies ist auch das Motto der humanen Lernpsychologie.“ Dabei sorgt die Aufteilung in positive und negative Verstärkung häufig für Missverständnisse. Die Wissenschaft benutzt diese Begriffe nämlich ganz neutral, im Sinne eines mathematischen Plus-Minus-Systems (siehe Kasten). „Für die Lernbereitschaft ist die Motivation oder interne Handlungsbereitschaft ausschlaggebend“, sagt Dr. Zeitler-Feicht. „Sie entscheidet neben der Einwirkung von äußeren Reizen darüber, ob ein Verhalten ausgelöst wird oder nicht.“ Beeinflusst wird die Motivation von inneren und äußeren Faktoren. Rosse oder Hunger fallen in die erste Kategorie, die Aussicht auf ein Leckerchen oder das bewusste Zeigen einer Gerte in die zweite. Alle diese Faktoren können auf dasselbe Pferd mehr oder weniger stark wirken. „Denn die Lernfähigkeit des Pferdes hängt von der momentanen körperlichen Verfassung ebenso ab wie vom psychischen Zustand“, so Dr. Schöning. „Große Angst oder Panik können sogar zu einer völligen Lernblockade führen“, erklärt Dr. Zeitler-Feicht: „Allgemein lassen sich leicht erregbare oder nervöse Pferde schneller ablenken und brauchen daher länger als ruhige Tiere, um eine Aufgabe zu erlernen.“

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Nur in der Lernzone ist das Gehirn aufnahmebereit. © Pferderevue | PS

Diese Erkenntnisse finden sich auch im sogenannten Drei-Sektoren-Modell aus der Psychologie. In der Komfortzone fühlt sich das Pferd wohl und ist entspannt. „Die Komfortzone stellt ein optimales Leben mit hoher biologischer Fitness dar, in der es keine Stressbelastung gibt“, erklärt Schöning. Für die Ausbildung interessant ist die sogenannte Lern- oder Wachstumszone. Hier findet Training statt, denn dieser Bereich ist gekennzeichnet durch Neues, Herausforderungen und Unerwartetes. Das können unbekannte Situationen beim Ausreiten ebenso sein wie neue Lektionen beim Dressurtraining oder unbekannte Hindernisse für ein Springpferd. In der Lernzone ist das Gehirn motiviert, etwas Neues zu lernen. Damit ist Schluss, wenn es in die Stress- oder auch Panikzone geht. In diesem Bereich dominieren Angst, Unsicherheit oder Überforderung. Auch Ablenkung kann dazu führen, dass das Pferd die mittlere Zone, wo optimale Leistung und ein Dazulernen möglich sind, verlässt und in die Panikzone gerät.

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Frieren die Pferdeohren in eine Richtung ein, ist das Pferd für Lernimpulse gerade nicht empfänglich. © www.Slawik.com

Lernbereitschaft fördern

entscheidend für den Lernerfolg – darin sind sich alle Experten einig. „Eine Stressbelastung, die so stark ist, dass die Gedächtnisbildung verlangsamt wird, ist zum Beispiel immer dann gegeben, wenn sich das Pferd nicht mehr auf die Signale konzentrieren kann, die der Reiter einsetzt“, erklärt Dr. Schöning. Ein guter Indikator ist das Ohrenspiel: „Bei den meisten Pferden erkennt man Stress oder dass ihre Aufmerksamkeitsspanne vorbei ist, wenn die Ohren mehr oder weniger in einer Position einfrieren. Nach hinten gerichtet ist dabei genauso möglich wie eine seitlichen Position. Der entscheidende Punkt ist, dass praktisch kein Ohrenspiel mehr stattfindet.“ Allerdings ist das Erkennen der ersten Anzeichen nicht immer ganz einfach. Warum das so ist, erklärt Schöning folgendermaßen: „Pferde sind in ihren Ausdrucksmöglichkeiten höchst verschieden. Zudem hat jedes Pferd seine ganz persönliche Tagesform, die es auf ähnliche Situationen noch einmal unterschiedlich reagieren lässt. Und auch der Mensch, der eine wichtige Rolle spielt, wie sich das Pferd verhält, ist nicht jeden Tag gleich.“ Befindet sich das Pferd bereits in der Panikzone, unterscheidet man vor allem zwei Reaktionsvarianten: Kampf oder Flucht. Von Einfrieren oder Bocken über Herumwerfen auf der Hinterhand, Rückwärtsrennen, Steigen oder Durchgehen bis hin zum sich Hinwerfen sind unter massivem Stress völlig unterschiedliche Verhaltensweisen möglich. Erste Anzeichen für das jeweilige Pferd und sein typisches Verhalten sind häufig kleine Ansätze zur größeren Variante. So kann dem Stehenbleiben oder Einfrieren ein Klemmen am Schenkel vorausgehen, dem Bocken ein Tiefernehmen des Kopfes mit deutlicher Anspannung im Genick und dem Herumwerfen ein Abkürzen oder Abweichen von der erwünschten Linie.


Konflikte vermeiden

Es ist die Verantwortung des Reiters zu merken, wann das Pferd körperlich oder psychisch nicht mehr aufnahmefähig ist, also die Lernzone verlässt. Dr. Schöning nennt als typische Signale: „Die meisten Pferde beginnen damit, den Kopf minimal höher zu tragen. Das sieht man meist von unten am besten. Danach folgt häufig ein Festmachen der Maulpartie oder übertriebenes Kauen. Wenig ausgebildete Pferde zeigen an dieser Stelle eine Art Stolpern oder Taktunreinheit. Schon einen Schritt darüber liegen dann Kopfhochreißen oder Scheuen.“ Als Verhaltensberaterin lässt sie Reiter beim ersten Anzeichen für Überforderung eine Pause einlegen, „meist Schritt am hingegebenen Zügel, aber gerne auch absteigen und ein paar Runden führen“, erklärt sie. „Je nachdem, wie aufgeschlossen die Besitzer sind, versuche ich auch, ihnen die Lerntheorie für ihr Pferd anhand von Clickertraining zu vermitteln. Dabei steht das Belohnen zum idealen Zeitpunkt im Mittelpunkt. Viele Menschen tun sich damit leichter, auch bei anderen Aspekten des Pferdeverhaltens aufmerksamer zu werden und finden selbst zu mehr Spaß am Training.“

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Futter ist für die meisten der Pferde der größte Antrieb.   © www.Slawik.com

Mangelnder Spaß kann übrigens auch ein Hindernis für effizientes Lernen sein „weil das Pferd ja die Stimmung des Menschen mitbekommt“, so Schöning. Sie setzt deshalb darauf, jedes Pferd in sein für die Aufgabe optimales Erregungslevel zu bringen. „Wenn ein Pferd eher aufgeweckt oder beruhigt werden soll – entweder für eine Reitstunde, die es als uninteressant empfindet oder für einen Ausritt, den es noch mit Aufregung verbindet, – kann man schon beim Holen von der Koppel, beim Putzen und Vorbereiten entsprechend einwirken. Die eigene Stimmung und die Art, wie man die Fellpflege und den Umgang in diesem Moment gestaltet, können sich nämlich aufs Pferd übertragen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass nicht nur der Körper, sondern auch das Gehirn sozusagen auf Betriebstemperatur gebracht werden muss.“ Schafft man so schon vor dem Aufsteigen eine Basis, die für das jeweilige Pferd und die entsprechende Aufgabe ideal ist, lernt es sich anschließend leichter.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Konzentrationsspanne. Gerade hier gibt es große Unterschiede, wie Dr. Zeitler-Feicht erklärt: „Wie lange sich ein Pferd konzentrieren kann, hängt von seinem Alter, seinem Entwicklungsstand, seinem Charakter, der Lernkonzentration und der geforderten Übung ab. Erfahrungsgemäß können sich junge Pferde maximal zehn, erwachsene Tiere maximal 20 Minuten am Stück konzentrieren.“ Wobei individuelle Abweichungen nicht nur möglich sind, sondern sogar häufig vorkommen – allerdings eher nach unten als nach oben. „Es kann durchaus sein, dass sich ein Pferd anfangs tatsächlich nur zwei Minuten am Stück konzentrieren kann“, sagt Verhaltensberaterin Schöning. Sie wünscht sich deshalb, „dass alle dem Thema Gelassenheit mehr Raum geben – für sich selber und auch für die Pferde.“